Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 667/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_667/2015

Urteil vom 7. Juni 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Verfahrensbeteiligte
Atupri Krankenkasse,
Zieglerstrasse 29, 3000 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Keiser,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Krankenversicherung (Krankenpflege),

Beschwerde gegen den Entscheid des
Obergerichts des Kantons Schaffhausen
vom 28. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1977 geborene A.________ ist bei der Atupri Krankenkasse (nachfolgend:
Atupri) obligatorisch krankenpflegeversichert. Mit Verfügung vom 30. Dezember
2013 erklärte sich die Atupri bereit, für die Behandlung der
Cluster-Kopfschmerzen des Versicherten die Kosten des Medikaments
Sumatriptan-Mepha im Rahmen der Maximaldosierung gemäss behördlicher Zulassung
(12 mg täglich) zu übernehmen. Die Kosten des Präparats Relpax sowie
allfälliger weiterer Triptane würden demgegenüber "nicht gleichzeitig zur
Anwendung von Sumatriptan-Mepha" erstattet. Auf Einsprache hin, der Berichte
des behandelnden Arztes Dr. med. B.________, Neurologie FMH, Zentrum
C.________, vom 5. Februar 2014 sowie der Frau PD Dr. med. D.________,
Oberärztin, Klinik für Neurologie, Spital E.________, vom 24. April 2014
beilagen und in welcher auf ein bereits im Vorfeld eingereichtes Gutachten des
Prof. Dr. med. F.________, Spezialarzt FMH für Neurologie, vom 24. Februar 2006
verwiesen wurde, holte der Krankenversicherer seinerseits u.a. ein zuhanden der
Invalidenversicherung erstelltes Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle
(MEDAS) Ostschweiz vom 1. Dezember 2005 und einen Bericht des Prof. Dr. med.
G.________, Facharzt für Neurologie FMH, vom 19. Januar 2015 ein. Gestützt
darauf wies die Atupri die Einsprache mit der Feststellung ab, dass sie sowohl
die Übernahme der Kosten der Medikamente Sumatriptan-Mepha und Relpax
ausserhalb der Swissmedic-Zulassung als auch eine Ausdehnung der
Kostengutsprache auf allfällige weitere Triptane ablehne; letztere müssten
jeweils konkret beurteilt werden, sobald sie verordnet oder abgegeben worden
seien (Einspracheentscheid vom 6. März 2015).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit der A.________ Berichte des Dr. med.
B.________ vom 18. Januar 2015 und des PD Dr. med. H.________, Chefarzt
Neurologie, Klinik I.________, vom 17. März 2015hatte auflegen lassen, hiess
das Obergericht des Kantons Schaffhausen, nachdem von Seiten der Atupri u.a.
eine Stellungnahme ihres Vertrauensarztes Dr. med. J.________ vom 30. April
2015 eingereicht worden war, mit Entscheid vom 28. Juli 2015 in Aufhebung des
angefochtenen Einspracheentscheids und der Verfügung der Atupri vom 30.
Dezember 2013 teilweise gut. Es verpflichtete die Atupri, rückwirkend und
weiterhin für A.________ die Kosten einer unlimitierten Anwendung des
Medikaments Sumatriptan-Mepha (Injektionslösung) gemäss Verordnung des
behandelnden Arztes zu übernehmen, solange keine adäquate alternative
Behandlung zur Verfügung stehe. A.________ habe ferner ein Kopfschmerztagebuch
zu führen und dieses regelmässig seinem behandelnden Arzt vorzuweisen. Für
Relpax und weitere Triptane müsse keine Kostengutsprache geleistet werden
(Dispositiv-Ziffer 1).

C. 
Die Atupri führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.

Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang
des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft
es nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr aufgegriffen werden (BGE
134 I 65 E. 1.3 S. 67 f. und 313 E. 2 S. 315, je mit Hinweisen).

2. 

2.1. Die soziale Krankenversicherung gewährt Leistungen u.a. bei Krankheit
(Art. 3 ATSG; Art. 1a Abs. 2 lit. a KVG). Im Rahmen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung dürfen die Versicherer keine anderen Kosten als
diejenigen für die Leistungen nach den Art. 25-33 KVG übernehmen (Art. 34 Abs.
1 KVG). Dazu zählen auch die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose oder
Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Diese Leistungen umfassen
u.a. die ärztlich verordneten Arzneimittel der Spezialitätenliste (SL; Art. 25
Abs. 1 und 2 lit. b sowie Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG). Voraussetzung für eine
Kostenübernahme im Einzelfall ist neben der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und
Wirtschaftlichkeit der Behandlung (Art. 32 Abs. 1 KVG), dass der Einsatz des
Medikaments im Rahmen der von der Heilmittelbehörde (Swissmedic) genehmigten
medizinischen Indikationen und Dosierungen (BGE 131 V 349) sowie gemäss den
Limitierungen nach Art. 73 KVV (zu deren Bedeutung: BGE 130 V 532 E. 3.1 S.
536; Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] K 43/99 vom 22. Dezember 2000 E.
2d, in: RKUV 2001 Nr. KV 158 S. 155) erfolgt (BGE 136 V 395 E. 5.1 S. 398;
Urteil 9C_785/2011 vom 25. April 2012 E. 2.1.1, in: SVR 2012 KV Nr. 20 S. 71).

2.2. Die Vergütungspflicht erstreckt sich nach Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG
grundsätzlich nur auf Arzneimittel, die in der SL aufgeführt sind. Die SL zählt
die pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel im Sinne
einer Positivliste abschliessend auf (BGE 139 V 375 E. 4.2 S. 377 mit diversen
Hinweisen). Aufgenommen werden nur Spezialitäten, für welche die
Pharmahersteller oder Importeure einen Antrag stellen (BGE 139 V 375 E. 4.2 am
Ende S. 377 mit Hinweis).

2.3. Kassenpflichtig sind pharmazeutische Spezialitäten des Weitern nur im
Rahmen von Indikationen und Anwendungsvorschriften, die bei Swissmedic
registriert sind (BGE 130 V 532 E. 5.2 S. 541 f.). Die Anwendung eines
Arzneimittels ausserhalb der registrierten Indikationen und
Anwendungsvorschriften macht dieses zu einem solchen "ausserhalb der Liste"
bzw. zu einem "off-label-use" und damit grundsätzlich zur Nichtpflichtleistung
(BGE 139 V 375 E. 4.3 S. 377; 136 V 395 E. 5.1 S. 398 f.; 130 V 532 E. 3.2.2 S.
538 und E. 3.4 S. 540; Urteil 9C_785/2011 vom 25. April 2012 E. 2.1.2.1 mit
Hinweisen, in: SVR 2012 KV Nr. 20 S. 71; zum Ganzen: Loris Magistrini,
L'utilisation hors étiquette de médicaments et son remboursement par
l'assurance-maladie, Jusletter vom 31. Januar 2011).

2.3.1. Nach der Rechtsprechung sind ausnahmsweise auch die Kosten von nicht in
der SL aufgeführten Arzneimitteln und von Arzneimitteln der SL ausserhalb der
registrierten Indikationen und Anwendungsvorschriften zu übernehmen.
Voraussetzung ist, dass ein sogenannter Behandlungskomplex vorliegt oder dass
für eine Krankheit, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder
schwere und chronische gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann, wegen
fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame Behandlungsmethode
verfügbar ist; diesfalls muss das Arzneimittel einen hohen therapeutischen
(kurativen oder palliativen) Nutzen haben (BGE 139 V 375 E. 4.4 S. 378; 136 V
395 E. 5.2 S. 399 mit Hinweisen; Urteil 9C_785/2011 vom 25. April 2012 E.
2.1.2.1 mit Hinweisen, in: SVR 2012 KV Nr. 20 S. 71; Magistrini, a.a.O., Rz.
112 ff.).

2.3.2. Seit 1. März 2011 sind die Ausnahmetatbestände der "Übernahme der Kosten
eines Arzneimittels der Spezialitätenliste ausserhalb der genehmigten
Fachinformation oder Limitierung" in Anlehnung an die Rechtsprechung
positivrechtlich in Art. 71a Abs. 1 KVV normiert.

2.3.2.1. Gemäss dessen lit. a besteht eine Leistungspflicht, wenn der Einsatz
des Arzneimittels eine unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung einer
anderen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommenen Leistung
bildet und diese eindeutig im Vordergrund steht (Behandlungskomplex; vgl. BGE
130 V 532 E. 6.1 S. 544).

