Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 526/2015
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_526/2015

Urteil vom 11. September 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A._________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Niedermann,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 1. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1952 geborene A._________, gelernter Koch, seit 1996 im Paketversand einer
Bank tätig, zog sich 2003 bei einem Sturz Rückenverletzungen zu. Im September
des gleichen Jahres meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden sprach ihm mit
Verfügung vom 24. Februar 2005 ab 1. März 2004 eine halbe Invalidenrente zu
(Invaliditätsgrad: 50 %). Später musste A._________ an der rechten Schulter
operiert werden, weshalb er im September 2009eine Verschlechterung seines
Gesundheitszustands geltend machte. Sowohl die IV-Stelle (Verfügung vom 26.
Februar 2010) als auch das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden
(Entscheid vom 15. Dezember 2010) lehnten jedoch eine Rentenerhöhung ab.
Nach einer weiteren Schulteroperation stellte A._________ im Dezember 2012
erneut ein Revisionsgesuch, das die zuständige IV-Stelle des Kantons St. Gallen
nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom
31. Oktober 2013 abwies (Invaliditätsgrad: 58 %).

B. 
Die dagegen gerichtete Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 1. Juli 2015 teilweise gut, hob die angefochtene
Verfügung auf und sprach A._________ ab 1. Dezember 2012 eine ganze Rente zu
(Invaliditätsgrad: 70 %).

C. 
Die IV-Stelle lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, es sei unter Aufhebung des Entscheids vom 1. Juli 2015
festzustellen, dass der Versicherte ab Dezember 2012 lediglich Anspruch auf
eine Dreiviertelsrente (Invaliditätsgrad: 68 %) habe; der Beschwerde sei die
aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 8
Abs. 1 ATSG), zur Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Rentenanspruch (Art. 28
Abs. 2 IVG) und zur Revision von Rentenleistungen (Art. 17 Abs. 1 ATSG; Art.
88a IVV) zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben hat sie sodann den
Grundsatz der freien Beweiswürdigung (vgl. Art. 61 lit. c ATSG) sowie die
Rechtsprechung bezüglich der Würdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE
125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Das kantonale Versicherungsgericht hat das Vorliegen eines
Revisionsgrundes bejaht, wobei es von einer Arbeitsfähigkeit des Versicherten
von 50 % in angepasster Tätigkeit ausgegangen ist. Das Valideneinkommen hat es
gestützt auf die konkreten Verhältnisse für 2013 auf Fr. 82'500.- festgelegt.
Zur Bemessung des Invalideneinkommens hat es die Schweizerische
Lohnstrukturerhebung 2010 (TA1, Anforderungsniveau 4, Männer, Total;
nachfolgend: LSE) herangezogen, den resultierenden Betrag indexiert, an die
betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit (2013) von 41.7 Stunden angepasst (Fr.
62'823.-) und einen Abzug vom Tabellenlohn von 20 % vorgenommen. Daraus hat die
Vorinstanz ein Invalideneinkommen von Fr. 25'129.- (Fr. 62'829.- x 0.5 x 0.8)
errechnet und dem Versicherten eine ganze Rente zugesprochen (Invaliditätsgrad
[aufgerundet]: 70 %).
Die Beschwerde führende IV-Stelle ist der Auffassung, das Versicherungsgericht
hätte das Invalideneinkommen nach Massgabe der LSE 2012 festlegen müssen. Unter
Berücksichtigung des Kompetenzniveaus 1 (LSE 2012, TA1, Männer, Total) hat sie
- bei im Übrigen unveränderten Voraussetzungen (Arbeitsfähigkeit: 50 %;
Valideneinkommen: Fr. 82'500.-; Abzug vom Tabellenlohn: 20 %) - indexiert und
angepasst an die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit (2013) ein höheres
Invalideneinkommen (Fr. 26'261.60) ermittelt. In Anbetracht des resultierenden
Invaliditätsgrads von 68 % stellt die Verwaltung den Anspruch des Versicherten
auf eine ganze Rente in Abrede und bejaht einen solchen einzig im Hinblick auf
eine Dreiviertelsrente.

3.2. Unbestritten geblieben sind das Vorliegen eines Revisionsgrundes aufgrund
einer neu vollumfänglichen Arbeitsunfähigkeit des Versicherten in der
angestammten Tätigkeit im Versandcenter einer Bank (Art. 17 Abs. 1 ATSG),
alsdann die zumutbare Restarbeitsfähigkeit von 50 % in angepasster Tätigkeit
(vgl. Bericht der Ärztin des Regionalen Ärztlichen Dienstes [RAD], Dr. med.
B._________, vom 17. Juli 2013), das ermittelte Valideneinkommen (Fr. 82'500.-)
sowie der Abzug vom Tabellenlohn von 20 % (vgl. BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80);
weitere Ausführungen dazu erübrigen sich (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4 S. 254
f.).
Im Streit liegt einzig, ob das Invalideneinkommen des Beschwerdegegners für
2013 im Rahmen des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) auf der Grundlage der
LSE 2012 zu bestimmen ist (zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von
LSE-Tabellenlöhnen vgl. BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301).

3.2.1. Für den Einkommensvergleich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des
Rentenbeginns massgebend. Validen- und Invalideneinkommen sind auf
zeitidentischer Grundlage zu erheben; allfällige rentenwirksame Änderungen der
Vergleichseinkommen müssen bis zum Verfügungszeitpunkt berücksichtigt werden (
BGE 129 V 222 E. 4.1 und 4.2 S. 223 f.; Urteil 9C_22/2014 vom 18. Februar 2014
E. 4.3).
Die korrekte Anwendung der LSE-Tabellen stellt eine frei überprüfbare
Rechtsfrage dar (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).

3.2.2. Die Beschwerdeführerin verfügte am 31. Oktober 2013 über den
Rentenanspruch des Versicherten. Zu diesem Zeitpunkt (E. 3.1.1) lagen die
Zahlen der LSE 2012, die erst im Oktober 2014 veröffentlicht wurden (vgl.
IV-Rundschreiben Nr. 328 vom 22. Oktober 2014), noch nicht vor. Insoweit
konnten die aktuellsten statistischen Daten nur der im Verfügungszeitpunkt
geltenden LSE 2010 entnommen werden (vgl. Urteil 8C_78/2015 vom 10. Juli 2015
E. 4). Das kantonale Versicherungsgericht hat demzufolge zur Ermittlung des
Invalideneinkommens zu Recht auf die nämlichen LSE-Tabellenwerte 2010 (TA1,
Total, Männer, Anforderungsniveau 4: Fr. 4'901.-) zurückgegriffen. Das
ermittelte Invalideneinkommen (Fr. 25'129.-) hat es dem zeitidentischen
Valideneinkommen (Fr. 82'500.-) gegenübergestellt und einen Invaliditätsgrad
von (gerundet) 70 % ermittelt. Das Vorgehen des kantonalen
Versicherungsgerichts ist bundesrechtskonform (E. 1); die Beschwerde ist
abzuweisen.

4. 
Mit dem sofortigen Urteil in der Sache wird das Gesuch um Gewährung der
aufschiebenden Wirkung (Art. 103 Abs. 1 und 3 BGG) gegenstandslos.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner steht keine
Parteientschädigung zu, da ihm mangels Durchführung eines Schriftenwechsels
kein nennenswerter Aufwand entstanden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. September 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben