Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 70/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_70/2015

Urteil vom 28. August 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner,
Beschwerdeführerin,

gegen

 Stiftung Auffangeinrichtung BVG, Weststrasse 50, 8003 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 12. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ und B.________ sind die Eltern des 1998 geborenen C.________.
A.________ übt das Sorgerecht über C.________ allein aus. Mit Entscheid vom 5.
Dezember 2000 verpflichtete das Tribunal de première instance des Kantons Genf
B.________ zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen für seinen Sohn C.________.
Seit 1. April 2003 bezieht B.________ Invalidenrenten der Invalidenversicherung
und der Beruflichen Vorsorge. Die letzte wird, inklusive einer Kinderrente für
C.________, durch die Stiftung Auffangeinrichtung BVG (im Folgenden:
Auffangeinrichtung) ausgerichtet. Nachdem die Auffangeinrichtung die
Kinderrente längere Zeit direkt an A.________ überwiesen hatte, zahlte sie die
Leistungen ab Juli 2009 B.________ aus. Am 12. Dezember 2010 wandte sich
A.________ deswegen an die Auffangeinrichtung, welche sich auf den Standpunkt
stellte, eine Drittauszahlung der Kinderrente sei nur möglich, wenn ein
entsprechender Rechtstitel (behördliche Verfügung oder Abtretungserklärung des
B.________) bestehe. Am 9. Oktober 2012 erwirkte A.________ einen Entscheid des
Tribunal de première instance des Kantons Genf, wonach die Kinderrente an
C.________ bzw. während seiner Minderjährigkeit an A.________ als gesetzliche
Vertreterin auszubezahlen ist. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'000.- zog
das Gericht vom klägerischen Gerichtskostenvorschuss ab. Eine
Prozessentschädigung sprach es nicht zu.

B. 
Nachdem die Auffangeinrichtung ab 1. Juli 2012 die Kinderrenten wiederum
an  A.________ überwiesen, hingegen daran festgehalten hatte, der Betrag von
Fr. 6'442.30 sei zu Recht B.________ ausbezahlt worden (Schreiben vom 5. März
und 28. Juni 2013), klagte  A.________ beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich. Sie beantragte, die Auffangeinrichtung sei zu verpflichten, ihr
die Kinderrenten für ihren Sohn C.________ in Höhe von Fr. 6'442.30 und
überdies für nutzlose Gerichts- und Anwaltskosten im Verfahren vor dem
erstinstanzlichen Gericht des Kantons Genf Fr. 15'191.20, nebst Zins, zu
bezahlen. In teilweiser Gutheissung dieser Klage verpflichtete das kantonale
Sozialversicherungsgericht B.________ zur Bezahlung von Fr. 6'442.30 nebst Zins
an  A.________. Betreffend die Schadenersatzforderung für Partei- und
Gerichtskosten trat es auf die Klage nicht ein.

C. 
 A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, in Aufhebung von Ziff. 1 Satz 2 Dispositiv des vorinstanzlichen
Entscheides sei die Auffangeinrichtung zu verpflichten, ihr Fr. 15'191.20 nebst
Zins als Schadenersatz zu bezahlen. Überdies sei ihr für das vorinstanzliche
Verfahren eine volle Parteientschädigung von Fr. 2'500.- zuzusprechen.
Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur materiellen Beurteilung des
Schadenersatzanspruches zurückzuweisen.
Die Auffangeinrichtung schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1. 
Umstritten ist nurmehr die Schadenersatzforderung der Beschwerdeführerin
betreffend die ihr entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten im Verfahren vor
dem erstinstanzlichen Zivilgericht des Kantons Genf und in diesem Zusammenhang
einzig, ob die Vorinstanz ihre diesbezügliche sachliche Zuständigkeit zu Recht
verneint hat.

2.

