Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 309/2015
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_309/2015

Urteil vom 27. Oktober 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch
Rechtsanwältin Elisabeth Tribaldos,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 19. März 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 23. September 2013 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich
A.________ eine ganze Rente der Invalidenversicherung samt drei Kinderrenten
für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 31. März 2013 zu.

B. 
Die Beschwerde der A.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 19. März 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
der Entscheid vom 19. März 2015 und die Verfügung vom 23. September 2013 seien
aufzuheben und ihr die gesetzlichen Leistungen auch über den 31. März 2013
hinaus weiterhin auszurichten; eventualiter sei die Sache zur erneuten
Abklärung an die IV-Stelle zurückzuweisen.

Die IV-Stelle ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs.
1 BGG). Diese im Wesentlichen auf eine Willkürprüfung beschränkte
Überprüfungsbefugnis in tatsächlicher Hinsicht gilt auch in Bezug auf die
konkrete Beweiswürdigung (BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153; Urteil 9C_858/2014 vom
3. September 2015 E. 2.1).

Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen
Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die
geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und
der medizinischen Situation einleuchtet und wenn die Schlussfolgerungen des
Arztes begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Nach der Rechtsprechung
ist es zulässig, im Wesentlichen oder einzig auf versicherungsinterne
medizinische Unterlagen abzustellen. In solchen Fällen sind an die
Beweiswürdigung jedoch strenge Anforderungen in dem Sinne zu stellen, dass bei
auch nur geringen Zweifeln an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der
ärztlichen Feststellungen ergänzende Abklärungen vorzunehmen sind (BGE 139 V
225 E. 5.2 S. 229; 122 V 157 E. 1d S. 162). Selbst nicht auf eigenen
Untersuchungen beruhende Berichte und Stellungnahmen regionaler ärztlicher
Dienste können beweiskräftig sein, sofern ein lückenloser Befund vorliegt und
es im Wesentlichen nur um die Beurteilung eines an sich feststehenden
medizinischen Sachverhalts geht (Urteil 4A_505/2012 vom 6. Dezember 2012 E.
3.6), mithin die direkte fachärztliche Befassung mit der versicherten Person in
den Hintergrund rückt (Urteil 9C_25/2015 vom 1. Mai 2015 E. 4.1 mit Hinweisen).
Ob einem Arztbericht Beweiswert zukommt, ist eine grundsätzlich frei prüfbare
Rechtsfrage (Urteil 9C_858/2014 vom 3. September 2015 E. 2.2).

2. 
Streitgegenstand ist, ob die Beschwerdeführerin ab 1. April 2013 Anspruch auf
eine Rente der Invalidenversicherung hat (BGE 133 II 35 E. 2 S. 38; Art. 107
Abs. 1 BGG und Urteil 9C_848/2014 vom 29. April 2015 E. 1).

3. 
Die Beschwerdegegnerin ermittelte in Anwendung der gemischten Methode (Art. 28a
Abs. 3 IVG; BGE 141 V 15 E. 4.5 S. 22 f.; grundlegend BGE 125 V 146) für die
Zeit ab 19. Dezember 2012 einen Invaliditätsgrad von 6 % (0,73 x 0 % + 0,27 x
23 %; zum Runden BGE 130 V 121), was zur Aufhebung der gleichzeitig
zugesprochenen ganzen Rente auf Ende März 2013 gestützt auf Art. 17 Abs. 1 ATSG
führte (Art. 28 Abs. 2 IVG und Art. 88a Abs. 1 IVV; BGE 109 V 125; Urteil 8C_94
/2013 vom 8. Juli 2013 E. 4.1). Die Vorinstanz hat diese Invaliditätsbemessung
bestätigt. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass die IV-Stelle ab 19.
Dezember 2012 (Austritt aus der Klinik B.________) von einem verbesserten
Gesundheitszustand mit einer (wiedererlangten) Arbeitsfähigkeit von 100 % in
angepasster Tätigkeit ausgegangen sei. Die geltend gemachte gesundheitliche
Verschlechterung finde in den Akten keine Stütze.
Die Beschwerdeführerin rügt, der rechtserhebliche medizinische Sachverhalt sei
unvollständig abgeklärt. Der Austrittsbericht der Klinik B.________ vom 20.
Dezember 2012 und die Stellungnahme des Orthopäden vom regionalen ärztlichen
Dienst (RAD) vom 6. April 2013, worauf die Vorinstanz im Wesentlichen
abgestellt habe, seien nicht schlüssig. Insbesondere sei eine Verbesserung des
Gesundheitszustandes nicht nachgewiesen.

4.

4.1. Gemäss der Beweiswürdigung der Vorinstanz (E. 4.1-6 des angefochtenen
Entscheids) hat sich einzig der Orthopäde des RAD im Rahmen seiner
Aktenbeurteilung vom 6. April 2013 zur Frage einer Verbesserung des
Gesundheitszustandes geäussert. Danach hat sich der am 1. Januar 2012
bestandene Gesundheitsschaden (posttraumatisch persistierender, belastungs- und
bewegungsabhängig verstärkter Beinschmerz rechts bei bildgebend nachgewiesener
Gonarthrose und Horizontalriss des Innenmeniskus), der die Arbeitsfähigkeit
vollumfänglich eingeschränkt habe, stabilisiert und erlaube (seit Austritt aus
der Klinik B.________ am 19. Dezember 2012), einer angepassten Tätigkeit zu 100
% nachzugehen. Diese Einschätzung findet in den übrigen medizinischen Akten
keine genügende Stütze. Daraus ergibt sich lediglich, dass die Ärzte das
Beschwerdebild bzw. die Intensität der geklagten Beschwerden nur teilweise mit
den klinisch und bildgebenden Befunden zu erklären vermochten. was im Übrigen
bereits anlässlich des ersten Aufenthalts in Bellikon im Sommer 2011 der Fall
war, wie die Vorinstanz festgestellt hat.

Die im Austrittsbericht der Klinik B.________ vom 20. Dezember 2012 erwähnte
erhebliche Symptomausweitung allein lässt nicht den Schluss auf einen
verbesserten Gesundheitszustand zu, ebenso nicht das als nicht adäquat
bezeichnete Schmerzverhalten oder der Umstand, dass die Versicherte als wenig
interessiert an einem besseren Umgang mit Schmerzen beschrieben wurde. Dagegen
spricht insbesondere, dass im Bericht vom 29. November 2012 über die
orthopädische Untersuchung vom selben Tag ausgeführt wurde, die Patientin sei
vor dem schliesslich am 14. September 2012 vorgenommenen Eingriff
(Kniegelenksarthroskopie rechts mit Teilmeniskektomie medial) darauf
hingewiesen worden, "dass unfallunabhängig eine vorbestehende Gonarthrose
besteht und sich ev. die Beschwerden nach Meniskus-Teilentfernung nicht
unbedingt bessern würden. Genau dies ist jetzt eingetreten." Weiter wurde
festgehalten, die jetzigen Beschwerden seien durchaus erklärbar durch die
vorbestandene, bereits ausgeprägte, medial geprägte Gonarthrose und
Retropatellararthrose. Gemäss dem Bericht des Dr. med. C.________, Facharzt FMH
für Orthopädische Chirurgie, vom 9. September 2013 bestehen - MRI-befundet -
ausgeprägte Infraktionen bzw. beginnende Nekrosebildungen. In diesem
Zusammenhang wird in der Beschwerde richtig darauf hingewiesen, dass im
Austrittsbericht vom 20. Dezember 2012 ausdrücklich festgehalten wurde, die
Zumutbarkeitsbeurteilung erfolge aus unfallkausaler Sicht, somit unter
Ausklammerung von Vorzuständen.

4.2. Nach dem Gesagten kann die Frage nach einer revisionsrechtlich erheblichen
Verbesserung des Gesundheitszustandes spätestens seit 19. Dezember 2012 nicht
abschliessend beurteilt werden. Die Sache ist insoweit nicht spruchreif. Auf
die Aktenbeurteilung durch den RAD ohne eigene Untersuchung allein kann nicht
abgestellt werden. Insoweit beruht der angefochtene Entscheid auf einem
unvollständig festgestellten Sachverhalt, was Bundesrecht verletzt (Art. 95
lit. a BGG; Art. 61 lit. c ATSG und Urteil 9C_341/2015 vom 18. September 2015
E. 1.1). Die Beschwerdegegnerin wird ergänzende Abklärungen vorzunehmen haben
und danach, allenfalls nach Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens
(Art. 21 Abs. 4 ATSG), über den Rentenanspruch ab 1. April 2013 neu verfügen.
Die Beschwerdeführerin ist an ihre jederzeit wahrzunehmende
Schadenminderungspflicht (BGE 113 V 22 E. 4a S. 28) hinzuweisen. Im
Austrittsbericht der Klinik B.________ vom 20. Dezember 2012 wurden intensive
Physiotherapie mit Muskelkräftigung mit begleitender antiphlogistischer und
analgetischer Medikation empfohlen und eine deutliche Gewichtsreduktion als von
Vorteil bezeichnet. In diesem Sinne ist die Beschwerde im Eventualstandpunkt
begründet.

5. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. März 2015 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 23. September 2013 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen, damit sie
im Sinne der Erwägungen über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Rente
der Invalidenversicherung ab 1. April 2013 neu verfüge. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung
des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. Oktober 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben