Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 427/2015
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_427/2015

Urteil vom 11. Dezember 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Trütsch.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner,
schadenanwaelte.ch,
Beschwerdeführerin,

gegen

Pensionskasse B.________,
Stauffacherquai 46, 8004 Zürich,
handelnd durch Karin Goy,
Oberdorfstrasse 21, 8702 Zollikon,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 5. Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1960, war seit dem 1. April 1991 bei der C.________ AG,
zuletzt als Sachbearbeiterin, angestellt und in dieser Eigenschaft bei der
Pensionskasse B.________ berufsvorsorgeversichert. Das Arbeitsverhältnis wurde
- unter Berücksichtigung der Verlängerung der Kündigungsfrist nach Art. 336c OR
- per 31. Januar 2010 aufgelöst.
Am 12. April 2010 meldete sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügungen vom 5. November 2012 sprach ihr die
IV-Stelle Basel-Landschaft vom 1. Januar 2011 bis 31. März 2012 eine ganze und
ab 1. April 2012 eine halbe Rente zu.
Die Pensionskasse B.________ lehnte die Ausrichtung von Invalidenleistungen der
beruflichen Vorsorge ab.

B. 
Mit Klage an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich beantragte
A.________ zur Hauptsache, die Pensionskasse B.________ sei zu verpflichten,
ihr vom 1. Februar 2011 bis 31. März 2012 eine Invalidenrente von monatlich Fr.
2'370.35 sowie ab 1. April 2012 eine solche von monatlich Fr. 1'185.15
zuzüglich Zins von 5 % auf den nachzuzahlenden Leistungen seit Klageeinleitung
resp. später eintretender Fälligkeit zu bezahlen. Nach zweifachem
Schriftenwechsel wies das Gericht die Klage mit Entscheid vom 5. Mai 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 5. Mai 2015 sei die
Pensionskasse B.________ zu verpflichten, ihr monatliche
Invalidenrentenleistungen ab 1. Februar 2011 bis 31. März 2012 in der Höhe von
mindestens Fr. 2'370.35 sowie seit dem 1. April 2012 in der Höhe von mindestens
Fr. 1'185.15 zu bezahlen, zuzüglich 5 % Verzugszins auf den nachzuzahlenden
Leistungen seit vorinstanzlicher Klageeinreichung resp. später eintretender
Fälligkeit; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur weiteren Abklärung
der tatsächlichen medizinischen Verhältnisse unter Abnahme der vorinstanzlich
offerierten Beweise zurückzuweisen. Zudem ersucht sie um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.
Die Pensionskasse B.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge werden von
derjenigen Vorsorgeeinrichtung geschuldet, bei welcher die ansprechende Person
bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat,
versichert war (Art. 23 lit. a BVG; BGE 138 V 409 E. 6.2 S. 419). Der Anspruch
auf Invalidenleistungen setzt einen engen zeitlichen und sachlichen
Zusammenhang zwischen der während des Vorsorgeverhältnisses (einschliesslich
Nachdeckungsfrist nach Art. 10 Abs. 3 BVG) bestandenen Arbeitsunfähigkeit und
der allenfalls erst später eingetretenen Invalidität voraus (BGE 134 V 20 E.
3.2 S. 22). Der sachliche Konnex ist gegeben, wenn der Gesundheitsschaden,
welcher zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, im Wesentlichen derselbe ist, wie
er der Erwerbsunfähigkeit zugrunde liegt (BGE 138 V 409 E. 6.2 S. 419).

2. 
Entscheidungserhebliche Feststellungen der Vorinstanz zur Art des
Gesundheitsschadens und zur Arbeitsfähigkeit, die Ergebnis einer
Beweiswürdigung sind, binden das Bundesgericht, soweit sie nicht offensichtlich
unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen
(Art. 97 Abs. 1 BGG sowie Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2
S. 397). Dies gilt auch für den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit,
deren Ursache zur Invalidität geführt hat (Art. 23 lit. a BVG; Urteil 9C_876/
2011 vom 7. Mai 2012 E. 3.2).

3. 

