Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 235/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
9C_235/2015   {T 0/2}     

Urteil vom 17. Dezember 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Pfiffner,
Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring,
Beschwerdeführerin,

gegen

Gemeinde Nottwil,
Obere Kirchmatte 1, 6207 Nottwil, vertreten durch den Gemeinderat Nottwil,
Zentrum Sagi, 6207 Nottwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 4. März 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ stellte ihre als freiberufliche Pflegefachfrau unter anderem in der
Gemeinde Nottwil erbrachten ambulanten Pflegeleistungen der Gemeinde jeweils
gemäss den Stundenansätzen des Verbandes der Luzerner Gemeinden (VLG) in
Rechnung. Die Gemeinde Nottwil hatte mit dem Verein Spitex Buttisholz/Nottwil,
nicht aber mit A.________ eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Am 8. April
2013 teilte der Gemeinderat Nottwil A.________ im Wesentlichen mit, für
Pflegeleistungen während der Zeiten, welche auch durch die Spitex Buttisholz/
Nottwil abgedeckt werden, stehe ihr (grundsätzlich) nicht mehr der vom VLG
vorgeschlagene Tarif zu (Abklärung und Beratung: Fr. 120.- pro Stunde;
Behandlungspflege: Fr. 100.- pro Stunde; Grundpflege: Fr. 90.- pro Stunde),
sondern nurmehr der tiefere Betrag, welcher der Spitex ausbezahlt werde
(Abklärung und Beratung: Fr. 115.- pro Stunde; Behandlungspflege: Fr. 93.- pro
Stunde; Grundpflege: Fr. 82.- pro Stunde). Eine dagegen erhobene Einsprache von
A.________ wies die Gemeinde Nottwil am 1. Juli 2013 ab.

B. 
Das Kantonsgericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde von A.________ nach
Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels mit Entscheid vom 4. März 2015
ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragen, die Gemeinde Nottwil
sei zu verpflichten, "die Restfinanzierung für die von ihr in der Gemeinde
Nottwil geleisteten Stunden gemäss den Empfehlungen des VLG zu entschädigen".
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt unter
Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Die
Gemeinde Nottwil reicht keine Stellungnahme ein.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Restfinanzierung im Bereich der Pflegekosten betrifft eine Leistung,
die nicht von der obligatorischen Krankenversicherung getragen wird. Es fragt
sich daher, ob die Zuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde bei der II.
sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts liegt (Art. 35 lit. d des
Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht [BgerR; SR 173.11.131]),
oder bei der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung (Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff.
14 BgerR).

1.2. Für die Zuteilung eines Geschäfts an eine Abteilung des Bundesgerichts ist
die Rechtsfrage massgeblich, auf der das Schwergewicht der Entscheidung liegt,
wobei von der reglementarischen Geschäftsverteilung im Einzelfall aufgrund der
Natur des Geschäfts und seiner Konnexität mit anderen Geschäften abgewichen
werden kann. Vorausgesetzt wird eine Einigung der Präsidenten und
Präsidentinnen der betroffenen Abteilungen (Art. 36 Abs. 1 und 2 BgerR). Eine
solche wurde im BGE 138 II 398 zu Grunde liegenden Verfahren in dem Sinne
erzielt, als Streitigkeiten nach Eintritt eines Leistungsfalles in die
Zuständigkeit der II. sozialrechtlichen Abteilung fallen, wenn - allenfalls nur
im Hintergrund - sozialversicherungsrechtliche Leistungen umstritten sind, wozu
auch die kantonale Restfinanzierung der Pflegekosten gehört. Die übrigen -
abstrakten - spital- und pflege (finanzierungs) rechtlichen Streitigkeiten sind
als Angelegenheiten des öffentlichen Gesundheitsrechts von der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung zu beurteilen (BGE 138 V 377 E. 2.2 S. 379).
Die Beschwerdeführerin hat offensichtlich auch nach der Reduktion des
Gemeindebeitrages ab 1. Mai 2013 Pflegeleistungen in der Gemeinde Nottwil
erbracht, ansonsten bereits im kantonalen Verfahren keine
Beschwerdelegitimation bestanden hätte. Damit handelt es sich nicht um eine
abstrakte Streitigkeit, weshalb die II. sozialrechtliche Abteilung zuständig
und auf die Beschwerde einzutreten ist.

1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Soweit sich der
angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht
in Art. 95 lit. c-e BGG genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch
das Bundesgericht inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen
Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht dabei eine
Verletzung verfassungsmässiger Rechte (BGE 133 I 201 E. 1 S. 203 mit
Hinweisen).

2. 
Streitig ist der Restfinanzierungsbeitrag der Beschwerdegegnerin. Das
Bundesgericht hat nur zu prüfen, ob die Pflegetarife der Beschwerdegegnerin die
bundesrechtlichen Vorgaben gemäss Art. 25a Abs. 5 KVG einhalten (vorangehende
E. 1.3).

2.1. Die Vorinstanz legte die Rechtsgrundlagen für die Restfinanzierungspflicht
(Art. 25a Abs. 5 KVG und § 6 ff. des kantonalen Gesetzes über die Finanzierung
der Pflegeleistungen der Krankenversicherung [Pflegefinanzierungsgesetz, PFG,
vom 13. September 2010; SRL Nr. 867]) zutreffend dar. Das Gericht erwog
zunächst, die gesetzlich verankerte Wahlfreiheit bezüglich Leistungserbringer
sei in der Gemeinde Nottwil mit der unterschiedlichen Tariffestsetzung je nach
Tages- bzw. Nachtzeit nicht eingeschränkt. Die Wahl einer freiberuflichen
Pflegefachperson bewirke für die versicherte Person unter Berücksichtigung der
auf 20 % des höchsten vom Bundesrat festgelegten Pflegebeitrags begrenzten
Kostenbeteiligung keine Mehrkosten. Weiter greife der unterschiedliche Tarif
auch nicht in die Wirtschaftsfreiheit der freiberuflichen Pflegefachpersonen
ein. Diese besässen keine Tarifgarantie, "um praktisch konkurrenzlos ihre
Leistungen zu erbringen". Dies entspräche gerade nicht dem Sinn des freien
Wettbewerbs. Weder Bundes- noch kantonales Recht schlössen die Möglichkeit
verschiedener, von der Tages- und Nachtzeit abhängiger Tarife aus. Dass die
Beschwerdeführerin nurmehr ausserhalb der "Spitex-Zeiten" zu den höheren
Tarifen des VLG abrechnen könne, sei wettbewerbspolitisch nicht zu beanstanden.
Der Gemeinderat habe - im Rahmen seiner Kompetenz - ausdrücklich auch
Pflegetarife für die Zeiten ausserhalb der von der Spitex geleisteten
Einsatzzeiten festgelegt. Die Rüge, mit der unterschiedlichen Tariffestsetzung
sei eine ausreichende Pflege in der Gemeinde nicht mehr gewährleistet, sei
somit unbegründet. Schliesslich mache die Beschwerdeführerin zwar geltend, der
Restfinanzierungsbeitrag müsse höher sein als der VLG-Tarif. Sie erbringe
jedoch keinen Beweis für die ihr entstehenden höheren Kosten. Ohnehin wären
höhere Tarife zwischen Leistungserbringern und VLG auszuhandeln und könnten
nicht im Einzelverfahren durch Richterspruch festgelegt werden. Ein über dem
für Vertragsleistungserbringer gültiger Beitrag könne nur entrichtet werden,
wenn die Wohnsitzgemeinde der anspruchsberechtigten Person keine geeigneten
Pflegeleistungen bei einem Vertragsleistungserbringer anbieten könne. Dies sei
aktenmässig nicht ausgewiesen und werde auch von keiner Partei behauptet.

2.2. Die Beschwerdeführerin rügt, wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren,
eine Verletzung ihres Anspruches auf Ersatz der Vollkosten (gemäss Art. 25a
Abs. 5 Satz 2 KVG). Überdies verletze die vorinstanzlich geschützte Regelung
der Beschwerdegegnerin auch die bundesrechtliche Vorgabe, wonach Kantone und
Gemeinden eine umfassende Gewährung der Pflegeleistungen zu Hause sicherstellen
müssen. Die Beschwerdegegnerin habe einzig mit der Spitex Buttisholz/Nottwil
eine Vereinbarung abgeschlossen. Weil diese lediglich eingeschränkte
Betriebszeiten habe, könne von einer Sicherstellung der umfassenden
Grundversorgung keine Rede sein. Die äusserst günstigen Tarife der Spitex
Buttisholz/Nottwil seien nur möglich, weil sie während der höher zu
entschädigenden Rand- und Nachtstunden keine Leistungen erbringe. Die
Vollkosten der freiberuflich Pflegenden seien durch die tiefen Tarife bei
weitem nicht gedeckt.
Im Sinne eines Eventualantrages müssten zumindest die ausserhalb der
Spitex-Öffnungszeiten erbrachten Leistungen höher entschädigt werden als zum
VLG-Tarif. Die Vollkostenrechnung nach dem Finanzmanual des Spitex-Verbandes
Schweiz als Grundlage der Empfehlungen des VLG basiere auf einer
Durchschnittsberechnung zwischen "normalen" Öffnungszeiten und höher zu
entschädigenden Randzeiten. Die Restkosten seien daher gestützt auf eine
Vollkostenrechnung bezogen auf die Zeiten ausserhalb des Spitex-Betriebes zu
erstatten. Soweit die Vorinstanz eine eingehende Prüfung der Vollkostenrechnung
im Einzelfall zum Vornherein als zwecklos erachtet und darauf verzichtet habe,
habe sie in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht verletzt. Ohne vorgängige
Ermittlung der spezifischen Kosten ausserhalb der Spitex-Betriebszeiten könnten
die Empfehlungen des VLG nicht als ein in der kantonalen
Legiferierungskompetenz liegender Pauschalentschädigungsansatz gesehen werden.
Die für freiberufliche Pflegefachleute nicht kostendeckenden Tarife der Spitex
Buttisholz/Nottwil führten dazu, dass freiberufliche Pflegefachpersonen während
der Spitex-Zeiten keine Leistungen mehr anbieten und Anfragen von Klienten für
diese Zeit abweisen würden, was die Wahlfreiheit faktisch aufhebe. Patienten in
Nottwil, die ausserhalb der Spitex-Zeiten Pflege benötigten, müssten sowohl mit
der Spitex als auch mit privaten Pflegefachpersonen zusammenarbeiten, was
unnötigen administrativen Aufwand und unzumutbare Wechsel der Pflegenden
bedinge. Für solche Patienten könne die Beschwerdegegnerin keine "geeigneten
Pflegeleistungen" anbieten, weshalb nach § 8 Abs. 2 PFG die gesamten Leistungen
nach den Empfehlungen des VLG zu entschädigen seien.

3.

3.1. Seit Inkrafttreten der Neuordnung der Pflegefinanzierung am 1. Januar 2011
leistet einerseits die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) einen
Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und
eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant oder im Pflegeheim erbracht werden
(Art. 25a Abs. 1 KVG). Anderseits haben sich sowohl die Versicherten als auch
die öffentliche Hand an den Pflegekosten zu beteiligen. Die Modalitäten der
Restfinanzierung der Pflegekosten regeln die Kantone (Art. 25a Abs. 5 Satz 2
KVG; BGE 138 V 377 E. 5.1 S. 381), wobei diese kantonale Zuständigkeit nichts
daran ändert, dass der grundsätzliche Anspruch auf Übernahme der ungedeckten
Pflegekosten durch die öffentliche Hand (Kanton oder Gemeinden)
bundesrechtlicher Natur ist (BGE 140 V 58 E. 4.1 S. 62). Leistungserbringer
sind - je nach kantonaler Regelung - Kantone oder Gemeinden, also Personen
öffentlichen Rechts, die grundsätzlich nicht dem KVG unterstellt sind, da sie
ihre Leistungen nicht zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
abrechnen (BGE 140 V 563    E. 2.2 S. 566).

3.2. Bislang fehlt eine genauere bundesrechtliche Regelung der Restfinanzierung
ungedeckter Pflegekosten. Auch den Materialien lässt sich nichts Erhellendes
entnehmen. Der Verweis auf die kantonale Zuständigkeit kam erst durch den
Ständerat in das Gesetz über die Pflegefinanzierung (AB 2007 S 777, Votum
Forster-Vannini; vgl. auch AB    N 2007 S. 1785 f.). Das Bundesgericht hat in
mehreren Urteilen präzisiert, den Kantonen stehe in der konkreten Ausgestaltung
der Restfinanzierung ein weiter Ermessensspielraum zu. So könnten sie
beispielsweise die Gemeinden damit beauftragen, den Leistungserbringern
Auflagen zu erteilen oder Pauschaltarife festzulegen (BGE 138 I 410 E. 4.3 mit
Hinweisen; Urteil 2C_728/2011 vom 23. Dezember 2011 E. 3.6). Die Kantone haben
in Ausübung der ihnen übertragenen Kompetenzen die Restfinanzierung der
ungedeckten Pflegekosten denn auch unterschiedlich umgesetzt. Nicht nur
bezüglich der Zuständigkeit (welche meist beim Kanton liegt, teilweise -
insbesondere im Kanton Luzern - aber auch an die Gemeinden delegiert wurde) und
der Finanzierungslösungen (z.B. Defizitgarantie, Bestimmung eines
Kostenmaximums, Globalbudget, leistungsbezogene Abgeltung pro Pflegestunde;
vgl. Zusammenstellung des Spitex-Verbandes Schweiz vom Mai 2011, abrufbar unter
www.spitex.ch), sondern insbesondere bei der Festlegung der Höchstgrenze der
Beiträge der öffentlichen Hand an die Kosten für ambulante Pflege (sogenannte
Normkosten; vgl. erläuternder Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und
Gesundheit des Ständerates [SGK-SR] vom 1. September 2015 zur Parlamentarischen
Initiative Nachbesserung der Pflegefinanzierung, Datenbank Curia Vista Nr.
14.417, Ziff. 2.4.3 S. 15;  ROSENKRANZ RUTH/MEIERHANS STEFAN, Defizite bei der
Umsetzung der Pflegekostengrenze, in: Pflegerecht 2/2013 S. 76 ff., 77)
bestehen beträchtliche Differenzen (vgl. Spitex Verband Schweiz,
Pflegefinanzierung in den Kantonen - Ambulante Pflege, S. 3, abrufbar unter
www.spitex.ch).

