Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 315/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_315/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 8. Januar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 12. März 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1954 geborene A.________ arbeitet seit 1970 bei der B.________ AG. Im
August 2012 musste er wegen eines Erysipels am rechten Unterschenkel
hospitalisiert werden. Wenig später traten verschiedene Beschwerden
(Kopfschmerzen, Schwindel, Tagesmüdigkeit, Hypersomnie) auf, weshalb sich
A.________ im Januar 2013 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug
anmeldete. Die IV-Stelle Zürich zog die Akten der Krankentaggeldversicherung
bei und führte eigene berufliche und medizinische Abklärungen durch. Dabei
stellte sich heraus, dass der Versicherte an einer mässiggradigen obstruktiven
Schlafapnoe leidet. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die
IV-Stelle einen Rentenanspruch, weil es an einer dauerhaften Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit fehle (Verfügung vom 13. Dezember 2013).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 12. März 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die
Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm rückwirkend eine angemessene
Invalidenrente zuzusprechen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst
der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Der
Beschwerdeführer lässt letztinstanzlich den Gesamtarbeitsvertrag der B.________
AG, eine Bestätigung seiner Stundenabrechnungen für den Zeitraum vom 1. Januar
2010 bis 31. März 2015 (Schreiben vom 7. April 2015) und die persönlichen
Einsatzpläne für die Jahre 2010 bis 2014 einreichen. Es handelt sich dabei
unbestritten um neue Beweismittel. Gegenstand des vorinstanzlichen
Schriftenwechsels war - in Anbetracht der Verfügungsbegründung - das Vorliegen
einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit aus medizinischen Gründen. Wie der
Beschwerdeführer zutreffend darlegt, konnte er nicht voraussehen, dass die
Vorinstanz die Einschränkung seiner Arbeitsfähigkeit einzig anhand der effektiv
geleisteten Arbeitsstunden berechnen w ürde. Insoweit hat erst der
vorinstanzliche Entscheid Anlass zur Einreichung der Unterlagen gegeben; sie
sind zulässig.

3. 
Das kantonale Gericht hat den Invaliditätsgrad des Versicherten festgelegt,
indem es dessen zuletzt absolvierte Arbeitszeiten auf der Basis einer
Sechstagewoche der betriebsüblichen Arbeitszeit (42 Stunden) gegenüber gestellt
hat. Daraus hat es eine Einschränkung von 39.29 % ermittelt und einen
Rentenanspruch verneint. Es hat offen gelassen, ob die beim Beschwerdeführer
diagnostizierte mässiggradige obstruktive Schlafapnoe überhaupt einen
invalidisierenden Gesundheitsschaden darstellt. 

3.1. Die Vorinstanz hat im Einzelnen festgestellt, aus dem Arbeitgeberbericht
vom 11. März 2013 gehe hervor, dass der Beschwerdeführer seit 1970 bei der
B.________ AG angestellt sei. Seine Arbeitszeit habe vor Eintritt des
Gesundheitsschadens 7 Stunden pro Tag und 42 Stunden in der Woche und nach
Eintritt des Gesundheitsschadens 4.9 Stunden pro Tag und 29.4 Stunden in der
Woche betragen. Daraus folge, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitszeit an
sechs Tagen in der Woche zu leisten habe.
In Bezug auf die effektive Arbeitszeit des Versicherten nach Eintritt des
Gesundheitsschadens ist den vorinstanzlichen Feststellungen zu entnehmen, die
vom Beschwerdeführer ausgeübte Arbeitsschicht dauere üblicherweise von 18.45
bis 23.00 Uhr. Bei einer Sechstagewoche ergebe sich eine wöchentliche
Arbeitszeit von 25.5 Stunden, woraus verglichen mit der betriebsüblichen
Arbeitszeit von 42 Stunden eine zeitliche und erwerbliche Einschränkung von
39.29 % resultiere.

3.2.

3.2.1. Die von der Vorinstanz herangezogenen Arbeitszeiten des Versicherten vor
Eintritt des Gesundheitsschadens (7 Stunden pro Tag/42 Stunden pro Woche) und
im Februar 2013 (4.9 Stunden pro Tag/29.4 Stunden pro Woche)ergeben sich aus
den Akten (Arbeitgeberbericht vom 11. März 2013). Letztere Angabe stimmt auch
mit den persönlichen Einsatzplänen, welche der Beschwerdeführer verurkundet
hat, überein (vgl. beispielsweise die Einsatzzeiten in der Woche vom 18. bis
22. Februar 2013 von 5 Stunden und 55 Minuten pro Tag). Nichts anderes gilt für
die Schichtzeiten, welche der Beschwerdeführer bis im Verfügungszeitpunkt
geleistet hat (üblicherweise 18.45 bis 23.00 Uhr; vgl. Bericht des Zentrums
E.________ vom 3. Oktober 2013).
Was jedoch die effektiv geleisteten Arbeitstage betrifft, bestehen begründete
Zweifel, ob der Beschwerdeführer für gewöhnlich an sechs Tagen pro Woche
arbeitet oder gearbeitet hat. Im Gegenteil ist dem Bestätigungsschreiben der
B.________ AG vom 7. April 2015 (vgl. E. 2) zu entnehmen, dass sich sein
Arbeitspensum seit 2008 konstant auf fünf Tage pro Woche verteilte; dies
bestätigen die persönlichen Einsatzpläne des Versicherten, woraus für die
Zeitspanne von vier Jahren (1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2014) keine Woche
mit mehr als fünf absolvierten Arbeitstagen hervorgeht. Mit Blick darauf kann -
entgegen den Erwägungen des kantonalen Gerichts - nicht zum vorneherein
geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer nach Eintritt des
Gesundheitsschadens (übliche Schichtzeiten von 18.45 bis 23.00 Uhr; 4 Stunden
15 Minuten pro Tag) an wöchentlich sechs Arbeitstagen arbeitete. Insoweit ist
der vorinstanzlichen Berechnung und damit auch der (einzigen) Begründung des
angefochtenen Entscheides die Grundlage entzogen.

