Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 405/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_405/2015

Urteil vom 18. Januar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern 3,
Beschwerdeführer,

gegen

 SWICA Krankenversicherung AG, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin,

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen.

Gegenstand
Invalidenversicherung (medizinische Massnahmen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 29. April 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 2005 geborene A.________ leidet an verschiedenen geburtsbedingten
Gesundheitsschädigungen (Trisomie 21, beidseitige Klumpfüsse, Herzfehler,
Zöliakie). Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen sprach ihr gemäss Anhang der
Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen (GgV-Anhang; SR
831.232.21) medizinische Massnahmen zur Behandlung der Geburtsgebrechen Ziff.
497 (schwere respiratorische Adaptationsstörungen), 313 (angeborene Herz- und
Gefässmissbildungen), 279 (Coeliakie infolge kongenitaler Gliadinintoleranz)
und 182 (Pes equinovarus congenitus [angeborener Klumpfuss]) zu. Mit Mitteilung
vom 23. April 2010 verlängerte sie die Leistungszusprache in Bezug auf das
letztgenannte Geburtsgebrechen bis 31. März 2015.

A.b. Am 24. Januar 2013 unterzog sich A.________ einer beidseitigen
Unterschenkeltorsions-Korrektur wegen verminderter tibialer Aussentorsion. Auf
Grund der Stellungnahme ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 25. Juli
2013 gelangte die IV-Stelle zum Schluss, dass mangels Wirksamkeit und
Wirtschaftlichkeit des Eingriffs kein Leistungsanspruch betreffend das
Geburtsgebrechen Ziff. 178 GgV-Anhang (angeborene Tibia-Innen- und
Aussentorsion, ab vollendetem vierten Lebensjahr, sofern Operation notwendig
ist) bestehe. Vorbescheidweise wurde eine "Kostenübernahme" für die Operation
abgelehnt. Nachdem sowohl der obligatorische Krankenversicherer von A.________,
die SWICA Krankenversicherung AG (nachfolgend SWICA), als auch deren Eltern
dagegen interveniert hatten, letztere unter Bezugnahme auf einen Bericht des
Dr. med. B.________, Leitender Arzt, Abteilung Kinderorthopädie,
Kinderchirurgische Klinik des Kinderspitals C.________ vom 9. August 2013,
konsultierte die IV-Stelle erneut den RAD. Gestützt auf dessen Bericht vom 18.
Oktober 2013 hielt sie mit Verfügung vom 20. November 2013 an der angekündigten
Leistungsablehnung fest, wobei sie auch einen Zusammenhang zwischen der
Tibiaosteotomie und Ziff. 182 GgV-Anhang ausschloss.

B. 
In Gutheissung der dagegen von der SWICA erhobenen Beschwerde verpflichtete das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die IV-Organe, die mit der
Operation vom 24. Januar 2013 zusammenhängenden Kosten zu übernehmen (Entscheid
vom 29. April 2015). Dem Gericht lagen dabei u.a. Berichte des Dr. med.
B.________ vom 2. Dezember 2013 und des RAD vom 20. März 2014 vor.

C. 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des
angefochtenen Entscheids sei die Verfügung der IV-Stelle vom 20. November 2013
zu bestätigen.

Die Vorinstanz und die SWICA schliessen auf Abweisung der Beschwerde, während
die IV-Stelle um deren Gutheissung ersucht.  A.________ verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen
an (Art. 106 Abs. 1 BGG; vgl. dazu BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E.
1.4 S. 140). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).

2. 

2.1. Nach Art. 13 Abs. 1 IVG haben Versicherte bis zum vollendeten 20.
Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen
medizinischen Massnahmen. Als Geburtsgebrechen gelten Gebrechen, die bei
vollendeter Geburt bestehen (Art. 3 Abs. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GgV).
Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt
werden (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG). Er kann die Leistung ausschliessen, wenn
das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist (Art. 13 Abs. 2 Satz 2 IVG). Die
Liste der Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 13 IVG bildet Gegenstand einer
besonderen Verordnung (Art. 3 IVV). Sie ist im Anhang zur GgV aufgeführt (Art.
1 Abs. 2 Satz 1 GgV).
Gemäss GgV-Anhang Ziff. 178 wird die angeborene Tibia-Innen- und Aussentorsion
ab vollendetem vierten Lebensjahr als Geburtsgebrechen angesehen, sofern eine
Operation notwendig ist. Ebenso handelt es sich bei der Fussfehlstellung in
Form des Klumpfusses (Pes equinovarus congenitus) um ein zu Lasten der
Invalidenversicherung zu behandelndes Geburtsgebrechen (GgV-Anhang Ziff. 182).

2.2. Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines
Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach
bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den
therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2
Abs. 3 GgV).

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Operation vom 24. Januar 2013 eine zur
Behandlung eines Geburtsgebrechens notwendige medizinische Massnahme im Sinne
von Art. 13 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 GgV darstellt.

3.1. GgV-Anhang führt zahlreiche Gebrechen auf, bei denen ein Leistungsanspruch
davon abhängt, ob eine Operation oder eine andere näher umschriebene Behandlung
notwendig ist (vgl. Ziff. 101, 112, 124 f., 161, 163 f., 166 f., 170 f., 177
f., 180, 188, 193 ff., 280, 325, 331, 355 f., 495 ff. GgV-Anhang). Diese
Kriterien dienen der Umschreibung eines bestimmten Schweregrades, indem nur bei
einer bestimmten Behandlungsform ein zu Lasten der Invalidenversicherung
gehendes Geburtsgebrechen vorliegt (vgl. Art. 2 Abs. 2 GgV; Urteile [des Eidg.
Versicherungsgerichts] I 693/02 vom 10. Februar 2003 E. 3.1.1 und I 93/02 vom
22. Juli 2002 E. 2a, je mit Hinweis).

3.2. Im Urteil I 93/02 vom 22. Juli 2002 hielt das Eidg. Versicherungsgericht
in Bezug auf Ziff. 125 GgV-Anhang (angeborene Hemihypertrophien und andere
Körperasymmetrien, sofern Operation notwendig ist) am Urteil I 12/88 vom 21.
Juni 1988 fest. Danach klammert das Kriterium der Operationsnotwendigkeit nicht
nur (negativ formuliert) Geburtsgebrechen von geringfügiger Bedeutung von der
Leistungspflicht aus, sondern es bringt in positiver Deutung zum Ausdruck, dass
die Behandlung der betreffenden Geburtsgebrechen, wenn sie in schwerer Form
auftreten, von der Invalidenversicherung zu übernehmen sind, und zwar im
Einzelfall - bei ausgewiesener Schwere des Geburtsgebrechens - unter Umständen
schon ab einem früheren Zeitpunkt, bevor eine Operation indiziert ist (vgl.
Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] I 693/02 vom 10. Februar 2003 E.
3.1.3). Im erwähnten Urteil I 693/02 erwog das Eidg. Versicherungsgericht,
gerade bei dem das Skelett betreffenden Geburtsgebrechen der Trichterbrust
(Ziff. 163 GgV-Anhang) leuchte mit Blick auf die Materialien ein, dass das
Erfordernis der Operationsnotwendigkeit im Sinne einer qualifizierten
Umschreibung eines besonderen Schweregrades des Geburtsgebrechens als
leistungsbegründende Voraussetzung nicht aus
geisteswissenschaftlich-psychologischer Fachrichtung, sondern aus
naturwissenschaftlich-medizinischer Sicht eines für die betreffende Operation
befähigten Spezialarztes zu beurteilen sei. Dies gelte umso mehr, als der
gegebenenfalls notwendige invasive Eingriff nach bewährter Erkenntnis der
medizinischen Wissenschaft angezeigt sein und den therapeutischen Erfolg in
einfacher und zweckmässiger Weise anstreben müsse (Art. 2 Abs. 3 GgV).

3.3. Der zitierten Rechtsprechung kommt ein allgemeingültiger, über das in den
jeweiligen Urteilen konkret betroffene Geburtsgebrechen hinausgehender
Aussagehalt zu. Daraus ist zu schliessen, dass mit der Einschränkung, nach
welcher die angeborene Tibia-Innen- und Aussentorsion gemäss Ziff. 178
GgV-Anhang nur als leistungsauslösendes Geburtsgebrechen anerkannt wird, sofern
eine Operation notwendig ist, nach dem Willen des Verordnungsgebers
geringfügigere Ausprägungen des Leidens im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Satz 2 IVG
von der Leistungspflicht der Invalidenversicherung ausgenommen werden sollen.
Leidet eine versicherte Person zwar an einem derartigen Gebrechen, ist aber
nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft keine Operation
angezeigt oder würde eine solche den therapeutischen Erfolg nicht in der
geforderten einfachen und zweckmässigen Weise anstreben, handelt es sich um ein
Geburtsgebrechen, für das die Invalidenversicherung zufolge Geringfügigkeit
keine Leistungspflicht trifft. Anders als etwa bei den Geburtsgebrechen Ziff.
209 (Mordex apertus congenitus [Kieferfehlstellung "Offener Biss"]) und 210
GgV-Anhang (Prognathia inferior congenita [Kieferfehlstellung "Hechtgebiss"])
nennt die Verordnung bezüglich Ziff. 178 keine Grade, ab welchen eine
Schienbein-Rotation als operationsindiziert - und damit nicht mehr
"geringfügig" - anzusehen ist. Ebenso wenig enthält das Kreisschreiben des BSV
über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung
(KSME) hierzu nähere Ausführungen, wohingegen das Element der
Nicht-Geringfügigkeit beispielsweise im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen
Ziff. 171 GgV-Anhang (Coxa antetorta aut retrotorta congenita, sofern Operation
notwendig ist) mittels detaillierter Vorgaben definiert wird (vgl. Rz. 171
KSME).

