Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 208/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_208/2015

Urteil vom 19. August 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 27. Februar 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1982 geborene A.________ meldete sich am 9. Mai 2006 aufgrund einer
schubförmigen multiplen Sklerose (nachfolgend: MS) bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Zürich sprach ihr ab
1. Mai 2005 eine halbe Invalidenrente zu (Verfügungen vom 12. September 2007
und 7. Januar 2008). Die dagegen am 17. Oktober 2007 erhobene Beschwerde hiess
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 31. Oktober
2008 gut, hob die angefochtenen Verfügungen auf und wies die Sache zu weiteren
Abklärungen an die Verwaltung zurück.
Die IV-Stelle gab bei der Gutachterstelle B.________ ein polydisziplinäres
Gutachten in Auftrag, das vom 22. September 2009 datiert. Ergänzend wurde
A.________ am 26. März 2010 durch den Regionalen Ärztlichen Dienst
(nachfolgend: RAD) untersucht (Bericht vom 30. Juli 2010). Zudem erfolgte beim
Spital C.________ eine rheumatologische Begutachtung (Gutachten vom 14. März
2011) im Rahmen einer Evaluation der individuellen Leistungsfähigkeit
(nachfolgend: EFL; Bericht vom 10. Februar 2011). Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens sprach die IV-Stelle A.________ mit Verfügungen vom 9.
Oktober und 12. November 2013 ab 1. Juni 2012 eine halbe Invalidenrente zu
(Invaliditätsgrad: 57 %).

B. 
Gegen beide Verfügungen erhob A.________ beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, diese seien aufzuheben und es
sei ihr nach Ablauf der Wartefrist eine ganze Rente zuzusprechen. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerden mit
Entscheid vom 27. Februar 2015 teilweise gut, hob die Verfügungen vom 9.
Oktober 2013 und 12. November 2013 auf und stellte fest, dass A.________ vom 1.
Mai 2005 bis 31. August 2006 sowie ab 1. März 2013 Anspruch auf eine halbe
Invalidenrente hat.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Begehren, der Entscheid vom 27. Februar 2015 sei aufzuheben und die Sache zu
neuer Beurteilung an die Verwaltung zurückzuweisen; eventualiter sei ihr mit
Wirkung ab 1. Juli 2010 eine Rente zu 50 % zuzusprechen.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Seinem Urteil legt es den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz,
auf Rüge hin oder von Amtes wegen, berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG).
Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig,
wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze
gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (vgl. Urteil 9C_999/2010
vom 14. Februar 2011 E. 1).

2. 
Die Vorinstanz hat einen Rentenanspruch der Versicherten vom 1. Juni 2012 bis
28. Februar 2013 verneint (Arbeitsfähigkeit: 80 % für angepasste Tätigkeiten;
Invaliditätsgrad: 31 %) und ihr erst ab 1. März 2013 eine halbe Invalidenrente
(Invalditätsgrad: 57 %) zugesprochen.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Arbeitsfähigkeit sei zu wenig
abgeklärt worden und beruft sich auf den Bericht der RAD-Ärztin Dr. med.
D.________ vom 30. Juli 2010. Ausserdem stehe aufgrund der medizinischen Akten
nicht fest, ob und in welchem Umfang sie überhaupt in der Lage sei, auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt oder im geschützten Rahmen ein Erwerbseinkommen zu
erzielen.

3.

3.1. Im Streit liegt der Beweiswert des RAD-Berichts vom 30. Juli 2010. Dessen
Verfasserin Dr. med. D.________, praktische Ärztin FMH, verfügt über keine
Facharztqualifikation und stützte die attestierte Arbeitsfähigkeit von
lediglich 50 % in einer angepassten Tätigkeit vornehmlich auf subjektive
Angaben der Beschwerdeführerin. Die RAD-Ärztin gab keine Begründung für diese
Einschätzung ab, obwohl sie klar von den Erkenntnissen im polydisziplinären
Gutachten der Gutachterstelle B.________, vom 22. September 2009 (effektiv
verwertbare Arbeitsleistung von 80 % in angepasster Tätigkeit) wie auch von der
dort zusätzlich eingeholten Stellungnahme vom 26. Mai 2010 abweicht. Vielmehr
drängt sich der Eindruck auf, dass Dr. med. D.________ am 30. Juli 2010
lediglich die Resultate ihrer Untersuchung vom 26. März 2010 festhielt, ohne
die Arbeitsfähigkeit der Versicherten schlüssig zu beurteilen (vgl. dazu auch
die RAD-Stellungnahme von Dr. med. E.________ vom 12. Juli 2012). Mit den
zwischenzeitlich aufgelaufenen Akten, insbesondere dem ergänzenden Bericht der
Gutachter der Gutachterstelle B.________ vom 26. Mai 2010, setzte sie sich
nicht auseinander, was vor dem Hintergrund der einschlägigen Beweiskriterien
(vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis) nicht
genügt. Die von der Vorinstanz gezogene Schlussfolgerung, wonach nicht auf den
RAD-Bericht von Dr. med. D.________ vom 30. Juli 2010 abgestellt werden könne,
hält vor Bundesrecht stand (E. 1).

