Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 471/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_471/2015

Urteil vom 11. März 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Albert Rüttimann,
Beschwerdeführer,

gegen

AXA Leben AG,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Studer,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 12. Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1970, arbeitete mehrere Jahre auf seinem erlernten Beruf
als Elektromonteur. Ab 1998 war er als technischer Kaufmann tätig. Er schloss
mit der AXA Leben AG (im Folgenden: AXA) verschiedene Verträge der gebundenen
Vorsorge: im Oktober 2002 eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung (Police Nr....)
sowie eine Lebensversicherung (Police Nr....) und im März 2003 eine weitere
Lebensversicherung (Police Nr....).
Am 12. Juli 2013 meldete A.________ der AXA eine Arbeits-/ Erwerbsunfähigkeit.
Er sei wegen einer schweren Depression und einer Diskushernie L3-L4 in
ärztlicher Behandlung und ab 1. Mai 2012 zu 50 %, ab 6. September bis ca. 5.
Oktober 2012 sowie ab 12. Juni 2013 bis aktuell zu 100 % arbeitsunfähig. Dabei
beantwortete er die Frage, ob er bereits früher unter diesen Beschwerden litt,
mit dem Hinweis "Rückenprobleme seit 1995". Die AXA löste die drei Verträge mit
Schreiben vom 28. August 2013 auf mit der Begründung, A.________ habe bei
Vertragsschluss seine Anzeigepflicht verletzt. Er habe pflichtwidrig keine
Angaben über Rückenbeschwerden seit 1984, über eine Arbeitsunfähigkeit sowie
eine Umschulung aufgrund von Wirbelsäulenbeschwerden ab 1995 und über seine
psychischen Probleme im Jahr 1995 gemacht.

B. 
Klageweise liess A.________ beantragen, es sei festzustellen, dass die AXA die
drei Versicherungsverträge am 28. August 2013 zu Unrecht gekündigt habe. Die
AXA sei zu verpflichten, ihm die vertraglichen Leistungen aus der
Erwerbsunfähigkeitsversicherung (Police Nr....), nämlich vom 1. August 2012 bis
1. Juni 2013 monatlich Fr. 750.- (50 % Arbeitsunfähigkeit) und vom 1. Juli 2013
bis 1. September 2014 monatlich Fr. 1'500.- (100 % Arbeitsunfähigkeit),
insgesamt Fr. 27'000.- (zuzüglich Zins von 5 % ab Klageeinreichung) zu
bezahlen. Es sei Vormerk zu nehmen, dass er die ihm ab 1. September 2014
zustehenden Versicherungsleistungen aus den drei Versicherungen einklagen
werde, sobald sie ziffernmässig bekannt sind. Mit Entscheid vom 12. Mai 2015
wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Klage ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
subsidiäre Verfassungsbeschwerde führen und beantragen, unter Aufhebung des
angefochtenen Entscheides sei die AXA zu verpflichten, "die am 9. September
2014 eingeklagten Versicherungsleistungen zu entrichten"; eventuell sei der
kantonale Entscheid aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die AXA beantragt die Abweisung der Beschwerde. A.________ lässt eine weitere
Stellungnahme einreichen.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist ein das Verfahren abschliessender Entscheid (Art. 90 BGG) einer
letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) in einer Angelegenheit
des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG), ohne dass eine der in Art. 83 BGG
aufgezählten Ausnahmen vorliegt. Da die Voraussetzungen nach Art. 82 ff. BGG
für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfüllt sind, ist
auf die mit der Eingabe ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde
nicht einzutreten (Art. 113 BGG).

2. 
Streitig ist die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin aus einer gebundenen
Vorsorgeversicherung der Säule 3a nach Art. 82 Abs. 2 BVG. Solche
Streitigkeiten fallen in die sachliche Zuständigkeit der Berufsvorsorgegerichte
(Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG, in Kraft seit 1. Januar 2005). Letztinstanzlich ist
die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts zuständig (Art. 35 lit. e
des Reglementes für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [SR 173.110.131] in
Verbindung mit Art. 49 und 73 BVG).

3.

3.1. Das Bundesgericht überprüft Bundesrechtsverletzungen im Sinne von Art. 95
lit. a BGG frei. Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststelllung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art.
97 Abs. 1 BGG).