4.

4.1. Die Vorinstanz ist im angefochtenen Entscheid zum Ergebnis gelangt, dass
Ziff. 178 GgV-Anhang exklusiv anwendbar sei und sämtliche tibialen Drehfehler
beschlage. Auch ein im Zusammenhang mit einem angeborenen Klumpfuss
auftretender tibialer Drehfehler könne deshalb nur im Falle der in Ziff. 178
GgV-Anhang erwähnten Operationsbedürftigkeit einen Leistungsanspruch begründen.
Allein gestützt auf Ziff. 182 GgV-Anhang, also aus der Behandlung des
Klumpfusses an sich, lasse sich keine Übernahme der Operation durch die IV
rechtfertigen. Da jedoch entgegen der Betrachtungsweise der IV-Behörde die
Operationsnotwendigkeit aus den von Dr. med. B.________ mit Berichten vom 9.
August und 2. Dezember 2013 angeführten Gründen zu bejahen sei und der Eingriff
eine zweckmässige und angemessene Behandlungsmassnahme darstelle, erfülle der
vorliegende Sachverhalt den Tatbestand von Ziff. 178 GgV-Anhang. Die IV-Stelle
habe die Übernahme der Operation vom 24. Januar 2013 sowie der dazugehörigen
prä- und postoperativen Behandlung folglich zu Unrecht verweigert.

4.2. Das BSV hält den vorinstanzlichen Ausführungen in seiner Beschwerde im
Wesentlichen entgegen, hinsichtlich der Evidenzlage von Torsions-Korrekturen
sei auf Grund der durchgeführten Literaturrecherche die in den Stellungnahmen
vom 25. Juli und 18. Oktober 2013 sowie 20. März 2014 wiedergegebene Auffassung
des RAD-Arztes, welcher sich gegen die Operationsnotwendigkeit ausspreche, zu
bestätigen. Laut den einschlägigen wissenschaftlichen Studien beeinträchtige
eine Tibia-Innentorsion die Bewegungsfähigkeit der Betroffenen in der Regel
nicht. Ebenso wenig erhöhe sie das Risiko einer künftigen Arthritis. Erst wenn
eine konservativ behandelte Fehltorsion persistiere und funktionelle Folgen
habe, könne eine Derotationsosteotomie allenfalls indiziert sein. Wie u.a. die
Untersuchung der Versicherten vom 13. Juli 2012 belege ("Silvana zeigt ein
sicheres und hinkfreies Gangbild..."), scheine dies hier nicht der Fall zu
sein. Eine chirurgische Behandlung bei unilateraler Fehltorsion, wie sie bei
der Versicherten bestehe, sei statistisch denn auch nur in weniger als einem
Prozent der Fälle ausgewiesen. Daraus lasse sich folgern, dass der gemäss Ziff.
178 GgV-Anhang geforderte Schweregrad im Sinne der Operationsbedürftigkeit des
Leidens nicht vorliege. Die Einschätzung des Dr. med. B.________ (gemäss dessen
Berichten vom 9. August und 2. Dezember 2013) vermöge keine wissenschaftliche
Evidenz zu begründen. Er verfüge zwar über eine grosse Erfahrung, seine
Aussagen fänden jedoch keine Stütze in der Lehre. So gäbe es keine Hinweise in
der massgebenden Literatur, die aufzeigten, dass eine Derotationsosteotomie bei
mutmasslich verminderter Aussenrotation erforderlich sei und im Vergleich zu
einem therapielosen Zustand bessere Langzeitergebnisse erbrächte. Dem Argument
der Vorinstanz, fehlende Langzeiterfahrung allein spräche nicht gegen eine
Operationsindikation, sei zu entgegnen, dass die Aufgabe der
Invalidenversicherung nicht darin liege, medizinische Forschung zu betreiben
und zu finanzieren. Es sei vielmehr an der behandelnden Ärzteschaft, die
Wissenschaftlichkeit und Evidenz einer Methode verlässlich nachzuweisen. So
fordere Art. 2 Abs. 3 GgV denn auch, dass die medizinische Massnahme nach
bewährter Erkenntnis der Wissenschaft angezeigt sei und den therapeutischen
Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstrebe. Dies treffe in casu
indessen, wie aufgezeigt, nicht zu. Vielmehr sei die beschwerdefreie
Versicherte ohne Zustimmung der Invalidenversicherung operiert und dieser so
eine vorgängige Abklärung beispielsweise durch Einholung eines orthopädischen
Gutachtens verunmöglicht worden.

5. 
Letztinstanzlich wird die kantonalgerichtliche Erkenntnis, wonach es sich beim
fraglichen Eingriff vom 24. Januar 2013 nicht um eine Behandlung des
Geburtsgebrechens Ziff. 182 GgV-Anhang handle, von keiner Seite in Frage
gestellt. Weiterungen dazu erübrigen sich somit (vgl. E. 1 am Ende hievor). Zu
beurteilen ist - unter sachverhaltlich eingeschränktem Blickwinkel - einzig, ob
die Operation eine notwendige, einfache und zweckmässige Vorkehr mit Blick auf
die Behandlung des Geburtsgebrechens Ziff. 178 GgV-Anhang darstellt.

5.1. Beschwerdeführer und IV-Stelle lehnen eine Übernahme der Operation vom 24.
Januar 2013 hauptsächlich gestützt auf die Angaben des RAD vom 25. Juli und 18.
Oktober 2013 sowie 20. März 2014 ab. Dieser wiederum - wie auch das BSV in
seiner Beschwerde - begründet seine Schlussfolgerung primär auf der Basis von
medizinischen Studien, Fachpublikationen und Lehrbüchern zur Thematik. Eine
persönliche Untersuchung von A.________ durch den RAD hat unbestrittenermassen
weder vor noch nach dem operativen Eingriff stattgefunden. Seine Einschätzung
beruht demnach auf einer Beurteilung der Aktenlage und einer vertieften
Literaturrecherche. Bei den entsprechenden Ausführungen handelt es sich mangels
selber durchgeführter Untersuchungen mithin nicht um Stellungnahmen im Sinne
von Art. 49 Abs. 2 IVV. Es sind damit keine medizinischen Befunde erhoben
worden, sondern die vorhandenen Befunde wurden von einem praktischen Arzt ohne
fachärztliche Spezialisierung gewürdigt. Es liegt folglich eine Empfehlung zur
weiteren Bearbeitung des Leistungsbegehrens aus medizinischer Sicht im Sinne
von Art. 59 Abs. 2bis IVG und Art. 49 Abs. 1 IVV vor (Urteil 8C_724/2011 vom
24. Juli 2012 E. 5.3.3). Die RAD-Berichte vermögen daher lediglich dazu
Stellung zu nehmen, ob der einen oder anderen Ansicht zu folgen oder aber eine
zusätzliche Untersuchung vorzunehmen sei (Urteil 8C_756/2008 vom 4. Juni 2009
E. 4.4, in: SVR 2009 IV Nr. 50 S. 153). Soll ein Versicherungsfall jedoch ohne
Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden, so sind an die
Beweiswürdigung strenge Anforderungen zu stellen. Bestehen auch nur geringe
Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen
ärztlichen Feststellungen, sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 135 V
465 E. 4.4 am Ende S. 470 mit Hinweis; Urteil 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011
E. 5.1.2).

5.2.

5.2.1. Der RAD-Arzt med. pract. D.________ vertritt in seiner Beurteilung vom
25. Juli 2013 die Auffassung, dass das Kinderspital C.________ die bei der -
beschwerdefreien - Versicherten vorgenommene Derotationsosteotomie
hauptsächlich mit der fehlerbehafteten CT-Torsionsmessung und der
Ganglaboranalyse begründet habe. Gemäss einem dem RAD vorliegenden
orthopädischen Gutachten seien präoperative Ganglaboranalysen indessen nicht
zielführend und vermöchten (allenfalls im Gegensatz zu neuromuskulären
Erkrankungen) keine Indikatoren für orthopädische Eingriffe zu rechtfertigen.
Es würden demnach sogenannte nicht der Norm entsprechende Untersuchungsbefunde
biomechanisch korrigiert, ohne dass ein Wirkungsnachweis bestehe. Die Relevanz
der gemessenen Winkelwerte sei unklar. Damit entspreche die vom Spital
empfohlene Therapie lediglich einer Hypothese bzw. einem nicht nachweisbar
wirksamen Therapieversuch. Die Kriterien der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit
der Massnahme seien unter diesen Umständen nicht erstellt. Auch handle es sich
nicht um ein in der Medizin und an anderen Zentren verbreitetes Prozedere. Bei
fehlender Evidenz müsse ein Leistungsanspruch im Sinne von Ziff. 178 GgV-Anhang
aus versicherungsmedizinischer Sicht deshalb verneint werden. In seinen
Stellungnahmen vom 18. Oktober 2013 und 20. März 2014 bekräftigte med. pract.
D.________ seine Einschätzung.

5.2.2. Dr. med. B.________ begründete die Notwendigkeit des operativen
Eingriffs vom 24. Januar 2013 in seinen Berichten vom 9. August und 2. Dezember
2013 im Wesentlichen damit, dass tibiale Drehfehler regelhaft vorkämen, bei
operativen Fusskorrekturen ebenfalls regelhaft mitkorrigiert würden und einen
wesentlichen Bestandteil der Fusskorrekturen darstellten. In der
Kinderchirurgischen Klinik des Spitals würden jährlich etwa zehn Kinder mit
angeborenen Klumpfüssen behandelt und es werde ca. einmal pro Jahr eine
operative Korrektur mit Osteotomien durchgeführt. Das regelhafte Vorkommen von
Tibiatorsionsfehlern werde denn auch von vielen Autoren beschrieben.
Zusammenfassend verwundere ihn die Vorgehensweise der IV-Stelle doch sehr,
Operationsindikationen, welche Kollegen mit über zwanzigjähriger
kinderorthopädischer Erfahrung unter Berücksichtigung des jeweils aktuellen
Wissenschaftsstands als gegeben ansähen, selbst nach ausführlicher
schriftlicher Erklärung einzig gestützt auf die Einschätzung eines fachfremden
RAD-Arztes in Frage zu stellen.

5.3. Die aufgeführten internen Stellungnahmen des RAD vermögen, wie hievor
dargelegt, allenfalls Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des Dr. med.
B.________ zu erwecken. Sie allein genügen jedoch nicht, zumal es sich bei med.
pract. D.________ nicht um einen für die betreffende Operation befähigten
Spezialarzt handelt (vgl. E. 3.2 hievor), die Feststellungen des behandelnden
Facharztes schlüssig zu entkräften, welcher zur Untermauerung seines
Standpunktes überdies seinerseits auf einschlägige Studien und Lehrbücher
verweist. Da indes Dr. med. B.________ die Notwendigkeit des fraglichen
Eingriffs primär im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen gemäss Ziff. 182
GgV-Anhang bejaht, dessen Behandlung zu Lasten der Invalidenversicherung
vorliegend jedoch unstreitig ausser Betracht fällt (vgl. E. 5 hievor), erweisen
sich seine Ausführungen ebenfalls als nicht in allen Teilen entscheidwesentlich
und es kann nicht unbesehen darauf abgestellt werden. Die verbleibenden
Unklarheiten sind aber nicht allein durch eine Aktenbeurteilung des RAD
behebbar. Vielmehr sind zur Klärung der Operationsindikation ergänzende
gutachtliche Abklärungen erforderlich.
Auf Grund der vorstehenden Erwägungen steht fest, dass die vorhandenen
medizinischen Akten keine zuverlässige Grundlage bieten, um darüber befinden zu
können, ob die am 24. Januar 2013 durchgeführte Operation eine zur Behandlung
des Geburtsgebrechens Ziff. 178 GgV-Anhang notwendige medizinische Massnahme im
Sinne von Art. 13 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 GgV darstellt.
Diesem Umstand hat die Vorinstanz in Verletzung des ihr obliegenden
Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) nicht Rechnung getragen. Infolge
unvollständig erhobenen rechtserheblichen Sachverhalts entfalten die
entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Entscheid für das Bundesgericht
keine Bindungswirkung. Die Angelegenheit ist vielmehr an die IV-Stelle
zurückzuweisen, damit sie eine gutachtliche kinderorthopädische Abklärung in
die Wege leite. Hernach wird sie erneut über den Leistungsanspruch von
A.________ zu befinden haben.

6. 

6.1. Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung oder an die Vorinstanz zu
erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als
vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende
Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1
S. 235; Urteil 8C_671/2007 vom 13. Juni 2008 E. 4.1).

6.2. Demgemäss sind die Prozesskosten der Beschwerdegegnerin zu überbinden. Ein
Anspruch des durch das BSV handelnden Bundes auf Parteientschädigung besteht
nicht (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 29. April 2015 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 20. November 2013 werden
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons St. Gallen, dem
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und A.________, schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 18. Januar 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl

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