Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 646/2015
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_646/2015

Urteil vom 19. Mai 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Furrer.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Wachter,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 8. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1973 geborene A.________, zuletzt von 1. November 2008 bis 28. Februar 2011
(letzter effektiver Arbeitstag: 23. August 2010) bei der B.________ AG als
Produktionsmitarbeiter angestellt gewesen, meldete sich am 17. Februar 2011 bei
der Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Zürich (fortan: IV-Stelle) gewährte Frühinterventionsmassnahmen in Form eines
Deutschkurses und veranlasste eine polydisziplinäre Begutachtung durch das
Swiss Medical Assessment- and Business-Center (SMAB; Expertise vom 14. Dezember
2011) sowie ein sechsmonatiges Arbeitstraining bei der C.________. Nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle mit Verfügung
vom 26. Februar 2014 einen Rentenanspruch mangels Invalidität.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. Juli 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei ihm eine
Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zur Einholung eines
neuen Gutachtens und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen gemäss Gesetz und Rechtsprechung
zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird. Dies betrifft namentlich die
Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in
Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach
der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG), zum nach dem
Grad der Invalidität abgestuften Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs.
2 IVG), zur Aufgabenteilung zwischen Medizin und Recht (BGE 141 V 281 E. 5.2.1
S. 306; 140 V 193 E. 3.1 und 3.2 S. 194 f.; 132 V 93 E. 4 S. 99 f.) sowie zum
Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE
137 V 210 E. 1.3.4 S. 227; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f. und E. 4.7 S. 471; 125 V
351 E. 3 S. 352 f.).

3. 
Die Vorinstanz erwog, das polydisziplinäre Gutachten der SMAB vom 14. Dezember
2011 erfülle die Kriterien für eine beweistaugliche medizinische
Entscheidgrundlage, womit ihm voller Beweiswert zukomme. Gemäss dem
orthopädischen Teilgutachten sei das Lumbovertebralsyndrom therapierbar - die
reichhaltige Palette an konservativen Therapiemassnahmen sei nicht ausgeschöpft
- und mit einer 100 %igen Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit
vereinbar. Der neurologische Gutachter habe - bei bildgebend nachgewiesenen
deutlichen Degenerationen - aufgrund der klinischen Befunde (u.a. kein
segmentales Reizsyndrom, keine sensomotorischen Defizite) keine über das
orthopädische Fachgebiet hinausgehende Einschränkung festgestellt. An dieser
Beurteilung vermöchten die Berichte der behandelnden Ärzte nichts zu ändern,
zumal Letztere keine klinischen Befunde, sondern nur radiologisch erhobene
Veränderungen festgestellt hätten und sich primär auf die subjektiven
Schmerzschilderungen des Beschwerdeführers stützten. In psychiatrischer
Hinsicht habe der Experte keine Diagnose mit Einschränkung auf die
Arbeitsfähigkeit festgestellt. Doch selbst wenn entgegen dem Gutachten von
einer mittelgradigen depressiven Episode auszugehen wäre, wäre dieser - da
keine konsequente Therapie stattfinde - keine invalidisierende Wirkung
beizumessen. Soweit der Beschwerdeführer das Gutachten als unvollständig
bezeichne, weil der Frage nach dem Vorliegen einer posttraumatischen
Belastungsstörung nicht nachgegangen worden sei, sei festzustellen, dass weder
die Gutachter noch die behandelnden Ärzte diese Diagnose je gestellt hätten und
überdies die Angaben des Beschwerdeführers betreffend Schussverletzung
widersprüchlich seien. Nach Durchführung der Invaliditätsbemessung gelangte die
Vorinstanz zu einem rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von maximal 21 %.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst, indem die Vorinstanz auf ein nach
altem Standard - vor BGE 137 V 210 - eingeholtes Gutachten abgestellt bzw.
keine neue Begutachtung angeordnet habe, sei sein Anspruch auf ein faires
Verfahren verletzt worden. Nach der Rechtsprechung führt eine "altrechtliche"
Expertise indes nicht zwangsläufig zu einer neuen Begutachtung. Eine solche ist
nur dann verhältnismässig, wenn dem Gutachten bei einer gesamthaften Würdigung
und einer besonders sorgfältigen Prüfung keine materielle Schlüssigkeit
beigemessen werden kann (Urteil 9C_148/2012 vom 17. September 2012 E. 1.3 und
1.4 mit Hinweisen, in: SVR 2013 IV Nr. 6 S. 13; ULRICH MEYER, Entwicklung von
Rechtsprechung und Verwaltungspraxis seit BGE 137 V 210, in:
Sozialversicherungsrechtstagung 2013, S. 66 f.). Wie es sich damit verhält, ist
nachfolgend zu prüfen.

4.2. In somatischer Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, gemäss
Radiologiebericht des Spitals D.________ vom 11. September 2013 lägen neue
Befunde vor (aktivierte Osteochondrose L2/3 und L3/4, stationäre
Neurokompression L4 foraminal rechts bei hypertropher Spondylarthrose,
stationäre Verlagerung L5 rezessal rechts auf Höhe L4/5), womit das
SMAB-Gutachten überholt sei. Indem die Vorinstanz auf weitere Abklärungen
verzichtete, habe sie den medizinischen Sachverhalt unvollständig festgestellt
bzw. den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
Dieser Einwand ist unbehelflich. Zu Recht hat die Vorinstanz dem Umstand
Rechnung getragen, dass bildgebend nachgewiesene (pathologische) Befunde in der
Regel für sich allein nicht den Schluss auf eine Arbeitsunfähigkeit zulassen
resp. gerade keine Korrelation zwischen ärztlich gestellter Diagnose (auch bei
somatisch dominierten Leiden) und Arbeitsunfähigkeit besteht (BGE 140 V 193 E.
3.1 S. 195 mit Hinweis auf KLIPSTEIN/MICHEL/LÄUBLI ET AL., Do MRI findings
correlate with mobility tests?, Eur Spine 2007 S. 803-811). Mithin vermag der -
im Vergleich zur MRT-Voruntersuchung vom 26. September 2011 - neue bildgebende
Befund in Form der aktivierten Osteochondrose L2/3 und L3/4, ohne dass neue
klinische Befunde eine relevante Verschlechterung gegenüber der gutachtlichen
Situation zeigen, für sich allein keine Zweifel am SMAB-Gutachten zu wecken.
Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung (
BGE 124 V 90 E. 4b S. 94; 122 V 157 E. 1d S. 162) auf weitere Abklärungen
verzichten, ohne den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) zu verletzen.

4.3. Des Weiteren ist der Beschwerdeführer der Ansicht, auf das psychiatrische
Teilgutachten könne nicht abgestellt werden, weil die gutachtlich erhobene
Anamnese (betr. Freundeskreis, Aktivitäten) im Widerspruch zu derjenigen im
orthopädischen Teilgutachten sowie den übrigen Akten stehe.
Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar besteht im Vergleich der genannten
Teilgutachten ein scheinbarer Widerspruch hinsichtlich des Tagesablaufs bzw.
der sozialen Aktivitäten. Es liegt jedoch in der Natur der Sache und ist mit
Blick auf die zwei Teilgutachten auch ohne Weiteres ersichtlich, dass die
Anamneseerhebung im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung weit ausführlicher
und systematischer (vgl. dazu Ziff. 3 der "Qualitätsleitlinien für
psychiatrische Gutachten in der Eidgenössischen Invalidenversicherung" der
Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie [SGPP] vom
Februar 2012: spontane Angaben im offenen Interview, vertiefendes Interview
namentlich zur sozialen Anamnese und zum Tagesablauf) als bei der somatischen
Untersuchung erfolgt ist, bei welcher der Schwerpunkt beim klinischen Befund
lag. Somit sind die gegenüber dem Orthopäden gemachten, wenig differenzierten
Äusserungen nicht geeignet, die vom Psychiater erhobenen detaillierten
Informationen zum Sozialen bzw. zum Tagesablauf in Zweifel zu ziehen. Dasselbe
gilt für den vom Beschwerdeführer angerufenen Bericht des Medizinischen
Zentrums E.________ vom 1. November 2012, ist die dort wiedergegebene Anamnese
im Vergleich zu jener im psychiatrischen Gutachten offensichtlich unvollständig
bzw. lückenhaft ausgefallen (u.a. fehlen Angaben zur ersten Ehefrau, den drei
Kindern aus erster Ehe oder zur Situation als Kurde im Militärdienst). Doch
selbst wenn sich seit der Begutachtung eine soziale Isolation eingestellt
hätte, könnte daraus - entgegen der Beschwerde - noch kein die Arbeitsfähigkeit
einschränkendes psychisches Leiden abgeleitet werden.

4.4. Ferner bringt der Beschwerdeführer gegen die Expertise der SMAB vor, das
Arbeitstraining bei der C.________ habe gezeigt, dass die Arbeitsfähigkeit bei
bloss 25 % liege, welche Einschätzung von der Vorinstanz zu Unrecht als
unmassgeblich eingestuft worden sei. Indes hat das kantonale Gericht zu Recht
erkannt, die Erkenntnisse aus dem Arbeitstraining änderten an der gutachtlichen
Zumutbarkeitsbeurteilung nichts: Nach der Rechtsprechung ist die Frage nach den
noch zumutbaren Tätigkeiten und Arbeitsleistungen nach Massgabe der objektiv
feststellbaren Gesundheitsschädigung in erster Linie durch die Ärzte und nicht
durch die Eingliederungsfachleute auf der Grundlage der von ihnen erhobenen,
subjektiven Arbeitsleistung zu beantworten (Urteile 9C_396/2014 vom 15. April
2015 E. 5.4 und 9C_401/2014 vom 26. November 2014 E. 4.2.2; je mit Hinweis).
Dies hat umso mehr zu gelten, wenn - wie in concreto - die Experten
selbstlimitierendes Verhalten feststellten.

4.5. Wie bereits vor kantonalem Gericht moniert der Beschwerdeführer, die
SMAB-Expertise kläre die Frage nach dem Vorliegen einer posttraumatischen
Belastungsstörung nicht und sei überdies unter der irrigen Prämisse erstellt
worden, der Beschwerdeführer sei in der Lage, eine 50 %ige Erwerbstätigkeit
auszuüben, weshalb ihr keine Beweiskraft zukomme. Seine Darlegung der eigenen
(abweichenden) Sicht der Dinge vermag jedoch an den überzeugenden Erwägungen
des angefochtenen Entscheids nichts zu ändern.

4.6. Schliesslich vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, die
"Überwindbarkeit der aufgrund der Diagnose einer Schmerzverarbeitungsstörung
mit Selbstlimitierung (ICD-10 F54.0) bestehenden Einschränkungen" müssten
gemäss BGE 141 V 281 beurteilt werden, wozu ergänzende Abklärungen notwendig
seien.
Dieser Einwand zielt ins Leere. Zum einen fallen die psychischen Störungen im
Sinne von ICD-10 F54.0 nicht unter die Schmerzrechtsprechung (vgl. BGE 140 V 8
E. 2.2.1.3 S. 13 f.). Zum anderen hat der psychiatrische Experte das fragliche
Beschwerdebild unter die Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit
eingereiht. Damit und mit Blick auf die Ausführungen des Gutachters ist
evident, dass es an der Schwere, die auf eine invalidisierende
Gesundheitsbeeinträchtigung schliessen liesse, fehlt. Anlass für eine
Neubegutachtung besteht somit auch unter diesem Blickwinkel nicht.

4.7. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz dem SMAB-Gutachten, wonach eine volle
Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit gegeben ist, zu Recht vollen
Beweiswert zuerkannt. Die Invaliditätsbemessung - namentlich die hypothetischen
Vergleichseinkommen - ist nicht bestritten. Es besteht kein Anlass zu einer
näheren Prüfung.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. Mai 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Furrer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben