Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 421/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_421/2015        
{T 0/2}

Urteil vom 25. Juni 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse Luzern,
Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung
(Beitragspflicht; Freizügigkeitsabkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern vom 4. Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Einspracheentscheid vom 26. Januar 2015 bestätigte die Ausgleichskasse
Luzern ihre Verfügungen vom 11. August 2014, womit sie A.________,
italienischer Staatsangehöriger, als Nichterwerbstätigen erfasste und u.a. die
2009 bis 2012 geschuldeten Beiträge festsetzte.

B. 
Die Beschwerde des A.________ wies das Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, mit
Entscheid vom 4. Mai 2015 ab, soweit darauf einzutreten war.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
er sei als Selbstständigerwerbender im Sinne der Alters- und
Hinterlassenenversicherung (AHV) zu betrachten und entsprechend seien Beiträge
auf dem Erwerbseinkommen zu erheben.

Erwägungen:

1. 
Streitgegenstand bildet die Beitragspflicht des Beschwerdeführers als
Nichterwerbstätiger nach Art. 10 Abs. 1 AHVG für 2009 bis 2012. Die erhobenen
Beiträge sind masslich nicht bestritten.

2. 
Der Beschwerdeführer war im Zeitraum 2009 bis 2012 im Besitz der
EU-Aufenthaltsbewilligung B (selbstständige Erwerbstätigkeit) gemäss Art. 12
Abs. 1 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens vom 21. Juni 1999 (FZA; SR
0.142.112. 681) und Art. 4 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die Einführung
des freien Personenverkehrs (VEP; SR 142.203; Verfügung des Amtes für Migration
des Kantons Luzern vom 6. November 2007). Entgegen seinen teils
weitschweifigen, teils unverständlichen, teils sich wiederholenden Vorbringen
ergibt sich daraus nicht ein Anspruch auf Unterstellung unter die
obligatorische AHV als Selbstständigerwerbender im Sinne der einschlägigen
Bestimmungen des AHVG, wie das kantonale Gericht im Einzelnen zutreffend
dargelegt hat.

2.1. Art. 12 Abs. 1 Anhang I FZA (i.V.m. Art. 4 FZA) gewährt u.a. italienischen
Staatsangehörigen eine Aufenthaltsberechtigung mit einer Gültigkeitsdauer von
mindestens fünf Jahren, wenn sich diese zwecks Ausübung einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit ("en vue d'exercer une activité non salariée" im französischen
Originaltext; BGE 119 V 98 E. 6b S. 108) in der Schweiz niederlassen wollen.
Der hier verwendete Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit ist ein
unionsrechtlicher, bei dessen Auslegung - insbesondere mit Blick auf die
Abgrenzung zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit nach Art. 1 lit. a FZA bzw.
zum Begriff des Arbeitnehmers nach Art. 6 ff. Anhang I FZA - die hierfür
einschlägige Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen ist (Art. 16 Abs. 2
FZA; vgl. BGE 140 II 460 E. 4.1 S. 465 f.). Über die Erteilung der Bewilligung,
was den Nachweis einer selbstständigen Erwerbstätigkeit voraussetzt,
entscheiden die zuständigen kantonalen Behörden (Art. 26 VEP; vgl. Weisungen
und Erläuterungen des Bundesamts für Migration vom April 2015 zur VEP, S. 16
Ziff. 1.4 und S. 49 ff.    Ziff. 4.3).

2.2. Im hier zu beurteilenden Fall geht es jedoch nicht um das "Recht auf
Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit" (Art. 4 FZA) in der Schweiz,
sondern darum, ob ein italienischer Staatsangehöriger, der gestützt auf Art. 12
Abs. 1 Anhang I FZA sich zwecks Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit
hier aufhalten darf, der obligatorischen AHV unterstellt ist und somit Beiträge
als Erwerbstätiger oder als Nichterwerbstätiger zu leisten hat. Diese Frage
beurteilt sich - unbestritten - nach schweizerischem Recht, und zwar unabhängig
davon, ob die Kollisionsnormen in den Rechtsakten, auf die in Abschnitt A
Anhang II FZA (i.V.m. Art. 8 und 15 FZA) betreffend die Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit ("Coordination des systèmes de sécurité
sociale") Bezug genommen wird (vgl. BGE 139 V 297 E. 2.1 S. 300), einschlägig
sind. Es bestehen keine Hinweise, dass der seit Jahren in der Schweiz lebende
Beschwerdeführer in einem anderen Land seinen (zivilrechtlichen) Wohnsitz hat
oder erwerbstätig ist. Er ist daher obligatorisch versichert (Art. 1a Abs. 1
lit. a AHVG) und damit beitragspflichtig. Zuständig für die Festlegung des
Beitragsstatuts, d.h. ob er als (unselbstständig oder selbstständig)
erwerbstätig oder als Nichterwerbstätiger zu betrachten ist, ist
ausschliesslich die kantonale Ausgleichskasse (vgl. Art. 63 AHVG), welche auch
abkommensrechtlich bei ihrem Entscheid nicht an die Erteilung der
Aufenthaltsbewilligung nach Art. 12 Abs. 1 Anhang I FZA durch die kantonale
Migrationsbehörde gebunden ist, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat.
Immerhin erscheint eine Zusammenarbeit zwischen den für die
Aufenthaltsbewilligung zwecks Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit
in der Schweiz zuständigen kantonalen Behörden und den für die Unterstellung
unter die obligatorische AHV zuständigen Ausgleichskassen wünschenswert (vgl.
Urteil 2A.169/2004 vom 31. August 2004 E. 6.3).

3. 
Im Lichte des Vorstehenden sind auch die weiteren Vorbringen in der Beschwerde
nicht stichhaltig. Vorab ist nicht ersichtlich, inwiefern die in Art. 1 FZA
erwähnten Ziele des Abkommens, u.a Einräumung eines Rechts auf Niederlassung
als Selbstständigerwerbender (lit. a) und Einräumung der gleichen Lebens-,
Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer (lit. d) verletzt sind.
Ebenso ist keine Ungleichbehandlung gegenüber Schweizer Bürgern oder
Angehörigen anderer Vertragsstaaten auszumachen. Sodann ist -
sozialversicherungsrechtlich - ohne Bedeutung, dass die Aufenthaltserlaubnis im
September 2012 um fünf Jahre verlängert wurde (Art. 12 Abs. 2 Anhang I FZA). Zu
keinen Weiterungen Anlass gibt das Schreiben vom 26. August 2008, "avec
laquelle (...) j'informe d'avoir montré des exemples de ma correspondance
commerciale au personnel de l'AVS", nachdem der Beschwerdeführer weder im
Einsprache- und erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren irgendwelche Belege für
selbstständige Erwerbstätigkeit einreichte noch die Edition der Akten beim
Migrationsamt beantragte. Soweit er schliesslich vorbringt, die Steuerbehörde
habe in der Veranlagung 2012 "l'existence de mon activité [d'indépendant] de
2007 à 2012" bestätigt, handelt es sich dabei um ein unzulässiges unechtes
Novum (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 134 III 625 E. 2.2 S. 629); dieser Umstand wäre
mit einem Revisionsgesuch gegen den angefochtenen Entscheid geltend zu machen
gewesen (Art. 125 BGG; BGE 138 II 386). Zum Vorwurf, die Ausgleichskasse habe
die Nichterwerbstätigenbeiträge für 2012 verfügt, ohne dass eine rechtskräftige
Steuerveranlagung vorgelegen hätte (Art. 29 Abs. 3 und Abs. 7 i.V.m. Art. 23
AHVV), ist festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer diesfalls der Revisionsweg
nach Art. 53 Abs. 1 ATSG offenstünde, womit ihm in dieser Eventualität seine
Rechte gewahrt blieben.

4. 
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und somit im Verfahren nach Art.
109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG zu erledigen.

5. 
Auf die Erhebung von Gerichtskosten ist umständehalber zu verzichten (Art. 66
Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Juni 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler

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