Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 709/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_709/2015

Urteil vom 25. Januar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
 Industrielle Werke Basel (IWB),
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat
Prof. Dr. Pascal Grolimund,

gegen

 Ausgleichskasse Schweizerischer Elektrizitätswerke,
 Beschwerdegegnerin,

Ausgleichskasse Basel-Stadt. 

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Kassenwechsel),

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III,
vom 11. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die Industrielle Werke Basel (IWB) mit Sitz in Basel ist seit dem 1. Januar
2010 ein Unternehmen des Kantons in Form einer selbständigen
öffentlich-rechtlichen Anstalt mit eigener juristischer Persönlichkeit. Die IWB
ist sowohl Mitglied des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen
(VSE) als auch der Handelskammer beider Basel. Vor der Entlassung in die
Selbständigkeit auf den 1. Januar 2010 und auch danach war sie als
Arbeitgeberin der Ausgleichskasse Basel-Stadt angeschlossen. Auf Antrag der
Ausgleichskasse Schweizerischer Elektrizitätswerke stellte das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) mit Verfügung vom 28. März 2013 fest, dass die IWB
ab 1. Januar 2013 dieser angeschlossen ist.

B. 
Dagegen reichten sowohl die IWB als auch die Ausgleichskasse Basel-Stadt beim
Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragten zur Hauptsache, die
angefochtene Verfügung sei aufzuheben, eventualiter dahingehend abzuändern,
dass ein allfälliger Kassenwechsel auf den 1. Januar des dem rechtskräftigen
Entscheid folgenden Jahres festzulegen sei. Im Rahmen des Schriftenwechsels
hielten die Parteien an ihren Standpunkten fest. Die IWB präzisierte ihr
Eventualbegehren dahingehend, dass sie ab dem 1. Januar des dem rechtskräftigen
Beschwerdeentscheid folgenden Jahres der Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel
angeschlossen sei (Eingaben vom 11. Dezember 2013 und 1. Juni 2015). 

Mit Entscheid vom 11. August 2015 wies die Abteilung III des
Bundesverwaltungsgerichts die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die IWB, der
Entscheid vom 11. August 2015 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie
wirksam das Wahlrecht zugunsten der Ausgleichskasse des Arbeitgeberverbandes
Basel ausgeübt habe und spätestens auf den 1. Januar 2016, den Urteilszeitpunkt
bzw. das dem Urteil folgende Jahr dieser angeschlossen sei; dem Rechtsmittel
sei aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Die Ausgleichskasse Schweizerischer Elektrizitätswerke ersucht um Abweisung der
Beschwerde. Die Ausgleichskasse Basel-Stadt und das BSV verzichten auf eine
Vernehmlassung.
In einer weiteren Eingabe hat sich die IWB zur Stellungnahme der
Verbandsausgleichskasse geäussert.

Erwägungen:

1.

1.1. Nach der im angefochtenen Entscheid richtig wiedergegebenen gesetzlichen
Regelung der Kassenzugehörigkeit (Art. 64 AHVG und Art. 117 ff. AHVV), soweit
hier von Bedeutung, werden alle Arbeitgeber und Selbständigerwerbenden, die
einem Gründerverband angehören, der betreffenden Verbandsausgleichskasse
angeschlossen (Art. 64 Abs. 1 Satz 1 AHVG). Weiter besteht ein (beschränktes)
Wahlrecht von Arbeitgebern oder Selbständigerwerbenden: Gehören sie sowohl
einem Berufsverband wie einem zwischenberuflichen Verband an, werden sie nach
freier Wahl der Ausgleichskasse eines der beiden Verbände angeschlossen (Art.
64 Abs. 1 Satz 2 AHVG); sind sie Mitglied mehrerer Gründerverbände, so haben
sie die für den Beitragsbezug zuständige Verbandsausgleichskasse zu wählen
(Art. 117 Abs. 1 Satz 1 AHVV). Ein besonderes Wahlrecht sieht Art. 120 Abs. 2
AHVV vor: Bildet ein kantonaler oder kommunaler Betrieb, der Mitglied eines
Gründerverbandes ist, einen Teil der kantonalen oder kommunalen Verwaltung,
ohne rechtlich verselbständigt zu sein, so kann der Kanton oder die Gemeinde
wählen, ob der Betrieb der kantonalen Ausgleichskasse oder der
Verbandsausgleichskasse anzuschliessen ist. Aus dieser Bestimmung ergibt sich
im Umkehrschluss, dass bei rechtlicher Verselbständigung einer solchen
Verwaltungseinheit kein Wahlrecht des betreffenden Gemeinwesens in Bezug auf
die Kassenzugehörigkeit (mehr) besteht (BGE 139 V 58 E. 3.4 S. 65).

Mit der rechtlichen Verselbständigung zum 1. Januar 2010 waren somit die
Voraussetzungen für den vom Kanton seinerzeit gewählten Anschluss der
Beschwerdeführerin an die kantonale Ausgleichskasse weggefallen. Damit war,
insoweit unbestritten, ein Kassenwechsel nach Massgabe der gesetzlichen
Regelung der Kassenzugehörigkeit zulässig (Art. 121 Abs. 1 AHVV). Da die
Beschwerdeführerin in diesem Zeitpunkt auch Mitglied des Gründerverbandes der
Handelskammer beider Basel war, konnte sie daher nach Art. 64 Abs. 1 Satz 2
AHVG (zum Begriff des zwischenberuflichen Verbandes: BGE 139 V 58 E. 3.1 S. 62)
und Art. 117 Abs. 1 Satz 1 AHVV grundsätzlich frei zwischen deren
Verbandsausgleichskasse (Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel) und der
Beschwerdegegnerin wählen.

1.2. Fallen die Voraussetzungen für den Anschluss an die bisherige
Ausgleichskasse dahin (Art. 121 Abs. 1 AHVV), bestimmt im Bestreitungsfalle das
BSV mit Verfügung die neue Ausgleichskasse und setzt den Zeitpunkt des
Kassenwechsels fest (Art. 64 Abs. 6 AHVG). Das Begehren kann vom Arbeitgeber
oder Selbständigerwerbenden, aber auch von einer Ausgleichskasse gestellt
werden, die sich als zuständig erachtet. Vorliegend beantragte die
Beschwerdegegnerin als Ausgleichskasse des VSE, dem die Beschwerdeführerin seit
2004 als Mitglied angehört, deren Anschluss ab 1. Januar 2013 (Schreiben vom
29. August und 24. Oktober 2012 an die kantonale Ausgleichskasse bzw. das BSV).
Am 28. März 2013 verfügte das Bundesamt im Sinne der Verbandsausgleichskasse.

2. 
Die Beschwerdeführerin bestreitet zu Recht nicht, dass sie gestützt auf Art. 64
Abs. 1 Satz 1 AHVG neu an die Beschwerdegegnerin angeschlossen werden konnte.
Insoweit ficht sie den in diesem Sinne lautenden vorinstanzlichen Entscheid
denn auch nicht an. Hingegen rügt sie, das BSV hätte den Wechsel zur
Beschwerdegegnerin der Bedingung der Nichtausübung eines allfälligen Wahlrechts
nach Art. 117 Abs. 1 Satz 1 AHVV (und Art. 64 Abs. 1 Satz 2 AHVG) unterwerfen
müssen. Dies habe das Bundesamt indessen nicht getan und in absoluter Weise
entschieden, was Bundesrecht verletze. Weiter bringt die Beschwerdeführerin
vor, solange die Verfügung des BSV nicht rechtskräftig und sie immer noch der
kantonalen Ausgleichskasse angeschlossen sei, habe es ihr frei gestanden, das
erstmalige Wahlrecht auch erst während des Beschwerdeverfahrens vor der
Vorinstanz auszuüben. In diesem Sinne habe sie mit Schreiben vom 26. August
2013 gegenüber der Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel erklärt, sich zum 1.
Januar 2014 ihr anzuschliessen. Dementsprechend habe sie in Präzisierung ihres
Eventualbegehrens in der Beschwerde mit Eingabe vom 1. Juni 2015 beantragt,
dass sie ab dem 1. Januar des dem rechtskräftigen Beschwerdeentscheid folgenden
Jahres dieser Verbandsausgleichskasse angeschlossen sei. Der neue Antrag stehe
in engstem Zusammenhang mit der angefochtenen Verfügung und liege innerhalb des
Streitgegenstandes, zumal er die (sich von Gesetzes wegen ohnehin ergebende)
Rechtsfolge dahingehend verdeutliche, dass sie die Kasse zu wechseln habe.
Selbst wenn dies anders gesehen werden wollte, liege jedenfalls ein enger Bezug
zur Streitsache vor, sodass nach der Praxis der Vorinstanz eine Erweiterung des
Streitgegenstandes zu bewilligen gewesen wäre. Schliesslich wirft die
Beschwerdeführerin dem BSV und der Vorinstanz eine Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes vor, weil sie nicht abgeklärt hätten, ob sie bei
mehreren Gründerverbänden Mitglied sei. Dies wäre mit Blick auf Art. 117 Abs. 1
AHVV zwingend gewesen. Allenfalls hätte das Bundesamt sie auf ein allfälliges
Wahlrecht hinweisen und durch gezielte Fragestellungen darauf hinwirken müssen,
dass sie den entsprechenden Sachverhalt betreffend eine mögliche Zugehörigkeit
zu mehreren Gründerverbänden offenlege, wenn heute ein Rechtsnachteil aus ihrem
Schweigen abgeleitet werden wolle.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat die Präzisierung des Eventualbegehrens in der
Beschwerde, ab dem frühest möglichen Zeitpunkt der Ausgleichskasse Arbeitgeber
Basel angeschlossen zu sein, als zulässig bezeichnet. Gleichwohl ist sie auf
diesen Antrag nicht eingetreten, was sie folgendermassen begründet hat:
Streitgegenstand des Verfahrens vor dem BSV bildete bzw. vom Bundesamt einzig
zu prüfen gewesen sei, ob die Voraussetzungen für den von der
Beschwerdegegnerin beantragten Kassenwechsel gegeben seien. Die
Beschwerdeführerin habe weder eine Mitgliedschaft bei einem anderen Verband
noch ein entsprechendes Wahlrecht geltend gemacht. Dass sie (auch) Mitglied der
Handelskammer beider Basel sei, habe sie erstmals in der Beschwerde erwähnt;
eine Verletzung ihres Wahlrechts habe sie erstmals in der Replik (recte:
bereits in der Beschwerde, S. 6) gerügt. Die Frage des Anschlusses an eine
andere Verbandsausgleichskasse, insbesondere an die Ausgleichskasse Arbeitgeber
Basel, sei somit nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen.

3.2. Indem die Vorinstanz das Eventualbegehren um Anschluss an die
Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel grundsätzlich als zulässig erachtete,
gleichwohl jedoch darauf nicht eintrat, ist sie sinngemäss im Ergebnis von
einer diesbezüglich verspäteten Geltendmachung des Wahlrechts nach Art. 64 Abs.
1 Satz 2 AHVG und Art. 117 Abs. 1 AHVV erst während des hängigen
Beschwerdeverfahrens ausgegangen. Diese Rechtsauffassung verletzt Bundesrecht:
Anfechtungs- und Streitgegenstand des Verfahrens vor dem BSV war die
Kassenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin nach dem Wegfall der Voraussetzungen
für den Anschluss an die bisherige (kantonale) Ausgleichskasse. Im Rubrum der
angefochtenen Verfügung wurde denn auch gesagt, dass es um die
"Kassenzugehörigkeit" der am Verfahren beteiligten Beschwerdeführerin gehe. Ein
Teilaspekt dieses im streitgegenständlichen Sinne neu zu regelnden
Rechtsverhältnisses (vgl. BGE 125 V 413 E. 2a S. 415) war deren Wahlrecht nach
Art. 64 Abs. 1 Satz 2 AHVG und Art. 117 Abs. 1 AHVV. Vorbehältlich eines
ausdrücklichen Verzichts konnte somit die Beschwerdeführerin jedenfalls solange
dieses Recht ausüben bzw. sich darauf berufen und als rechtliches Argument
gegen den Anschluss an die Beschwerdegegnerin verwenden, als der Streit
zwischen gesuchstellender neuer und bisheriger Ausgleichskasse nicht
rechtskräftig entschieden war (vgl. BGE 136 V 362 E. 3.4.4 S. 365 f.). Die
gegenteilige Auffassung liefe in letzter Konsequenz in dem Sinne auf eine mit
dem Gesetz nicht vereinbare Beschränkung des Wahlrechts hinaus, dass dieses
nicht mehr ausgeübt werden könnte, sobald eine als zuständig in Betracht
fallende Ausgleichskasse den Anschluss an sie beantragt. Mit ihrem Begehren in
der Replik um Anschluss an die Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel gestützt auf
ihr Wahlrecht blieb die Beschwerdeführerin somit innerhalb des (Anfechtungs-
und) Streitgegenstandes. Die Vorinstanz hätte daher darauf eintreten und auch
darüber entscheiden oder allenfalls die Sache zu diesem Zweck an das BSV
zurückweisen müssen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihr Wahlrecht
nicht schon im Verfahren vor dem BSV ausübte, sondern erst vor Vorinstanz, ist
bei der Kostenauflage für das vorangegangene Verfahren zu berücksichtigen.

3.3. Die Beschwerde ist im Eventualstandpunkt begründet.

4. 
Mit dem vorliegenden Urteil in der Sache wird der (definitive) Entscheid
betreffend das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.

5. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom 11. August 2015 wird aufgehoben
und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an dieses
zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Ausgleichskasse Basel-Stadt, dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Januar 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler

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