Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 561/2015
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_561/2015

Urteil vom 8. März 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Beschuss des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 12. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 28. August 2013 hob die IV-Stelle des Kantons Zürich die der
1965 geborenen A.________ ausgerichtete Invalidenrente auf den 30. September
2013 revisionsweise auf.

B. 
A.________ liess diese Verfügung beim Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich beschwerdeweise anfechten. Sie beantragte u.a. die Gewährung einer
Invalidenrente über den 30. September 2013 hinaus und die Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung, an der sie anzuhören sei. Am 24. März 2015 fand unter
dem Vorsitz von Sozialversicherungsrichter B.________ die Hauptverhandlung
statt. Mit Eingabe vom 31. März 2015 liess A.________ den Ausstand von
Sozialversicherungsrichter B.________ beantragen. Mit Beschluss vom 12. Juni
2015 wies das Sozialversicherungsgericht das Ausstandsbegehren ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sei
Sozialversicherungsrichter B.________ in den Ausstand zu versetzen und das
kantonale Beschwerdeverfahren sei durch ein unabhängiges Gericht durchzuführen.
Ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege.
Die IV-Stelle verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Beim vorinstanzlichen Beschluss vom 12. Juni 2015 handelt es sich um einen
selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, der nach
Art. 92 Abs. 1 BGG mit Beschwerde angefochten werden kann.

1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 30 Abs. 1 BV
sowie die Rechtsprechung zutreffend dargelegt, wann davon auszugehen ist, dass
die Garantie des verfassungsmässigen Richters verletzt ist, weil Gegebenheiten
vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen (BGE 134 I 238 E. 2.1 S. 240). Darauf
wird verwiesen.

3.

3.1. Das Sozialversicherungsgericht hat bezüglich des Vorwurfs der Befangenheit
von Richter B.________ dargelegt, dieser habe den Rechtsvertreter der
Beschwerdeführerin an der Hauptverhandlung hinsichtlich des Antrages auf
persönliche Anhörung der Versicherten nochmals darauf hingewiesen, dass an
öffentlichen Verhandlungen in der Regel nur Parteivorträge zugelassen werden.
Darin könne keine Befangenheit erblickt werden, hätte der Richter doch auch die
Möglichkeit gehabt, den Antrag auf mündliche Anhörung abzuweisen. Die
beanstandete Äusserung sodann, mit der Durchführung einer Hauptverhandlung
würden unnötige Kosten verursacht, sei ausschliesslich dahin zu verstehen, dass
an einer Hauptverhandlung der ganze Spruchkörper, an einer
Instruktionsverhandlung dagegen nur ein delegiertes Mitglied teilnimmt. Auch
aus dem Hinweis des Richters, wonach nur der notwendige Aufwand entschädigt
wird, könne nicht auf Befangenheit geschlossen werden. Darauf würden
unentgeltliche Rechtsvertreter regelmässig aufmerksam gemacht.

3.2. Den Darlegungen der Vorinstanz ist beizupflichten. Die Beschwerdeführerin
bringt nichts vor, was die Sachverhaltsfeststellung im kantonalen
Gerichtsentscheid als offensichtlich unrichtig oder anderweitig
bundesrechtswidrig erscheinen lassen könnte. Die Vorinstanz hat entgegen der
Behauptung der Versicherten aufgrund eines korrekt festgestellten Sachverhalts
entschieden. Die Aussagen von Richter B.________ sind, soweit von Belang, im
Beschluss vom 12. Juni 2015 wiedergegeben.
Eine Bundesrechtsverletzung ist ebenfalls nicht dargetan oder erkennbar. Ob der
vorsitzende Richter die in der Beschwerde erwähnten, im Beschluss nicht
enthaltenen Worte "falsches Verfahren" und "Riesenübung" mit unnötigen Kosten
tatsächlich verwendet hat, kann dahingestellt bleiben. Allein aus einer solchen
Wortwahl könnte nicht auf Befangenheit geschlossen werden. Ein mindestens
aufgebrachter und angespannter Ton spricht entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin nicht für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes. Was
namentlich die "unnötigen" Kosten betrifft, hat die Vorinstanz zutreffend
festgehalten, dass an einer Hauptverhandlung der ganze Spruchkörper, an einer
Instruktionsverhandlung dagegen nur ein Richter oder eine Richterin teilnimmt;
eine Äusserung über unnötige Kosten wäre einzig in dem von der Vorinstanz
dargelegten Sinn zu verstehen. Soweit sich in der Beschwerde Ausführungen zum
"falschen Verfahren" finden, das der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin
laut den angeblichen Aussagen des vorsitzenden Richters gewählt haben soll, ist
nicht ersichtlich, inwieweit dieser eine Persönlichkeitsverletzung begangen
oder einen Ausstandsgrund gesetzt hätte, falls er diese Bezeichnung, wie
beschwerdeweise geltend gemacht, im Rahmen der Parteivorträge nach der Triplik
tatsächlich verwendet haben sollte. Zu beachten ist immerhin, dass entsprechend
den Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin eine öffentliche Verhandlung
durchgeführt wurde, an welcher sie sich äussern konnte. Daran hat die
angebliche Aussage von Richter B.________ nichts geändert.

Unerheblich im vorliegenden Zusammenhang ist sodann, dass die Aussagen des
Sozialversicherungsrichters nicht protokolliert wurden. Ferner ergeht sich die
Beschwerdeführerin in Hypothesen zur Herabsetzung der eingereichten Honorarnote
des Rechtsvertreters, was in Bezug auf die geltend gemachte Befangenheit ohne
jede Bedeutung ist. Betreffend die Begründung des Antrags auf mündliche
Anhörung, welche die Vorinstanz als ungenügend erachtete, die
Beschwerdeführerin jedoch als hinreichend, ist darauf hinzuweisen, dass diese
Frage nicht die hier allein strittige Befangenheit des kantonalen Richters
beschlägt. Anhaltspunkte dafür, dass Richter B.________ die Kosten für eine
öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK als zu hoch erachtete
und stattdessen ein kostengünstigeres Instruktionsverfahren als genügend
erachtete, sind nicht ersichtlich. Indessen wäre dieses Argument ohnehin nicht
stichhaltig, hat doch das kantonale Gericht eine solche Verhandlung regelmässig
durchzuführen, wenn ein entsprechender Antrag seitens der Beschwerde führenden
Partei gestellt wird (BGE 136 I 279). Schliesslich ist die Vorinstanz auch zu
Recht davon ausgegangen, aus der Bemerkung des vorsitzenden Richters, es werde
nur der notwendige Aufwand entschädigt, könne nicht auf Voreingenommenheit
geschlossen werden. Wenn ein Richter einen gesetzlich verankerten
Rechtsgrundsatz wiedergibt, der Rechtsanwälten ohnehin geläufig ist, kann dies
offensichtlich kein Anlass sein, ihn als befangen vom Prozess auszuschliessen.

4. 
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin wird
jedoch darauf hingewiesen, dass sie der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten
hat, wenn sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird gutgeheissen, und es wird der Beschwerdeführerin Rechtsanwalt Matthias
Horschik als Rechtsbeistand beigegeben.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Rechtsanwalt Matthias Horschik wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. März 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben