Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 210/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_210/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 3. Juli 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Gehrig,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

 ASGA Pensionskasse,
Rosenbergstrasse 16,9001 St. Gallen.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 12. Februar 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________, geboren 1965, stammt aus dem kurdischen Gebiet der Türkei. Er
ist Vater von sieben Kindern, geboren 1984 bis 1997, und kam 1998 in die
Schweiz. Zuletzt arbeitete er als Chauffeur in der Firma B.________ AG. Am 29.
Januar 2003 meldete er sich unter Angabe von Depression und Rückenschmerzen bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Aargau tätigte berufliche und medizinische Abklärungen. Mit Verfügung vom 27.
April 2004 sprach sie A.________ ab dem 1. März 2003 eine ganze Rente zu. Sie
bestätigte den Anspruch letztmals mit Mitteilung vom 30. August 2011.

A.b. Im Rahmen einer 2012 eingeleiteten Überprüfung des Rentenanspruchs holte
die IV-Stelle beim Zentrum C.________ ein polydisziplinäres (internistisch/
orthopädisch/neurologisch/psychologisches) Gutachten (vom 5. August 2013) ein.
Die Ärzte stellten keine Diagnosen mit Relevanz für die Arbeitsfähigkeit. Mit
Vorbescheid vom 14. Februar 2014 stellte die IV-Stelle A.________ wegen einer
Verbesserung des Gesundheitszustandes die Aufhebung der Rente in Aussicht. Sie
bestätigte dies mit Verfügung vom 30. April 2014.

B. 
Die von A.________ gegen die Verfügung vom 30. April 2014 eingereichte
Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
12. Februar 2015 ab, weil die ursprüngliche Verfügung zweifellos unrichtig
gewesen sei.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm rückwirkend seit
der Rentenaufhebung weiterhin eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
Eventualiter sei der Entscheid aufzuheben und die Sache zu einem neuen
Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei ihn die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.
Die IV-Stelle und die ASGA Pensionskasse beantragen die Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Verfügung vom 27. April 2004 für zweifellos unrichtig
qualifiziert, weil sich die volle Erwerbsunfähigkeit und die Zusprache der
ganzen Rente einzig aus der psychiatrischen Beurteilung des "Arztes D.________"
ergeben habe, der im Zeitpunkt seiner Beurteilung nicht über den erforderlichen
Facharzttitel verfügt habe.

3. 
Gemäss Art. 53 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG kann
der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder
Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und
wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Zweifellos ist die
Unrichtigkeit, wenn kein vernünftiger Zweifel daran möglich ist, dass die
Verfügung unrichtig war. Es ist nur ein einziger Schluss - derjenige auf die
Unrichtigkeit der Verfügung - denkbar (Urteil 9C_135/2014 vom 14. Mai 2014mit
Hinweisen). Die Leistungszusprache hat sich auch im Ergebnis als offensichtlich
unrichtig zu erweisen. So muss etwa, damit eine zugesprochene Rente wegen einer
unkorrekten Invaliditätsbemessung wiedererwägungsweise aufgehoben werden kann -
nach damaliger Sach- und Rechtslage - erstellt sein, dass eine korrekte
Invaliditätsbemessung hinsichtlich des Leistungsanspruchs zu einem andern
Ergebnis geführt hätte (BGE 140 V 77 E. 3.1 S. 79).

4. 
Der Beschwerdeführer lässt vor Bundesgericht Bestätigungen der Universität Bern
(vom 6. Oktober 1998), der FMH (vom 16. März 2000) und der Gesundheitsdirektion
des Kantons Bern (vom 12. Januar 2001) nachreichen. Daraus geht hervor, dass
der " Arzt D.________" in den hier massgebenden Jahren 2003 und 2004 sowohl
über den Doktortitel als auch eine FMH-Weiterbildung in den Fächern Psychiatrie
und Psychotherapie verfügte. Letztere entsprach aufgrund der Bestätigung der
FMH dem Facharzttitel. Seit 2001 ist er auch im Besitz einer
Berufsausübungsbewilligung des Kantons Bern für selbstständige ärztliche
Psychiatrie und Psychotherapie. Da erst der vorinstanzliche Entscheid Anlass
zur Nachreichung der Beweismittel gab, sind die neuen Vorbringen zulässig (Art.
99 Abs. 1 BGG).

5. 
Davon, dass der Verfügung vom 27. April 2004 eine hinreichende (psychiatrisch)
fachärztliche Einschätzung abging, kann somit nicht die Rede sein. Der
angefochtene Entscheid erweist sich als haltlos. Nachdem die Vorinstanz die
Frage des Nachweises einer wesentlichen Veränderung des Gesundheitszustandes
nicht abschliessend beantwortet hat, ist die Sache zu neuem Entscheid an sie
zurückzuweisen.

6. 
Eine Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt als Obsiegen (
BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden
Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat sie dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 12. Februar 2015 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im
Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der ASGA Pensionskasse, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Juli 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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