2.1. Gemäss Art. 73 BVG bezeichnet jeder Kanton als letzte kantonale Instanz
ein Gericht, das über die Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen,
Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet. Es entscheidet zudem über
Verantwortlichkeitsansprüche nach Artikel 52 BVG (Abs. 1 lit. c). Art. 73 BVG
findet auf den obligatorischen, vor-, unter- und überobligatorischen Bereich
registrierter privat- und öffentlichrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen
Anwendung, ferner auf nicht registrierte Personalvorsorgestiftungen. Dabei ist
ohne Belang, ob sich die fraglichen Ansprüche aus privatem oder öffentlichem
Recht ergeben (Urteil 8C_852/2011 vom 12. Juni 2012 E. 4.2.1 mit Hinweis, in:
SVR 2013 BVG Nr. 5 S. 20).

2.2. Nebst der Voraussetzung, dass Art. 73 Abs. 1 BVG den Kreis der möglichen
Verfahrensbeteiligten auf die Vorsorgeeinrichtungen, die Arbeitgeber und die
Anspruchsberechtigten beschränkt (BGE 141 V 170 E. 3 S. 173, 130 V 103 E. 1.1
S. 104 mit Hinweisen), ist für die Zuständigkeit der in Art. 73 BVG genannten
Gerichte erforderlich, dass die Streitigkeit die berufliche Vorsorge im engeren
oder weiteren Bereich beschlägt. Dies ist dann der Fall, wenn die Streitigkeit 
spezifisch den Rechtsbereich der beruflichen Vorsorge betrifft und das
Vorsorgeverhältnis zwischen einem Anspruchsberechtigten und einer
Vorsorgeeinrichtung zum Gegenstand hat. Im Wesentlichen geht es somit um
Streitigkeiten betreffend Versicherungsleistungen, Freizügigkeitsleistungen
(nunmehr Eintritts- und Austrittsleistungen) und Beiträge. Der Rechtsweg nach
Art. 73 BVG steht dagegen nicht offen, wenn die Streitigkeit ihre rechtliche
Grundlage nicht in der beruflichen Vorsorge hat, selbst wenn sie sich
vorsorgerechtlich auswirkt (BGE 141 V 170 E. 3 S. 172 f. mit Hinweisen). Ob
eine sozialversicherungsrechtliche oder eine privatrechtliche Streitigkeit
vorliegt, beurteilt sich aufgrund des Streitgegenstands, wie er sich aus den
klägerischen Anträgen und Sachvorbringen ergibt (BGE a.a.O.; Urteil 9C_211/2008
vom 7. Mai 2008 E. 4.1 mit Hinweisen).

3.

3.1. Die Vorinstanz erwog, der für Partei- und Gerichtskosten im Verfahren vor
dem erstinstanzlichen Gericht in Genf geltend gemachte Schadenersatzanspruch
habe seine Grundlage nicht in der beruflichen Vorsorge. Sie verneinte daher
ihre sachliche Zuständigkeit und trat auf die Klage nicht ein.

3.2. Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen, der Schadenersatzanspruch sei
bereits deswegen als berufsvorsorgerechtliche Thematik einzuordnen, weil sie
auf - zwar nicht korrekte - Anweisung der Beschwerdegegnerin hin das
entsprechende Zivilverfahren angestrengt habe, um auf diesem Weg zu den
Vorsorgeleistungen zu kommen. In anderem Zusammenhang sei der für die sachliche
Zuständigkeit des Berufsvorsorgegerichts erforderliche Konnex zur beruflichen
Vorsorge durchaus "lockerer" bejaht worden. Weshalb das Genfer Gericht keine
Parteientschädigung zugesprochen habe, sei zwar nicht ohne Weiteres
nachvollziehbar. Indes sei sie "vernünftigerweise" nicht zu einer Anfechtung
jenes Entscheids gehalten gewesen, weil ohnehin klar gewesen sei, dass
B.________ eine Parteientschädigung nicht zahlen würde und eine solche auch auf
dem Betreibungsweg nicht hätte erhältlich gemacht werden können. Dasselbe gelte
für die Verfahrenskosten.

4. 