3.2. 

3.2.1. In Bezug auf die Vermittelbarkeit der Versicherten hat das kantonale
Sozialversicherungsgericht festgestellt, die von der IV-Stelle Ende Januar 2013
eingeleiteten beruflichen Massnahmen seien wegen der subjektiven Einschätzung
der Beschwerdeführerin, nicht eingliederungs- bzw. arbeitsfähig zu sein,
beendet worden. Die aktenmässig belegten MS-Schübe seien nicht derart zahlreich
und die davon ausgehende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in zeitlicher und
umfangmässiger Hinsicht nicht dermassen gravierend, dass von fehlender
Vermittlungsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt auszugehen sei.

3.2.2. Die Ärzte des Spitals C.________ führten in ihrer ergänzenden
Stellungnahme vom 20. Dezember 2011 aus, dass es sich bei ihrer medizinischen
Begutachtung um eine solche rheumatologischer Natur gehandelt habe; eine
Beurteilung der neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen sei von ihrer
Seite her nicht statthaft und eine konklusive Aussage nur durch entsprechende
fachärztliche Exploration möglich. Die Beschwerdeführerin leitet daraus ab, es
sei abzuklären, ob sie im ausgeglichenen Arbeitsmarkt überhaupt vermittelbar
sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass sie bereits durch die Gutachter der
Gutachterstelle B.________ (vgl. polydiszplinäres Gutachten vom 22. September
2009) umfassend (insbesondere neurologisch und psychiatrisch) abgeklärt wurde.
Bei der Begutachtung in der Rheumaklinik des Spitals C.________ ging es sodann
primär um die Evaluation ihrer funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL), was auch
explizit der Stellungnahme der RAD-Ärztin Dr. med. D.________ vom 2. August
2010 entnommen werden kann. Die EFL ergab, dass die Versicherte für leichte und
mittelschwere Arbeit mit einem reduzierten Rendement von 20 % (unverändert)
ganztags arbeitsfähig ist. Anhaltspunkte für eine weitergehende, in der
MS-Erkrankung begründete Leistungseinbusse fehlen.
Sodann finden sich weder im Bericht des behandelnden Neurologen Dr. med.
F.________ vom 9. November 2011 noch in den späteren Beurteilungen (vgl.
Berichte von Dr. med. F.________ vom 4. April 2013 und med. pract. G.________
vom 26. Mai 2013) Hinweise auf eine Unverwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit (zu
den diesbezüglichen Voraussetzungen vgl. statt vieler Urteil 8C_1050/2009 vom
28. April 2010 E. 3.3 mit Hinweisen). Für die Vermittelbarkeit der Versicherten
spricht schon deren Restarbeitsfähigkeit von unbestritten mindestens 50 % für
angepasste Tätigkeiten. Ausserdem liegt aufgrund der medizinischen Akten in
einer (teilzeitlich) zumutbaren Verweistätigkeit keine derart grosse
Leistungsminderung vor, dass der ausgeglichene Arbeitsmarkt entsprechende
Stellen nicht enthielte. Die Vorinstanz hat gestützt auf den Bericht von Dr.
med. F.________ vom 4. April 2013 die erhöhte Ermüdbarkeit der Versicherten im
Zusammenhang mit dem Krankheitsschub vom Frühling 2013, aber auch die
Möglichkeit einer Rückbildung der entsprechenden Symptome berücksichtigt (zur
Problematik bei schubweise verlaufenden Erkrankungen vgl. Urteil 8C_666/2009
vom 19. März 2010 E. 3.3). Schliesslich erfolgte der Abbruch der
Eingliederungsmassnahmen Ende April 2013 gemäss den verbindlichen
vorinstanzlichen Feststellungen aufgrund der fehlenden subjektiven
Eingliederungsfähigkeit der Versicherten. Auch daraus kann folglich nicht
hergeleitet werden, dass deren Restarbeitsfähigkeit (krankheitsbedingt) nicht
verwertbar wäre.
Insgesamt hat das kantonale Sozialversicherungsgericht die Ressourcen der
Beschwerdeführerin anhand der relevanten Akten umfassend beurteilt. Der
vorinstanzliche Verzicht auf weitere Abklärungen stellt keine Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes dar (antizipierende Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E.
5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94). Damit bleiben auch
die vorinstanzlichen Feststellungen in Bezug auf die Vermittelbarkeit der
Versicherten (E. 3.2.1) für das Bundesgericht verbindlich (E. 1.1).

4. 
Gegen den von der Vorinstanz in Bezug auf den umstrittenen Zeitraum (E. 2)
vorgenommenen Einkommensvergleich bringt die Beschwerdeführerin nichts vor. Sie
versäumt es sodann, sich im Hinblick auf den geltend gemachten Eventualantrag
auf eine Rente im Mindestumfang von 50 % mit den diesbezüglichen Ausführungen
im angefochtenen Entscheid (E. 5.3 und 5.4) auseinanderzusetzen. Aus diesem
Grund kann darauf nicht eingetreten werden (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Beschwerde
ist unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. August 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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