Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 540/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_540/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 15. Oktober 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversiche-rungsgerichts des Kantons
Zürich vom 2. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1955 geborene A.________, seit 1. März 2004 als Institutsleiter bei der
B.________ AG, angestellt gewesen , erlitt am 1. Januar 2008 einen Skiunfall.
Im Juni 2009 meldete er sich unter Hinweis auf die gesundheitlichen Folgen bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Zürich klärte die Verhältnisse in medizinischer und beruflich-erwerblicher
Hinsicht ab. Gestützt darauf kündigte sie vorbescheidweise die Zusprechung
einer halben Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 50 %
rückwirkend ab 1. Dezember 2009 an. Am 6. September 2010 erging die dem
Vorbescheid entsprechende Rentenverfügung.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 2. Juni 2015 in dem Sinne teilweise gut, dass
die angefochtene Verfügung für die Zeit ab 1. April 2011 insoweit aufgehoben
wurde, als ein Rentenanspruch von mehr als einer halben Rente verneint worden
war; die Sache wurde an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit diese, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch ab 1.
April 2011 neu verfüge.

C. 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
ersucht um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids; es sei ihre Verfügung vom
6. September 2010 zu bestätigen. Zudem sei dem Rechtsmittel die aufschiebende
Wirkung zu erteilen.

Die Vorinstanz beantragt Nichteintreten auf die Beschwerde, eventualiter deren
Abweisung. A.________ und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

1.1. Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes
wegen und mit freier Kognition (BGE 138 V 318 E. 6 Ingress S. 320 mit Hinweis;
Urteil 8C_122/2014 vom 18. August 2014 E. 1, in: SVR 2015 MV Nr. 1 S. 1).

1.2. Das kantonale Gericht hat die Verfügung der Beschwerdeführerin vom 6.
September 2010 für die Zeit ab 1. April 2011 insoweit aufgehoben, als ein
Rentenanspruch von mehr als einer halben Rente verneint worden war, und die
Angelegenheit an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch des
Beschwerdegegners ab 1. April 2011 neu verfüge (Dispositiv-Ziff. 1 des
Entscheids ).

1.2.1. Es handelt sich dabei um einen Zwischenentscheid, der nur unter den
alternativen Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG anfechtbar
ist (Urteil 9C_231/2015 vom 7. September 2015 E. 1.1 mit Hinweisen).

1.2.2. Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin nicht nur bis Ende März 2011 -
und damit über das Verfügungsdatum hinausgehend -, sondern im Rahmen der
Rückweisung zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen auch für den
Zeitraum ab 1. April 2011 zur Ausrichtung mindestens einer halben Rente
verpflichtet. Auf Grund dieser verbindlichen Anordnungen erwächst der IV-Stelle
rechtsprechungsgemäss ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 f.; 133 V 477 E. 5.2,
5.2.1-5.2.4 S. 483 ff.; Urteil 8C_125/2015 vom 26. Juni 2015 E. 1.2.1). Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten.

2. 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen
an (Art. 106 Abs. 1 BGG; vgl. dazu BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E.
1.4 S. 140). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).

3. 
In der Beschwerde wird eine durch die Vorinstanz begangene unzulässige
Ausdehnung des mit Rentenverfügung vom 6. September 2010 definierten
Streitgegenstands gerügt. Indem das kantonale Gericht den Leistungsanspruch des
Beschwerdegegners ab 1. April 2011 beurteilt habe, verletze es den Grundsatz,
wonach für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmässigkeit einer Verfügung
regelmässig die tatsächlichen Verhältnisse massgebend seien, wie sie sich bis
zum Zeitpunkt des Erlasses des strittigen Verwaltungsaktes entwickelt hätten.

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt das Sozialversicherungsgericht die
Gesetzmässigkeit der Verwaltungsverfügungen in der Regel nach dem Sachverhalt,
der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war. Tatsachen, die jenen
Sachverhalt seither verändert haben, sollen im Normalfall Gegenstand einer
neuen Verwaltungsverfügung sein (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366). Ausnahmsweise
kann das Gericht aus prozessökonomischen Gründen auch die Verhältnisse nach
Erlass der Verfügung in die richterliche Beurteilung miteinbeziehen und zu
deren Rechtswirkungen über den Verfügungszeitpunkt hinaus verbindlich Stellung
beziehen, mithin den das Prozessthema bildenden Streitgegenstand in zeitlicher
Hinsicht ausdehnen. Eine solche Ausdehnung des richterlichen
Beurteilungszeitraums ist jedoch - analog zu den Voraussetzungen einer
sachlichen Ausdehnung des Verfahrens auf eine ausserhalb des durch die
Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses liegende spruchreife Frage (BGE 122 V
34 E. 2a S. 36; zum Begriff des Anfechtungsgegenstands vgl. BGE 125 V 413 E. 1a
S. 414) - nur zulässig, wenn der nach Erlass der Verfügung eingetretene, zu
einer neuen rechtlichen Beurteilung der Streitsache ab jenem Zeitpunkt führende
Sachverhalt hinreichend genau abgeklärt ist, die betreffende Frage mit dem
bisherigen Streitgegenstand so eng zusammenhängt, dass von einer
Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und die Verfahrensrechte der
Parteien, insbesondere deren Anspruch auf rechtliches Gehör, respektiert worden
sind (BGE 130 V 138 E. 2.1 S. 140 f., 501 E. 1.2 S. 503; Urteil 9C_154/2014 vom
3. September 2014 E. 1 mit Hinweisen). In Bezug auf das letztgenannte
Erfordernis muss sich die Verwaltung mindestens in Form einer Prozesserklärung
geäussert haben (BGE 130 V 501 E. 1.2 S. 503 mit Hinweis).

