Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 325/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_325/2015

Urteil vom 25. Juni 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch CAP Rechtsschutz,
Beschwerdeführer,

gegen

Sanagate AG, Abteilung Recht & Compliance, Tribschenstrasse 21, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung (Krankenpflege),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
7. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ war im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei der
Sanagate AG (nachfolgend: Sanagate) im telemedizinischen Versicherungsmodell
SanaCall krankenversichert. Mit dieser Versicherungsform verpflichtet sich die
versicherte Person gemäss Reglement, die Dienste des von der Sanagate
unabhängigen Zentrums für Telemedizin (Medgate) in Anspruch zu nehmen, bevor
sie einen Leistungserbringer konsultiert oder sich in Behandlung begibt. Ohne
zuvor das Medgate zu kontaktieren, liess sich A.________ vom 25. September bis
3. Oktober 2013 medizinisch behandeln. Die Sanagate lehnte die Vergütung eines
Rückforderungsbeleges von Dr. med. B.________, über den Betrag von Fr. 401.50
ab. Die zwei Rechnungen des Spitals C.________ im Gesamtbetrag von Fr. 2'929.55
für Behandlungen vom 15.-16. Oktober 2013 und am 21. Oktober 2013 vergütete die
Sanagate zunächst direkt. Mit Verfügungen vom 29. Mai 2014 beschied sie, die
Kosten der Behandlungen durch Dr. med. B.________ würden nicht übernommen. Sie
forderte die für die Behandlungen am Spital C.________ erbrachten Leistungen
zurück. Beides bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 16. September 2014.

B. 
Die von A.________ erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau mit Entscheid vom 7. April 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. Die Sanagate sei zu
verpflichten, ihm die gesetzlichen Leistungen für die Konsultation bei Dr. med.
B.________ vom 25. September 2013 sowie die anschliessenden Spitalbehandlungen
zu erbringen; beziehungsweise sei festzustellen, dass die durch die Sanagate
erbrachten Leistungen nicht zurückzuzahlen seien. Ausserdem sei der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Erwägungen:

1.

1.1. Gemäss Art. 41 KVG können die Versicherten ihr Wahlrecht im Einvernehmen
mit dem Versicherer auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im
Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt. Der Versicherer muss
dann nur die Kosten für Leistungen übernehmen, die von diesen
Leistungserbringern ausgeführt oder veranlasst werden. Beansprucht der
Versicherte bei einer ambulanten Behandlung aus medizinischen Gründen einen
anderen Leistungserbringer, so richtet sich die Kostenübernahme nach dem Tarif,
der für diesen Leistungserbringer gilt. Medizinische Gründe liegen bei einem
Notfall vor oder wenn die erforderlichen Leistungen von einem im Wahlrecht
stehenden Leistungserbringer nicht angeboten werden.

1.2. Unter dem Titel "Obligatorische Kontaktaufnahme mit dem Zentrum für
Telemedizin und obligatorische Inanspruchnahme der Beratung" hält das
vorliegend massgebende Reglement (KVG) SanaCall (Ausgabe 2012) in Art. 5 Abs. 1
fest, dass die versicherte Person bei einem gesundheitlichen Problem
verpflichtet ist, vor jeder Konsultation eines ambulanten Leistungserbringers
bzw. vor jedem Eintritt in einen stationären Leistungserbringer mit dem Zentrum
für Telemedizin telefonisch Kontakt aufzunehmen. In Art. 6 des Reglements wird
geregelt, dass die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
vorgesehenen Leistungen nur vergütet werden, wenn die im Reglement
festgehaltenen Pflichten eingehalten wurden. Bei einer Notfallbehandlung ist
die versicherte Person verpflichtet, zum erstmöglichen Zeitpunkt das Zentrum
für Telemedizin zu orientieren, spätestens jedoch innert fünf Arbeitstagen
(Art. 7 Abs. 4 Reglement). Als Sanktion ist vorgesehen, dass keine Kosten für
vom Zentrum für Telemedizin nicht empfohlene Behandlungen erstattet werden bzw.
jegliche direkte Kostenübernahme gegenüber den Leistungserbringern verweigert
wird, sofern die versicherte Person den reglementarischen Pflichten
zuwiderhandelt (Art. 8 Reglement).

1.3. Das SanaCall-Modell lehnt sich an die Hausarztmodelle an. Dabei
verpflichten sich die Versicherten, aus einer beschränkten Anzahl von
Allgemeinpraktikern ihren Hausarzt und damit ihren Gatekeeper zu wählen. Dieser
stellt immer die erste Anlaufstelle für medizinische Dienstleistungen dar. Der
Gatekeeper übernimmt die medizinische Grundversorgung seiner Patienten und
überweist sie, falls medizinisch angezeigt, an Spezialisten oder Spitäler. Die
Patienten müssen sich - Notfälle und andere reglementarisch ausgeklammerte
Fälle vorbehalten - zwingend zuerst an den Gatekeeper wenden. Wer sich nicht
von ihm oder einem von diesem bezeichneten Arzt oder Spital behandeln lässt,
geniesst keinen Leistungsanspruch ( EUGSTER, Rechtsprechung des Bundesgerichts
zum Sozialversicherungsrecht, KVG, Rz. 35 zu Art. 41 KVG mit Hinweisen auf die
Rechtsprechung).

2. 
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der Krankenpflegeversicherung.

2.1. Der Beschwerdeführer ist in der besonderen Versicherungsform SanaCall nach
KVG versichert. Er unterliess es, vor der Inanspruchnahme von medizinischen
Leistungen das entsprechende Telefonportal anzurufen und den Behandlungsablauf
abzusprechen. Er rügt nun, ein Anruf beim Zentrum für Telemedizin stelle per se
kein valables alternatives Versicherungsangebot dar und die Sanktionierung
gemäss Art. 8 des Reglements führe im Ergebnis zu einer unerwünschten
Risikoentmischung sowie Entsolidarisierung zwischen den gewöhnlich
Grundversicherten und jenen, die über das Modell "SanaCall" versichert seien.
Da niemand in seriöser Absicht behaupten könne, dass die Grundversorgung einzig
durch Telefongespräche abgedeckt sei, verstosse das Reglement in diesem Punkt
gegen das Versicherungsobligatorium, wobei das Bundesgericht sich noch nicht
zur Zulässigkeit reglementarischer Bestimmungen geäussert habe, die für den
Fall von Obliegenheitsverletzungen die vollständige Leistungsverweigerung
vorsehen würden.

2.2. Das Argument ist unbehelflich, ein Telefonanruf könne keine persönliche
Konsultation bei einem Arzt ersetzen. Gemäss Art. 5.2 des Reglements SanaCall
berät das Zentrum für Telemedizin die versicherte Person medizinisch. Dazu
weist die Broschüre "SanaCall - Wichtiges in Kürze" darauf hin, dass eine
Telemedizinische Assistentin das Anliegen entgegen nimmt und einen
Rückruftermin vereinbart. Der Arzt des Zentrums für Telemedizin ruft dann
zurück. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation legt das Ärzteteam
die geeigneten nächsten Behandlungsschritte fest. Falls nötig, bleibt das
Zentrum für Telemedizin mit der anrufenden Person in engem Kontakt oder leitet
Sofortmassnahmen ein. Bei der Arzt- oder Spitalwahl ist die versicherte Person
frei (vgl. auch Art. 5.2 des Reglements). Mit anderen Worten wird der Zugang
zur medizinischen Versorgung nicht einschränkt, sondern es ist "nur" eine
vorprüfende Abklärung vorgesehen, anlässlich welcher auf einen bestimmten
Behandlungspfad verwiesen wird. Es besteht kein Anlass, die Praxis des
Bundesamtes für Gesundheit zu überprüfen, wonach Telefonmodelle, die - wie
vorliegend - den Behandlungspfad vorbestimmen, die Arztwahl aber frei lassen,
akzeptiert werden (Urteil 9C_8/2004 vom 14. Oktober 2014 E. 3.2).

2.3. Kann der Versicherer die Prämien für Versicherungen mit der dargelegten
"Vorprüfungspflicht" (vgl. E. 2.2 vorne) vermindern (Art. 9 des Reglements),
bedingt dies, dass mit einer Prämienreduktion zwingend auch ein höheres
Kostenrisiko verbunden ist, wenn sich die versicherte Person nicht an die
einschränkende Bedingung hält, da nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 KVG der
Versicherer von seinen Versicherten die gleichen Prämien erhebt, soweit das
Gesetz keine Ausnahme vorsieht. Denn die Versicherer müssen nach Art. 13 Abs. 2
lit. a KVG die soziale Krankenversicherung nach dem  Grundsatz der
Gegenseitigkeit durchführen und die  Gleichbehandlung der Versicherten
 gewährleisten. Das Konzept einer besonderen Versicherungsform, bei der sich
die versicherte Person vor der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen
telefonisch oder telemedizinisch an einen Arzt eines Beratungszentrums zu
wenden und den Anordnungen Folge zu leisten hat, beruht darauf, dass zunächst -
abgesehen von den statuierten Ausnahmen -  immereine telefonische/elektronische
Vorabklärung stattzufinden hat. Lässt sich eine versicherte Person nicht
telefonisch auf einen Behandlungspfad weisen oder hält sie sich nicht an einen
vorgegebenen Behandlungsablauf, darf dies - nicht anders als bei einer
Hausarztversicherung (zur Parallelität vgl. E. 1.3 vorne) - sanktioniert werden
(Urteil K 58/02 vom 6. Februar 2003 E. 3.1 f.).

2.4. Angesichts der klaren und unmissverständlichen Reglementsbestimmung hat
die Beschwerdegegnerin zu Recht (vgl. E. 1.1 vorne) die Vergütung der
strittigen Behandlungsleistungen abgelehnt resp. zurückgefordert. Diese
Verweigerung der Leistungspflicht stellt keinen Widerspruch zum
Verhältnismässigkeitsgrundsatz dar, ist er doch gerade - gleichermassen wie bei
der Hausarzt- und HMO-Versicherung - der Kern des vorliegenden
Versicherungsmodells. Dies gilt umso mehr, als Notfälle, gynäkologische und
augenärztliche Leistungen sowie verordnete Physiotherapien, Ergotherapien,
Logopädien, Ernährungsberatungen und Leistungen von Hebammen und Zahnärzten
ausgeklammert bleiben (Art. 7 des Reglements).

3. 
Mit diesem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der
Beschwerde gegenstandslos geworden.

4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung
mit Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Juni 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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