Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 311/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_311/2015

Urteil vom 9. Juli 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse Berner Arbeitgeber, Murtenstrasse 137a, 3008 Bern,
Beschwerdegegnerin,

B.________.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 1. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die C.________ AG war der Ausgleichskasse Berner Arbeitgeber als
beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. A.________ war als deren
Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift im Handelsregister eingetragen. Mit
Verfügung vom xxx wurde der Gesellschaft ein Konkursaufschub bis xxx gewährt,
worauf die Ausgleichskasse ihre bereits eingeleiteten Inkassomassnahmen
sistierte. Mit Verfügung vom 20. Juni 2011 verpflichtete sie A.________ zur
Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 92'978.-. Am xxx 2011 wurde
über die C.________ AG der Konkurs eröffnet. Die Ausgleichskasse erliess am 30.
Oktober 2012 eine neue Schadenersatzverfügung über Fr. 125'649.40. Die dagegen
erhobene Einsprache des A.________ wies sie mit Einspracheentscheid vom 20. Mai
2014 ab.

B. 
In teilweiser Gutheissung der von A.________ gegen den Einspracheentscheid vom
20. Mai 2014 erhobenen Beschwerde änderte das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern mit Entscheid vom 1. April 2015 den Einspracheentscheid insoweit ab, als
es den Schadenersatz, in Nachachtung einer entsprechenden Änderung des
Rechtsbegehrens der Ausgleichskasse, auf Fr. 112'319.50 reduzierte. Im Übrigen
wies es die Beschwerde ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie die Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz zur (ergänzenden) Sachverhaltsfeststellung und zu neuem
Entscheid.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu
Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
D ie Grundlagen der Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG [in der hier relevanten,
bis 31. Dezember 2011 gültig gewesenen Fassung]; Art. 14 Abs. 1 AHVG in
Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die hiezu ergangene Rechtsprechung,
insbesondere betreffend die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (
BGE 129 V 11, 126 V 237, 123 V 12 E. 5b S. 15, je mit Hinweisen), den Eintritt
des Schadens mit Konkurseröffnung (BGE 136 V 268 E. 2.6 S. 273, 126 V 443 E. 3c
S. 445), die Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 193 E. 2a S. 195 mit Hinweisen), die
Voraussetzung des qualifizierten Verschuldens und den dabei zu
berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 199 E. 3a
S. 202 und seitherige Rechtsprechung) legte die Vorinstanz zutreffend dar.
Darauf wird verwiesen.

3. 
Nach den verbindlichen und im Übrigen unbestrittenen Feststellungen der
Vorinstanz war der Beschwerdeführer als Mitglied des Verwaltungsrates mit
Einzelunterschrift formelles Organ der C.________ AG. Ebenfalls steht fest,
dass die nachmalig konkursite C.________ AG Sozialversicherungsbeiträge
(inklusive Mahngebühren, Verzugszinsen und Betreibungskosten) nicht beglichen
und die Beschwerdegegnerin im Konkursverfahren eine Forderung von Fr.
112'319.50 angemeldet hatte. Dieser Betrag war im Kollokationsplan vom 28.
April 2014 als Forderung zweiter Klasse aufgenommen und zugelassen worden. Auf
den in der zweiten Klasse kollozierten Forderungen wird nach den weiterhin
verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid keine Dividende
entfallen. Die Vorinstanz schloss daher zu Recht auf einen vollständigen
Verlust und folglich eine - nicht substantiiert bestrittene - Schadenshöhe von
Fr. 112'319.50 (zum Schadenseintritt vgl. den in E. 2 zitierten BGE 136 V 268
E. 2.6 S. 273).

4. 

4.1. Die Vorinstanz stellte in keiner Weise willkürlich, sondern korrekt und
letztinstanzlich verbindlich fest, die Pflicht zur Abrechnung und Entrichtung
von Sozialversicherungsbeiträgen sei während Jahren nicht oder ungenügend
erfüllt worden. Sie erwog, damit sei die Widerrechtlichkeit gegeben. Auch dies
ist nicht zu beanstanden. Werden - wie hier - während langer Zeit (mehr als ein
Jahr) Beiträge nicht entrichtet, in der gleichen Zeit aber Löhne bezahlt, gilt
dies als Normverstoss (gegen Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 36
AHVV) und somit als widerrechtlich (z.B. Urteil 9C_111/2007 vom 17. September
2007 E. 3.1). Dass die C.________ AG seit dem Jahr 2001 wiederholt gemahnt und
mehrfach betrieben werden musste und überdies Vereinbarungen mit der
Beschwerdegegnerin zur Reduktion der Zahlungsrückstände "nicht immer korrekt
eingehalten" hatte, sondern die Ausstände weiter anwachsen liess, ist
ausführlich dokumentiert (Schreiben der Ausgleichskasse vom 21. August 2009).
Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine
Widerrechtlichkeit nicht bereits dann entfällt, wenn die Meldepflicht erfüllt
wird, sondern überdies erforderlich ist, dass auch der Beitragszahlungspflicht
nachgekommen wird (z.B. Urteil 9D_1/2013 vom 25. September 2013 E. 3.2).

4.2. 

4.2.1. Die Haftung nach Art. 52 AHVG ist keine Kausalhaftung. Die
Schadenersatzpflicht der Organe setzt ein qualifiziertes Verschulden voraus.
Eine Nichtabrechnung oder Nichtbezahlung der Beiträge als solche kann nicht
bereits einem haftungsbegründenden Verschulden gleichgesetzt werden (BGE 121 V
243 E. 5 S. 244; Urteile 9C_425/2010 vom 9. September 2010 E. 1 und 9C_330/2010
vom 18. Januar 2011 E. 3.3). Es bedarf vielmehr zusätzlich zur
Widerrechtlichkeit (Missachtung von Art. 14 Abs. 1 AHVG) eines Verschuldens in
Form von Absicht oder grober Fahrlässigkeit.

4.2.2. Werden bei ungenügender Liquidität die einen Forderungen bezahlt, andere
aber nicht, ist dies grundsätzlich - insbesondere auch im Rahmen der
Organhaftung nach Art. 754 OR - nicht grobfahrlässig. Nach der Rechtsprechung
zu Art. 52 AHVG, von welcher abzugehen kein Anlass besteht, ist es allerdings -
allenfalls abgesehen von kurzfristigen Ausständen - grobfahrlässig, Löhne zu
bezahlen, wenn die darauf geschuldeten AHV-Beiträge nicht gedeckt sind (z.B.
Urteil 9C_38/2015 vom 15. Mai 2015 E. 3.3 mit Hinweisen). Gegenteiliges
Verhalten ist den verantwortlichen Organen grundsätzlich als qualifiziertes
Verschulden zuzurechnen (BGE 121 V 243 E. 4b S. 244), was die volle
Schadenersatzpflicht nach sich zieht (Urteil 9C_152/2009 vom 18. November 2009
E. 5.2, in: SVR 2010 AHV Nr. 4 S. 11), sofern ein adäquater Kausalzusammenhang
zwischen der schuldhaften Verletzung von Vorschriften und dem Schadenseintritt
besteht und die Ausgleichskasse kein Mitverschulden trifft (z.B. Urteil 9C_660/
2011 vom 31. Mai 2012 E. 2.1 mit Hinweisen, in: SVR 2012 AHV Nr. 13 S. 50).

Der Grund liegt in der besonderen Natur der AHV-Beiträge, hinsichtlich welcher
der Arbeitgeber die Funktion eines Vollzugsorgans ausübt (Art. 51 AHVG). Daraus
resultiert eine besondere Pflicht, für die ordnungsgemässe Bezahlung der
Beiträge zu sorgen. So reicht etwa als Exkulpationsgrund nicht, dass die
Auszahlung von Löhnen für die Aufrechterhaltung eines Betriebs (und damit zur
Wahrung einer minimalen Sanierungschance) zentral sind. Auch die vom
Versicherten letztinstanzlich angeführten Entlastungsgründe (namentlich der
Auftragseinbruch im Zuge der Wirtschaftskrise 2008, die Entlassung der Hälfte
der Belegschaft, die von ihm der Gesellschaft gewährten Aktionärsdarlehen, sein
Verzicht auf Lohnauszahlung sowie die Straffung der Produktepalette), so sie
überhaupt zu berücksichtigen wären (was offen bleiben kann), vermöchten den
Vorwurf der Grobfahrlässigkeit nicht zu entkräften (vgl. Urteile 9C_463/2011
vom 14. Juli 2011 E. 6.2 und 9C_204/2008 vom 6. Mai 2009 E. 3.3 mit Hinweisen).
Gerade im Bewusstsein der schlechten finanziellen Lage der C.________ AG hätte
der Beschwerdeführer als verantwortliches Organ in erster Linie rasch für die
Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen sorgen müssen,
anstatt durch weitere Lohnauszahlungen ein Ansteigen von Beitragsausständen zu
verursachen. Die lange Dauer kann klar nicht mehr als kurzfristiger Ausstand
betrachtet werden, welcher eine Exkulpation zu bewirken vermöchte (BGE 108 V
183 E. 2 S. 188, bestätigt in BGE 121 V 243). Das kantonale Gericht hat somit
zu Recht auch das Verschulden bejaht.

4.3. Inwiefern die Vorinstanz schliesslich den adäquaten Kausalzusammenhang (
BGE 128 V 124 E. 4f S. 133) willkürlich bejaht haben soll, legt der
Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar dar. Es liegt auf der Hand, dass der
Gesamtschaden entsprechend tiefer ausgefallen wäre, hätte er pflichtgemäss nur
so viel Lohn ausbezahlt, als die darauf unmittelbar entstandenen
Beitragsforderungen gedeckt gewesen wären.

5. 
Der angefochtene, in Nachachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur
Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG ergangene Entscheid hält in allen Teilen
vor Bundesrecht stand. Für eine Praxisänderung besteht keinerlei Anlass (zu den
diesbezüglichen Voraussetzungen BGE 138 III 359 E. 6.1 S. 361; 137 V 282 E. 4.2
S. 291; 134 V 72 E. 3.3 S. 76). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
ist die Beschwerde offensichtlich unbegründet und im vereinfachten Verfahren
mit summarischer Begründung nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG zu
erledigen.

6. 
Der Beschwerdeführer hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen
( Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 5000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Juli 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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