Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 383/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_383/2015

Urteil vom 18. September 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Parrino,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch AXA-ARAG Rechtsschutz AG,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 23. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ meldete sich, nachdem ein erstes Leistungsbegehren abgewiesen worden
war (Verfügung vom 28. April 2005und Einspracheentscheid vom 8. September 2005;
Invaliditätsgrad von 21 %), im Juli 2009 erneut bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung des
Vorbescheidverfahrens sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Zürich mit
Verfügungen vom 29. Januar 2014 eine ganze Rente vom 1. Januar bis 31. Oktober
2010 und vom 1. Januar bis 30. April 2012 zu (Invaliditätsgrad von jeweils 100
%). Für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2011 und ab 1. Mai 2012
verneinte sie einen Rentenanspruch.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 23. April 2015 ab.

C. 
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 23. April 2015 sei ihm eine
halbe Rente auszurichten; eventualiter sei die Sache zur ergänzenden
medizinischen Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Mit Blick auf Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG und die Beschwerdebegründung (vgl.
MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 7
zu Art. 107 BGG) ist das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers so zu verstehen,
dass es sich auf die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2011 und ab 1.
Mai 2012 bezieht.

2. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3. 
Die Vorinstanz hat dem Gutachten der Gutachterstelle B.________ vom 15. Oktober
2013Beweiskraft beigemessen und gestützt darauf festgestellt, dem
Beschwerdeführer seien leidensangepasste Tätigkeiten zu 100 % zumutbar,
allerdings sei er im Zusammenhang mit Rückenoperationen vom 29. September 2009
bis 20. Juli 2010 und vom 25. Oktober 2011 bis Ende Januar 2012 vorübergehend
vollständig arbeitsunfähig gewesen. Was den Einkommensvergleich betrifft, hat
sie auf die Invaliditätsbemessung der Verwaltung in ihrer Beschwerdeantwort
verwiesen und einen Invaliditätsgrad von 32 % ab 22. Juli 2012 resp. von 33 %
ab Februar 2012 bestätigt. Folglich hat das kantonale Gericht - insbesondere
unter Verweis auf Art. 88a Abs. 1 und 2 IVG - den vom 1. Januar bis 31. Oktober
2010 und vom 1. Januar bis 30. April 2012 befristeten Anspruch auf eine ganze
Invalidenrente bestätigt.

4. 

4.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung
und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche
Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu
nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte
Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).

4.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 2). Die konkrete
Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung
des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln Rechtsfrage (BGE
132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4
mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden
Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE
133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1
BGG).

4.3. Der Versicherte rügt an diversen Stellen, die Vorinstanz habe sich mit
seiner Argumentation im kantonalen Beschwerdeverfahren ungenügend
auseinandergesetzt. Indessen war eine sachgerechte Anfechtung des Entscheids
vom 23. April 2015 möglich, weshalb nicht von einer Verletzung der - aus Art.
29 Abs. 2 BV sowie Art. 61 lit. h ATSG (SR 830.1) und Art. 112 Abs. 1 lit. b
BGG abgeleiteten - Prüfungs- und Begründungspflicht gesprochen werden kann
(vgl. BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; 133 III 439 E. 3.3 S. 445; 124 V 180 E. 1a S.
181).

4.4. Was der Beschwerdeführer gegen die Beweiskraft des Gutachtens der
Gutachterstelle B.________ vorbringt, hält nicht stand: In Bezug auf die
Einschätzungen des  Dr. med. C.________ hat das kantonale Gericht dem
Unterschied zwischen Behandlungs- und Begutachtungsauftrag Rechnung getragen (
BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353; Urteile 8C_740/2010 vom 29. September 2011 E. 6;
9C_842/2009 vom 17. November 2009 E. 2.2). Was das diagnostizierte
Schmerzsyndrom anbelangt, besteht ein Konsens unter den Experten, dass weder
aus somatischer noch aus psychiatrischer Sicht eine weitergehende als die
attestierte qualitative Einschränkung begründet werden kann; somit enthält das
Gutachten hinsichtlich der erwähnten Schmerzausweitung keinen unauflösbaren
inneren Widerspruch. Was die geltend gemachten neurologischen Ausfälle resp.
Sensibilitätsstörungen an Armen und Fingern betrifft, so berücksichtigte der
neurologische Gutachter nicht nur die Angaben des Versicherten und die bei der
Untersuchung u.a. der Extremitäten und Sensibilität erhobenen Befunde, sondern
auch den (dem Gutachten beigelegten) Bericht des NeuroZentrums  D.________ vom
6. Januar 2013, wonach ein eindeutiges motorisches Defizit im Bereich der
oberen Extremitäten klinisch nicht nachweisbar sei. In dieser Hinsicht ergibt
sich auch aus der erstmals behaupteten Tatsache, dass sich der Versicherte am
10. November 2014 einer Schulteroperation unterzog (Bericht vom 11. November
2014), nichts zu seinen Gunsten: Einerseits ist die Behauptung (samt
entsprechendem Bericht) von vornherein unzulässig (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG),
anderseits betrifft sie nicht den hier interessierenden Zeitraum bis zum Erlass
der Verfügung vom 29. Januar 2014. Ausserdem fehlen Anhaltspunkte dafür, dass
gebotene "neurologische Tests" nicht durchgeführt worden sein sollen. Weiter
spricht der Umstand, dass das Gutachten in Kenntnis der vollständigen Vorakten,
d.h. des Dossiers der IV-Stelle erstellt wurde, nicht gegen, sondern für dessen
Beweiskraft (E. 4.1). Schliesslich bedeutet die orthopädisch festgestellte
"gute Beweglichkeit" der Wirbelsäule nicht, dass der Experte die
Rückenoperationen nicht oder nur ungenügend berücksichtigt haben soll; er legte
denn auch nachvollziehbar dar, inwiefern er klinische Befunde erheben konnte,
die zur Annahme von qualitativen Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit führten.
Insgesamt genügt das Gutachten der Gutachterstelle B.________ den Anforderungen
an die Beweiskraft. Diesbezüglich beschränkt sich der Beschwerdeführer im
Wesentlichen auf eine eigene, von der Vorinstanz abweichende Beweiswürdigung
und Darstellung seiner gesundheitlichen Verhältnisse, was nicht genügt.

4.5. Sodann hat die Vorinstanz zwar das Gutachten des Instituts für
Rheumatologie und Schmerztherapie "  E.________" (  Dres. med. F.________
und  G.________) vom 16. September 2010 in die Beweiswürdigung miteinbezogen,
ihre Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit indessen nicht darauf,
sondern auf das Gutachten der Gutachterstelle B.________ abgestützt, wie sich
aus E. 6 des angefochtenen Entscheids ergibt. In diesem Zusammenhang kann nicht
von unvollständiger, geschweige denn willkürlicher (vgl. BGE 134 II 124 E. 4.1
S. 133; 132 I 175 E. 1.2 S. 177; 131 I 467 E. 3.1 S. 473 f.; je mit Hinweisen)
Beweiserhebung und -würdigung gesprochen werden. Zudem ist allein der
angefochtene Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichts und nicht ein -
ebenfalls erstmals behaupteter (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG) - allfälliger Verstoss
der IV-Stelle gegen das Datenschutzgesetz Gegenstand des bundesgerichtlichen
Beschwerdeverfahrens (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Damit bleiben die
vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit (E. 3) für das
Bundesgericht verbindlich (E. 2).

5. 

5.1. Auf der nicht medizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der
Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen
und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348, 128 V 29 E. 1 S. 30, 104 V
135 E. 2a und b S. 136 f.). In dieser Sicht stellt sich die Feststellung der
beiden hypothetischen Vergleichseinkommen als Tatfrage dar, soweit sie auf
konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen als Rechtsfrage, soweit sich der
Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa
die Fragen, ob Tabellenlöhne anwendbar sind und welches die massgebliche
Tabelle ist (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_255/2007 vom 12. Juni 2008
E. 1.2, nicht publ. in: BGE 134 V 322) sowie die Wahl der zutreffenden Stufe
(Anforderungsniveau 1, 2, 3 oder 4; Urteile 9C_965/2010 vom 1. März 2011 E.
4.2; I 860/06 vom 7. November 2007 E. 3.2 und I 732/06 vom 2. Mai 2007 E.
4.2.2).

5.2. Das kantonale Gericht hat für die Invaliditätsbemessung resp. die
Festlegung des Valideneinkommens auf die Begründung der IV-Stelle zu den
Verfügungen vom 29. Januar 2014 sowie auf die Vernehmlassung vom 24. April 2014
verwiesen und verbindlich (E. 2) festgestellt, dass für das Jahr 2010 sowohl
bei Anknüpfung an den früher tatsächlich erzielten Verdienst als auch bei
Berücksichtigung eines Tabellenlohnes der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung
des Bundesamtes für Statistik (LSE) "praktisch derselbe" Jahreslohn von Fr.
81'135.- resp. Fr. 81'120.- resultiere.

5.3. Entgegen der Darlegung des Beschwerdeführers ist klar ersichtlich, dass
die IV-Stelle in ihrer vorinstanzlichen Vernehmlassung die Tabelle TA1 der LSE
2010 heranzog und für das Valideneinkommen auf den Durchschnittslohn für Männer
im Baugewerbe, Anforderungsniveau 1 und 2 (Verrichtung höchst anspruchsvoller
und schwierigster resp. selbstständiger und qualifizierter Arbeiten) abstellte,
was praxisgemässem Vorgehen entspricht (Urteil 8C_704/2009 vom 27. Januar 2010
E. 4.2.1.1 mit Hinweisen). Der Versicherte beruft sich auf den
Durchschnittslohn im Niveau 1 und 2 der Tabelle TA1_b (LSE 2010). Dabei
verkennt er, dass sich dieses Niveau auf die berufliche Stellung und nicht auf
die Anforderungen des Arbeitsplatzes bezieht und nur für das oberste, obere und
mittlere Kader gilt. Anhaltspunkte dafür, dass er überhaupt je Kaderfunktionen
ausgeübt haben soll und entsprechende Fertigkeiten generell - für verschiedene
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber - ein- und umsetzen könnte (vgl. Urteil 8C_704
/2009 vom 27. Januar 2010 E. 4.2.1.2), sind nicht ersichtlich und wurden resp.
werden auch nicht geltend gemacht. Die in der Tabelle TA1_b ausgewiesenen
monatlichen Durchschnittslöhne für Männer im Niveau 4 (unterstes Kader) und
solche ohne Kaderfunktion sind denn auch erheblich tiefer als der herangezogene
Lohn der Tabelle TA1. Damit bleibt es beim vorinstanzlich bestätigten
Valideneinkommen 2010 von Fr. 81'120.- resp. Fr. 81'135.-.

5.4. Für die Vergleichseinkommen 2012 berücksichtigte die IV-Stelle die
jeweilige Nominallohnentwicklung. Gegen diese Anpassung bringt der
Beschwerdeführer nichts vor, weshalb sich diesbezüglich Weiterungen erübrigen.
Die Beschwerde ist unbegründet.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. September 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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