3.2. Der vorinstanzliche Entscheid enthält weder Erörterungen zu den erwähnten
generellen Voraussetzungen einer Ausweitung des Prozessthema bildenden
Streitgegenstands noch entsprechende fallbezogene Überlegungen. Während der
Aspekt der Tatbestandsgesamtheit ohne Weiteres als erfüllt betrachtet werden
kann, erscheinen die Ausdehnungsbedingungen des hinreichend abgeklärten
Sachverhalts und des verfahrensrechtlichen Miteinbezugs der Parteien jedenfalls
für den Zeitraum ab 1. April 2011 zweifelhaft.

3.2.1. Das kantonale Gericht selber erachtet das Element des genügend
erstellten Sachverhalts als nicht gegeben. Vielmehr weist es die Angelegenheit
an die Beschwerdeführerin zurück, damit sie die infolge der auf Ende März 2011
erfolgten Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Beschwerdegegners
eingetretenen Veränderungen in den erwerblichen Auswirkungen des
Gesundheitsschadens - im Sinne eines nach Massgabe von Art. 17 ATSG
revisionsrechtlich bedeutsamen Vorgangs - ermittle und gestützt darauf den
Rentenanspruch mit Wirkung ab 1. April 2011 neu festsetze.

3.2.2. Auch hat die Vorinstanz das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten,
insbesondere jenes der IV-Stelle, welche im Beschwerdeverfahren formell
Parteistellung innehat (BGE 136 V 376 E. 4.1.2 S. 378), im Zuge ihrer
Ausdehnung des Prozesses nicht gewahrt. Der letztinstanzlich geäusserte Einwand
des kantonalen Gerichts, der Beschwerdeführerin sei im Rahmen des langjährigen
Beschwerdeprozesses verschiedentlich Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt
worden, wovon sie aber keinen Gebrauch gemacht habe, ändert daran nichts. Den
Akten des Verfahrens lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass
sich die IV-Stelle explizit zur Frage eines über den Zeitpunkt des
Verfügungserlasses vom 6. September 2010 hinausgehenden Rentenanspruchs des
Beschwerdegegners geäussert hätte. Ihre Eingabe vom 27. November 2014 enthält
einzig die Anmerkung, dass unter Hinweis auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung, welche eine Bindungswirkung der Invaliditätseinschätzung des
Unfallversicherers für die Invalidenversicherung klar verneine, auf eine
Vernehmlassung verzichtet werde. Diese Reaktion war auf Verfügung des
Versicherungsgerichts vom 23. Oktober 2014 hin ergangen, wonach der im Rahmen
des unfallversicherungsrechtlichen Verfahrens "vergleichsweise festgestellte
Invaliditätsgrad von 70 % ab dem 1. August 2012 die verfassungsmässigen
Grundsätze wie Gesetzesmässigkeit und Gleichbehandlung zu beachten hat, weshalb
er auch für das IV-Verfahren von Relevanz" sei. Aus den Ausführungen der
Beschwerdeführerin vor dem Bundesgericht geht indessen hervor, dass der in
zeitlicher Hinsicht vorgenommenen Ausdehnung des Streitgegenstands nur in Bezug
auf den Leistungsanspruch des Beschwerdegegners für den Zeitraum nach 1. April
2011 opponiert wird. Die Rechtmässigkeit der Ausrichtung einer halben
Invalidenrente bis Ende März 2011 beanstandet sie demgegenüber nicht, sodass es
insoweit beim vorinstanzlichen Ergebnis bleibt (vgl. E. 2 am Ende hievor).

3.3. Vor diesem Hintergrund ist der angefochtene Entscheid mit der Feststellung
aufzuheben (Art. 95 lit. a BGG), dass der Beschwerdegegner für den Zeitraum vom
1. Dezember 2009 bis 31. März 2011 Anrecht auf eine halbe Rente hat.
Hinsichtlich allfälliger ab 1. April 2011 zustehender Leistungsansprüche ist
die Angelegenheit an die Beschwerdeführerin zu überweisen, damit sie die
erforderlichen Abklärungen an die Hand nehme.

4. 
Mit dem Urteil in der Hauptsache wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um
Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos (Urteil 9C_454/2013 vom 29.
Oktober 2013 E. 5.2, in: AJP 2014 S. 253).

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 2. Juni 2015 wird mit der Feststellung aufgehoben, dass
dem Beschwerdegegner für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis 31. März 2011 eine
halbe Invalidenrente zusteht.

2. 
Hinsichtlich eines ab 1. April 2011 bestehenden Anspruchs des Beschwerdegegners
auf Invalidenrente wird die Angelegenheit zur weiteren Abklärung an die
Beschwerdeführerin überwiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. Oktober 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl

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