Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 613/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_613/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 2. Februar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Williner.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse
11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 24. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1969 geborene A.________ meldete sich im Oktober 2014 wegen einer
Erschöpfungsdepression bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Gestützt auf die eingereichten medizinischen Unterlagen (Bericht der
Krankenversicherung B.________ AG, Care Management KTG vom 9. September 2014
und Austrittsbericht der Klinik C.________ vom 11. Juli 2014) kündigte die
IV-Stelle des Kantons Thurgau A.________ mit Vorbescheid vom 8. Dezember 2014
die Ablehnung der Leistungen an. Einen vom behandelnden Psychiater Dr. med.
D.________ am 5. Januar 2015 erstatteten Bericht legte die IV-Stelle dem
Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) vor. Gestützt auf dessen Stellungnahme vom
13. Januar 2015 verfügte die Verwaltung am 27. Januar 2015 die Abweisung des
Leistungsbegehrens.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 24. Juni 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sowie die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz oder die IV-Stelle zur Durchführung
zusätzlicher medizinischer Abklärungen, insbesondere einer Begutachtung in den
Fachgebieten Innere Medizin und Psychiatrie; anschliessend sei neu zu verfügen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit handelt es sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E.
3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/
2009 vom 6. Juli 2009 E. 4.1, nicht publ. in BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009
IV Nr. 53 S. 164). Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und
der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393
E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit
Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden
Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE
140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.; 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei
überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG).

1.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als
erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Solche
Umstände können namentlich in formellrechtlichen Mängeln des angefochtenen
Entscheides liegen, mit denen die Partei nicht rechnete und nach Treu und
Glauben nicht zu rechnen brauchte, oder darin, dass die Vorinstanz materiell in
einer Weise urteilt, dass bestimmte Sachumstände neu und erstmals
rechtserheblich werden. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet
noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die
Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne
Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die
sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte
Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (Urteil 8C_690/2011 vom 16. Juli 2012
E. 1.3 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 138 V 286, aber in: SVR 2012 FZ Nr. 3
S. 7). In diesem Sinne ist der mit Beschwerde eingereichte Bericht des Zentrums
E.________ vom 20. August 2015 als echtes Novum im vorliegenden Verfahren
unbeachtlich.

2. 
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (berufliche
Massnahmen, Invalidenrente). Hiefür vorausgesetzt ist eine Invalidität (Art. 4
Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 8 ff. und Art. 28a ff. IVG; Art. 8 Abs. 1
ATSG). Gesundheitliche Beeinträchtigungen sind im Gebiet der
Invalidenversicherung nur relevant, wenn sie sich längere Zeit - hinsichtlich
der Invalidenrente in Form einer mindestens ein Jahr andauernden
Arbeitsunfähigkeit von 40 % (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG) - manifestieren.

3. 
In formeller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs durch ungenügende Begründung der Ablehnungsverfügung vom 27. Januar
2015. Dazu hat das kantonale Gericht das Nötige gesagt. Die diesbezüglichen
Einwendungen in der Beschwerde ändern nichts daran, dass der Beschwerdeführer
die Verwaltungsverfügung im kantonalen Verfahren sachgerecht anfechten konnte.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV oder der
Begründungspflicht nach Art. 49 Abs. 3 ATSG ist nicht ersichtlich bzw. es ist
die kurze Verfügungsbegründung dadurch geheilt worden, dass der
Beschwerdeführer im kantonalen Rechtsmittelverfahren seinen Standpunkt vor
einer Instanz, welche den Sachverhalt wie auch die Rechtslage frei überprüfen
konnte (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390), umfassend vortragen
konnte.

4.

