Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 498/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_498/2015

Urteil vom 7. Januar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Furrer.

Verfahrensbeteiligte
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________ AG,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 2. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
B.________ war bei der A.________ AG angestellt, als er vom 7. bis 31. März und
vom 1. bis 30. April 2011 Zivildienst leistete. Die Erwerbsausfallentschädigung
von Fr. 2'879.65 und Fr. 3'455.60 wurde der Arbeitgeberin ausbezahlt. Mit zwei
Verfügungen vom 21. Juni 2011 forderte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich
(fortan: Ausgleichskasse) von der A.________ AG die ausbezahlte Entschädigung
zurück, da sie zu Unrecht erbracht worden sei. Auf Einsprache der A.________ AG
hin reduzierte die Ausgleichskasse die Rückforderungsbeträge mit Entscheid vom
22. Januar 2014 auf Fr. 2'283.30 und Fr. 2'740.-.

B. 
In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde hob das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den angefochtenen
Einspracheentscheid ersatzlos auf (Urteil vom 2. Juni 2015).

C. 
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
mit dem Antrag, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei der
Einspracheentscheid vom 22. Januar 2014 zu bestätigen.

Während die A.________ AG auf Abweisung der Beschwerde schliesst, trägt das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Gutheissung der Beschwerde an. In
einer weiteren Eingabe hält das Unternehmen an den gestellten Begehren fest.

Erwägungen:

1. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Unter den Parteien ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin der
Beschwerdegegnerin zu hohe Erwerbsausfallentschädigung - auf der Basis eines
Monatslohnes des B.________ von Fr. 4'000.- (statt von effektiv Fr. 666.65.-) -
ausgerichtet hat. Streitig ist hingegen, ob die Beschwerdegegnerin für den zu
viel ausbezahlten Betrag rückerstattungspflichtig ist.

2.1. Die Vorinstanz erwog, aus den gesetzlichen Bestimmungen ergebe sich, dass
der Arbeitgeber keinen eigenen Anspruch auf die Erwerbsausfallentschädigung
seiner Arbeitnehmer habe, sondern lediglich einen Anspruch auf Verrechnung mit
effektiv ausbezahltem Lohn. Er fungiere dabei als reine Zahlstelle und erwerbe
keine eigenen Rechte oder Pflichten aus dem Leistungsverhältnis. Er sei
gegenüber dem Arbeitnehmer denn auch nicht Schuldner der Entschädigung, sondern
die zuständige Ausgleichskasse. Folglich könne der Arbeitgeber als blosse
Zahlstelle nicht zur Rückerstattung zu viel ausbezahlter
Erwerbsausfallentschädigung verpflichtet werden und die Ausgleichskasse werde
die Rückforderung gegenüber B.________ zu verfügen haben.

2.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Rückerstattungspflicht zu
Unrecht ausgerichteter Leistungen richte sich nach Art. 25 ATSG, wobei dessen
Abs. 1 auf den Empfang der Leistung abstelle. Dieser sei massgeblich für die
Frage, wer rückerstattungspflichtig sei. Art. 19 Abs. 2 ATSG bestimme, dass
Taggelder und ähnliche Entschädigungen, wozu auch die
Erwerbsausfallentschädigung gehöre, dem Arbeitgeber zukämen und zwar in dem
Ausmass, als der Arbeitgeber der versicherten Person trotz der
Taggeldberechtigung Lohn bezahle. Soweit eine (zu hohe) Leistung gestützt auf
Art. 19 Abs. 2 ATSG dem Arbeitgeber ausbezahlt worden sei, werde dieser
rückerstattungspflichtig. Dies sehe auch Rz. 7009 der Wegleitung zur
Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende und Mutterschaft (WEO) vor.

2.3. Die Beschwerdegegnerin verweist auf den vorinstanzlichen Entscheid und
fügt bei, gemäss Arbeitsvertrag vom 29. November 2010 habe sie B.________ einen
monatlichen Lohn von Fr. 666.65 bezahlt. Wenn überhaupt, dann könnte von ihr
höchstens dieser Betrag zurückgefordert werden, denn nur in diesem Ausmass sei
sie Leistungsbezügerin.

2.4. Das BSV pflichtet der Beschwerdeführerin bei und ergänzt, Art. 2 Abs. 1
lit. c ATSV erkläre den Arbeitgeber, dem eine sozialversicherungsrechtliche
Leistung ausbezahlt wurde, als rückerstattungspflichtig. Dies gelte nur dann
nicht, wenn der Arbeitgeber als reine Zahlstelle fungiere). Im Verfahren gemäss
Art. 19 Abs. 2 EOG erfülle der Arbeitgeber weit mehr als die Funktion einer
Zahlstelle, stünden ihm im EO-Abrechnungsverfahren doch eigene Rechte und
Pflichten (u.a. Auskunftspflicht gegenüber der Verwaltung über die Höhe und
Modalitäten der Lohnzahlung, Kontrollpflichten betreffend die Abrechnung der
Versicherungsleistung, Koordination mit der Lohnzahlung, Einspracherecht gegen
die Verfügung) zu. Folglich könne und müsse der Arbeitgeber zur Rückerstattung
verpflichtet werden.

3.

3.1. Der Vorinstanz kann insoweit gefolgt werden, als der Anspruch auf
Erwerbsausfallentschädigung grundsätzlich dem Zivildienstleistenden zusteht
(Art. 1a Abs. 2 EOG), welcher seinen Anspruch bei der zuständigen
Ausgleichskasse geltend machen kann (Art. 17 Abs. 1 EOG). In dem hier zu
beurteilenden Fall, in welchem die Beschwerdegegnerin der versicherten Person
während der Dienstleistung (den vollen) Lohn ausrichtete, verhält es sich
jedoch anders. Wie die Beschwerdeführerin richtig bemerkt, kommen nach Art. 19
Abs. 2 ATSG Taggelder und ähnliche Entschädigungen - wobei zu den "ähnlichen
Entschädigungen" insbesondere die Entschädigung für Dienstleistende gehört
(UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 31 zu Art. 19 ATSG) - in dem
Ausmass  dem Arbeitgeber zu, als er der versicherten Person trotz der
Taggeldberechtigung Lohn zahlt. Dies unabhängig davon, ob der Arbeitgeber wegen
der Dienstleistung des Arbeitnehmers einen Nachteil erleidet (KIESER, a.a.O.,
N. 27 f. zu Art. 19 ATSG; MAHON/MATTHEY, Le régime des allocations pour perte
de gain, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2015, S. 1979 Rz. 40;
SCARTAZZINI/HÜRZELER, Bundessozialversicherungsrecht, 2012, S. 576 f. Rz. 19;
SONNIE BURCH-CHATTI, Die Rolle des Arbeitgebers in der schweizerischen
Sozialversicherung, 2013, S. 202; so bereits vor dem Inkrafttreten des ATSG:
BGE 104 V 42; ROLF LINDENMANN, Die Erwerbsersatzordnung (EO) - ein Stiefkind
der Sozialversicherung?, in: SZS 2001 298 ff., S. 314). Mit anderen Worten
steht einem Arbeitgeber im Sinne von Art. 19 Abs. 2 ATSG ein Anspruch auf
Drittauszahlung im Umfang der Lohnzahlung zu (vgl. KIESER, a.a.O., N. 31 zu
Art. 19 ATSG). Zur Durchsetzung dieses Anspruchs wird der Arbeitgeber durch
Art. 17 Abs. 1 lit. b EOG ermächtigt, den Leistungsanspruch gegenüber der
zuständigen Ausgleichskasse geltend zu machen bzw. die Auszahlung an sich zu
verlangen. Des Weiteren steht dem Arbeitgeber das Recht zu, die
Erwerbsausfallentschädigung mit der Lohnzahlung zu verrechnen (Art. 19 Abs. 1
EOV i.V.m. Art. 19 Abs. 2 ATSG). Ferner ist er - angesichts seiner Rechte
gemäss Art. 19 Abs. 2 ATSG und Art. 17 Abs. 1 lit. b EOG - auch legitimiert,
die entsprechenden Entscheide der Verwaltung bzw. des kantonalen
Sozialversicherungsgerichts anzufechten (vgl. Urteil 9C_293/2010 vom 8. Juli
2010 E. 1, in: SVR 2011 EO Nr. 2 S. 3).

Damit erhellt, dass einem Arbeitgeber, der während der Dienstleistung Lohn
ausrichtet - anders als im Bereich der Familienzulagen (BGE 140 V 233 E. 3.1
und 4.2 S. 234 ff.) - eigene Rechte und Pflichten aus dem Leistungsverhältnis
zukommen. Mithin fungiert er entgegen der Vorinstanz nicht als blosse
Zahlstelle (vgl. auch LINDENMANN, a.a.O., S. 315 ff.). Somit spricht mit
Beschwerdeführerin und BSV nichts dagegen, dass die Beschwerdegegnerin gemäss
Art. 25 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 ATSG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 lit. c ATSV zur
Rückerstattung von zuviel ausbezahlter Erwerbsausfallentschädigung verpflichtet
ist (vgl. KIESER, a.a.O., N. 37 zu Art. 25 ATSG; siehe auch Rz. 7009 WEO).

3.2. Soweit die Beschwerdegegnerin der Ansicht ist, eine Rückforderung gegen
sie sei höchstens im Umfang der effektiv erfolgten Lohnzahlung zulässig, geht
sie fehl. In eben diesem Umfang ist die Auszahlung an sie rechtmässig erfolgt
(vgl. Art. 19 Abs. 2 ATSG) und der entsprechende Betrag nicht zurück zu
erstatten, welchem Umstand die Beschwerdeführerin im Einspracheentscheid durch
Reduktion des Rückforderungsbetrags Rechnung getragen hat. Eine unrechtmässig
bezogene und von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 lit. c ATSV
erfasste Leistung ist hingegen der über die effektive Lohnzahlung hinausgehende
Betrag, welcher in masslicher Hinsicht unbestritten ist.

3.3. Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und der
Einspracheentscheid vom 22. Januar 2014 bestätigen.

4. 
Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 2. Juni 2015 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid
der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 22. Januar 2014 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Januar 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Furrer

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