3.2.2. Der Sachverhalt ist insoweit zu ergänzen (vgl. BGE 136 V 362 E. 4.1 S.
366), als die behandelnden Ärzte des Zentrums E.________ festhielten, die
CPAP-Therapie habe zum Ziel, die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers
(Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit im Berichtszeitpunkt: 50 %) zu
verbessern; die Behandlung müsse konsequent "mit einer Compliance von
mindestens 80 %" eingesetzt werden (vgl. Bericht des Zentrums E.________ vom 3.
Oktober 2013 zu Handen der IV-Stelle, S. 3). Dem Verlaufsbericht des Zentrums
E.________ vom gleichen Datum (S. 9) ist diesbezüglich zu entnehmen, dass der
Patient die CPAP-Therapie seit 6. September 2013 nach eigenen Angaben lediglich
zehn Mal eingesetzt und die Maske während einer bis anderthalb Stunden pro
Nacht getragen hatte. Vor diesem Hintergrund liegt - wie auch immer die
ärztlichen Angaben zur Compliance zu interpretieren sind (mindestens 80 %
Sauerstoffsättigung oder Anzahl Nächte resp. "Nachtzeit") - keine genügende
Behandlung vor. Somit ist bislang nicht erstellt, dass der Versicherte die
(grundsätzlich zumutbare) CPAP-Therapie mit der nötigen Konsequenz durchführt,
wozu er im Rahmen der Schadenminderungspflicht verpflichtet ist (vgl. Urteil
8C_53/2010 vom 26. Mai 2010 E. 5.2.1 mit Hinweisen). Davon abgesehen werfen die
Angaben seiner Ehefrau, wonach er ruhig schlafe (vgl. Bericht des Zentrums
E.________ vom 3. Oktober 2013 an die IV-Stelle, S. 2), Fragen in Bezug auf
seine eigene Angabe auf, die Maske jeweils nacheiner bis anderthalb Stunden im
Schlaf zu entfernen, ohne es zu bemerken.
Von Relevanz ist auf der anderen Seite der Bericht eines Zentrums F.________.
Dieser datiert zwar vom 6. Januar 2014 und damit nach Erlass der Verfügung am
13. Dezember 2013 (zum massgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des
rechtserheblichen Sachverhalts vgl. BGE 131 V 242 E. 2.1 S. 243); Rückschlüsse
auf den vorliegend massgebenden Zeitraum können aber insoweit gezogen werden,
als drei von vier Konsultationen im Zentrum F.________ (26. November/6. und 9.
Dezember 2013) vor dem Verfügungszeitpunkt stattfanden. Die dortigen Neurologen
Dres. med. C.________ und D.________ hielten weitere Abklärungen
(neuropsychologische Untersuchung) explizit für erforderlich. Insbesondere
wiesen sie darauf hin, dass die (progredienten) Beschwerden des Versicherten
(Beinataxie; Gedächtnisprobleme, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen)
nicht allein durch das Schlafapnoe-Syndrom erklärt werden könnten.

3.3. Nach dem Gesagten beruht der vorinstanzliche Entscheid auf ungenügender
Beweisgrundlage. Das kantonale Gericht hat den rechtserheblichen Sachverhalt
mit Blick auf die effektive Arbeitszeit des Versicherten willkürlich
festgestellt, was Bundesrecht verletzt (E. 1). Nachdem die Sache in
medizinischer Hinsicht der Ergänzung bedarf (vgl. E. 3.2.2), rechtfertigt es
sich, sie direkt an die Verwaltung zurückzuweisen. Dabei wird - je nach sich
ergebender Befundlage - im Rahmen der Invaliditätsbemessung zu prüfen sein, ob
eine zusätzliche Lohneinbusse wegen Verlusts der Führungsfunktion stattgefunden
hat.

4. 
Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu weiterer Abklärung (mit noch
offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch
der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1
sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Dementsprechend
sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 BGG), welche dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
auszurichten hat (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. März 2015und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 13. Dezember 2013 werden
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verfügung an die IV-Stelle des Kantons
Zürich zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Januar 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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