Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 678/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_678/2015

Urteil vom 25. November 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Parrino,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St.
Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Prozessvoraussetzung; kantonales Verfahren;
Fristwiederherstellung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 6. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Einspracheentscheid vom 27. Juni 2013 verpflichtete die
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen A.________ zur Rückerstattung
von zu viel ausgerichteten Ergänzungsleistungen (EL).

B.

B.a. Mit Schreiben vom 10. Januar 2014 gelangte A.________ an die
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen. Sie wies darauf hin, am 2.
Oktober 2013 mit eingeschriebenem Brief ein Wiedererwägungsgesuch gestellt zu
haben. Der Eingabe beigelegt waren eine Kopie des betreffenden Schreibens und
des Sendebelegs der Post. Am 3. Februar 2014 übermittelte die
Sozialversicherungsanstalt die Eingabe vom 10. Januar 2014 dem kantonalen
Versicherungsgericht zur Prüfung einer Fristrestitution.

B.b. Nach Abklärungen und Vernehmlassung der Sozialversicherungsanstalt trat
das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 6. August
2015 auf die Beschwerde nicht ein.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
der Entscheid vom 6. August 2015 sei wegen falscher Rechtsanwendung aufzuheben,
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und die Frist zur
Einreichung der Beschwerde vom 2. Oktober 2013 wiederherzustellen.

Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen und das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid ist als einzelrichterlicher Entscheid nach Art. 17
Abs. 2 des st. gallischen Gerichtsgesetzes vom 2. April 1987 (sGS 941.1) und
Art. 19 Abs. 2 der Verordnung vom 2. Dezember 2010 über die Organisation und
den Geschäftsgang des Versicherungsgerichtes (sGS 941.114) ergangen, was die
Beschwerdeführerin als bundesrechtswidrig rügt. Darauf braucht mit Blick auf
den Verfahrensausgang nicht näher eingegangen zu werden.

2. 
Prozessthema ist, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die ihr von der
Beschwerdegegnerin am 3. Februar 2014 übermittelte Eingabe der
Beschwerdeführerin vom 2. Oktober 2013 betreffend den Einspracheentscheid vom
27. Juni 2013 eingetreten ist (Urteil 9C_396/2015 vom 10. Juli 2015 E. 2). Das
Begehren in der Beschwerde um Wiederherstellung der Frist (Art. 41 ATSG i.V.m.
Art. 60 Abs. 2 ATSG) ist somit unzulässig und darauf nicht einzutreten.

3. 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG); es
ist folglich weder an die in der Beschwerde vorgetragenen Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f.; 134 V 250 E.
1.2 S. 252). Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG sowie Art. 106 Abs. 2 BGG)
indessen nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern die rechtlichen
Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315; 133 II
249 E. 1.4.1 S. 254).

4. 
Die Vorinstanz hat ihr Nichteintreten auf die Beschwerde (am 3. Februar 2014
von der Beschwerdegegnerin übermittelte Eingabe der Beschwerdeführerin vom 10.
Januar 2014 mit Beilagen u.a. Wiedererwägungsgesuch vom 2. Oktober 2013) wie
folgt begründet: Die (Beschwerde-) Frist für die Anfechtung des
Einspracheentscheids vom 27. Juni 2013 betreffend die Rückerstattung von
Ergänzungsleistungen sei Anfang September 2013 abgelaufen. Bei der Eingabe vom
2. Oktober 2013 (Aufgabe bei der Post: 5. Oktober 2013) handle es sich um ein
Wiedererwägungsgesuch und nicht um ein sinngemässes Gesuch, die Beschwerdefrist
wieder herzustellen und auch nicht um eine gleichzeitig erhobene Beschwerde.
Die Frist des Art. 41 ATSG zur nachträglichen Erhebung einer Beschwerde und zur
Einreichung eines Fristwiederherstellungsgesuchs sei spätestens Anfang November
2013 endgültig und unbenutzt verstrichen. "Das ausführlich begründete
Wiedererwägungsgesuch vom 2./5. Oktober 2013 beweist nämlich, dass die
Beschwerdeführerin damals wieder in der Lage gewesen wäre, eine Beschwerde zu
erheben, weshalb die Frist zur Nachholung der versäumten Beschwerdeerhebung und
zur Einreichung eines Fristwiederherstellungsgesuchs spätestens am 2. Oktober
2013 zu laufen begonnen hat. Der Umstand, dass das Wiedererwägungsgesuch der
Beschwerdegegnerin nicht zugegangen ist und diese daher die Beschwerdeführerin
nicht auf die Fristwiederherstellungsmöglichkeit hat aufmerksam machen können,
ändert nichts daran, dass die Frist Ende Oktober/Anfang November 2013
abgelaufen und die Möglichkeit zur Einreichung eines
Fristwiederherstellungsgesuch damit endgültig erloschen ist. Damit muss auch
eine allfällige Informationspflicht der Beschwerdegegnerin geendet haben. Im
Frühjahr 2014 kann die Beschwerdegegnerin nicht mehr verpflichtet gewesen sein,
die Beschwerdeführerin auf die Fristwiederherstellungsmöglichkeit aufmerksam zu
machen, denn diese Möglichkeit hat ja zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr
bestanden. Dies schliesst es aus, allenfalls gestützt auf den (lückenfüllend
ergänzten) Art. 27 ATSG eine rechtzeitige Erhebung eines
Fristwiederherstellungsgesuches zu fingieren".

5. 
Wie auch die Vorinstanz im Sachverhalt A.b ihres Entscheids festgestellt hat,
wies die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 10. Januar 2014 an die
Beschwerdegegnerin darauf hin, am 2. Oktober 2013 mit eingeschriebenem Brief
ein Wiedererwägungsgesuch gestellt zu haben. Zum Beweis legte sie eine Kopie
der Bestätigung/ Quittung der Post über die Aufgabe am 5. Oktober 2013 bei.
Dieser erneut in der vorinstanzlichen Eingabe vom 3. März 2014 gemachten Angabe
widersprach die Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung vom 28. März 2014
nicht. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das am Samstag, den 5.
Oktober 2013, eingeschrieben aufgegebene Schreiben vom 2. Oktober 2013 der
Durchführungsstelle tatsächlich am 7. Oktober 2013 zugestellt worden war (vgl.
Urteil 4A_447/2011 vom 20. September 2011 E. 3 mit Hinweisen, in: JdT 2012 II
S. 119), was das kantonale Versicherungsgericht offensichtlich übersehen hat.
In diesem Zeitpunkt bestand indessen nach seiner Feststellung noch die
Möglichkeit, ein Fristwiederherstellungsgesuch zu stellen. Damit konnte aber
die Frage nicht offen gelassen werden, ob die Durchführungsstelle nach Art. 27
Abs. 2 ATSG verpflichtet gewesen wäre, die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer
Angabe im Wiedererwägungsgesuch vom 2. Oktober 2013, sie habe aus
gesundheitlichen Gründen auf die (rechtzeitige) Erhebung einer Beschwerde
verzichten müssen, auf das Institut der Fristwiederherstellung hinzuweisen. Das
wird die Vorinstanz, wie beantragt, zu prüfen haben und danach neu entscheiden.

6. 
Ausgangsgemäss wird die Beschwerdegegnerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. August 2015 wird
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an
dieses zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. November 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler

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