3.3. Ein im Auftrag der beiden Kommissionen für soziale Sicherheit und
Gesundheit von National- und Ständerat verfasster erläuternder Bericht des
Bundesamtes für Gesundheit vom 3. Oktober 2013 ortete nach Umfragen bei
Kantonen und involvierten Organisationen Umsetzungsschwierigkeiten und
gesetzgeberischen Klärungsbedarf vor allem bei der Finanzierung der
ausserkantonalen Pflege und bei der von den Kantonen unterschiedlich geregelten
Restfinanzierung und zeigte ebenfalls, dass namentlich die ambulanten
Leistungserbringer eine einheitliche bundesrechtliche Regelung der
Restfinanzierung wünschen (S. 17 f. Bericht). Die Restfinanzierung sei
kantonsspezifisch umgesetzt worden und interkantonal kaum koordiniert. Der im
Rahmen dieser Untersuchung befragte Schweizer Berufsverband der
Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) bemängelte vorrangig die unklare
Definition der Restfinanzierung im Bundesgesetz und wies auf "unerträgliche
Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten" für freiberufliche Pflegefachpersonen
hin. Teilweise könnten die kantonalen Restfinanzierungen nur auf dem Rechtsweg
durchgesetzt werden (Anhang D 1 S. 2). Auf die Frage, welche hauptsächlichen
Auswirkungen die kantonalen Ausführungsbestimmungen auf die Leistungserbringer
hätten (Anhang D 2, S. 3), hielt der SBK in erster Linie fest, es bestünden
zwischen öffentlicher Spitex und freiberuflichen Pflegefachpersonen in Kantonen
und Gemeinden mit wenigen Ausnahmen grosse Ungerechtigkeiten. Trotz
ausgewiesener Vollkostenrechnung beruhe die Restfinanzierung bei
freiberuflichen Pflegefachpersonen auf dem "Goodwill" der Kantone und
Gemeinden, was den Vollkosten nicht gerecht werde. Zwischen den Kantonen
existierten eklatante Unterschiede.
Damit wird deutlich, dass die derzeitige Rechtslage in Bezug auf die kantonale
Restkostenfinanzierung namentlich von den freiberuflichen Pflegefachpersonen
als unbefriedigend und kompliziert, teilweise gar als unbillig empfunden wird.
Es wird denn auch gefordert, Art. 25a Abs. 5 KVG sei in dem Sinn zu
präzisieren, dass zum einen die Kantone zu verpflichten seien, sämtliche auf
ihrem Gebiet anfallenden ausgewiesenen Restkosten für Pflegeleistungen
vollumfänglich zu übernehmen und zum andern der Bundesrat einheitliche
Kriterien zur Festsetzung der Vollkosten wie auch zur Finanzierung der
Versorgungspflicht in der ambulanten Pflege zu erlassen habe (vgl.
Positionspapier Pflegefinanzierung der IG Pflegefinanzierung vom 25. März 2015,
S. 3, abrufbar unter www.curaviva.ch).
Es erstaunt wenig, dass im Zuge der Umsetzung der Pflegefinanzierung in den
Kantonen auf eidgenössischer Ebene schon verschiedene, teilweise noch pendente
Vorstösse zur Nachbesserung der bundesrechtlichen Regelung lanciert wurden
(z.B. Standesinitiative "Ergänzung von Art. 25a KVG betreffend die
Pflegefinanzierung", eingereicht vom Kanton Thurgau am 4. November 2013
[Dokumentation Curia Vista Nr. 14.317]; parlamentarische Initiative
"Nachbesserung der Pflegefinanzierung", eingereicht von Ständerätin
Egerszegi-Obrist am 21. März 2014 [Dokumentation Curia Vista Nr. 14.417]). Im
bereits zitierten erläuternden Bericht vom 1. September 2015 (E. 3.2 hievor)
kam auch die SGK-SR zum Schluss, "die Voraussetzungen für die Festlegung von
angemessenen Normkosten [seien] zu verbessern", namentlich durch einheitliche
Standards bei der Kostenrechnung, Durchsetzung eines transparenten
Kostenausweises etc. Allerdings sah die Kommission diesbezüglichen
Handlungsbedarf nicht beim Gesetzgeber auf Bundesebene, sondern bei den
Leistungerbringern und den Kantonen (Bericht, Ziff. 2.4.3 S. 15).
Das Bundesgericht hat ohnehin allein zu prüfen, ob das kantonale Gericht die
Umsetzung der bundesrechtlichen Vorgaben durch die Beschwerdegegnerin zu Recht
geschützt hat (E. 2 hievor).

4.

4.1. Im Kanton Luzern ist die Finanzierung der Pflegeleistungen gemäss Art. 25a
Abs. 5 des KVG im PFG geregelt (vgl. E. 2.1 hievor). § 3 PFG sieht vor, dass
sich die Leistungserbringer an die vereinbarten oder festgelegten Beiträge und
Tarife zu halten haben und für Pflegeleistungen keine weitergehenden
Vergütungen berechnen dürfen. Gemäss § 7 PFG vereinbaren die Gemeinden mit
einem oder mehreren Leistungserbringer (n) als Vertragsleistungserbringer die
Höhe der von ihnen für ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu übernehmenden
Restfinanzierungsbeiträge (Abs. 1). Der Regierungsrat wird ermächtigt, die
Grundsätze der Bestimmung des Restfinanzierungsbeitrages durch Verordnung
festzulegen (Abs. 2). Bezieht eine anspruchsberechtigte Person Pflegeleistungen
bei einem Leistungserbringer, mit welchem ihre Wohnsitzgemeinde keine
Vereinbarung über den Restfinanzierungsbeitrag abgeschlossen hat, übernimmt die
Gemeinde die ausgewiesenen Pflegekosten dieses Leistungserbringers, höchstens
jedoch den Restfinanzierungsbeitrag, der für ihre Vertragsleistungserbringer
gilt (§ 8 Abs. 1 PFG). Nach Abs. 2 von § 8 PFG übernimmt die Wohnsitzgemeinde
die ausgewiesenen Kosten des Leistungserbringers, wenn dessen Wahl dadurch
begründet ist, dass die Wohnsitzgemeinde der anspruchsberechtigten Person keine
geeigneten Pflegeleistungen bei einem Vertragsleistungserbringer anbieten kann.

4.2. In § 4 der Verordnung zum Pflegefinanzierungsgesetz
(Pflegefinanzierungsverordnung, PFV; SRL 867a) bestimmte der Regierungsrat,
Grundlage für die Bestimmung des Restfinanzierungsbeitrages sei der Ausweis der
Kosten der Leistungserbringer mittels Kostenrechnung. Die Anforderungen an die
Kostenrechnung richteten sich in der ambulanten Krankenpflege nach dem
Finanzmanual des Spitex-Verbandes Schweiz (Abs. 1 lit. a). Gemäss Abs. 2 von §
4 PFV haben die Gemeinden die notwendigen Leistungen der Leistungserbringer und
deren Kosten, insbesondere die Kosten der Ausbildung des Pflegepersonals, zu
berücksichtigen.

5. 

5.1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheit
geltend macht, kann ihr nicht gefolgt werden. Im Rahmen der OKP besteht nach
den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz kein unbeschränkter Anspruch der
Leistungserbringer auf Entschädigung ihrer Vollkosten. Namentlich verschafft
die Wirtschaftsfreiheit keinen Anspruch der (freiberuflichen)
Leistungserbringer, zu Lasten der sozialen Krankenversicherung in beliebiger
Höhe Leistungen zu erbringen (BGE 130 I 26 E. 4.5 S. 43). Gesetz- und
Verordnungsgeber haben im Bereich der OKP im Gegenteil zahlreiche Preis- und
Zulassungsbeschränkungen wie Tarife, Höchstpreise und Fallpauschalen statuiert,
die nicht überschritten werden dürfen (BGE a.a.O.; vgl. auch BGE 141 V 206).
Wie dargelegt (vorangehende E. 3.2 hievor) fehlt bislang eine bundesrechtliche
Normierung der Restfinanzierung. In BGE 141 V 446 E. 7.4 S. 454 hat das
Bundesgericht erwogen, eine nicht kostendeckende Entschädigung freischaffender
Pflegefachleute (dort im Bereich der Wochenbettpflege) widerspräche klar der
Intention des Gesetzgebers, die ambulante gegenüber der stationären Pflege zu
favorisieren. Dass eine Unterbezahlung freischaffender Pflegefachleute - nebst
einer nicht durch das Gesetz gedeckte Überwälzung nicht gedeckter Pflegekosten
auf die Versicherten unter dem Titel "Betreuung" (vgl. Bericht der SGK-SR vom
1. September 2015       Ziff. 2.4.3 S. 15) - eine schlechtere Versorgungslage
im ambulanten Bereich begünstigen kann, welche der gesetzgeberischen
Stossrichtung "ambulant vor stationär" widerspricht, liegt auf der Hand.
Abgesehen davon, dass es nach derzeit geltendem Recht nicht nur in der
kantonalen Regelungshoheit liegt, zu bestimmen nach welchem Modell die
Restfinanzierung erfolgt (E. 3.3 hievor), sondern auch wie hoch die sog.
Normkosten angesetzt werden (vorangehende E. 3.2), fehlt es hier bereits an
einer genügend substantiierten Rüge. Die Beschwerdeführerin begründet nicht,
inwiefern ihre ausgewiesenen Kosten (gemäss § 8 Abs. 3 2. Satz PFG) höher sind
als die Vollkosten gemäss den Empfehlungen des VLG, welche ihr ausserhalb der
"Spitex-Zeiten" - weiterhin - vergütet werden. Diesbezügliche Weiterungen
erübrigen sich.

5.2. Der Einwand, die Vorinstanz habe in Verletzung von Art. 25a KVG erwogen,
durch den Vertragsabschluss mit einer einzigen, zeitlich lediglich
eingeschränkt verfügbaren Leistungserbringerin sei eine umfassende
Grundversorgung auf dem Gemeindegebiet der Beschwerdegegnerin sichergestellt,
ist ebenfalls unbegründet. Unbestritten beinhaltet die streitige Regelung der
Beschwerdegegnerin eine Entschädigung der Beschwerdeführerin während der
Betriebszeiten der Spitex Buttisholz/Nottwil nach dem für diese gültigen Tarif,
ausserhalb dieser Zeiten, wie bis anhin, nach den höheren Ansätzen gemäss den
Empfehlungen des VLG. Die Festsetzung unterschiedlicher Tarife je nachdem, ob
eine Vereinbarung zwischen einem Gemeinwesen und einem
Vertragsleistungserbringer besteht oder nicht, hat zwar zur Folge, dass
freiberuflichen Pflegefachpersonen, die keinen solchen Vertrag abgeschlossen
haben, nur bei Einsätzen die (kantonal definierten) Vollkosten vergütet werden,
für welche kein Vertragsleistungserbringer verpflichtet wurde. Konkret werden
der Beschwerdeführerin - gemäss § 8 Abs. 2 PFG - nur für Tätigkeiten in den
Randzeiten (zwischen 17.30 Uhr abends und 07.00 Uhr morgens) die Vollkosten
vergütet (in der Vernehmlassung vor Vorinstanz korrigierte die Spitex
Buttisholz/Nottwil ihre Präsenzzeiten: Die Spitex-Einsätze werden täglich von
07.00 Uhr bis 17.30 Uhr angeboten, also auch während der Mittagszeit). Damit
steht ausser Frage, dass die streitige Regelung in § 8 PFG grundsätzlich eine
Versorgung im ambulanten Pflegebereich rund um die Uhr gewährleistet und sich
einer Finanzierung ambulanter Pflegeleistungen ausserhalb der "Spitex-Zeiten"
nicht verschliesst. Somit sind Pflegeleistungen zu allen Tages- und Nachtzeiten
abgedeckt und Art. 25a KVG ist nicht verletzt. Wie praxistauglich eine
kantonale (oder kommunale) Regelung ist, die für die Hauspflege eine
unterschiedliche Tarifierung und Rechnungsstellung vorsieht, je nachdem zu
welcher Zeit die Pflegetätigkeit erfolgt, muss hier offen bleiben. Immerhin
bleibt festzuhalten, dass die (ambulante) Pflege unabhängig von der
Tarifgestaltung - namentlich wegen der grossen Verbreitung von Teilzeitpensen
im Pflegebereich - notorisch mit häufigen personellen Wechseln verbunden ist,
die für die Patientinnen und Patienten entgegen dem Einwand der
Beschwerdeführerin keineswegs als unzumutbar bezeichnet werden können.

5.3. Die Vollkosten des Spitex-Vereins Nottwil/Buttisholz sind, wie die
Beschwerdeführerin zu Recht ausführt, namentlich deshalb tiefer als jene in den
Empfehlungen des VLG, weil der Spitex-Verein wegen eingeschränkter
Betriebszeiten keine Rand- und Nachtzuschläge einkalkulieren muss. Die
kantonale Regelung, wonach die Gemeinden höchstens den für
Vertragsleistungserbringer geltenden Restfinanzierungsbeitrag zu übernehmen
haben, wenn und soweit diese geeignete Pflegeleistungen anbieten (§ 8 PFG),
hält sich indes innerhalb des (derzeitigen) Spielraumes der Kantone bei der
Umsetzung der Restfinanzierung (vorangehende E. 3.1). Die damit einhergehende
aus von der Gemeinde deklarierten finanziellen Gründen gewollte Minderbezahlung
freiberuflicher Pflegefachpersonen ist im Lichte der einzig entscheidenden
Frage, ob die kantonale Regelung die bundesgesetzliche Vorgabe von Art. 25a KVG
einhält, hinzunehmen.

6. 
Die Vorgaben der Restfinanzierung der öffentlichen Hand gemäss Art. 25a Abs. 5
letzter Satz KVG sind somit nicht verletzt. Es ist nicht Sache des
Bundesgerichts, eine administrativ und personell aufwändige, gewisse
Leistungserbringer benachteiligende kantonale oder kommunale Regelung
abzuändern. Dies obliegt vielmehr dem Gesetzgeber.

7. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird die
unterliegende Beschwerdeführerin kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Dezember 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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