2.3.2.2. Der zweite, in lit. b geregelte Tatbestand ist gegeben, wenn vom
Einsatz des Arzneimittels ein grosser therapeutischer Nutzen gegen eine
Krankheit erwartet wird, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder
schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen
kann, und wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame
und zugelassene Behandlungsmethode verfügbar ist. Die Frage, ob ein für die
Kostenübernahme vorausgesetzter hoher therapeutischer Nutzen vorliegt, ist
sowohl in allgemeiner Weise als auch bezogen auf den konkreten Einzelfall zu
beurteilen (BGE 136 V 395 E. 6.4 und 6.5 S. 401 f.). Der Nachweis der
allgemeinen Eignung, den angestrebten therapeutischen Nutzen zu erzielen, muss
nach wissenschaftlichen Methoden erbracht werden (BGE 136 V 395 E. 6.5 S. 401
f. mit Hinweisen; Urteil 9C_572/2013 vom 27. November 2013 E. 4.3). Der Begriff
des hohen therapeutischen Nutzens orientiert sich grundsätzlich an der
gleichlautenden Voraussetzung für eine befristete Bewilligung nicht
zugelassener Arzneimittel im Sinne von Art. 9 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 15.
Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG; SR 812.21). Eine
solche Zulassung setzt nach Art. 19 Abs. 1 lit. c der Verordnung des
Schweizerischen Heilmittelinstituts vom 22. Juni 2006 über die vereinfachte
Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im
Meldeverfahren (VAZV; SR 812.212.23) voraus, dass zumindest Zwischenergebnisse
von (publizierten) klinischen Studien vorliegen, die darauf hinweisen, dass von
der Anwendung ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist (BGE 136 V 395
E. 6.5 S. 402 mit Hinweisen; Urteil 9C_785/2011 vom 25. April 2012 E. 2.1.2.2,
in: SVR 2012 KV Nr. 20 S. 71). Es reichen sodann auch anderweitige
veröffentlichte Erkenntnisse aus, die wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
über die Wirksamkeit des in Frage stehenden Arzneimittels im neuen
Anwendungsgebiet zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen
Konsens über einen voraussichtlich hohen therapeutischen Nutzen besteht (vgl.
Gebhard Eugster, Die obligatorische Krankenpflegeversicherung, in: Soziale
Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 535 Rz. 420). Es müssen in
rechtlicher Hinsicht somit nicht bereits die (höheren) Voraussetzungen für eine
Aufnahme in die SL erfüllt sein (BGE 136 V 395 E. 6.5 S. 402; Urteil 9C_550/
2011 vom 23. März 2012 E. 6.1). Liegen keine derartigen klinischen Studien bzw.
anderweitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die eine therapeutische
Wirksamkeit nachweisen, so kann eine solche nicht bejaht werden mit dem blossen
Hinweis darauf, dass im Einzelfall eine Wirkung eingetreten sei. Dies würde auf
die blosse Formel "post hoc ergo propter hoc" hinauslaufen, was nicht angeht;
denn eine Besserung kann auch spontan bzw. aus anderen Gründen eintreten (BGE
136 V 395 E. 6.5 S. 402; 130 V 299 E. 5.2 S. 303). Entscheidend ist, dass für
die Zulassung eines "off-label-use" nicht jeglicher therapeutische Nutzen
genügen kann, könnte doch sonst in jedem Einzelfall die Beurteilung des Nutzens
an die Stelle der heilmittelrechtlichen Zulassung treten; dadurch würde das
gesetzliche System der SL unterwandert (Urteil 9C_56/2008 vom 6. Oktober 2008
E. 2.3 mit Hinweisen, in: SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1).

3. 
Zu prüfen ist, inwieweit aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
heraus Anspruch auf Vergütung der Kosten durch die Behandlung mit dem
Medikament Sumatriptan-Mepha besteht.

3.1. Dabei ist zu Recht allseits unstrittig, dass das Präparat in der hier
applizierten Verabreichungsform (Ampullen à 6 mg) als Migränemittel in der
Spezialitätenliste (SL) aufgeführt und der entsprechende Eintrag nicht mit
einer Limitierung versehen ist (Spezialitätenliste, Stand 1. Februar 2015, S.
75).

3.2. Im Arzneimittelkompendium der Schweiz finden sich unter dem Stichwort
"IMIGRAN Inj Lös 6 mg/0,5ml (Sumatriptan) " u.a. folgende Einträge ( https://
compendium.ch [besucht am 30. Mai 2016]) : "...  Indikationen/
Anwendungsmöglichkeiten : Zur akuten Behandlung von Migräneanfällen mit oder
ohne Aura. Die Injektionslösung ist auch zur akuten Behandlung von Cluster
Headache (Graupelkopfweh) indiziert. Imigran darf nicht zur Prophylaxe von
Migräne und Cluster Headache verwendet werden.  Dosierung/Anwendung : Die
empfohlene Dosis von Sumatriptan soll nicht überschritten werden....
Injektionslösung: Empfohlen wird eine Injektion zu 6 mg. Falls der Patient auf
die erste Dosis angesprochen hat, die Symptome jedoch wieder auftreten, kann
innerhalb der nächsten 24 Stunden eine weitere Injektion zu 6 mg verabreicht
werden, vorausgesetzt, dass mindestens 1 Stunde seit der 1. Injektion
verstrichen ist. Die Maximaldosis für 24 Stunden beträgt 2 Injektionen (12 mg).
Zusätzlich zu den beiden Injektionen sollen innerhalb dieser 24 Stunden keine
anderen Darreichungsformen von Imigran verwendet werden. Hingegen ist es
möglich, die zweite Injektion einmalig durch eine andere Darreichungsform
(Filmtabletten, Nasal Spray, Suppositorien) in der jeweilig empfohlenen
Dosierung zu ersetzen...." (vgl. auch BGE 131 V 349 E. 1.1 S. 350).

4.

4.1. Während ein Behandlungskomplex gemäss Art. 71a Abs. 1 lit. a KVV
offenkundig nicht vorliegt, ist das in Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV umschriebene
Erfordernis einer schweren und chronischen Beeinträchtigung der Gesundheit
angesichts der starken Ausprägung des Cluster-Kopfschmerzes (Cluster Headache)
des Versicherten in Form von seit Jahren täglich mehrmals wiederkehrenden
Anfällen erfüllt (vgl. dazu auch Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] K 100
/04 vom 21. September 2005 E. 4, nicht publ. in: BGE 131 V 349, aber in: RKUV
2005 Nr. KV 349 S. 417). Der Rechtsstreit dreht sich daher im Wesentlichen um
die Frage, ob bei Fehlen einer der Wirtschaftlichkeitskontrolle dienenden
mengenmässigen Limitierung gemäss Art. 73 KVV (vgl. E. 2.1 am Ende hievor)
angesichts eines von Vorinstanz und Beschwerdegegner bejahten "grossen
therapeutischen Nutzens" im Sinne von Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV Anspruch auf
Vergütung der Kosten einer unlimitierten - "off-label-use" - Anwendung des
Medikaments gemäss der vom behandelnden Arzt verschriebenen Dosierung besteht
oder ob, so der Rechtsstandpunkt der Beschwerdeführerin, die vom Hersteller
empfohlene und von der Swissmedic genehmigte maximale Dosierung von zwei
Injektionslösungen pro Tag (12 mg) einer weitergehenden gesetzlichen
Vergütungspflicht entgegensteht.

4.2. Ob ein therapeutischer Nutzen vorliegt, ist Tatfrage. Insoweit sind die
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen für das Bundesgericht grundsätzlich
verbindlich (Art. 97 und 105 BGG). Ob ein bestimmter Nutzen als "gross" im
Sinne der Rechtslage zu bezeichnen ist, stellt hingegen eine Rechtsfrage dar (
BGE 136 V 395 E. 6.3 S. 401; vgl. E. 1 hievor).

4.3.

