Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 535/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_535/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 21. März 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Furrer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wyss,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 3. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1963 geborene A.________, Mutter zweier erwachsener Söhne, zuletzt als
Raumpflegerin und Hausfrau tätig gewesen, meldete sich am 26. Juli 2002 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich
(fortan: IV-Stelle) sprach A.________ - u.a. gestützt auf eine Abklärung im
Haush alt (Bericht vom 6. August 2003) und ein Gutachten des Zentrums
B.________ vom 12. Januar 2006 - mit Verfügung vom 23. August 2007 eine von
April bis Ende Dezember 2003 befristete halbe Härtefallrente und ab 1. Januar
2004 eine Viertelsrente zu (Invaliditätsgrad von 42 %). Der Anspruch auf eine
Viertelsrente wurde am 11. Januar 2011 bestätigt.
Mit Schreiben vom 19. November 2012 ersuchte A.________ um revisionsweise
Erhöhung der Invalidenrente, woraufhin die IV-Stelle eine Untersuchung durch
den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; Berichte des Dr. med. C.________,
Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates
FMH, und des med. pract. D.________, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 8. und 11. Oktober 2013) veranlasste. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 17. Februar 2014
das Rentenerhöhungsgesuch ab.

B. 
Eine hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 3. Juni 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei ihr eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zur polydisziplinären
Begutachtung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Gleichzeitig ersucht sie
um Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels.
Während die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde schliesst, lässt
sich das Bundesamt für Sozialversicherungen nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Ein zweiter Schriftenwechsel findet in der Regel nicht statt (Art. 102
Abs. 3 BGG). Die Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin wurde der
Beschwerdeführerin zur Kenntnisnahme zugestellt. Diese hätte von sich aus dem
Bundesgericht eine Replik einreichen können, sofern sie es für nötig gehalten
hätte. Dies hat sie unterlassen, weshalb vom Verzicht auf einen weiteren
Schriftenwechsel auszugehen ist (vgl. BGE 133 I 98 E. 2.2 und 2.3 S. 99 f.).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen gemäss Gesetz und Rechtsprechung
zutreffend dargelegt. Dies betrifft namentlich die Bestimmungen und Grundsätze
zu den Begriffen der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art.
8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zur Rentenrevision (Art. 17
ATSG; BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; 130 V 71 E. 3.2.3    S. 75 f. und 133 V 108)
sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff. mit
Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass der Beweiswert von RAD-Berichten nach Art. 49 Abs. 2 IVV
mit jenem externer medizinischer Sachverständigengutachten vergleichbar ist,
sofern sie den praxisgemässen Anforderungen an ein ärztliches Gutachten (BGE
134 V 231 E. 5.1 S. 232) genügen und die Arztperson über die notwendigen
fachlichen Qualifikationen verfügt (BGE 137 V 210 E. 1.2.1 S. 219). Allerdings
ist hinsichtlich des Beweiswerts wie folgt zu differenzieren: Bezüglich
Gerichtsgutachten hat die Rechtsprechung ausgeführt, das Gericht weiche "nicht
ohne zwingende Gründe" von den Einschätzungen des medizinischen Experten ab.
Hinsichtlich von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG
eingeholter, den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechender Gutachten
externer Spezialärzte wurde festgehalten, das Gericht dürfe diesen Gutachten
vollen Beweiswert zuerkennen, solange "nicht konkrete Indizien gegen die
Zuverlässigkeit" der Expertise sprechen. Auf das Ergebnis versicherungsinterner
ärztlicher Abklärungen - zu denen die RAD-Berichte gehören - kann allerdings
nicht abgestellt werden und sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen, wenn auch
nur geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen (BGE
139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f. und E. 4.7 S. 471; Urteil
8C_197/2014 vom 3. Oktober 2014 E. 4).

3. 
Die Vorinstanz erwog, aus den aktuellen Beurteilungen ergebe sich in
somatischer Hinsicht eine befundmässige Verschlechterung, jedoch ohne
quantitative Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit in leidensangepasster
Tätigkeit. Aus psychiatrischer Sicht sei zwischen 2007 und 2013 keine
Verschlechterung zu erkennen: 2007 sei eine mittelgradige depressive Episode
diagnostiziert worden, 2013 zwar eine chronifizierte Depression, jedoch
remittiert in eine leichtgradige. Vor diesem Hintergrund sei das qualitative
Element der Beurteilung des RAD-Psychiaters nachvollziehbar, wonach der
Sachverhalt unverändert sei. Die dazu scheinbar im Widerspruch stehende
Quantifizierung der Arbeitsfähigkeit auf 20 % erkläre sich damit, dass der
RAD-Arzt - statt das psychiatrische Gutachten vom 12. Januar 2006 bzw. die
RAD-Stellungnahme vom 16. Juni 2006 als Vergleichsgrösse zu nehmen - sich auf
den Bericht des behandelnden Dr. med. E.________ von 2009/2010 bezogen habe.
Die Berichte des behandelnden Psychiaters, der seit Dezember 2012 eine
Arbeitsfähigkeit von 0 % postuliere, vermöge die RAD-Beurteilungen nicht in
Frage zu stellen. Zusammenfassend sei im Vergleich zur Verfügung von 2007 vom
medizinischen Sachverhalt her keine revisionsrelevante Veränderung eingetreten.
Betreffend Status und Valideneinkommen sei ebenfalls kein Revisionssachverhalt
gegeben, womit die Beschwerdegegnerin das Rentenerhöhungsgesuch zu Recht
abgewiesen habe.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin rügt, das kantonale Gericht habe den
Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) verletzt bzw. den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig festgestellt, indem es die Einschränkung im
Aufgabenbereich gestützt auf den "Uralt-Haushaltsabklärungsbericht" vom 6.
August 2003 (weiterhin) mit 30 % beziffert habe, obschon sich die somatische
Problematik verschlechtert und die Situation im Haushalt verändert habe. Ferner
habe die Vorinstanz zu Unrecht einen Revisionsgrund betreffend die Statusfrage
verneint. Schliesslich hätte die Vorinstanz nicht auf den Bericht des med.
pract. D.________ vom 11. Oktober 2013 abstellen dürfen, zumal erhebliche
Zweifel an diesem bestünden.

