Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 700/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_700/2015

Urteil vom 18. Juli 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Schaffhausen,
Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Noëlle Cerletti,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Schaffhausen vom 25. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1964 geborene A.________ ist ausgebildete Pflegeassistentin und arbeitete
bis im Dezember 2007 zu 50 % im Alters- und Pflegeheim B.________. Sie ist
verwitwet und lebt mit einer erwachsenen Person im gleichen Haushalt. Am 8.
Juli 2008 meldete sie sich aufgrund psychischer Beschwerden sowie eines
Rückenleidens bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die
IV-Stelle des Kantons Schaffhausen führte verschiedene medizinische Abklärungen
durch (bidisziplinäres Gutachten des Zentrums C.________, vom 17. August 2010;
psychiatrisches Gutachten der Dr. med. D.________ vom 14. November 2012) und
klärte die Verhältnisse im Haushalt ab (Erhebungen vom 12. November 2009 und
29. Januar 2013). Gestützt darauf legte sie den
invalidenversicherungsrechtlichen Status der Versicherten fest (50 % Erwerb und
50 % Haushalt). Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach die
IV-Stelle A.________ mit Verfügung vom 23. Mai 2013 in Anwendung der gemischten
Methode ab 1. Dezember 2008 eine halbe Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad: 58
%).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Schaffhausen
mit Entscheid vom 25. August 2015 gut, führte einen Einkommensvergleich durch
und gewährte A.________ in Aufhebung der Verfügung vom 23. Mai 2013 ab 1.
Dezember 2008 eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad: 100 %).

C. 
Die IV-Stelle lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, der Entscheid vom 25. August 2015 sei aufzuheben.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen beantragt deren vollumfängliche Gutheissung.

D. 
Mit Eingabe vom 7. Dezember 2015 beantragt A.________ die Sistierung des
Verfahrens bis zum Vorliegen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte (EGMR) in Sachen Di Trizio c. Suisse.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Die dargelegten Grundsätze gelten auch mit Bezug auf die konkrete
Beweiswürdigung (z.B. Urteil 9C_104/2015 vom 3. Juli 2015 E. 1 mit Hinweis).
Das Bundesgericht greift somit nur dann in die vorinstanzliche Beweiswürdigung
ein, wenn diese im Sinne von Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG
offensichtlich unrichtig (willkürlich) ist (BGE 140 V 22 E. 7.3.1 S. 39; 135 II
145 E. 8.1 S. 153; Urteil 9C_139/2016 vom 24. Mai 2016 E. 3.1 mit Hinweis).

2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen zum Begriff der Invalidität (Art. 4
Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 ATSG), zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28
Abs. 2 IVG) und zur anwendbaren Methode der Invaliditätsbemessung (bei
erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode [Art. 28a Abs.
1 IVG i.V.m. Art. 16 ATSG]; bei teilerwerbstätigen Versicherten nach der
gemischten Methode [Art. 28a Abs. 2 und 3 IVG i.V.m. Art. 16 ATSG]) korrekt
dargelegt. Richtig wiedergegeben hat es sodann die in BGE 131 V 51 enthaltenen
Grundsätze in Bezug auf die Bemessung der Invalidität bei Personen ohne
Aufgabenbereich (vgl. Art. 27 IVV), die im hypothetischen Gesundheitsfall
lediglich teilerwerbstätig wären. Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Die Vorinstanz ging in Würdigung der Akten, insbesondere der Angaben der
Beschwerdegegnerin im Rahmen der Haushaltsabklärungen vom 12. November 2009 und
29. Januar 2013, davon aus, dass sie (die Versicherte) bei Gesundheit nicht zu
50 % im Aufgabenbereich bzw. im Haushalt tätig gewesen wäre. Vielmehr habe sie
glaubhaft nur deshalb in einem Teilzeitpensum von 50 % gearbeitet, um mehr
Freizeit für ihre Hobbies, den Hundesport und den Garten zu haben. Die
IV-Stelle wirft dem kantonalen Gericht unter Hinweis auf BGE 141 V 15 vor, den
Haushaltsanteil bundesrechtswidrig in Abhängigkeit vom Umfang der im
Aufgabenbereich anfallenden Arbeiten festgesetzt zu haben.

3.2. Diesbezügliche Weiterungen erübrigen sich jedoch. Letztlich dreht sich der
Streit um die anwendbare Methode der Invaliditätsbemessung. Während die
Vorinstanz klarerweise die auf Teilerwerbstätige ohne Aufgabenbereich
anwendbare Einkommensvergleichsmethode zur Anwendung brachte (vgl. BGE 131 V 51
), worauf sich auch die Beschwerdegegnerin ausdrücklich beruft, will die
IV-Stelle, gleich wie in ihrer Verfügung vom 23. Mai 2013, d ie gemischte
Methode angewendet wissen. Dabei hat das Bundesgericht am 4. Mai 2016 die
Rechtsprechung gemäss BGE 131 V 51 dahingehend präzisiert, dass die
Einschränkung im erwerblichen Bereich proportional - im Umfang des
hypothetisch-erwerblichen Teilzeitpensums - zu berücksichtigen ist (zur
Publikation vorgesehenes Urteil 9C_178/2015). Nachdem eine neue Rechtsprechung
im Grundsatz sofort und überall anwendbar ist und nicht nur für künftige,
sondern für alle im Zeitpunkt der Änderung hängigen Fälle gilt (vgl. statt
vieler Urteil 9C_769/2013 vom 1. April 2014 E. 2), resultiert in concreto so
oder anders ein Anspruch auf höchstens eine halbe Invalidenrente (Art. 28 Abs.
2 IVG; Invaliditätsgrad nach der gemischten Methode: 58 % [vgl. vorinstanzliche
E. 2.2]; Invaliditätsgrad nach der Einkommensvergleichsmethode ohne
Aufgabenbereich: 50 % [erwähntes Urteil 9C_178/2015 vom 4. Mai 2016 E. 7.3];
vgl. im Übrigen auch Art. 107 Abs. 1 BGG). Bei dieser Rechtslage bedarf es auch
keiner weiteren Diskussion darüber, ob und inwieweit die gemischte Methode nach
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Sache Di
Trizio c. Suisse, Nr. 7186/09, vom 2. Februar 2016, überhaupt weiterhin Bestand
hat. Gleichzeitig erübrigt es sich, dem Sistierungsgesuch der
Beschwerdeführerin zu entsprechen.

3.3. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet.

4. 
Auf eine Kostenauflage ist umständehalber zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Schaffhausen vom 25. August 2015 wird aufgehoben und die Verfügung der
IV-Stelle des Kantons Schaffhausen vom 23. Mai 2013 bestätigt.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Obergericht des Kantons Schaffhausen
zurückgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Juli 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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