Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 642/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_642/2015

Urteil vom 29. Juni 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Williner.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Wiesendanger,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 3. Juli 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1964 geborene A.________ bezog seit November 1996 bei einem
Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Invalidenrente (Verfügungen vom 4.
November 1998 und vom 20. November 1998). Dieser Rentenanspruch wurde im Rahmen
mehrerer Revisionsverfahren jeweils bestätigt (Mitteilungen vom 9. November
2000, vom 20. Januar 2003, vom 23. März 2006 sowie vom 5. Mai 2008). Anlässlich
einer im Mai 2011 eingeleiteten erneuten Rentenüberprüfung veranlasste die
IV-Stelle unter anderem das Psychiatrisch-Psychotherapeutische Gutachten des
Dr. med. B.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 7. Mai 2012. Weil
A.________ die ihm anlässlich des Informationsgesprächs vom 17. Oktober 2012
offerierten Eingliederungsmassnahmen abgelehnt hatte, forderte ihn die
IV-Stelle am 21. November 2012 unter Hinweis auf die ihm obliegende
Schadenminderungspflicht und unter Androhung von Säumnisfolgen zur Teilnahme
auf. In der Folge nahm der Versicherte im Juni 2013 an einer mehrtägigen
Integrationspotentialabklärung (IPAK) bei der beruflichen Abklärungsstelle
C.________ teil (Bericht vom 10. Juni 2013).

Mit Verfügung vom 25. September 2013 hob die IV-Stelle die Verfügung vom 4.
November 1998 sowie die Mitteilung vom 9. November 2000 wiedererwägungsweise
auf und stellte die Rente auf das Ende des der Zustellung der Verfügung
folgenden Monats ein. Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 21. Mai 2014 in
dem Sinne gut, dass es die Verfügung vom 25. September 2013 aufhob und die
Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese nach erfolgten Abklärungen im
Sinne der Erwägungen (konkret: Prüfung der Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit
und Gewährung der sich nach den konkreten Umständen als unerlässlich
herausstellenden Eingliederungsmassnahmen) neu verfüge.

A.b. Die IV-Stelle veranlasste im Zeitraum vom 22. September bis zum 17.
Oktober 2014 bei der Sintegra Zürich eine weitere Potentialabklärung (Bericht
vom 17. Oktober 2014) und schloss am 23. Oktober 2014 die Dienstleistungen im
Bereich der beruflichen Eingliederung aufgrund des sehr eingeschränkten
Integrationswillens des Versicherten ab (Mitteilung vom 23. Oktober 2014). Mit
Verfügung vom 17. März 2015 hob die IV-Stelle die Verfügung vom 4. November
1998 sowie die Mitteilung vom 9. November 2000 wiedererwägungsweise auf und
stellte die Rente auf das Ende des der Zustellung folgenden Monats ein.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 3. Juli 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag auf Weiterausrichtung der bisherigen Rente.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es
sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches
gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E.
4.1, nicht publ. in BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164). Dagegen
ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln
nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.;
Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht
im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42
Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.; 133 II 249
E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG).

2.

2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die ab November 1996 bezogene
Invalidenrente zu Recht unter dem Titel der Wiedererwägung aufgehoben wurde.

2.2. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die von der
Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen zur
Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132), zum
revisionsrechtlich massgebenden Vergleichszeitraum (BGE 133 V 108 E. 5.4 S.
114) und zur Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG; BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 238)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Die Vorinstanz erwog unter Hinweis auf seinen Rückweisungsentscheid vom 21. Mai
2014, die ursprüngliche Zusprechung einer ganzen Rente wie auch deren
Bestätigung zwei Jahre später seien zweifellos unrichtig gewesen, weil sowohl
die Verfügung vom 4. November 1998 wie auch die Mitteilung vom 9. November 2000
in offenkundiger Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und - zumindest was
die Bestätigung des Rentenanspruchs betreffe - in unrichtiger Anwendung der für
die konkrete Invaliditätsbemessung einschlägigen Rechtsregeln ergangen seien.
Deren Berichtigung sei zudem von erheblicher Bedeutung. Die Vorinstanz stellte
weiter fest, der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers habe sich seit dem
Rückweisungsentscheid vom 21. Mai 2014, worin gestützt auf das Gutachten des
Dr. med. B.________ vom 7. Mai 2012 von einer uneingeschränkten
Arbeitsfähigkeit in angestammter wie angepasster Tätigkeit ausgegangen worden
war, nicht verändert. Schliesslich erwog die Vorinstanz, in Anbetracht des
fehlenden Eingliederungswillens trotz voller Arbeitsfähigkeit sei die IV-Stelle
nicht länger verpflichtet, dem Beschwerdeführer Eingliederungsmassnahmen zu
gewähren.

