Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 673/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_673/2015

Urteil vom 10. März 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Trütsch.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Biedermann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 3. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1960 geborene A.________, gelernter Fernmelde-, Elektro- und
Apparatemonteur (FEAM), eröffnete im August 1981 ein eigenes Geschäft für
elektronische Bauelemente und arbeitete ab 1984 daneben in einer
Teilzeitanstellung bei diversen Arbeitgebern, zuletzt seit April 1995 bei der
B.________ AG (Pensum von 50 %, im August 2013 aus wirtschaftlichen Gründen auf
20 % reduziert). Mit Verfügungen der IV-Stelle Bern vom 8. Februar 1982 erhielt
er für Mai 1981 eine halbe und ab Juni 1981 eine ganze Invalidenrente
zugesprochen.
Im Rahmen einer erst im Juli 2014 eingeleiteten Überprüfung von Amtes wegen
holte die IV-Stelle u.a. einen IK-Auszug und einen Fragebogen der Arbeitgeberin
vom 12. August 2014 ein. Gestützt darauf hob sie nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom 3. Dezember 2014 die ganze Rente
aufgrund einer Meldepflichtverletzung rückwirkend per 1. September 2009 auf.

B. 
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde von A.________ hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 3. August 2015 die
Verfügung vom 3. Dezember 2014, soweit den Rentenanspruch ab August 2013
betreffend, auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese nach
Vornahme der Abklärungen neu verfüge. Im Übrigen wies es das Rechtsmittel ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, der Entscheid vom 3. August 2015 und die Verfügung vom 3.
Dezember 2014 seien aufzuheben. Der Invaliditätsgrad sei auf mindestens 50 %
anzusetzen. Eventuell seien die Akten an die IV-Stelle zur Neubeurteilung
zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten
sei. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Ein Entscheid, mit welchem eine Vorinstanz des Bundesgerichts eine bestimmte,
vorangehende Teilperiode des Rentenanspruchs materiell abschliessend beurteilt
und für eine darauf folgende Teilperiode die Sache zu neuer Beurteilung an die
Verwaltung zurückweist, ist in Bezug auf die materiell abschliessend beurteilte
Phase ein Teilentscheid, der selbständig anfechtbar ist, bei Nichtanfechtung
rechtskräftig wird und später nicht mehr angefochten werden kann (BGE 135 V 141
). Die Beschwerde ist insofern zulässig, als sie gegen die mit dem
angefochtenen Entscheid bestätigte Aufhebung des Rentenanspruchs ab 1.
September 2009 bis Ende Juli 2013 gerichtet ist. Soweit die Beschwerde die
Rückweisung an die Verwaltung zur weiteren Abklärung und Neuverfügung betrifft,
ist darauf nicht einzutreten. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid,
gegen welchen die Beschwerde nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1
BGG zulässig ist (BGE 140 V 507 E. 1 S. 509 mit Hinweis). Deren Vorliegen ist
weder ersichtlich noch dargetan.

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann eine - für den Ausgang des
Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Im Übrigen wendet es das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter Beachtung der allgemeinen
Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) -
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind.

2.2. Als grundsätzlich frei überprüfbare Rechtsfragen charakterisieren sich die
gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs, einschliesslich derjenigen über die Anwendung der
Tabellenlöhne gemäss den vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen
Lohnstrukturerhebungen (LSE; BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht die rückwirkende
Einstellung der Invalidenrente vom 1. September 2009 bis 31. Juli 2013
bestätigt hat. Dabei steht fest und ist im Übrigen unbestritten, dass sich im
Vergleich zur ursprünglichen Rentenzusprache vom 8. Februar 1982 die
erwerblichen Verhältnisse erheblich verändert haben, weshalb ein Revisionsgrund
ausgewiesen und der Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht
allseitig neu zu prüfen ist (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f.; Urteil 9C_522/2015
vom 23. Februar 2016 E. 2).

4. 
Das Gericht erwog, obschon der Beschwerdeführer bis heute stets in seinem
angestammten Beruf als FEAM tätig gewesen sei, könne für das Valideneinkommen
nicht auf den (zuletzt) tatsächlich erzielten Lohn (aufgerechnet auf ein 100
%-Pensum) abgestellt werden, da er dieses 50 %-Pensum bei der B.________ AG per
August 2013 aus betrieblichen Gründen auf 20 % habe reduzieren müssen. Im
Gesundheitsfall hätte er in dieser Anstellung kein 100 %-Pensum realisieren
können. Deshalb seien die Tabellenlöhne gemäss der Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik (LSE) heranzuziehen. Ferner sei eine berufliche
Weiterentwicklung entgegen der Auffassung des Versicherten nicht überwiegend
wahrscheinlich ausgewiesen. Die Vorinstanz ermittelte ein Valideneinkommen von
Fr. 78'609.70. Für das Invalideneinkommen berücksichtigte es nur den bei der
B.________ AG gemäss IK-Auszug erzielten Verdienst. Das Gericht liess offen, ob
der Nebenerwerb aus selbständiger Tätigkeit hinzugerechnet werden müsste, da so
oder anders kein rentenbegründender Invaliditätsgrad resultiere. Gestützt
darauf errechnete es eine Erwerbseinbusse von 24 %.

5.

5.1. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen, für das Valideneinkommen dürfe
nicht auf die LSE-Tabellenlöhne abgestellt werden. Vielmehr sei davon
auszugehen, dass er im Gesundheitsfalle das Doppelte seines bei der B.________
AG im 50 %-Pensum erzielten Lohnes verdienen würde. Dies sei von seiner
Arbeitgeberin auch bestätigt worden.

5.2. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach sich der Beschwerdeführer im
schulischen Bereich als Gesunder nicht fortgebildet hätte, vermag der
Beschwerdeführer nicht mit der erforderlichen Substanziierung in Frage zu
stellen, weshalb das Bundesgericht diesbezüglich gebunden ist (vgl. E. 2.1).
Demgegenüber war der Beschwerdeführer seit 1995, mithin während fast 20 Jahren,
bei der B.________ AG in einem Pensum von 50 % als Techniker angestellt. Dies
entspricht seiner angestammten Tätigkeit, was unbestritten ist. Gemäss
IK-Auszug vom 22. Juli 2014 stieg sein Lohn von anfänglich Fr. 32'000.- (1995)
und Fr. 51'700.- (1996) im Verlauf der Jahre, abgesehen vom Rückgang im 2003
und 2004, stetig auf Fr. 59'592.- im 2009 an. Dieses Einkommen, das
überdurchschnittlich ist, wie der Vergleich mit der LSE-Berechnung der
Vorinstanz zeigt, hat der Beschwerdeführer offenbar durch seinen
leistungsmässigen Einsatz bzw. durch berufliche Bewährung erreicht. Daraus
können unter Umständen Rückschlüsse auf die hypothetische berufliche
Entwicklung in der angestammten Tätigkeit gezogen werden, zu der es ohne
Eintritt des Gesundheitsschadens gekommen wäre (MEYER/REICHMUTH, Bundesgesetz
über die Invalidenversicherung, 3. Aufl. 2014, N. 65 zu Art. 28a IVG mit
Hinweisen auf die Rechtsprechung). Hier gilt es insbesondere zu beachten, dass
der Beschwerdeführer seine berufliche Qualifizierung bei ein und derselben
Arbeitgeberin erlangt hat. Entscheidrelevant ist daher (auch), ob und inwieweit
diese den Beschwerdeführer überhaupt in einem höheren Pensum hätte beschäftigen
wollen und können (vgl. Urteile 8C_7/2014 vom 10. Juli 2014 E. 7.2 und 9C_720/
2012 vom 11. Februar 2013 E. 2.3.2). Die Feststellung der Vorinstanz, wonach
der Beschwerdeführer im August 2013 den Beschäftigungsgrad aus wirtschaftlichen
Gründen habe reduzieren müssen, weshalb er im Gesundheitsfalle in dieser
Anstellung kein 100 %-Pensum hätte realisieren können, ist unhaltbar. Die
besagte Reduktion des Arbeitspensums bei der B.________ AG kann bei der
Invaliditätsbemessung für die Zeit vom 1. September 2009 bis 31. Juli 2013
nicht berücksichtigt werden. Der Sachverhalt ist in diesem Punkt unvollständig
abgeklärt und lässt sich im vorliegenden Verfahren nicht ergänzen. Der
Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, dass eine entsprechende Anfrage bei
seiner Arbeitgeberin nicht aktenkundig ist. Die Sache ist daher - angesichts
des Dispositivs des angefochtenen Entscheids - auch betreffend die Aufhebung
des Rentenanspruchs ab 1. September 2009 bis Ende Juli 2013 an die IV-Stelle
zurückzuweisen. Diese wird nicht umhin kommen, die massgebenden Verhältnisse
sowohl in medizinischer (vgl. E. 4.3 und 5.5 des angefochtenen Entscheids) als
auch in beruflicher Hinsicht (vgl. E. 5.4 des angefochtenen Entscheids) -
zeitlich - umfassend abzuklären. Darin eingeschlossen ist auch u.a. die Frage,
ob und inwieweit der Beschwerdeführer als Gesunder neben einer Anstellung einer
selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre.

5.3. Während der Zeit der weiteren Abklärungen bis zum Erlass einer neuen
Verfügung besteht die Rentensistierung fort (SVR 2011 IV Nr. 33 S. 96 mit
Hinweisen, 8C_451/2010 E. 4.3).

6. 
Bei diesem Verfahrensausgang gehen die Gerichtskosten zu Lasten der IV-Stelle
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
vom 3. August 2015 wird insoweit aufgehoben, als er den Rentenanspruch des
Beschwerdeführers vor August 2013 betrifft. Die Sache wird im Sinne der
Erwägungen an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. März 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Trütsch

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