3.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an
die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem
anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E.
1.2 S. 252; 133 III 545 E. 2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

4. 
Streitig ist, ob die Auflösung der drei Versicherungsverträge durch die AXA
wegen Anzeigepflichtverletzungen des Beschwerdeführers rechtens ist.

5.

5.1. Das kantonale Gericht erwog betreffend das anwendbare Recht richtig, dass
Verträge der gebundenen Vorsorge dem Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den
Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) unterstehen und die gesetzliche
Grundlage massgebend ist, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (2002/2003)
in Kraft stand (Art. 4 VVG zur Anzeigepflicht und Art. 6 VVG in der bis Ende
2005 gültig gewesenen Fassung zur Anzeigepflichtverletzung [nachfolgend: aArt.
6 VVG]).

5.2. Wenn der Anzeigepflichtige beim Abschluss der Versicherung eine erhebliche
Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste, unrichtig mitgeteilt oder
verschwiegen hat, so ist der Versicherer nach aArt. 6 VVG an den Vertrag nicht
gebunden, wenn er binnen vier Wochen, nachdem er von der Verletzung der
Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat, vom Vertrag zurücktritt.

5.3. Nach der Rechtsprechung weist die Anzeigepflicht des Antragstellers keinen
umfassenden Charakter auf. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Angabe jener
Gefahrstatsachen, nach denen der Versicherer ausdrücklich und in unzweideutiger
Art gefragt hat. Der Antragsteller ist somit nicht verpflichtet, von sich aus
über bestehende Gefahren Auskunft zu geben (BGE 134 III 511 E. 3.3.2 S. 513;
116 II 338 E. 1a S. 339; 116 V 218 E. 5a S. 226 unten f.; Urteil 4A_134/2013
vom 11. September 2013 E. 4.1). Die Tragweite der einzelnen Fragen bestimmt
sich - gleich wie der Vertragsinhalt - nach dem Vertrauensprinzip. Es ist dabei
darauf abzustellen, was vernünftigerweise gemeint sein muss und der konkrete
Antragsteller annehmen darf, wenn er über die Fragen der
Versicherungsgesellschaft in der vom VVG verlangten Weise ernsthaft nachdenkt (
BGE 136 III 334 E. 2.3 S. 337; 118 II 333 E. 2b S. 337). Die Rechtsprechung hat
in diesem Zusammenhang den Begriff des "subjektiven Verständnishorizonts"
geschaffen (BGE 134 III 511 E. 3.3.3 S. 514 und E. 5.2.2 S. 518). Es ist zu
beachten, dass eine Frage einschränkend auszulegen ist, wenn sie an sich oder
aufgrund ihrer Beziehung zu den übrigen dem Antragsteller vorgelegten Fragen
Zweifel über den Umfang der Deklarationspflicht weckt. Das folgt einerseits aus
dem Grundsatz, dass die Anzeigepflicht nur soweit besteht, als die Fragen des
Versicherers reichen. Andererseits wird ganz allgemein eine Verletzung der
Anzeigepflicht nur mit Zurückhaltung angenommen, weil damit die einschneidende
Folge des Wegfalls des Versicherungsvertrags verbunden ist (BGE 118 II 333 E.
2b S. 338 mit Hinweis; Urteil 5C.103/2005 vom 26. September 2005 E. 2.2; vgl.
auch Urteil B 103/06 vom 2. Juli 2007 E. 3.3).

5.4. Die Vorinstanz erwog, aus den Antworten des Beschwerdeführers im
Gesundheitsfragebogen vom 7. Oktober 2002 sei nicht ersichtlich gewesen, dass
er wegen Rückenbeschwerden mehr als zwei Wochen arbeitsunfähig und im Zeitpunkt
des Vertragsabschlusses in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Der
Beschwerdeführer habe zwar Wirbelsäulenbeschwerden erwähnt, aus seinen Angaben
gehe der Umfang seiner diesbezüglichen Gesundheitsbeeinträchtigung jedoch nicht
hervor. Insbesondere werde daraus nicht ersichtlich, dass die seit Jahren
bestehenden Rückenschmerzen so stark waren, dass er sich deswegen am 17. Juli
1996 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet habe. Obwohl
im Fragebogen nach psychischen Leiden oder Störungen gefragt worden sei, habe
der Beschwerdeführer zudem nicht mitgeteilt, dass er sich 1995 während rund
eines Jahres in psychologischer Behandlung befunden habe. Er habe über eine
erhebliche Gesundheitstatsache - seine Rückenbeschwerden - welche ihm
zweifellos bekannt gewesen sei, unvollständig informiert. Selbst wenn er im
Zeitpunkt der Beantwortung der Gesundheitsfragen seine Rückenbeschwerden im
Griff hatte und seine Arbeitsfähigkeit nicht durch Rückenbeschwerden oder
psychische Probleme beeinträchtigt war, habe aufgrund der Fragestellung im
Gesundheitsfragebogen die Pflicht bestanden, seine in der Vergangenheit
behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigungen wahrheitsgemäss zu
deklarieren. Schliesslich habe er während eines Jahres Taggelder der
Invalidenversicherung bezogen, was er bei der Anmeldung verneint habe. Wegen
verschwiegener und unvollständiger Angaben im Zusammenhang mit den
Rückenbeschwerden und der psychischen Beeinträchtigung liege eine Verletzung
der Anzeigepflicht vor.

