Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 184/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_184/2015

Urteil vom 8. Mai 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Bolt,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, Postfach,
9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 29. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1953 geborene A.________ bezog seit September 2009 eine Ergänzungsleistung
zur Invalidenrente. Eine im Dezember 2011 durchgeführte periodische Überprüfung
ergab, dass der Versicherte infolge eines Einnahmenüberschusses keinen Anspruch
auf Ergänzungsleistungen hatte. Am 30. August 2012 verfügte die Ausgleichskasse
des Kantons St. Gallen, A.________ habe ab 1. September 2012 keinen Anspruch
auf Ergänzungsleistungen. Auf Einsprache hin hielt die Ausgleichskasse mit
Entscheid vom 9. Juli 2013 an ihrem Standpunkt fest.
Mit Verfügung vom 3. Dezember 2012 forderte die Ausgleichskasse von A.________
in der Zeit vom 1. September 2009 bis 31. August 2012 zu viel ausgerichtete
Ergänzungsleistungen in der Höhe von Fr. 22'808.- zurück. Ebenso forderte sie
Krankheits- und Behinderungskostenvergütungen von Fr. 243.95 und Fr. 1'069.80
zurück.
Am 6. Februar 2013 liess A.________ um Erlass der Rückerstattung ersuchen. Mit
Verfügung vom 19. Februar 2013 lehnte die Ausgleichskasse das Gesuch ab, woran
sie mit Einspracheentscheid vom 9. Juli 2013 festhielt.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher A.________ zur Hauptsache
hatte beantragen lassen, unter Aufhebung des Einspracheentscheids sei ihm die
Rückerstattung der Ergänzungsleistungen, Krankheits- und Behinderungskosten im
Betrag von Fr. 22'808.- sowie Fr. 1'069.80 und Fr. 243.95 zu erlassen, wies das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 29. Januar 2015).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ das
vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern; eventuell sei die Sache zu
neuer Entscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Gemäss Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG sind unrechtmässig bezogene Leistungen
zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben bezogen hat, muss sie nicht
zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG).
Der gute Glaube als Erlassvoraussetzung ist nicht schon mit der Unkenntnis des
Rechtsmangels gegeben. Der Leistungsempfänger darf sich vielmehr nicht nur
keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig
gemacht haben. Der gute Glaube entfällt somit einerseits von vornherein, wenn
die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder
grobfahrlässige Melde- oder Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist.
Andererseits kann sich die rückerstattungspflichtige Person auf den guten
Glauben berufen, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten nur leicht fahrlässig war (BGE
112 V 97 E. 2c S. 103). Wie in anderen Bereichen beurteilt sich das Mass der
erforderlichen Sorgfalt nach einem objektiven Massstab, wobei aber das den
Betroffenen in ihrer Subjektivität mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit,
Gesundheitszustand, Bildungsgrad usw.) nicht ausgeblendet werden darf (BGE 138
V 218 E. 4 S. 220 f.; SVR 2008 AHV Nr. 13 S. 41 E. 4.1 mit Hinweis, 9C_14/
2007). Das Verhalten, das den guten Glauben ausschliesst, braucht nicht in
einer Melde- oder Anzeigepflichtverletzung zu bestehen. Auch ein anderes
Verhalten, z.B. die Unterlassung, sich bei der Verwaltung zu erkundigen, fällt
in Betracht (ARV 1998 Nr. 41 S. 234, C 257/97).
Nach der Rechtsprechung ist bei der Frage nach der Gutgläubigkeit beim
Leistungsbezug hinsichtlich der Überprüfungsbefugnis des Gerichts zu
unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und
der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben
berufen kann oder ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden
Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein
gehört zum inneren Tatbestand und wird daher als Tatfrage von der Vorinstanz
für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich beurteilt. Demgegenüber gilt
die Frage nach der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage,
soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen
tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 221 E.
3 S. 223; SVR 2015 ALV Nr. 6 S. 16, 8C_670/2014 vom 30. Dezember 2014 E. 3.3;
Urteil 9C_496/2014 vom 22. Oktober 2014 E. 3.2).

3. 

3.1. Der angefochtene Entscheid enthält keine Feststellungen zur Frage nach dem
(fehlenden) Unrechtsbewusstsein des Beschwerdeführers. Es besteht keine
Veranlassung zur Annahme, der Beschwerdeführer habe absichtlich die Ausrichtung
der Ergänzungsleistungen erwirkt, auf die er keinen Anspruch hatte, und sei
sich dessen auch bewusst gewesen. Zu prüfen bleibt, ob dem Beschwerdeführer der
gute Glaube deshalb abgesprochen werden muss, weil er die gebotene
Aufmerksamkeit vermissen liess und dadurch die Ausrichtung der unrechtmässig
bezogenen Leistungen erwirkt (resp. nicht verhindert) hat.

3.2. Das kantonale Gericht hielt fest, als Miteigentümer zur Hälfte eines
Zweifamilienhauses, dessen andere Hälfte seinem Sohn gehört, habe der
Versicherte nur für die Hälfte der Zinsen für die auf der Liegenschaft
lastenden Grundpfandschulden aufzukommen. Der EL-Durchführungsstelle sei ein
Fehler unterlaufen; sie habe statt der vom Beschwerdeführer korrekt
deklarierten Hälfte den Gesamtbetrag der Hypothekarzinsen in die Berechnung
eingesetzt. Dadurch seien die anerkannten Ausgaben und damit die
Ergänzungsleistungen zu hoch gewesen und es seien Krankheits- und
Behinderungskosten vergütet worden, auf die gar kein Anspruch bestanden hat.
Trotz des Fehlers der Durchführungsstelle habe vom Beschwerdeführer die gleiche
Aufmerksamkeit wie von jedem Leistungsbezüger erwartet werden können. Die
Berechnungsblätter hätten den doppelten Betrag des Hypothekarzinses
ausgewiesen; alle anderen mit dem Haus zusammenhängenden Positionen seien mit
dem tatsächlichen, d.h. hälftigen Betrag in den Berechnungsblättern aufgeführt
gewesen. Dieser Fehler hätte dem Versicherten bei einer Kontrolle auffallen
müssen. Aus dem Umstand, dass der Sachbearbeiter der EL-Durchführungsstelle den
Fehler wiederholt nicht entdeckte, könne nicht geschlossen werden, dass es sich
um einen Fehler handelte, der nicht offensichtlich und damit auch bei
sorgfältiger Erfüllung der Kontrollpflicht nicht erkennbar gewesen sei. Anders
als der Beschwerdeführer habe der Sachbearbeiter diesen Hypothekarzins nicht
bezahlt. Bei zumutbarer Sorgfalt hätte dem Versicherten auffallen müssen, dass
die angerechneten Ausgaben für den Hypothekarzins nicht mit den von ihm
bezahlten Zinsen übereinstimmten, sondern doppelt so hoch waren. Dazu habe es
keiner vertieften Deutschkenntnisse und keiner Kenntnisse des Rechts der
Ergänzungsleistungen bedurft. Auch wenn der Beschwerdeführer den Fehler nicht
in seiner ganzen Tragweite erkannt hätte, wäre er doch gehalten gewesen, sich
zur Klärung an die Durchführungsstelle zu wenden. Das zwinge zur Folgerung,
dass er die Berechnungsblätter überhaupt nicht angeschaut hat. Damit habe er
die Kontrollpflicht in grober Weise verletzt; die Erlassvoraussetzung des
gutgläubigen Leistungsbezuges sei daher nicht erfüllt.

3.3. Der Beschwerdeführer widerspricht der vorinstanzlichen Betrachtungsweise.
Er wirft dem kantonalen Gericht vor, es habe den Sachverhalt insofern
willkürlich festgestellt, als es ausführte, er habe die EL-Berechnungsblätter
überhaupt nicht angeschaut. Sodann habe die Berechnung keinen offensichtlichen
Fehler enthalten, den er ohne weiteres hätte erkennen müssen, zumal dieser den
Sachbearbeitern der EL-Durchführungsstelle mehrmals nicht aufgefallen sei. Der
gute Glaube könne ihm nicht abgesprochen werden. Schliesslich habe auch kein
Grund bestanden, die EL-Abrechnungen von einer Drittperson kontrollieren zu
lassen. Da ein Fehler nicht leicht erkennbar war, habe er keinen Anlass gehabt,
der Sache vertieft nachzugehen und einen Dritten zur Überprüfung beizuziehen.
Mit der Verneinung des guten Glaubens habe die Vorinstanz Bundesrecht verletzt.

3.4. 

3.4.1. Die Rüge, das kantonale Gericht habe den rechtserheblichen Sachverhalt
willkürlich dargelegt, ist unbegründet. Die Aussage im angefochtenen Entscheid,
"der Beschwerdeführer habe die Berechnungsblätter überhaupt nicht angeschaut",
ist keine für den Prozessausgang entscheidende Sachverhaltsfeststellung (Art.
97 Abs. 1 BGG), sondern als Fazit aus den vorangegangenen tatsächlichen
Feststellungen und rechtlichen Erwägungen zu verstehen.

3.4.2. Es mag zutreffen, dass die Fehler in den Berechnungsblättern für einen
Laien ohne Kenntnisse des EL-Rechts nicht offenkundig waren. Immerhin
enthielten die Berechnungen unter der Position "Liegenschaftsaufwände" jeweils
die gesamten Hypothekarzinsen, während der Eigenmietwert offensichtlich und
korrekterweise nur die Hälfte des Zweifamilienhauses betraf. Der zu hohe
Hypothekarzins bewirkte den Ausgabenüberschuss, der zum Anspruch auf
Ergänzungsleistungen führte. Wenn der Beschwerdeführer diese Berechnung nicht
nachzuvollziehen vermochte, hätte er sich an eine Drittperson wenden müssen.
Nachdem sein Sohn bereits das Formular Anmeldung zum EL-Bezug (vom 30.
September 2009) samt Beiblatt 1 (Grundeigentum), enthaltend die entsprechenden
Angaben zur Höhe der Hypothek und des Eigenmietwerts, ausgefüllt hatte und
deshalb mit der Sachlage bestens vertraut war, wäre es naheliegend gewesen,
sich auch für die Überprüfung der Berechnungsblätter wiederum an diesen zu
wenden, wenn der Versicherte selbst ausserstande war, die Zahlen in den
Berechnungsblättern mit denjenigen im Anmeldeformular zu vergleichen. Für eine
solche zwecks eines Vergleichs des geltend gemachten Anspruchs mit den
ausgerichteten Leistungen unabdingbare Gegenüberstellung waren jedenfalls weder
gute Deutschkenntnisse noch ein höherer Bildungsgrad notwendig; anzuwenden war
vielmehr nur das Mindestmass an Sorgfalt, das in solchen Fällen nach einem
objektiven Massstab gefordert wird. Hinzuweisen bleibt darauf, dass es im
vorliegenden Fall nicht um die Überprüfung eines ganzen Berechnungsblattes,
sondern nur um den Vergleich zweier Zahlen (Hypothekarzins und Eigenmietwert)
auf dem Beiblatt 1 zum Anmeldeformular und auf dem Berechnungsblatt ging. Dass
der Beschwerdeführer einen solchen Vergleich unterlassen hat, kann unter den
gegebenen Umständen nicht nur als leichte Nachlässigkeit qualifiziert werden.
Vielmehr liegt ein grobfahrlässiges Verhalten vor, das den guten Glauben
zerstört.

3.4.3. Daran ändert auch der Umstand, dass die Durchführungsstelle den
Berechnungsfehler über längere Zeit nicht bemerkt hat, nichts. Denn der Fehler
der Beschwerdegegnerin vermag die von Anfang an fehlende Gutgläubigkeit des
Versicherten zufolge des leicht erkennbaren Rechtsmangels nicht
wiederherzustellen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts C 196/05 vom 8. Juni
2006 E. 6.2.2).

4. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Mai 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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