Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 504/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
9C_504/2015   {T 0/2}     

Urteil vom 23. März 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner,
Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Williner.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Nico Gächter,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 28. Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene A.________ meldete sich im September 2006 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen führte verschiedene erwerbliche und medizinische Abklärungen durch und
stellte mit zwei Vorbescheiden vom 16. Mai 2007 die Abweisung des
Leistungsbegehrens in Aussicht. Auf Einwände des A.________ hin, welcher
insbesondere einen Bericht seiner behandelnden Psychiaterin einreichte,
veranlasste die Verwaltung eine bidisziplinäre medizinische Begutachtung bei
den Dres. med. B.________, FMH Orthopädische Chirurgie, und med. C.________,
FMH Psychiatrie und Psychotherapie (Gutachten vom 18. März 2008 und Ergänzung
der psychiatrischen Expertise vom 15. Mai 2008). Zudem liess sie A.________ im
Zeitraum zwischen dem 11. September und dem 2. Oktober 2009 an mehreren Tagen
observieren. Unter Bezugnahme auf die Ermittlungsberichte vom 14. September und
vom 6. Oktober 2009 gelangte der Regionale Ärztliche Dienst (RAD) zum Schluss,
die gutachterlich geschätzte Leistungseinschränkung von 40 % sei medizinisch
nicht überzeugend ausgewiesen (Aktennotiz vom 6. Dezember 2009). Gestützt auf
diese Einschätzung verfügte die IV-Stelle nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren am 25. Mai 2010 die Abweisung des Leistungsbegehrens. Die
dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 7. August 2012 teilweise gut, hob die angefochtene
Verfügung auf und wies die Sache zu ergänzenden Abklärungen und zu neuer
Verfügung an die Verwaltung zurück.
Die IV-Stelle ordnete weitere medizinische Abklärungen an, namentlich
veranlasste sie das psychiatrische Gutachten des Dr. med. C.________ vom 6.
Dezember 2012 sowie das polydisziplinäre (allgemein-internistische,
orthopädische, psychiatrische, rheumatologische) Gutachten des BEGAZ
Begutachtungszentrum BL vom 30. September 2013. Mit Vorbescheid vom 28. März
2014 stellte die Verwaltung erneut die Abweisung des Leistungsbegehrens in
Aussicht (Invaliditätsgrad 13 %). Nach den von A.________ erhobenen Einwänden
verfügte sie am 25. Juni 2014 wie vorbeschieden.

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 28. Mai 2015 gut, hob die angefochtene Verfügung
auf und sprach A.________ mit Wirkung ab dem 1. April 2007 eine Viertelsrente
der Invalidenversicherung zu.

C. 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
den Anträgen, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Verfügung
vom 25. Juni 2014 zu bestätigen. In formeller Hinsicht ersucht sie um Erteilung
der aufschiebenden Wirkung im bundesgerichtlichen Verfahren.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit handelt es sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E.
3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/
2009 vom 6. Juli 2009 E. 4.1, nicht publ. in BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009
IV Nr. 53 S. 164).

1.3. Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen
Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die
geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen Situation und
Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen des Arztes begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232 mit Hinweis). Im Verfahren nach Art. 44 ATSG
eingeholten Gutachten externer Spezialärzte, welche diesen Anforderungen
entsprechen, kommt grundsätzlich (voller) Beweiswert zu, solange nicht konkrete
Indizien gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (BGE 125 V 351 E. 3b/bb S. 353
mit Hinweisen; vgl. auch BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Ob einem Arztbericht
Beweiswert zukommt, ist eine grundsätzlich frei überprüfbare Rechtsfrage
(Urteil 9C_858/2014 vom 3. September 2015 E. 2.2 mit Hinweisen).

2. 
Das kantonale Gericht ist gestützt auf die medizinische Aktenlage - primär auf
das psychiatrische Gutachten des Dr. med. C.________ vom 6. Dezember 2012 - zum
Ergebnis gelangt, der Beschwerdegegner sei aufgrund einer leistungsrelevanten
mittelgradigen depressiven Störung in einer den Leiden angepassten Tätigkeit zu
60 % arbeitsfähig. Es hat davon ausgehend einen rentenbegründenden
Invaliditätsgrad von 48 % errechnet und dem Beschwerdegegner eine Viertelsrente
ab 1. April 2007 zugesprochen.

2.1. Die IV-Stelle macht zunächst geltend, die Vorinstanz habe der Expertise
des Dr. med. C.________ vom 6. Dezember 2012 zu Unrecht Beweiswert zuerkannt,
was als Rechtsfrage frei zu prüfen ist (vgl. E. 1.3 hievor). Hierzu hat das
kantonale Gericht zutreffend erwogen, das Gutachten erfülle die
rechtsprechungsgemässen Kriterien für ärztliche Entscheidungsgrundlagen: Die
Expertise erging gestützt auf (mehrfache) gutachterliche Untersuchungen und in
Kenntnis der Vorakten, insbesondere der Ermittlungsberichte vom 14. September
und vom 6. Oktober 2009. Das Gutachten leuchtet in der Darlegung der
medizinischen Zusammenhänge ein und die Schlussfolgerungen des Dr. med.
C.________ sind nachvollziehbar und überzeugend begründet. Nichts am daraus
resultierenden vollen Beweiswert zu ändern vermag die Rüge der IV-Stelle, der
Gutachter sei - wie befürchtet - nicht motiviert gewesen, seine früheren
Einschätzungen zu hinterfragen. Er habe sich gegen die Verwendung der wichtigen
neuen fremdanamnestischen Erkenntnisquellen - konkret der Ermittlungsberichte -
gesträubt und diesen eine relevante Aussagekraft abgesprochen. Bereits das
kantonale Gericht hat diesbezüglich zutreffend erwogen, das
Observationsmaterial sei hinreichend in die medizinische Beurteilung
miteinbezogen worden, woran nichts ändere, dass sich dem Gutachten nicht
eindeutig entnehmen lasse, ob der Experte das Videomaterial tatsächlich im
Bewegtbildmodus durchgesehen oder aber - wie die IV-Stelle auch
letztinstanzlich ohne nähere Begründung behauptet - nur die Bildausschnitte in
den Ermittlungsberichten gesichtet habe. Wie die Vorinstanz weiter zu Recht
ausgeführt hat, lässt einzig der Umstand, dass Dr. med. C.________ auf die
Rechtsprechung hingewiesen hat, wonach Observationsberichte für sich allein
keine sichere Basis für Sachverhaltsfeststellungen betreffend den
Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person bilden
(vgl. SVR 2015 IV Nr. 20 S. 59, 9C_852/2014 E. 4.1.1), nicht auf einen
gutachterlichen "Unwillen" zur Berücksichtigung der Ermittlungsberichte
schliessen.
Keine Zweifel am Beweiswert der Expertise vom 6. Dezember 2012 zu wecken vermag
der Einwand, die von Dr. med. C.________ diagnostizierte chronifizierte
Depression stehe in Widerspruch zu der gleichzeitig gestellten "guten
Prognose". So hat der Beschwerdegegner inzwischen unbestrittenermassen die
psychotherapeutische, nicht jedoch die medikamentöse Behandlung abgebrochen.
Wenn der Gutachter unter Annahme einer optimierten medikamentösen und
psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung sowie unter Berücksichtigung der
gemäss seiner Expertise trotz Chronifizierung bestehenden Ressourcen eine
Leistungssteigerung von moderaten 10 % innerhalb eines Jahres in Aussicht
stellt, ist darin kein Widerspruch zur Diagnose einer chronifizierten
Depression zu erblicken. Die Prognose beschlägt nicht die Dauerhaftigkeit der
depressiven Erkrankung selbst, sondern einzig deren Langzeitauswirkungen unter
optimierten therapeutischen Bedingungen.

2.2. Soweit die Argumentation in der Beschwerdeschrift indessen auf eine
Überprüfung der vorinstanzlichen Beweiswürdigung hinausläuft, verkennt die
IV-Stelle, dass eine solche nur in beschränktem Rahmen zulässig ist (vgl. E.
1.2 hievor). Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der
medizinischen Akten, insbesondere der beiden psychiatrischen Expertisen des Dr.
med. C.________ vom 6. Dezember 2012 und des Dr. med. D.________, FMH
Psychiatrie und Psychotherapie vom 12. August 2013, für das Bundesgericht
verbindlich festgestellt, der Beschwerdegegner sei in einer den Leiden
angepassten Tätigkeit zu 60 % arbeitsfähig. Was die IV-Stelle dagegen
vorbringt, beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ihre eigene, von der
Vorinstanz abweichende Beweiswürdigung und Darstellung der gesundheitlichen
Verhältnisse darzulegen, was nicht genügt. Inwiefern die vorinstanzlichen
Schlussfolgerungen offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig
sein sollen (vgl. E. 1.2 hievor), legt sie nicht dar. Namentlich ist die
vorinstanzliche Feststellung, bei der  Entstehung sei ein somatisch
ausgewiesener erheblicher Gesundheitsschaden mitbeteiligt gewesen, entgegen der
Beschwerde nicht willkürlich. Willkür in der Rechtsanwendung liegt nach
konstanter Praxis nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls als
vertretbar oder gar zutreffender erscheint, sondern erst, wenn der angefochtene
Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz
krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft
(BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f.). So verhält es sich hier nicht. Die IV-Stelle
selbst räumt beschwerdeweise ein, der Beschwerdegegner ("ursprünglich" als
Bauarbeiter mit rückenbelastender Arbeit tätig) könne wegen seiner somatischen
Rückenproblematik nicht mehr schwer arbeiten und habe gewisse Zwangshaltungen
sowie gehäufte Bewegungsmuster zu vermeiden.
Es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, welche die vorinstanzlichen
Schlussfolgerungen als offensichtlich unrichtig oder sonstwie
bundesrechtswidrig erscheinen liessen.

3. 
Nach dem Gesagten sind die Feststellungen des kantonalen Gerichts zum
Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit nicht zu beanstanden. Der
vorinstanzliche Einkommensvergleich mit dem Ergebnis eines rentenbegründenden
Invaliditätsgrades von 48 % wird nicht bemängelt und gibt keinen Anlass zu
Bemerkungen.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Diese hat dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. März 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Williner

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