4.2. In psychiatrischer Hinsicht lag der rentenzusprechenden Verfügung vom 23.
August 2007 - welche die Vorinstanz zu Recht als massgebende zeitliche
Vergleichsbasis eingestuft hat (vgl. Urteil 8C_441/2012 vom 25. Juli 2013 E. 6,
in: SVR 2013 IV Nr. 44 S. 134) - eine Expertise des Zentrums B.________ vom 12.
Januar 2006 sowie eine Stellungnahme des RAD vom 16. Juni 2006 zugrunde. In
Ersterer wurde im Wesentlichen eine mittelgradige depressive Episode mit
somatischem Syndrom (F32.11) diagnostiziert und eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit in der zuletzt ausgeübten sowie eine 30-50%ige
Leistungsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit attestiert. Gestützt darauf
empfahl der RAD, von einer Restarbeitsfähigkeit von (lediglich) 30 %
auszugehen. Dieser Empfehlung entsprechend wurde verfügt. Mit Blick auf diese
Ausgangslage sowie die Berichte des behandelnden Psychiaters Dr. med.
E.________ vom 18. Dezember 2012 und 1. Juni 2013, wonach seit Dezember 2012
aufgrund einer chronifizierten Major Depression (F39) eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten bestehe, wurde eine Untersuchung
durch den RAD veranlasst. Psychiatrischerseits sollte dieser klären, ob -
entsprechend dem Gutachten vom 12. Januar 2006 - (weiterhin) von einer 30%-
bzw. 50%igen Restarbeitsfähigkeit auszugehen sei oder ob mit Dr. med.
E.________ nunmehr eine vollständige Arbeitsunfähigkeit vorliege (Stellungnahme
des RAD-Internisten Dr. med. F.________ vom 18. Juli 2013).
Im Psychiatrischen Untersuchungsbericht vom 11. Oktober 2013 diagnostizierte
med. pract. D.________ eine mittelschwere chronifizierte Depression, derzeitig
remittiert in eine leichtgradige Depression (F39) und attestierte eine
Arbeitsfähigkeit von "unverändert 20 %". Wie bereits die Vorinstanz
feststellte, erachtete der RAD-Psychiater - trotz der Fragestellung des
RAD-Internisten samt Angabe der entscheidwesentlichen Vorakten - einen Bericht
des Dr. med. E.________ "von 2009/2010" (recte: vom 4. Dezember 2010) als
massgebliche Vergleichsbasis. Abgesehen davon, dass der
RAD-Untersuchungsbericht damit bereits auf unzutreffenden Annahmen bezüglich
der zeitlichen Vergleichsbasis beruht, fehlt auch eine nachvollziehbare und
schlüssige Auseinandersetzung mit den entscheidwesentlichen Akten, namentlich
den im Revisionsverfahren eingeholten Berichten des Dr. med. E.________ vom 18.
Dezember 2012 und 1. Juni 2013, welcher hinsichtlich Diagnose,
Restarbeitsfähigkeit und therapeutischer Ansprechbarkeit zu divergierenden
Einschätzungen gelangte. Mithin erfüllt der versicherungsinterne ärztliche
Bericht vom 11. Oktober 2013 die praxisgemässen Anforderungen an ein ärztliches
Gutachten nicht (vgl. E. 2 hievor). Darauf kann entgegen der Vorinstanz nicht
abgestellt werden. Die Angaben des behandelnden Dr. med. E.________ können
indes ebenfalls nicht als alleinige Beurteilungsgrundlage dienen (BGE 135 V 465
E. 4.5 S. 470 f.).
Nach dem Gesagten ist der medizinische Sachverhalt ungenügend abgeklärt. Mit
dem Verzicht auf weitere Abklärungen hat das kantonale Gericht den
Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) verletzt. Die Sache ist an die
IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie eine versicherungsexterne Begutachtung
veranlasse und hiernach über das Gesuch um Erhöhung der Invalidenrente neu
entscheide.

4.3. Zu bemerken bleibt, dass mit Blick auf den Haushaltsabklärungsbericht vom
6. August 2003 und die seit der rentenzusprechenden Verfügung eingetretenen
Veränderungen im Aufgabenbereich (Auszug der beiden Söhne aus dem gemeinsamen
Haushalt, neue Wohnsituation, Trennung bzw. Scheidung vom Ehemann) ein
Revisionssachverhalt zu Unrecht verneint wurde und auch diesbezüglich die
mangelnden Abklärungen den Untersuchungsgrundsatz verletzen.

5. 
Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu weiterer Abklärung (mit noch
offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch
der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1
sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Die unterliegende
Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG)
und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Juni 2015 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 17. Februar 2014 werden
aufgehoben. Die Sache wird zum Vorgehen im Sinne der Erwägungen und neuer
Verfügung an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen. Im Übrigen wird
die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. März 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Furrer

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