4.1. Entgegen den Einwänden des Beschwerdeführers kann von einer Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes durch die IV-Stelle (Art. 43 ATSG) nicht die Rede
sein. Die diesbezüglich einzig vorgebrachte Begründung, angesichts der kurzen
Zeitspanne zwischen Anmeldung und Erlass des Vorbescheids könne nicht ernsthaft
davon ausgegangen werden, die IV-Stelle sei ihrer Abklärungspflicht
nachgekommen, taugt offenkundig nicht. Vielmehr entspricht das rasche
Durchführen und zum Abschluss bringen des Administrativverfahrens dem ebenfalls
beachtlichen - und zum Untersuchungsgrundsatz in einem gewissen
Spannungsverhältnis stehenden (Urteil 8C_210/2013 vom 10. Juli 2013 E. 3.2.1) -
Gebot des raschen Verfahrens (Art. 61 lit. a ATSG als Ausdruck eines
allgemeinen Verfahrensgrundsatzes; Urteil 8C_344/2007 vom 22. Oktober 2007 E.
3.1 mit Hinweis auf BGE 110 V 54 E. 4b S. 61).

4.2. Insofern der Beschwerdeführer darüber hinaus auch der Vorinstanz eine
Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) vorwirft, weil
diese das Schreiben der Klinik C.________ vom 27. Februar 2015, wonach der
Beschwerdeführer ab dem 25. Februar 2015 erneut habe hospitalisiert werden
müssen, nicht beachtet habe, verkennt er was folgt: Der gerichtliche
Überprüfungszeitraum erstreckt sich grundsätzlich nur auf den Sachverhalt, wie
er sich bis zum Erlass der streitigen Verwaltungsverfügung (hier: 27. Januar
2015) verwirklicht hat (BGE 130 V 138 E. 1.2 S. 140). Der obige Bericht,
welcher im Übrigen keinerlei medizinische Aussagen enthält, wurde erst nach
diesem für die richterliche Beurteilung massgebenden Zeitpunkt erstellt.

5. 
Materiell kann der Beschwerde von vornherein kein Erfolg beschieden sein.
Während sich im Bericht der Krankenversicherung B.________ AG, Care Management
KTG vom 9. September 2014 einzig die Diagnose einer Erschöpfungsdepression
findet, vermochten lic. phil. F.________, klinischer Psychologe, und Dr. med.
G.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, im Bericht vom 11. Juli 2014
(betreffend die stationäre Hospitalisation vom 6. Mai bis zum 9. Juli 2014)
eine mittelgradige depressive Episode (ICD-10 Ziff. F32.1) bei Burn-out-Syndrom
(ICD-10 Ziff. Z73.0) sowie sonstige belastende Lebensumstände, einschliesslich
familiärer Umstände (ICD-10 Ziff. Z63.7) zu diagnostizieren. Dr. med.
D.________ diagnostizierte schliesslich neben einem Status nach
Burn-out-Syndrom (ICD-10 Ziff. Z73.0) eine rezidivierende Depression (ICD-10
Ziff. F33.01/F33.11), leicht bis momentan "wieder deutlich eher mittelgradig"
(Bericht vom 5. Januar 2015). Bei sämtlichen dieser durch die behandelnden
Ärzte diagnostizierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen handelt es sich um
kurzfristige, reaktive und therapeutischen Bemühungen zugängliche Leiden,
welche nach ständiger Rechtsprechung - woran die neue Rechtsprechung gemäss BGE
141 V 281 nichts geändert hat - nicht invalidisierend wirken (BGE 140 V 193 E.
3.3 S. 196 f.; Urteile 9C_125/2015 vom 18. November 2015 E. 7.2.1; 8C_302/2011
vom 20. September 2011 E. 2.3; je mit Hinweisen).

6. 
Weil von zusätzlichen medizinischen Abklärungsmassnahmen keine neuen
entscheidwesentlichen Aufschlüsse zu erwarten sind, kann und konnte auf
weitergehende medizinische Erhebungen und Gutachten verzichtet werden
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236).

7. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau,
dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Basler Lebens-Versicherungen
BVG-Sammelstiftung, Basel, schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Februar 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Williner

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