5.5. Der Beschwerdeführer rügt offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellungen durch das kantonale Gericht. So habe dieses aufgrund
eines Arztberichts aus dem Jahr 2013, der zehn Jahre nach Vertragsabschluss
erstellt worden sei, geschlossen, er sei 1995 in psychologischer Behandlung
wegen psychischer Leiden und Störungen gewesen. Die zur Abklärung einer Migräne
erfolgte Gesprächstherapie könne aber nicht in die Kategorie "psychiatrische
Leiden" eingereiht werden. Eine ernsthafte Diagnose psychischer Leiden oder
Störungen habe nicht vorgelegen, weshalb ihm diesbezüglich keine
Pflichtverletzung vorgeworfen werden könne. Der kantonale Entscheid beruhe
zudem auf unvollständiger Beweisgrundlage, weil der Versicherungsberater, der
die Versicherungsanträge ausgefüllt habe, als Auskunftsperson zu befragen
gewesen wäre. Sinngemäss lässt der Beschwerdeführer schliesslich darlegen, die
Beschwerdegegnerin habe die Versicherungen in jedem Fall abschliessen wollen;
es bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen den allenfalls mangelhaften Angaben
des Antragstellers und dem Entschluss des Versicherers, den Vertrag zu den
vereinbarten Bedingungen zu schliessen.

6. 
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann keine offensichtlich
unrichtige oder unvollständige Sachverhaltsermittlung darin erblickt werden,
dass das kantonale Gericht den Versicherungsberater nicht einvernommen hat. Die
Vorinstanz erwog gegenteils zutreffend, dass allein der Antragsteller die
Rechtsfolgen einer fehlerhaften Beantwortung trägt, sobald er einen von einem
Dritten ausgefüllten Fragebogen unterschreibt. Dadurch wird der Inhalt durch
seine Unterschrift zu seiner eigenen Erklärung. An dieser Rechtsfolge vermag
eine Befragung des Versicherungsberaters nichts zu ändern.

7.

7.1. Die von der Beschwerdegegnerin beigezogenen Akten der
Invalidenversicherung weisen - entgegen der Feststellung des kantonalen
Gerichts - keine längerdauernde Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenproblemen aus.
In der IV-Anmeldung gab der Beschwerdeführer auf die Frage nach krankheits-
oder unfallbedingten Abwesenheiten starke Rückenschmerzen "seit November 1995"
an und auf die Frage nach diesbezüglichen Arbeitsunfähigkeiten "November '95
ca. 1 Woche" und "Mai-Juni '96 ca. 2 Tage". Damit stimmen die diesbezüglichen
echtzeitlichen Angaben des damals behandelnden Dr. med. B.________, FMH für
Innere Medizin, vom 1. Oktober 1996 überein. In den Akten liegen weder
echtzeitliche noch nachträgliche Bescheinigungen einer mehr als zwei Wochen
dauernden Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenbeschwerden. Die entsprechende
Feststellung des kantonalen Gerichts ist aktenwidrig.
Der Beschwerdeführer hat die Frage 9 des Gesundheitsfragebogens, die - neben
vielem anderem - nach "Wirbelsäulenbeschwerden" fragte, wahrheitsgemäss mit
"Ja" beantwortet. Aufgrund seiner Angabe ist ersichtlich, dass er im Jahr 1996
bei Dr. med. B.________ in Behandlung war. Dass Behandlungen effektiv schon ein
Jahr vorher, nämlich 1995, stattfanden, ist dem Beschwerdeführer angesichts des
längeren Zeitablaufs von rund sieben Jahren nicht als Falschauskunft
anzulasten.

7.2. Weiter erblickte das kantonale Gericht eine Meldepflichtverletzung im
Umstand, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers die Intensität seiner
Rückenschmerzen, deretwegen er sich am 17. Juli 1996 bei der
Invalidenversicherung angemeldet habe, nicht ersichtlich gewesen sei. Dazu ist
Folgendes festzuhalten: Es ist aktenkundig, dass der Beschwerdeführer als
Elektromonteur über viele Jahre körperlich strenge Arbeit verrichtete (vgl.
Bericht des Dr. med. B.________ vom 1. Oktober 1996) - dabei aber stets
vollzeitig tätig und nicht längere Zeit bzw. höchstens zweimal eine Woche
arbeitsunfähig war. Dr. med. B.________ erwähnte "häufige und zunehmende
Kreuz-, Leisten- und Rückenschmerzen". Der Versicherte arbeite als Monteur und
müsse häufig schwere Gegenstände tragen. Er habe "schwierige Körperstellungen,
teilweise schwer zugängliche Stellen einzunehmen und zunehmende rheumatische
Beschwerden", welche ihm diese Tätigkeit "bald" verunmöglichen würden. Als
Diagnose führte der Arzt damals an: Statische Wirbelsäuleninsuffizienz mit
Krummhohlrücken, paravertebralem Hartspann, Genua vara, Knick-Senk- und
Spreizfüsse. Der Versicherte sei mit seinen statischen, rheumatologischen
Beschwerden im Baugewerbe als Elektromonteur körperlich überfordert. In der
Folge beantragte der Beschwerdeführer bei der Invalidenversicherung
Berufsberatung bzw. eine Umschulung auf eine neue Tätigkeit. Da diese durch die
Invalidenversicherung unterstützte Ausbildung zum technischen Kaufmann
berufsbegleitend erfolgte und der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den
Rückenbeschwerden ausweislich nie längere Zeit arbeitsunfähig war, kann seine
diesbezügliche Antwort bezüglich der Rückenbeschwerden nicht als treuwidrig
qualifiziert werden, dies umso weniger, als die damalige Diagnose - statische
Wirbelsäuleninsuffizienz - nach dem massgebenden "subjektiven
Verständnishorizont" des Beschwerdeführers (vgl. E. 5.3 hiervor) nicht auf ein
ernsthaftes (Rücken-) Leiden hinwies.

7.3. Die Vorinstanz erwog des Weitern, der Beschwerdeführer habe nicht
mitgeteilt, dass er sich 1995 während rund eines Jahres in psychologische
Behandlung begeben habe, obwohl im Fragebogen nach psychischen Leiden oder
Störungen gefragt worden sei. Selbst wenn er im Zeitpunkt der Beantwortung der
Gesundheitsfragen nicht wegen psychischer Probleme beeinträchtigt war, habe
aufgrund der Fragestellung die Pflicht bestanden, seine in der Vergangenheit
behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigungen wahrheitsgemäss zu
deklarieren.
Grundlage für die diesbezügliche Qualifikation als Anzeigepflichtverletzung
durch das kantonale Gericht war die medizinische Zusammenfassung des RAD-Arztes
med. pract. C.________ vom 20. Februar 2013. Dieser hielt (gestützt auf die
Schilderung des Beschwerdeführers) fest, im Jahre 1995 habe der Hausarzt, da er
eine psychosomatische Mitursache vermutet habe, den Beschwerdeführer wegen
seiner Rückenschmerzen an eine Psychologin überwiesen, wo er etwa ein Jahr in
Behandlung gewesen sei.
Der Beschwerdeführer hat die entsprechende Frage 9, die neben 21 explizit
aufgeführten Leiden zusätzlich in allgemeiner Form nach "anderen Krankheiten
oder Störungen" fragte, unter anderem nach "psychischen Leiden oder Störungen"
wahrheitsgemäss mit "Ja" beantwortet, dann aber bei der Zusatzfrage nach
Einzelheiten nur noch die Rückenbeschwerden angegeben. Zur erfolgten
psychologischen Behandlung hat er nichts Konkreteres ausgeführt. Echtzeitliche
Akten diesbezüglich liegen nicht vor.
Wegen unerwähnt gebliebener "psychischer Probleme" kann dem Beschwerdeführer
keine Meldepflichtverletzung angelastet werden: Dass er eine psychologische
Behandlung gemäss der Einschätzung seines Hausarztes als eine (indirekte)
Behandlung seiner somatischen Leiden (Migräne, Rücken) betrachtete, erscheint
plausibel. Daraus eine Meldepflichtverletzung abzuleiten, geht zu weit, dies
umso mehr, als nach dem subjektiven Verständnishorizont des Beschwerdeführers
ausschliesslich die somatische Seite, nämlich das durch körperliche
Schwerarbeit entstandene Rückenleiden Probleme machte. Diese psychologische -
nicht psychiatrische - Behandlung lag zudem zeitlich weit zurück. Sie kann
nicht als "Gesundheitsstörung" bzw. "psychisches Leiden" oder "psychische
Störung", wonach in Frage 9 in allgemeiner Art gefragt wurde, qualifiziert
werden.

8.

8.1. Der Beschwerdeführer hat die Frage 3, ob er jemals während mehr als drei
Monaten Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit, Invalidität oder Berufsunfähigkeit
bezogen habe, mit "nein" beantwortet. Schon vor dem kantonalen Gericht liess er
sinngemäss ausführen, der ihm und seiner Familie vertraute Versicherungsberater
D.________ habe die Formulare ausgefüllt und auf seine Nachfrage hin erklärt,
unter den Leistungen seien nur IV-Renten zu verstehen und nicht die berufliche
Umschulung. Eine vom Beschwerdeführer beantragte Befragung des D.________ fand
nicht statt. Dies ist nicht zu beanstanden, bindet doch die persönliche
Unterschrift des Beschwerdeführers unter den Versicherungsantrag diesen
persönlich (E. 6 hievor).

8.2. Allerdings beruht die vorinstanzliche Feststellung, der Beschwerdeführer
habe von der Invalidenversicherung Taggelder bezogen, und der daraus gezogene
Schluss, er habe die einschlägige Frage pflichtverletzend beantwortet, auf
einer ungenügenden Beweisgrundlage: Einerseits geht einzig aus einem Schreiben
des Beschwerdeführers an die IV-Stelle des Kantons Aargau vom 10. März 1998
hervor, dass ein Taggeldbezug stattgefunden haben muss; entsprechende
Abrechnungen sind nicht aktenkundig. Die Umschulung zum technischen Kaufmann
hat der Beschwerdeführer im Oktober 1999 erfolgreich abgeschlossen - zu einem
Zeitpunkt, in dem er bereits als Sachbearbeiter bei der E.________ AG tätig
war. Der vom Beschwerdeführer verfasste Lebenslauf weist indes eine lückenlose
Berufstätigkeit und die Ausbildung zum technischen Kaufmann als
berufsbegleitende Massnahme aus. Somit kann nicht von einer "Berufsunfähigkeit"
des Beschwerdeführers gesprochen werden und ist auch die Frage 3 des
Gesundheitsfragebogens, die nach Leistungen während mehr als drei Monaten
"wegen Erwerbsunfähigkeit, Invalidität oder Berufsunfähigkeit" fragt, nicht
pflichtverletzend beantwortet worden.

9.

9.1. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer weder wegen
seiner Angaben betreffend eine Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit
Rückenbeschwerden noch wegen seiner Angaben betreffend "psychische Leiden oder
Störungen" eine Anzeigepflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden kann.
Ebenso wenig ist ihm nach dem Gesagten eine solche im Zusammenhang mit der
Beantwortung der Frage, ob Leistungen wegen einer Berufsunfähigkeit
ausgerichtet worden seien, anzulasten. Aus diesem Grund sind die
Voraussetzungen von aArt. 6 VVG zur rückwirkenden Auflösung der Verträge nicht
erfüllt. Insoweit ist die Beschwerde begründet.

9.2. Da der Anspruch des Beschwerdeführers auf die eingeklagten Leistungen von
weiteren, im kantonalen Verfahren noch nicht geprüften Voraussetzungen abhängig
ist, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie, nach erfolgter
Abklärung, über die Klage neu entscheide.

10. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird teilweise
gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
12. Mai 2015 wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen,
damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Klage neu entscheide.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. März 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann

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