3.1. Die Vorinstanz hat eine Bindung an die im IV-Verfahren festgelegte
Wartezeit (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG) mit der Begründung verneint, die beklagte
Vorsorgeeinrichtung sei nicht ordnungsgemäss ins IV-rechtliche Verfahren
miteinbezogen worden; in der Folge hat sie frei geprüft, in welchem Zeitpunkt
die berufsvorsorgerechtlich relevante Arbeitsunfähigkeit nach Art. 23 lit. a
BVG eingetreten war (vgl. dazu Urteil 9C_702/2011 vom 28. Februar 2012 E. 3.1,
in: SVR 2012 BVG Nr. 30 S. 121). Dies steht ausser Frage. Ebenso ist
unbestritten, dass sich die Rentenzusprache der IV-Stelle auf die Stellungnahme
von Dr. med. D.________, FMH Orthopädische Chirurgie, vom regionalen ärztlichen
Dienst (RAD), vom 1. Juni 2012 abstützte. Danach war die Beschwerdeführerin
zufolge einer Gonarthrose rechts, eines lumbospondylogenen Syndroms HWS
(Halswirbelsäule) und LWS (Lendenwirbelsäule), einer morbiden Adipositas Grad
III und einer depressiven Verstimmung vom 10. Januar 2010 bis 7. Dezember 2011
vollständig arbeitsunfähig und ab 8. Dezember 2011 in einer Verweistätigkeit
(wechselbelastend, vorwiegend sitzend, ohne repetitive Tätigkeiten für die Arme
mit einer Gewichtslimite bis 5 kg) zu 50 % eingeschränkt. Schliesslich dauerte
nach Feststellung der Vorinstanz das Versicherungsverhältnis für das Risiko
Invalidität unter Beachtung der Nachdeckungsfrist bis zum 28. Februar 2010.

3.2. Bezüglich des streitigen Zeitpunktes des Eintritts der
berufsvorsorgerechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit kam die Vorinstanz in
Würdigung der ärztlichen Berichte zum Schluss, es habe nach dem letzten
krankheitsbedingten Unterbruch von einer Woche im Oktober 2009 wegen einer
Kniearthroskopie bis am 19. Januar 2010 wieder eine volle Arbeitsfähigkeit
bestanden. Die Arthrosebeschwerden im rechten Zeigefinger hätten gemäss den
Angaben von PD Dr. med. E.________, FMH Kinderchirurgie und Handchirurgie
(Bericht vom 25. April 2010), zwar zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit
bis zum 20. Februar 2010 geführt, doch seien diese für die spätere Invalidität
mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht relevant gewesen.
RAD-Arzt Dr. med. D.________ habe in seiner Stellungnahme vom 1. Juni 2012
zuhanden der IV-Stelle jedenfalls keine Arthrosebeschwerden in den Fingern
mindestens als Teilursache für die spätere Invalidität genannt. Neue Befunde,
die eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit ab dem 19. Januar 2010 plausibel
erklären würden, seien nicht aktenkundig. Es würden deshalb greifbare Gründe
für die Annahme fehlen, dass der Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen des
über die Jahre entwickelten Krankheitsgeschehens ausgerechnet am 19. Januar
2010 eingetreten sein solle. Es sei davon auszugehen, dass das gemäss Dr. med.
F.________, FMH Allgemeine Medizin, seit Jahren bestehende komplexe Bild
belastungsabhängiger muskuloskelettaler Beschwerden wohl zur Invalidität
geführt, aber während der Versicherungszeit bei der Pensionskasse keine aus dem
Rahmen fallenden gesundheitlich bedingten Arbeitsausfälle zur Folge gehabt
habe. Der Eintritt einer berufsvorsorgerechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit
während des Vorsorgeverhältnisses bei der Beschwerdegegnerin, und damit deren
Leistungspflicht, sei nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit erstellt.

4. 