4. 
Was der Versicherte dagegen vorbringt, vermag nicht durchzudringen:

4.1. In Bezug auf die Rüge, eine zweifellose Unrichtigkeit liege nicht vor,
mangelt es an einer rechtsgenüglichen Begründung im Sinne von Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG (vgl. E. 1.2 hievor) : Der Beschwerdeführer setzt sich nicht
ansatzweise mit den überzeugenden vorinstanzlichen Erwägungen auseinander,
wonach aus den der ursprünglichen Rentenzusprache zugrunde gelegenen Berichten
- namentlich jenen des Sozialpraktischen Dienstes der Klinik D.________, der
Klinik E.________ sowie des Hausarztes Dr. F.________ - nicht in
nachvollziehbarer Weise hervorgehe, inwiefern die damals festgestellten Befunde
- soweit nicht ohnehin bloss auf subjektive Schmerzen verwiesen worden sei -
eine vollständige Arbeitsunfähigkeit hätten bewirken sollen. Der aktenmässig
ausgewiesene Hinweis der Vorinstanz auf die Verfügung des Unfallversicherers
vom 5. Oktober 1998, wonach dem Versicherten die angestammte Arbeit ganztags
zumutbar ist, bleibt ebenfalls ungerügt. Der Beschwerdeführer nimmt auch nicht 
konkret Bezug auf die unter Hinweis auf BGE 127 V 294 getätigten
vorinstanzlichen Ausführungen, reaktive Depressionen erreichten bereits nach
damaliger Rechtsprechung nicht die für die Entstehung eines Rentenanspruchs
erforderliche Dauer und Intensität. Dasselbe gilt in Bezug auf den
vorinstanzlichen Schluss, die Expertise des Dr. med. G.________, FMH
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 8. Juni 2000 genüge den praxisgemässen
Anforderungen nicht, weil seiner Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht nur
die diagnostizierte mittelgradige depressive Episode zugrunde gelegen habe,
sondern auch ein im Diagnosekatalog nicht aufgeführtes Schmerzsyndrom. Der
Beschwerdeführer beschränkt sich stattdessen auf die Wiederholung der
seinerzeit erhobenen Befunde und die gestützt darauf gestellten Diagnosen, auf
einen pauschalen Hinweis, das Gutachten des Dr. med. G.________ erfülle die
rechtsprechungsgemässen Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte,
sowie auf den Verweis auf die damalige - nicht näher erläuterte - Rechtspraxis.
Die Betrachtungsweise des kantonalen Gerichts, die ursprüngliche
Rentenzusprache sei zweifellos unrichtig gewesen, hält vor Bundesrecht stand.

4.2. Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, die vorinstanzliche Prüfung der
Arbeitsfähigkeit verletzte Bundesrecht, weil das zugrunde gelegte Gutachten des
Dr. med. B.________ vom 7. Mai 2012 keine schlüssige Beurteilung im Lichte der
Indikatoren gemäss der mit BGE 141 V 281 geänderten Rechtsprechung erlaube. Mit
diesem Einwand wird verkannt, dass ein nach altem Verfahrensstandard
eingeholtes Gutachten nicht  per se seinen Beweiswert verliert, sondern konkret
zu prüfen ist, ob dieses - gegebenenfalls im Kontext mit weiteren
fachärztlichen Berichten - eine schlüssige Beurteilung im Lichte der
massgeblichen Indikatoren erlaubt (vgl. BGE 141 V 281 E. 8 S. 309 mit Hinweis
auf BGE 137 V 219 E. 6 S. 266). Gründe, weshalb die Expertise des Dr. med.
B.________ vom 7. Mai 2012 keine solch schlüssige Beurteilung erlauben sollte
oder inwiefern eine solche in casu zu der Zusprechung einer Invalidenrente
führen könnte, nennt der Beschwerdeführer nicht. Sein Einwand ist denn auch
unbegründet, verneinte Dr. med. B.________ doch explizit das Vorliegen einer
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 Ziff. F45.40), weil deren
diagnostische Kriterien in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt seien. Namentlich
fehle es an andauernden, schweren und quälenden Schmerzen und es sei die
Zunahme emotionaler und sozialer Konflikte sowie psychosozialer Belastungen
Folge und nicht Ursache des Schmerzsyndroms. Der stattdessen diagnostizierten
chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10
Ziff. F45.41), welche Diagnose ohnehin in der deutschen Ausgabe der
ICD-10-Kodifikation (GM) figuriert und für die hier interessierenden
versicherungsmedizinischen Belange nicht massgebend ist (Urteil 9C_168/2015 vom
13. April 2016 E. 3.2), sprach der Gutachter den Einfluss auf die
Arbeitsfähigkeit ab und bezeichnete deren Ausprägung im Vergleich zu ähnlichen
Störungsbildern als objektiv leicht. Damit fehlt es der Diagnose - auch nach
neuer Rechtsprechung (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.3.1.2 S. 299 f.) - zum vornherein
an der Schwere, die auf eine invalidisierende Gesundheitsbeeinträchtigung
schliessen liesse. Damit besteht kein Anlass für eine Neubegutachtung unter
Berücksichtigung der Indikatoren gemäss BGE 141 V 281.

4.3. Was schliesslich die Rüge anbelangt, es seien Eingliederungsmassnahmen zu
gewähren, wurden solche bereits durch Mitteilung vom 23. Oktober 2014
abgeschlossen. Die streitbetroffene Verfügung vom 17. März 2015 befasst sich
indessen einzig mit der wiedererwägungsweisen Aufhebung der Rente. Ob der
Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen damit überhaupt Gegenstand der Verfügung
gebildet hat bzw. hätte bilden müssen (vgl. Urteil I 848/02 vom 18. August 2003
E. 3.2) - wovon das kantonale Gericht auszugehen scheint - kann im Ergebnis
offen bleiben (zur Zulässigkeit einer formlosen Erledigung und zur
fristgerechten Anfechtung solcher vgl. BGE 134 V 145 E. 4 f. S. 149 ff.). So
oder anders zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, dass die für das
Bundesgericht verbindlichen (vgl. E. 1.1. hievor) vorinstanzlichen
Feststellungen zum fehlenden Eingliederungswillen offensichtlich unrichtig oder
rechtsfehlerhaft sind. Er verweist einzig auf das in den Berichten der
Abklärungsstellen explizit Festgehaltene und stellt der vorinstanzlichen
Beweiswürdigung seine eigene gegenüber, was nicht genügt (vgl. BGE 137 II 353
E. 5.1 S. 356). Am damit feststehenden fehlenden Eingliederungswillens vermag
schliesslich auch die nunmehr beschwerdeweise offerierte Bereitschaft, an
Massnahmen zur Steigerung der Belastbarkeit teilzunehmen, nichts zu ändern.
Fehlt es aber an der subjektiven Eingliederungsfähigkeit, besteht von
vornherein kein Anspruch (mehr) auf berufliche Massnahmen (Urteil 9C_474/2013
vom 20. Februar 2014 E. 6.3).

5. 
Nach dem Gesagten war die am 17. März 2015 verfügte Aufhebung des
Rentenanspruchs auf das Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats
rechtens.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Juni 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Williner

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