Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 490/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_490/2015

Urteil vom 7. Januar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
Avenir Krankenversicherung AG,
Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Mock Bosshard,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 3. Juni 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ war 2012 bei der ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG
(nachfolgend: ÖKK) obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 27. August 2012
erklärte sie - durch Unterzeichnung des entsprechenden Formulars - den Beitritt
zur Avenir Krankenversicherung AG (nachfolgend: Avenir) auf den 1. Januar 2013.
Diese bestätigte die Aufnahme und stellte ihr u.a. den Versicherungsausweis zu.
Mit Schreiben vom 6. September 2012 (nicht eingeschrieben) und 21. Dezember
2012 (eingeschrieben) teilte die Avenir der ÖKK den Versichererwechsel mit.
Am 6. September 2012 hatte A.________ auch bei der Sansan Versicherungen AG
einen Antrag auf Aufnahme in die obligatorische Krankenpflegeversicherung
gestellt. Am 19. September 2012 ging bei der ÖKK das Schreiben mit der
Kündigung des Versicherungsverhältnisses samt der Bestätigung der
Nachversicherung ab 1. Januar 2013 durch den neuen Krankenversicherer ein.

A.b. Am 11. Dezember 2012 und 16. Juni 2014 setzte die Avenir gegen A.________
die Prämien für die Monate Juli bis September 2013 und Januar bis März 2014
sowie eine Kostenbeteiligung für Mai 2013 in Betreibung. Mit Verfügungen vom
13. Juni und 17. Juli 2014 hob sie den Rechtsvorschlag gegen die betreffenden
Zahlungsbefehle auf. Die dagegen erhobenen Einsprachen wies sie mit Entscheiden
vom 6. Januar 2015 ab.

B. 
In Gutheissung der Beschwerde der A.________ hob das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 3.
Juni 2015 die beiden angefochtenen Einspracheentscheide auf.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Avenir,
der Entscheid vom 3. Juni 2015 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass
A.________ ab dem 1. Januar 2013 bei ihr obligatorisch krankenpflegeversichert
ist.

A.________ ersucht um Abweisung der Beschwerde und Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet
auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerdeführerin beantragt auch, es sei festzustellen, dass die
Beschwerdegegnerin ab dem 1. Januar 2013 bei ihr obligatorisch
krankenpflegeversichert ist. Diesem Begehren kommt im Rahmen des
Streitgegenstandes (Prämien für die Monate Juli bis September 2013 und Januar
bis März 2014 sowie eine Kostenbeteiligung für Mai 2013) keine selbständige
Bedeutung zu und ist insoweit unzulässig (vgl. BGE 135 III 378 E. 2.2 in fine
S. 380 f.).

2. 
Im angefochtenen Entscheid werden die für die Beurteilung der Streitsache
massgebenden Gesetzesbestimmungen und die dazu ergangene Rechtsprechung
insbesondere zu den Voraussetzungen für einen Wechsel des Krankenversicherers
richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. Zu erwähnen ist namentlich, dass
die Begründung eines neuen Versicherungsverhältnisses durch das Erfordernis der
rechtzeitigen Kündigung des bisherigen (im vorliegenden Fall bis Ende November
2012; Art. 7 Abs. 2 Satz 1 KVG und BGE 126 V 480) sowie der Mitteilung der
(lückenlosen; BGE 130 V 448 E. 4.7 S. 453) Weiterversicherung durch den neuen
Krankenversicherer (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 KVG) aufschiebend bedingt erfolgt
(Urteil 9C_930/2010 vom 22. Dezember 2010 E. 2.3, in: SVR 2011 KV Nr. 8 S. 37).

3. 
In tatsächlicher Hinsicht steht fest (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass die
Beschwerdegegnerin im August 2012 den Beitritt zur Beschwerdeführerin erklärt
hatte, welche ihr umgehend die Aufnahme in die obligatorische
Krankenpflegeversicherung ab 1. Januar 2013 bestätigte und den
Versicherungsausweis aushändigte. Mit Schreiben vom 6. September 2012 (nicht
eingeschrieben) und 21. Dezember 2012 (eingeschrieben) teilte sie dem
bisherigen Krankenversicherer den Wechsel mit. Die Vorinstanz hat diese
Tatsachen und die übrigen Akten dahingehend gewürdigt, dass weder eine
Kündigung der bisherigen Versicherung noch die Mitteilung der
Weiterversicherung durch die Beschwerdeführerin nachgewiesen seien. Diejenige
vom 21. Dezember 2012 sei sinngemäss insofern verspätet, als zu diesem
Zeitpunkt das bisherige Versicherungsverhältnis bereits durch die bei der ÖKK
am 19. September 2012 eingegangene Nachversicherungsbestätigung der Sansan
rechtsgültig beendet worden und auf diese übergegangen sei. Somit seien die
Voraussetzungen für eine Beendigung der Versicherung beim bisherigen
Krankenversicherer nicht erstellt und habe demzufolge auch kein neues
Versicherungsverhältnis mit der Beschwerdeführerin zustande kommen können.
Damit bestehe auch keine Prämienpflicht der Beschwerdegegnerin dieser
gegenüber.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unvollständige
Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz und damit eine Verletzung von
Art. 61 lit. c ATSG. Das kantonale Versicherungsgericht hätte den vom
bisherigen Krankenversicherer bestrittenen Erhalt des Schreibens vom 6.
September 2012 betreffend Mitteilung der Weiterversicherung der
Beschwerdeführerin ab 1. Januar 2013 abklären müssen, zumal sie diesen Umstand
als rechtserheblich für das Zustandekommen des Versicherungsverhältnisses
erachtet habe. Die Rüge ist unbegründet. Unbestritten wurde das fragliche
Schreiben vom 6. September 2012 nicht eingeschrieben versendet. Unter diesen
Umständen ist nicht ersichtlich, mit welchen Abklärungsmassnahmen sich der
Empfang durch den bisherigen Krankenversicherer nachweisen liesse. Von den in
der Beschwerde erwähnten Parteibefragung, allenfalls Expertise und Hinterlegung
der entsprechenden Datenträger (Spools) jedenfalls sind keine verwertbare neue
Erkenntnisse zu erwarten. Damit bleibt die Frage offen, ob der Wechsel des
Versicherers zum 1. Januar 2013 bereits im September 2012 (und nicht erst im
Dezember 2012) rechtsgültig mitgeteilt worden war. Diese Beweislosigkeit geht
zu Lasten der Beschwerdeführerin (Art. 8 ZGB).

4.2. Weiter bringt die Beschwerdeführerin vor, das Versicherungsverhältnis
zwischen ihr und der Beschwerdegegnerin sei mit der Beitrittserklärung vom 27.
August 2012 entstanden, somit vor deren Antrag vom 6. September 2012 an die
Sansan zur Aufnahme in die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Der
Umstand, dass die Mitteilung der Nachversicherung dieses Krankenversicherers
allenfalls zeitlich früher erfolgt sei, könne und dürfe keine Auswirkungen auf
den materiell bereits zuvor gültig erfolgten Beitritt zu ihr haben. Das
Versicherungsverhältnis mit demjenigen Krankenversicherer habe Vorrang, bei dem
die Anmeldung als erste eingegangen sei. Die gegenteilige Auffassung der
Vorinstanz verletze Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG). Wie die
Beschwerdeführerin indessen selber festhält, wird der Beitritt hinfällig, wenn
die versicherte Person die Kündigung beim bisherigen Versicherer unterlässt. In
diesem Sinne erfolgt die Begründung eines neuen Versicherungsverhältnisses
durch das Erfordernis der rechtzeitigen Kündigung des bisherigen aufschiebend
bedingt (vgl. E. 2). Gemäss Vorinstanz ist nun aber eine Kündigung der
bisherigen Versicherung durch die Beschwerdeführerin bis Ende November 2012
nicht nachgewiesen (E. 3), was im Übrigen auch nicht geltend gemacht wird.
Nichts anderes ergibt sich, wenn hiefür die Mitteilung der Weiterversicherung
nach Art. 7 Abs. 5 Satz 1 KVG als genügend angesehen werden wollte (vgl. E. 4.1
vorne). Die Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt unbegründet und daher
abzuweisen.

5. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Januar 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler

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