4.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine unrichtige Beweislastverteilung, somit
eine Verletzung von Beweiswürdigungsregeln im Zusammenhang mit der Frage, ob
zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit während der Deckungszeit (19.
Januar 2010) und der nachfolgenden Invalidität ein sachlicher Zusammenhang
bestehe. Beweispflichtig für den fehlenden sachlichen Zusammenhang bzw. für die
rechtsaufhebende Tatsache sei, so die Beschwerdeführerin, die
Vorsorgeeinrichtung. Des weiteren sei die Sachverhaltsermittlung des kantonalen
Gerichts insofern unvollständig, als diese Grundlage für die Verneinung der
erforderlichen Konnexität sei. Die medizinischen Einschätzungen in all den
zeitnahen ärztlichen Berichten, welche von einem Beschwerdebild "als Ganzes"
sprächen, seien unberücksichtigt geblieben. Damit habe das kantonale Gericht
den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
In der Tat ist aus den beiden zeitnahen Berichten bzw. dem Auszug aus der
Krankengeschichte des Dr. med. F.________ vom 16./18. August 2010, auf die sich
die Vorinstanz hauptsächlich stützte, in aller Deutlichkeit zu entnehmen, dass
ein "gesamthaftes muskuloskelettales Beschwerdebild mit multiplen
Läsionsstellen" vorliegt. Obwohl das kantonale Gericht diese beiden zeitnahen
Berichte des Dr. med. F.________ als aussagekräftiger qualifizierte, fehlt im
Entscheid jegliche Wiedergabe dieser zahlreichen und zentralen medizinischen
Hinweise, wonach Zusammenhänge im Beschwerdebild respektive eine Ähnlichkeit im
degenerativen Charakter der Erkrankungen bestehen (degenerative Tendinose an
der Achillessehne, Bursitis am Vorderfuss, Chondromalazie am Knie, Arthrose am
rechten Zeigefinger). Diese Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts ist
einseitig und daher unhaltbar (vgl. auch MARKUS SCHOTT, in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 11 zu Art. 97 BGG).
Dass der RAD-Arzt Dr. med. D.________ ein halbes Jahr später lediglich in
allgemeiner Formulierung eine "Gonarthrose rechts" und ein lumbospondylogenes
Syndrom HWS und LWS als invalidisierend qualifizierte, nicht aber die
Fingerarthrose erwähnte, ändert nichts daran, dass die aussagekräftigeren
echtzeitlichen Berichte von einem Gesamtbild ausgingen. So attestierte Dr. med.
F.________ im Bericht vom 18. August 2010 eine Arbeitsunfähigkeit von 100 %,
wobei er als Grund ein muskuloskelettales Schmerzsyndrom auf multiplen Etagen
angab und nicht bloss einen Arthroseschmerz im Grundgelenk des Zeigefingers der
rechten Hand. Ferner trifft die vorinstanzliche Feststellung nicht zu, dass
gemäss Dr. med. E.________ die Arthrosebeschwerden nur zu einer vorübergehenden
Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. Februar 2010 führten. Vielmehr ging dieser
Facharzt für die Zeit danach von einer Arbeitsfähigkeit von 50 % aus, wobei
repetitive Belastungen ausbleiben sollten, was wiederum im Belastungsprofil des
RAD-Arztes Dr. med. D.________ seinen Niederschlag fand.

4.2. Bei dieser Aktenlage konnte nicht entschieden werden, ob der
Arthroseschmerz im Grundgelenk des Zeigefingers der rechten Hand, welcher ab
19. Januar 2010, somit während des Vorsorgeverhältnisses, zu einer
Arbeitsunfähigkeit von 100 % führte, (ebenfalls) als Manifestation des seit
Jahren bestandenen komplexen belastungsabhängigen muskuloskelettalen
Beschwerdebildes zu betrachten war. Bejahendenfalls stellt sich die Frage des
engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der während des
Vorsorgeverhältnisses bestandenen Arbeitsunfähigkeit und der später
eingetretenen Invalidität und somit der Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin
neu. Der angefochtene Entscheid beruht demzufolge auf einer Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes resp. von Bundesrecht.
Die Sache ist an die Vorinstanz zu ergänzender Abklärung des sachlichen
Konnexes betreffend das Gesamtbild zurückzuweisen. In Frage steht sodann auch
der zeitliche Zusammenhang. Im Übrigen kann betreffend die Beweislastverteilung
auf Urteil 9C_1034/2012 vom 5. April 2013 E. 3.4 verwiesen werden.

5. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Damit ist das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Mai 2015 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Dezember 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Trütsch

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben