Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 695/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_695/2015

Urteil vom 9. August 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Williner.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Sennhauser,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St.
Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 20. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1942 geborene A.________ bezog seit Juni 2009 Ergänzungsleistungen (EL) zu
seiner AHV-Rente (Verfügung vom 9. Juli 2009). Im Rahmen einer periodischen
Überprüfung verneinte die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen,
Ausgleichskasse (nachfolgend: EL-Durchführungsstelle) den Anspruch auf
Ergänzungsleistungen ab November 2012 (Verfügung vom 12. Oktober 2012). Zur
Begründung führte die Verwaltung an, die an A.________ ausgerichtete
Altersrente aus Österreich sei höher und die Hypothekarzinsen für sein
Einfamilienhaus seien tiefer als den bisherigen Berechnungen zugrunde gelegt.
Mit Verfügung vom 5. März 2013 verneinte die EL-Durchführungsstelle einen
Leistungsanspruch auch rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum
31. Oktober 2012 und forderte insgesamt Fr. 23'610.- zurück. Zudem forderte sie
mit Verfügung vom 14. März 2013 Fr. 5'515.40 zu Unrecht erstattete
Krankheitskosten zurück. An diesen Verfügungen hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 17. Mai 2013 fest.

B. 
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde verpflichtete das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen A.________ zur Rückerstattung
unrechtmässig bezogener Leistungen von insgesamt Fr. 28'379.25 (Fr. 23'610.-
Ergänzungsleistungen sowie Fr. 4'769.25 Vergütungen für Krankheitskosten;
Entscheid vom 20. August 2015).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
es sei unter Aufhebung des kantonalen Entscheids festzustellen, dass die
Rückforderungsverfügungen vom 5. März 2013 betreffend die Ergänzungsleistungen
und vom 14. März 2013 betreffend die Krankheitskosten ohne genügende
Rechtsgrundlage erfolgt seien. Eventualiter sei die Angelegenheit zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die EL-Durchführungsstelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Der Beschwerdeführer stellt im Hauptantrag unter anderem ein
Feststellungsbegehren, das indes im Lichte der Beschwerdebegründung (vgl. in
BGE 130 V 61 nicht publizierte E. 3.2.1 des Urteils I 138/02 vom 27. Oktober
2003) so zu verstehen ist, dass nicht nur - wie explizit beantragt - der
kantonale Entscheid, sondern auch die beiden Verfügungen vom 5. März 2013 und
vom 14. März 2013 aufzuheben sind.

2.

2.1. Unrechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen sind zurückzuerstatten (Art.
25 Abs. 1 erster Satz ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 ELG). Dazu bedarf es
nach der Rechtsprechung, dass die Bedingungen für eine prozessuale Revision
(Art. 53 Abs. 1 ATSG) oder einer Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) der
ursprünglichen Verfügung erfüllt sind (BGE 130 V 380 E. 2.3.1 S. 384; Urteil
8C_792/2015 vom 31. Mai 2016 E. 3.2, zur Publikation vorgesehen).

2.2. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer ab Juni 2009 zu Unrecht
Ergänzungsleistungen und Vergütungen von Krankheitskosten bezogen hat.
Einigkeit besteht auch in Bezug auf das Vorliegen eines Rückkommenstitels
(Wiedererwägung) sowie den massgeblichen Rückforderungsbetrag von Fr.
28'379.25. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob es der Vertrauensschutz
gebietet, auf dessen Rückforderung zu verzichten.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer wendet ein, bei Vorliegen bestimmter
Sachverhaltselemente sei aus Gründen des Vertrauensschutzes auf eine
Rückforderung zu verzichten. So verhalte es sich namentlich dann, wenn - wie in
seinem Fall - angenommen werden könne, der Versicherungsträger hätte die
Leistung auch ausgerichtet, wenn er um deren Unrechtmässigkeit gewusste hätte.
Er habe sämtliche Einkünfte korrekt deklariert. Die EL-Durchführungsstelle habe
demnach trotz Kenntnis der Unrechtmässigkeit - bzw. obwohl sie um diese hätte
wissen müssen - Leistungen ausgerichtet.

3.2. Der Grundsatz von Treu und Glauben wird im Bereich der Rückerstattung
unrechtmässig bezogener Leistungen durch Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG
konkretisiert, wonach, wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, sie nicht
zurückerstatten muss, wenn eine grosse Härte vorliegt. Diese Voraussetzungen
sind allerdings in einem besonderen Erlassverfahren (Art. 4 ATSV), und nicht im
vorliegenden Verfahren zu prüfen. Eine solche - letztlich dem Legalitätsprinzip
dienende (LOCHER/GÄCHTER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 4. Aufl.
2014, § 43 Rz. 3) - Ordnung kann im Rahmen der Rechtsanwendung nicht generell
aus Gründen des Vertrauensschutzes übergangen werden. Im vorliegenden Verfahren
könnten höchstens zusätzliche, besondere Vertrauensschutztatbestände massgebend
sein, welche schon das Entstehen der Rückforderungsschuld als solche in Frage
stellen könnten (zitiertes Urteil 8C_792/2015 E. 3.2.2; C 264/05 vom 25. Januar
2006 E. 2.1).

3.3. Ein solcher besonderer Vertrauensschutztatbestand - konkret ein Verhalten
des Versicherers, welches die Rückforderung trotz Rückkommenstitel als stossend
erscheinen liesse (vgl. Urteil 8C_987/2010 vom 24. August 2011 E. 3.3.2) -
liegt hier indessen nicht vor. Davon, dass der Beschwerdeführer darauf
vertrauen durfte, die EL-Durchführungsstelle hätte die Ergänzungsleistungen
auch dann ausgerichtet, wenn sie um deren Unrechtmässigkeit gewusste hätte,
kann entgegen den Behauptungen in der Beschwerde nicht ernsthaft ausgegangen
werden. Selbst der Beschwerdeführer räumt ein, es sei der Verwaltung ein Fehler
im Rahmen einer "simplen Multiplikation" unterlaufen. Am Fehlen eines
besonderen Vertrauenstatbestandes vermag auch nichts zu ändern, dass die
EL-Durchführungsstelle - wie im Übrigen auch der Beschwerdeführer - den
Berechnungsfehler ohne Weiteres hätte erkennen können. Lediglich der
Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Unrechtmässigkeit der
ausgerichteten Ergänzungsleistungen gemäss den unbestritten gebliebenen
vorinstanzlichen Feststellungen nicht nur auf einem Berechnungsfehler, sondern
auch auf einer Unterlassung des Beschwerdeführers beruht, welcher seine
verminderten Ausgaben für die Hypothekarzinsen ab Oktober 2009 nicht gemeldet
hatte.

3.4. Andere Gründe, weshalb im Rahmen des Vertrauensschutzes auf die
Rückforderung zu verzichten sein sollte, vermag weder der Beschwerdeführer zu
nennen noch sind solche ersichtlich. Es erübrigen sich Weiterungen dazu.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. August 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Williner

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