4.3.1. Die Vorinstanz ist insbesondere in Berücksichtigung der Berichte und
Gutachten des Dr. med. B.________ vom 5. Februar 2014 und 18. Januar 2015, der
Frau PD Dr. med. D.________ vom 24. April 2014, des Prof. Dr. med. F.________
vom 24. Februar 2006 und des PD Dr. med. H.________ vom 17. März 2015zum
Schluss gelangt, die Spezialisten seien sich dahingehend einig, dass es bei
Cluster-Kopfschmerzen nicht zu einem Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz
kommen könne, dass kein Gewöhnungseffekt eintrete und dass auch bei
längerfristiger hoher Dosierung von Sumatriptan-Metha keine ernsthaften
Nebenwirkungen zu befürchten seien. Diese Aussagen basierten zwar - so das
kantonale Gericht im Weiteren - nicht auf eigentlichen wissenschaftlichen
Studien, sondern hauptsächlich auf der Erfahrung der beigezogenen Spezialisten
mit ihren Patienten, welche grösstenteils auch durch die Literatur gestützt
würden. Der in der MEDAS-Expertise vom 1. Dezember 2005 angeregte, im Sinne
eines wissenschaftlichen Beweises stationär durchzuführende Triptan-Entzug
erscheine für den Versicherten nicht zumutbar. Er wäre mit den beschriebenen
unerträglichen Schmerzen verbunden und ein daraus resultierender Nutzen sei
angesichts der Stellungnahmen nicht nur des behandelnden Arztes Dr. med.
B.________ sondern auch von PD Dr. med. H.________ als unwahrscheinlich
einzustufen. Die einhelligen Meinungsäusserungen der Spezialisten müssten daher
vorliegend als Beweis für die Wirksamkeit von höheren Dosen Sumatriptan-Mepha
genügen. Dies gelte umso mehr, als im Rahmen eines "off-label-use" weniger hohe
Anforderungen an den Beweis der Wirksamkeit zu stellen seien als bei der
Zulassung eines Medikaments.

4.3.2. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen im Wesentlichen vor, die
Vorinstanz verkenne bzw. lasse gänzlich unberücksichtigt, dass gemäss Art. 71a
Abs. 1 lit. b KVV der "grosse therapeutische Nutzen" die zentrale Voraussetzung
für die ausnahmsweise Kostenübernahme im Rahmen eines "off-label-use" bilde.
Der im angefochtenen Entscheid mehrfach verwendete - und im Sinne des
Nichtvorhandenseins negativer Wirkungen bejahte - Begriff der Wirksamkeit
stelle nur einen Teil davon dar. Obwohl das in Frage stehende Medikament seit
über zwanzig Jahren zugelassen sei und es sich beim Cluster Headache weder um
eine neue noch um eine sehr seltene Erkrankung handle, zeige das kantonale
Gericht keinen wissenschaftlichen Nachweis (in Form von mindestens
erforderlichen Zwischenergebnissen klinischer Studien) für den therapeutischen
Nutzen der bis zu zehnfachen Überschreitung der Maximaldosierung des Präparats
auf. Liege jedoch kein Nachweis eines therapeutischen Nutzens vor, könne dieser
erst recht nicht "gross" im Sinne der Verordnungsbestimmung sein. Ferner
weckten die von der Vorinstanz als nicht beweiskräftig eingestuften
Einschätzungen der MEDAS-Gutachter (vom 1. Dezember 2005), des Prof. Dr. med.
G.________ (vom 19. Januar 2015) und des Vertrauensarztes Dr. med. J.________
(vom 30. April 2015) durchaus Zweifel an der Zweckmässigkeit und namentlich
Wirksamkeit der vom Versicherten geforderten erhöhten Dosis an
Sumatriptan-Mepha. Schliesslich könne für die hier zu beurteilende
Konstellation nicht unbesehen auf das im Nachgang zu BGE 131 V 349 (Urteil [des
Eidg. Versicherungsgerichts] K 100/04 vom 21. September 2005) erstellte und
daher - auch bezüglich dessen generellen Aussagen und Verweise - auf die
Verhältnisse des damaligen Falles fokussierende Gutachten des Prof. Dr. med.
F.________ vom 24. Februar 2006 abgestellt werden.

4.4.

