Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 243/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_243/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 15. Juli 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

Vorsorgestiftung der Basler Versicherung AG, c/o Basler Versicherung AG,
Aeschengraben 21, Postfach, 4002 Basel.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 17. Februar 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________, geboren 1967, war ab 1. August 1995 als Betriebsarbeiterin in
der Firma B.________ AG tätig. Am 17. Dezember 2003 meldete sie sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen bejahte die
IV-Stelle des Kantons Aargau mit Verfügung vom 18. September 2007 rückwirkend
ab dem 1. April 2006 den Anspruch auf eine halbe Invalidenrente. A.________
reichte gegen die Verfügung beim kantonalen Versicherungsgericht Beschwerde
ein. Dieses wies die Sache zur weiteren Abklärung und Neuverfügung an die
IV-Stelle zurück (Entscheid VBE.2007.766 vom 9. Dezember 2008). Die IV-Stelle
holte ein bidisziplinäres Gutachten der MEDAS vom 2. Juni 2010 ein. Nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verfügte sie am 5. Juli 2011 die
rückwirkende Ausrichtung einer befristeten halben Invalidenrente vom 1. April
2006 bis zum 31. Juli 2009. A.________ erhob wiederum Beschwerde beim
kantonalen Versicherungsgericht. Jenes hiess sie teilweise gut und wies die
Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurück (Entscheid VBE.2011.590
vom 3. April 2012).

A.b. Die IV-Stelle liess A.________ beim Zentrum C.________ bidisziplinär
(psychiatrisch/rheumatologisch) untersuchen (Expertise vom 25. November 2013).
Mit Vorbescheid vom 8. Januar 2014 und Verfügung vom 24. Februar 2014 sprach
die IV-Stelle ihr für die Zeit vom 1. April 2006 bis 31. Juli 2009 befristet
eine halbe Rente zu.

B. 
Die Beschwerde der A.________ hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
mit Entscheid vom 17. Februar 2015 teilweise gut. Es änderte die Verfügung v om
31. März 2014 (recte: 24. Februar 2014) dahingehend ab, dass die Versicherte
Anspruch auf eine befristete halbe Invalidenrente vom 1. April 2006 bis zum 31.
Oktober 2009 hat.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der angefochtene Entscheid und die Verfügung seien aufzuheben.
Es sei ihr ab 1. April 2006 bis und mit 31. Oktober 2009 eine Dreiviertelsrente
(samt entsprechenden Kinderrenten) und ab 1. November 2009 eine Viertelsrente
(samt entsprechenden Kinderrenten) zuzusprechen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Streitig und zu prüfen ist allein, ob und in welchem Umfang
Überstundenentschädigungen als hypothetisches Valideneinkommen anzurechnen
sind. Die Beschwerdeführerin hat deren Einbezug ins Valideneinkommen sowohl im
Verwaltungsverfahren als auch im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren verlangt.

2. 
Ein vor Eintritt des Gesundheitsschadens erzieltes (hohes) Einkommen, welches
mit einem überdurchschnittlichen zeitlichen Aufwand erarbeitet worden ist, muss
im Rahmen des sozialversicherungsrechtlichen Einkommensvergleichs nicht
systematisch auf ein 100-%-Pensum reduziert werden (SVR 2011 IV Nr. 55 S. 163;
8C_671/2010 E. 4.5). Die Invalidenversicherung bietet als
Erwerbsunfähigkeitsversicherung grundsätzlich nur Versicherungsschutz für eine
übliche, normale erwerbliche Tätigkeit (a.a.O., E. 4.5.2); in diesem Rahmen
sind aber auch sehr hohe bisherige Einkommen zu berücksichtigen (a.a.O., E.
4.5.5). Überstundenentschädigungen gehören zum Valideneinkommen, wenn und
soweit die versicherte Person effektiv weiterhin mit solchen Einkünften hätte
rechnen können (Urteile 9C_159/2010 vom 1. Juli 2010 E. 6.4, 9C_8/2012 vom 12.
März 2012 E. 2.2.2; Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über die
Invalidenversicherung, 3. Aufl. 2014, Art. 28a N. 70).

3. 
Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, die vorinstanzliche Ermittlung des
Invaliditätsgrades nach dem Prozentvergleich lasse die Tatsache
unberücksichtigt, dass sie bei der Arbeit in der Firma B.________ regelmässige
Überstunden zu leisten gehabt habe. Aufgrund der Kontinuität über drei Jahre
sei erwiesen, dass sie auch weiterhin Überzeit geleistet hätte.

3.1. Bei einem Prozentvergleich wird das ohne Invalidität erzielbare
hypothetische Erwerbseinkommen mit 100 % bewertet, während das
Invalideneinkommen auf einen entsprechend kleineren Prozentsatz veranschlagt
wird, so dass sich aus der Prozentdifferenz der Invaliditätsgrad ergibt.

3.2. Da die - von der Beschwerdeführerin - zuletzt ausgeübte Tätigkeit als
Betriebsmitarbeiterin in der Firma B.________ dem zumutbaren Leistungsprofil
entspricht, hat die Vorinstanz den Grundwert des Valideneinkommens unbesehen um
den Grad der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit gekürzt. Ob und inwieweit
weitere Faktoren, insbesondere die geltend gemachten Überstunden, dem Schluss
von der Arbeitsunfähigkeit auf die Erwerbsunfähigkeit entgegen stehen, hat die
Vorinstanz nicht geprüft. Sie hat ohne weitere Begründung erwogen, dass "für
das Validen- und Invalideneinkommen von gleichen Werten auszugehen ist". Dies
trifft jedoch nur zu, wenn die geltend gemachte Überstundenentschädigung nicht
zum Validenlohn gehört oder, wenn doch, die tatsächlich verbliebene
Leistungsfähigkeit der Versicherten (ebenfalls) grösser als die ausgewiesene
medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit ist.

3.3. Nachdem die Vorinstanz zu dieser entscheidwesentlichen Frage keine
Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat, mithin die befristete Rentenzusprache
auf einer unvollständigen Sachverhaltsgrundlage beruht, ist die Sache an das
kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es über den Rentenanspruch der
Beschwerdeführerin neu entscheide.

4. 
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. Februar 2015 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im
Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Vorsorgestiftung der Basler Versicherung
AG, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. Juli 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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