Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 180/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_180/2015

Urteil vom 18. Februar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Konrad Bünzli,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

 Stiftung Auffangeinrichtung BVG, Risikoversicherung für Arbeitslose,
Birmensdorferstrasse 83, Postfach, 8036 Zürich.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
20. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
Im August 2000 meldete sich A.________ (geb. 1963) wegen der Folgen eines am
11. August 1999 erlittenen Autounfalls bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die (damals zuständige) IV-Stelle des Kantons Zürich zog die
Akten des Unfallversicherers, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA), bei und sprach dem Versicherten aufgrund des von der SUVA ermittelten
Invaliditätsgrades von 100 % ab 1. August 2000 eine ganze Invalidenrente zu
(Verfügungen vom 15. Juli und 16. September 2003). Mit Mitteilung vom 3.
September 2010 bestätigte die inzwischen zuständige IV-Stelle des Kantons
Aargau den Anspruch.
Im Rahmen eines im August 2012 von Amtes wegen eingeleiteten
Revisionsverfahrens liess die IV-Stelle des Kantons Aargau den Versicherten am
Swiss Medical Assessment- and Business-Center (SMAB), Bern, untersuchen. Nach
Rücksprache mit ihrem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) stellte sie
vorbescheidweise die Aufhebung der Rente in Aussicht. In diesem Sinne verfügte
sie am 5. Dezember 2013.

B. 
Beschwerdeweise liess A.________ die Aufhebung der Verfügung vom 5. Dezember
2013 und eventualiter die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zur weiteren
Abklärung und Neuverfügung beantragen. Das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau wies die Beschwerde ab (Entscheid vom 20. Januar 2015).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides beantragen und die im kantonalen
Verfahren gestellten Rechtsbegehren erneuern.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen
an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Folglich ist das Bundesgericht weder an die in der
Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz
gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund
gutheissen, und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz
abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen).
Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 
Die Vorinstanz hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen gemäss Gesetz und Rechtsprechung
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Gemäss dem angefochtenen Entscheid ist die ursprüngliche Rentenzusprache
teilweise aufgrund von unklaren Beschwerden erfolgt, ohne dass sich diese von
den erklärbaren Beschwerden trennen lassen; dies hat zur Folge, dass sich die
Rentenaufhebung, entgegen der Verfügung vom 5. Dezember 2013, nicht auf die am
1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom
18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) stützen lässt (vgl. dazu
BGE 140 V 197 E. 6.2.3 S. 200; Urteil 9C_653/2014 vom 6. März 2015 E. 3.2, in:
SVR 2015 IV Nr. 27 S. 82).
Zu Recht hat das kantonale Gericht deshalb geprüft, ob die Rentenaufhebung
mittels substituierter Begründung zu schützen ist (zur Motivsubstitution bei
fehlgeschlagener Anwendung der genannten Schlussbestimmungen: Urteil 9C_121/
2014 vom 3. September 2014 E. 3.2.2, in: SVR 2014 IV Nr. 39 S. 137). Während
die Frage im angefochtenen Entscheid bejaht wird, vertritt der Versicherte, wie
bereits im kantonalen Verfahren, die Auffassung, die Revisionsvoraussetzungen
des Art. 17 Abs. 1 ATSG (vgl. dazu: BGE 133 V 108; Urteil 8C_441/2012 vom 25.
Juli 2013 E. 3, in: SVR 2013 IV Nr. 44 S. 134) seien nicht erfüllt.

4.

4.1. Die Vorinstanz erwog, im SMAB-Gutachten vom 12. August 2013, welches dem
Beschwerdeführer seit 22. Januar 2001 aufgrund der Diagnosen "Angst und
depressive Störung gemischt" (F41.2) sowie "somatoforme Schmerzstörung"
(F45.41) eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit um 10 % attestiert, werde
zwar gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Verfügung im Jahr 2003 nicht
von einem veränderten Gesundheitszustand ausgegangen. Aufgrund der von den
Gutachtern erhobenen Befunde sei die wesentliche Veränderung der tatsächlichen
Verhältnisse im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG indessen offensichtlich: Die
SMAB-Gutachter hätten weder eine schwere muskuläre Dekonditionierung noch eine
schwere Wirbelsäulenfehlhaltung noch Hinweise für eine Kapselschrumpfung oder
ein Extensionsionsdefizit des rechten Ellbogens festgestellt; eine
Schonungsbedürftigkeit des rechten Armes hätten sie angesichts der
seitengleichen, mittelkräftigen Ober- und Unterarmmuskulatur verneint. Die im
rheumatologischen Gutachten des Kantonsspitals B.________ vom 11. September
2002 für eine Verbesserung des Gesundheitszustandes gestellten Voraussetzungen
seien damit inzwischen erreicht. In psychischer Hinsicht habe der Versicherte
selber eine Verbesserung hinsichtlich der Panikattacken angegeben. Die im Jahr
2001 begonnene psychotherapeutische Betreuung scheine zu einer positiven
Entwicklung der Angststörung beigetragen zu haben, und der Versicherte lasse
sich heute nicht mehr behandeln. Damit könne auch von einer Verbesserung des
Gesundheitszustandes in psychischer Hinsicht ausgegangen werden. Bei dieser
Sachlage sei, selbst bei Annahme einer noch bestehenden Leistungseinschränkung
von maximal 10 %, ein rentenbegründender Invaliditätsgrad (Art. 28 Abs. 2 IVG)
zu verneinen.

4.2. Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht
(Art. 17 ATSG); die von der Vorinstanz angenommene Verbesserung des
Gesundheitszustandes sei aktenwidrig und willkürlich. Indessen vermag er -
soweit sich seine Einwände nicht ohnehin in unzulässiger appellatorischer
Kritik (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweis) erschöpfen - nicht darzutun,
inwiefern die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid
offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG und die darauf
beruhenden Erwägungen rechtsfehlerhaft sein sollen:

4.2.1. Vorab macht der Beschwerdeführer geltend, nach den SMAB-Gutachtern sei
spätestens seit Februar 2001 (SUVA-Fallabschluss) keine Verbesserung des
Gesundheitszustandes mehr eingetreten, weil ihrer Auffassung nach bereits
damals keine beeinträchtigenden Befunde in einem nennenswerten Umfang mehr
vorgelegen hätten. Dass die Vorinstanz nicht isoliert auf diese gutachterlichen
Ausführungen abgestellt, sondern diese im Gesamtkontext gewürdigt hat, ist
nicht zu beanstanden. Der vom kantonalen Gericht angestellte Vergleich der von
den SMAB-Gutachtern erhobenen Befunde mit denjenigen, wie sie zum Zeitpunkt der
Verfügungen vom 15. Juli/16. September 2003 vorlagen, zeigt die Verbesserung
des Gesundheitszustandes deutlich. Sodann steht die vorinstanzliche Beurteilung
auch im Einklang damit, dass der rheumatologische Gutachter des Kantonsspitals
B.________ prognostiziert hatte, eine langsame Steigerung der Arbeitsfähigkeit
bis 100 % könne erreicht werden, wenn es gelingen sollte, den (damals als kaum
einsetzbar bezeichneten) rechten Arm vermehrt einzusetzen und die Haltung zu
verbessern (rheumatologisches Teilgutachten vom 11. September 2002). Diese
Voraussetzungen waren klar erfüllt angesichts der Tatsache, dass anlässlich der
SMAB-Begutachtung orthopädisch/traumatologisch keine krankheitswertigen Befunde
im Bereich des Bewegungsapparates ausgemacht werden konnten, insbesondere Rumpf
und Wirbelsäule frei beweglich waren, und Anzeichen für eine
schulterschmerzbedingte Schonungsbedürftigkeit/Atrophie des rechten Armes
fehlten.
Soweit der Versicherte eine eingeschränkte Rumpfbeweglichkeit und erhebliche
Einschränkungen des rechten Armes geltend macht unter Hinweis auf die klinische
Untersuchung, bei welcher er nicht in der Lage gewesen sei, den Oberkörper aus
der Bauch- und Rückenlage bei fixiertem Becken aktiv aufzurichten sowie
Globalfunktionen des Überkopf-, Nacken- und Schultergriffes vorzuführen, kann
ihm schon deshalb nicht gefolgt werden, weil er sich nicht auf objektive
gutachterliche Feststellungen zu stützen vermag: So hielt der Gutachter
lediglich die subjektive Angabe des Versicherten, den Oberkörper nicht
aufrichten zu können, fest. Hinsichtlich der Schulter führte er aus, das
Verhalten des Versicherten (Gegenspannen bei passiven Bewegungsprüfungen) habe
die Erstellung eines hinreichend verwertbaren Bewegungsprofils verunmöglicht;
doch spreche die seitengleiche, mittelkräftige Ober- und Unterarmmuskulatur
gegen eine gravierende funktionelle Einbusse der rechten Schulter. Die
Gutachter konnten insgesamt keine den umfangreichen Beschwerdevortrag des
Versicherten erklärende pathologischen Befunde ausmachen.

4.2.2. Sodann rügt der Beschwerdeführer wie bereits im kantonalen Verfahren,
die IV-Stelle hätte anstelle einer bidisziplinären eine polydisziplinäre, neben
der Rheumatologie und der Psychiatrie auch die Neurologie und die
Neuropsychologie umfassende Begutachtung anordnen müssen; das SMAB-Gutachten
sei insofern mangelhaft und unvollständig. Indessen hat bereits die Vorinstanz
ausführlich dargelegt, dass die IV-Stelle davon mangels Hinweisen auf
neurologische oder neuropsychologische Störungen zu Recht abgesehen hat. Die
entsprechende Feststellung des kantonalen Gerichts, die bidisziplinäre
Begutachtung sei genügend, ist für das Bundesgericht verbindlich und in der
Sache nicht zu beanstanden. Aus E. 6.1 des vom Beschwerdeführer angerufenen
Urteils 9C_651/2014 vom 23. Dezember 2014 ergibt sich nichts anderes; vielmehr
bestätigen die dort angeführten Grundsätze die vorinstanzliche
Betrachtungsweise, indem nicht etwa eine (in der Regel polydisziplinär
anzulegende) Erstbegutachtung, sondern eine Verlaufsbegutachtung zur Diskussion
stand und die medizinische Situation offenkundig nur zwei Fachgebiete betraf.

4.2.3. Entgegen dem Beschwerdeführer ändert an der Schlüssigkeit der
orthopädischen SMAB-Begutachtung nichts, dass sich Dr. med. C.________ darin
verschiedentlich auch mit der (für die Invalidenversicherung nicht relevanten)
Frage der Unfallkausalität auseinandersetzte. Zu Unrecht erblickt der
Beschwerdeführer sodann einen Widerspruch darin, dass die Hüftarthrose im
Gutachten unter den Diagnosen  ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit
figuriert und dennoch ins Zumutbarkeitsprofil einfloss. Denn es wurde in
nachvollziehbarer Weise festgehalten, dass "aktuell" noch keine funktionelle
Einbusse aus der Coxarthrose resultiere, aber dennoch statisch belastende
Arbeiten vermieden werden sollten, um eine rasche Progredienz der Hüftarthrose
zu verhindern.

4.2.4. Nicht beigepflichtet werden kann dem Beschwerdeführer schliesslich,
soweit er sinngemäss die Auffassung vertritt, Dr. med. C.________ habe sich
ungenügend mit dem rheumatologischen (Teil-) Gutachten des Kantonsspitals
B.________ vom 11. September 2002 auseinandergesetzt und insofern keine
Änderung des Gesundheitszustandes aufgezeigt. Denn es trifft zwar zu, dass der
Beweiswert eines zwecks Rentenrevision erstellten Gutachtens wesentlich davon
abhängt, ob es sich ausreichend auf das Beweisthema - erhebliche Änderung (en)
des Sachverhalts - bezieht, zu welcher Frage sich die SMAB-Gutachter nicht
direkt äusserten. Doch vermag der Beschwerdeführer daraus insofern nichts zu
seinen Gunsten abzuleiten, als die Veränderung des Gesundheitszustandes in
seinem Fall, wie im angefochtenen Entscheid einlässlich dargelegt (vgl. dazu E.
4.1 hiervor), evident ist (vgl. E. 4.2.1; vgl. dazu Urteil 9C_418/2010 vom 29.
August 2011 E. 4.2, in: SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81).

4.2.5. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Einwendungen des Beschwerdeführers
weder die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen als offensichtlich
unrichtig, als Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder als rechtsfehlerhaft
nach Art. 95 BGG erscheinen lassen noch sonst wie eine Bundesrechtsverletzung
aufzeigen. Damit hat es beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.

5. 
Entsprechend dem Verfahrensausgang werden die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Stiftung Auffangeinrichtung BVG,
Risikoversicherung für Arbeitslose, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Februar 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann

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