4.4.1. Für die ausnahmsweise Übernahme der Kosten von Arzneimitteln der SL
ausserhalb der registrierten Anwendungsvorschriften durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung bedarf es u.a. eines vom Einsatz des Medikaments zu
erwartenden hohen bzw. grossen therapeutischen Nutzens. Ein diesbezüglicher
Nachweis ist mittels publizierter klinischer Studien, die mindestens in Form
von Zwischenergebnissen einen entsprechenden Schluss zulassen, oder
anderweitiger veröffentlichter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erbringen.
Eine Einzelfallbeurteilung mit dem Hinweis darauf, dass das fragliche Präparat
Wirkung gezeigt habe, reicht dafür nicht (vgl. E. 2.3.2.2 hievor). Die
Vorinstanz räumt in ihren Erwägungen ein, die Wirksamkeit einer regelmässig
erhöhten Dosierung des Präparats Sumatriptan-Mepha beim Beschwerdegegner sei
nicht auf Grund von eigentlichen wissenschaftlichen Studien, sondern
hauptsächlich basierend auf Meinungsäusserungen der involvierten Spezialisten,
welche wiederum auf individuellen Erfahrungswerten beruhten, zu bejahen. Diese
müssten als Beweis ausreichen, da überdies im Rahmen der Prüfung eines
"off-label-use" geringere Anforderungen gälten als bei der Zulassung eines
Medikaments. Dem ist zum einen entgegenzuhalten, dass die gerichtlichen
Schlussfolgerungen in erster Linie gestützt auf die Angaben des langjährig
behandelnden Neurologen (Dr. med. B.________), eines vor über zehn Jahren im
Rahmen eines anderweitigen Prozesses verfassten Gutachtens (Prof. Dr. med.
F.________) und eines im Laufe des Gerichtsverfahrens vom Versicherten
konsultativ beigezogenen Arztes (PD Dr. med. H.________) gezogen wurden. Selbst
unter der Annahme, dass ärztliche Auskünfte fehlende wissenschaftliche
Erkenntnisse der genannten Art im vorliegenden Kontext grundsätzlich zu
substituieren vermöchten, kann den entsprechenden Unterlagen für die hier zu
beurteilenden Belange nicht uneingeschränkte Beweiskraft beigemessen werden.
Während mit Blick auf die Auskünfte des Dr. med. B.________ auf die
Unterscheidung von Behandlungs- und Sachverständigenauftrag zu verweisen ist
(vgl. statt vieler Urteil 9C_383/2015 vom 18. September 2015 E. 4.4 mit
Hinweisen), entsprechen die gutachtlichen Ausführungen des Prof. Dr. med.
F.________ vom 24. Februar 2006 nicht mehr dem aktuellen sachbezüglichen
Wissensstand und ergingen zudem, auch hinsichtlich der generellen Aussagen und
Verweise, bezogen auf den damaligen konkreten Einzelfall. Zu beachten ist
überdies, dass andere beteiligte Fachärzte wie die MEDAS-Gutachter, Prof. Dr.
med. G.________ und der Vertrauensarzt Dr. med. J.________ in ihren
Einschätzungen erhebliche Zweifel an der Zweckmässigkeit und namentlich auch
Wirksamkeit der vom Versicherten beanspruchten hohen Dosierung von
Sumatriptan-Mepha geäussert haben. Von "einhelligen Meinungsäusserungen der
Spezialisten" kann demnach nicht gesprochen werden, weshalb auf die
entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen des kantonalen Gerichts infolge
qualifizierter Unrichtigkeit im Sinne von Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2
BGG nicht abzustellen ist.

4.4.2. Sodann wird die Wirksamkeit der Dosen von Sumatriptan-Mepha, welche die
zugelassene Anzahl von zwei Injektionen täglich über einen längeren Zeitraum
hinweg beträchtlich überschreiten, im angefochtenen Entscheid zusammenfassend
damit erklärt, dass keine negativen Wirkungen wie ein
Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz, eine Gewöhnung oder gravierende
Nebenwirkungen ausgewiesen seien. Auch eine derartige Anwendung mindere die
Wirksamkeit des Präparats demnach nicht. Die Vorinstanz übersieht dabei, dass
der zu prüfende Ausnahmetatbestand des Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV insbesondere
einen "grossen" therapeutischen Nutzen des Einsatzes des fraglichen Medikaments
voraussetzt. Die von ihr bejahte Wirksamkeit allein - im Sinne eines blossen
therapeutischen Nutzens - genügt diesem Erfordernis nicht (vgl. BGE 136 V 395
E. 6.10 S. 406), zumal sie, worauf die Beschwerdeführerin zutreffend hinweist,
primär mit der Absenz negativer (Neben-) Wirkungen begründet wird. An diesem
Ergebnis ändert nichts, dass in Bezug auf den Wirksamkeitsnachweis die
(vereinfachten) Bedingungen über die befristete Bewilligung nicht zugelassener
Arzneimittel gelten (Art. 9 Abs. 4 HMG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 lit. c
VAZV; E. 2.3.2.2 hievor). Zu berücksichtigen gilt es in diesem Zusammenhang mit
der Beschwerdeführerin schliesslich auch, dass die Fachinformation bezüglich
der Sumatriptan-Injektionen letztmals im September 2014 durch die Swissmedic
überprüft worden war. Die Maximal-Dosierung von zwei Injektionen à 6 mg pro 24
Stunden wurde dabei unverändert übernommen (vgl. http://www.swissmedicinfo.ch;
besucht am 30. Mai 2016).

4.5. Entgegen der Betrachtungsweise der Beschwerdeführerin kann eine
Leistungspflicht indessen auch nicht allein gestützt auf die von ihr
beigebrachten medizinischen Unterlagen (Expertise der MEDAS vom 1. Dezember
2005, Bericht des Prof. Dr. med. G.________ vom 19. Januar 2015, Stellungnahme
des Vertrauensarztes Dr. med. J.________ vom 30. April 2015) verneint werden.
Insbesondere bestehen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzung des grossen
therapeutischen Nutzens der erhöhten Dosierung von Sumatriptan-Mepha
verschiedene ungeklärte Fragen, welchen im Rahmen ergänzender medizinischer
Vorkehren nachzugehen ist. In Anbetracht der äusserst hohen, unter Umständen
bis ans Toxische reichenden Dosierung (die ihrerseits Schmerzen verursachen
kann) bedarf der Beschwerdegegner eines ärztlich überwachten Behandlungsplanes.
Zudem ist unklar, ob von einem erheblichen Risiko irreversibler Nebenwirkungen
oder Spätfolgen (insbesondere Gefässverengungen) auszugehen ist. Eine Vergütung
fortgesetzter Mehrfachapplikationen zu Lasten der Versicherung lässt sich
alsdann nur vertreten, wenn daraus ein objektiv feststellbarer therapeutischer
Effekt resultiert, und nicht nur eine subjektive Placebowirkung. Des Weitern
wird zu prüfen sein, wie es sich mit der Notwendigkeit und Zumutbarkeit einer
verschiedentlich empfohlenen Abklärung in stationärem Rahmen verhält
(stationärer Aufenthalt zur Entzugstherapie [Triptane und Amphetamine;
MEDAS-Gutachten vom 1. Dezember 2005, S. 14]; stationäre Abklärung und
Therapieeinleitung [Bericht des Prof. Dr. med. G.________ vom 19. Januar 2015,
S. 3]; Abklärung in einem stationären Setting [vertrauensärztliche
Stellungnahme des Dr. med. J.________ vom 30. April 2015]). Schliesslich muss
geklärt werden, ob die ärztlicherseits mehrfach erwähnte okzipitale
Neuromodulation oder SPG-Stimulation eine in wirtschaftlicher, wirksamer und
zweckmässiger Hinsicht gangbare Behandlungsalternative zur schmerzstillenden
Bedarfsmedikation darstellte (vgl. Berichte des Dr. med. B.________ vom 30. Mai
2012 und 18. Januar 2015, der Frau PD Dr. med. D.________ vom 24. April
2014sowie des PD Dr. med. H.________ vom 17. März 2015; vorinstanzlicher
Entscheid, S. 16 unten f. E. 2.4.5). 

Weil die Sache insofern nicht spruchreif ist, geht sie zurück an die
Beschwerdeführerin, damit diese ein medizinisches Administrativgutachten
einhole, das sich nebst den aufgeführten Punkten auch zum aktuellen
wissenschaftlichen Stand im Bereich der Sumatriptan-Mepha-Anwendung zu äussern
hat. Danach wird sie erneut über ihre Leistungspflicht nach Massgabe des zum
"off-label-use" Gesagten befinden.

5. 

5.1. Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung oder an die Vorinstanz zu
erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als
vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende
Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1
S. 235; Urteil 8C_671/2007 vom 13. Juni 2008 E. 4.1).

5.2. Umständehalber wird auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art.
66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Die obsiegende Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch
auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen vom 28. Juli 2015 und der Einspracheentscheid der Atupri
Krankenkasse vom 6. März 2015 werden aufgehoben. Die Sache wird an den
Krankenversicherer zurückgewiesen, damit er, nach erfolgter Abklärung im Sinne
der Erwägungen, über den Leistungsanspruch des Beschwerdegegners neu verfüge.
Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Obergericht des Kantons Schaffhausen zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Juni 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl

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