4.1. Im Gegensatz zum in der Beschwerde zitierten BGE 136 V 73 E. 5.3 S. 82 f.
geht es hier nicht um einen Schadenersatzanspruch aus der Verletzung
anschlussvertraglicher Pflichten, welcher aufgrund des direkten Sachbezugs die
Zuständigkeit des Berufsvorsorgegerichts nach Art. 73 BVG begründen würde,
sondern um den Ersatz für Rechtsverfolgungskosten in einem Zivilverfahren, das
nach damaliger Auffassung der Parteien Voraussetzung war für die (erneute)
Auszahlung der Vorsorgeleistungen an die Beschwerdeführerin. In jenem Verfahren
standen sich der durch seine Mutter (die ihrerseits anwaltlich vertreten war)
vertretene C.________ als Kläger und B.________ als Beklagter gegenüber. Die
Vorsorgeeinrichtung war nicht involviert. Das kantonale Gericht stellte, in
Anwendung von Art. 285 Abs. 2bis ZGB fest, die B.________ zugesprochene
BVG-Kinderrente sei an C.________, bis zu seiner Mündigkeit an seine Mutter als
gesetzliche Vertreterin, auszuzahlen (Ziff. 1 Dispositiv) und verzichtete
(unter Berufung auf Art. 107 Abs. 1 ZPO) auf die Zusprechung einer
Parteientschädigung an den obsiegenden C.________. Das fragliche Verfahren vor
dem erstinstanzlichen Zivilgericht des Kantons Genf betraf somit nicht
spezifisch den Rechtsbereich der beruflichen Vorsorge, sondern die Bemessung
bzw. die Auszahlungsmodalitäten des Unterhaltsbeitrages, bei welchem von
Gesetzes wegen (Art. 285 Abs. 2 und 2bis ZGB) auch
sozialversicherungsrechtliche Kinderrenten zu berücksichtigen sind (z.B. Urteil
5A_496/2013 vom 11. September 2013 E. 2.4.2 und 2.4.3, in: FamPra.ch 2014 S.
219 ff.). Umso weniger kann die qualifizierte Nähe zur beruflichen Vorsorge für
die in jenem Verfahren angefallenen Rechtsverfolgungskosten der
Beschwerdeführerin bejaht werden.

4.2. Dass die Beschwerdeführerin "auf Anweisung" der Beschwerdegegnerin Klage
erhoben hat, vermag nichts zu ändern. Auch wenn der Rechtsweg einzig wegen der
(vermeintlichen) vorsorgerechtlichen Auswirkungen des entsprechenden Entscheids
eingeschlagen wurde, hat die Streitigkeit ihre rechtliche Grundlage nicht in
der beruflichen Vorsorge (vgl. vorangehende E. 4.1). Damit fällt die sachliche
Zuständigkeit des Berufsvorsorgegerichts ausser Betracht, ohne dass näher zu
prüfen wäre, ob sich die Forderung der Beschwerdeführerin auf die analoge
Anwendung von Vertragsrecht (Art. 106 Abs. 1 OR) oder auf den in Art. 9 BV
verankerten Grundsatz von Treu und Glauben und die basierend darauf ergangene
Rechtsprechung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger in ihrem berechtigten
Vertrauen bei falschen Auskünften von Verwaltungsbehörden (z.B. Urteil 9C_5/
2015 vom 31. Juli 2015 E. 3 mit Hinweis auf BGE 131 V 472 E. 5 S. 480) stützen
liesse. Auch die sinngemäss geltend gemachte Aussichtslosigkeit einer Berufung
(Art. 308 ff. ZPO) gegen den Entscheid des Genfer Zivilgerichts vom 9. Oktober
2012 wegen fehlender finanzieller Mittel des B.________ vermag selbstredend
nichts daran zu ändern, dass der streitige Schadenersatzanspruch keine
spezifisch den Rechtsbereich der beruflichen Vorsorge betreffende Streitigkeit
ist. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat seine sachliche
Zuständigkeit zu Recht verneint. Damit hat es beim angefochtenen Entscheid sein
Bewenden.

5. 
Ausgangsgemäss wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. August 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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