Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 16/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_16/2015

Urteil vom 18. Februar 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Parrino,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch lic. iur. Christian Boras,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 17. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 22. September 2014 sprach die IV-Stelle des Kantons Solothurn
A.________ bei einem Invaliditätsgrad von 60 % eine Dreiviertelsrente ab 1. Mai
2012 zu. Diese Verfügung umfasste zwei Teile. Der erste Verfügungsteil enthielt
die Berechnung der Rentenhöhe. In einem zweiten Verfügungsteil waren die
rechtlichen Grundlagen, die Berechnung des IV-Grades und die
Rechtsmittelbelehrung aufgeführt. Beide Verfügungsteile wurden dem
Rechtsvertreter von A.________ am gleichen Tag und in derselben Postsendung
zugestellt. Bereits vor dem Verfügungserlass umstritten gewesen war die
Verrechnung des iv-rechtlichen Leistungsanspruchs mit einer Forderung der
Krankenversicherung Trust Sympany Versicherungen AG, in Höhe von Fr. 24'996.70.
So bestritt der Rechtsvertreter von A._______ am 26. August 2014 gegenüber der
zuständigen Ausgleichskasse Handel Schweiz, (nachfolgend: Ausgleichskasse), den
Verrechnungsbetrag "mit Nichtwissen" und ersuchte um eine nachvollziehbare
Berechnung, während die Ausgleichskasse mitteilte, die
Überversicherungsberechnung sei A.________ zusammen mit einem
Verrechnungsantrag zugestellt worden. Weitere Unterlagen existierten nicht und
wären allenfalls bei der Krankenversicherung direkt erhältlich    (E-Mail vom
27. August 2014). In der nachfolgenden elektronischen Korrespondenz
wiederholten beide Parteien ihre Standpunkte.

Im ersten Teil der Verfügung vom 22. September 2014 wurde daraufhin der
Leistungsanspruch unter Berücksichtigung des Nachzahlungsanspruchs der Trust
Sympany Versicherungen AG berechnet.

Am 7. Oktober 2014 ersuchte A.________ die IV-Stelle um Begründung der
Verfügung "im Zusammenhang mit dem angeblichen Verrechnungsanspruch der Sympany
Versicherung in Höhe von Fr. 24'669.70" und um Rechtsmittelbelehrung. Die
Ausgleichskasse, welcher die IV-Stelle das Schreiben zuständigkeitshalber
übermittelt hatte, teilte am 22. Oktober 2014 mit, die Trust Sympany
Versicherungen AG hätte im Rahmen des Verrechnungsverfahrens die Rückerstattung
von Fr. 24'996.70 beantragt. Eine Überprüfung habe die Betrags- und
Zeitgleichheit der Forderung ergeben. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
des Krankenversicherers enthielten ein direktes Rückforderungsrecht, weshalb
sie entschieden habe, den Betrag direkt der Krankenversicherung zu überweisen.
Die Verrechnung bilde einen "integrierten Bestandteil der Rentenverfügung". Es
könne gegen das Verrechnungsverfahren "innert 30 Tagen seit der Zustellung
gegen die Verfügung vom 22.09.2014 schriftlich Beschwerde" erhoben werden, wie
dies im Verfügungsteil 2 erwähnt sei.

B. 
Am 8. November 2014 (Postaufgabe) liess A.________ eine auf den 4. November
2014 datierte Beschwerde erheben. Das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn trat darauf mit Entscheid vom 17. Dezember 2014 zufolge Fristablaufs
nicht ein.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides beantragen, die Vorinstanz
sei anzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten.

Erwägungen:

1. 
Die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde richtet sich gegen den
Nichteintretensentscheid des kantonalen Sozialversicherungsgerichts vom 17.
Dezember 2014. Dabei handelt es sich um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90
BGG in Verbindung mit Art. 82 Abs. 1 lit. a und Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG und
damit um ein zulässiges Anfechtungsobjekt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht die am 8.
November 2014 der Post übergebene Rechtsschrift für verspätet erachtet hat.
Dabei geht es insbesondere darum, ob die Verfügung vom 22. September 2014 oder
das Schreiben vom 22. Oktober 2014 fristauslösend waren und ob das kantonale
Gericht dem Schreiben der Versicherten vom 7. Oktober 2014 richtigerweise den
Beschwerdecharakter abgesprochen hatte.

2.1. Die Vorinstanz erwog, die beiden Verfügungsteile vom 22. September 2014
wiesen inhaltlich einen engen Bezug zueinander auf und seien zusammen
betrachtet zweifellos als hoheitlicher Akt aufzufassen, der sämtliche Elemente
einer Verfügung gemäss Art. 5 VwVG beinhalte. Sie stellte fest, der
rechtskundige Vertreter der Beschwerdeführerin habe sein Schreiben vom 7.
Oktober 2014 mit "Ihre Verfügung vom 22. September 2014" betitelt und erwog,
der Verfügungscharakter sei folglich klar gewesen, was eine Berufung auf Treu
und Glauben ausschliesse. Die auf den 4. November 2014 datierte, am 8. November
2014 der Post übergebene Beschwerde sei daher verspätet erfolgt. Das Schreiben
vom 7. Oktober 2014 könne nicht als Beschwerde angesehen werden, weil es keinen
Anfechtungswillen enthalte, sondern darin lediglich die Beschwerdegegnerin
aufgefordert werde, die Verfügung vom 22. September 2014 zu begründen und mit
einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.

2.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, erst mit Schreiben der
Ausgleichskasse vom 22. Oktober 2014 sei eine Begründung der Leistungszusprache
nachgereicht worden. Dieses Dokument müsse als neue nachgebesserte Verfügung
betrachtet werden, gegen die wiederum innert 30 Tagen habe Beschwerde erhoben
werden können, zumal ihr zuvor eine konkrete Beschwerdeerhebung gar nicht
möglich gewesen wäre und unklar geblieben sei, welches Dokument (Verfügung vom
22. September 2014 oder Brief vom 22. Oktober 2014) die Beschwerdefrist
ausgelöst habe. Nachdem sie sich bezüglich der Verrechnung an die
Ausgleichskasse gewandt habe, wie dies in der Verfügung vorgesehen gewesen sei,
wäre es stossend, wenn ihre nach Eingang der entsprechenden Antwort der
Ausgleichskasse unverzüglich erhobene Beschwerde als verspätet angesehen würde;
die Verfügung selbst habe keine Rechtsmittelbelehrung enthalten. Schliesslich
sei ihrem Schreiben vom 7. Oktober 2014 ein klarer Anfechtungswille zu
entnehmen. Die in der späteren Beschwerde gestellten Anträge seien
deckungsgleich mit den Anfragen vom 7. Oktober 2014.

3. 

3.1. Während die IV-Stelle gemäss Art. 57 Abs. 1 lit. f IVG über die
Invalidität zu befinden hat, fällt der AHV-Ausgleichskasse laut Art. 60 Abs. 1
lit. b IVG die Aufgabe zu, die Berechnung der Renten vorzunehmen. Die IV-Stelle
übermittelt ihren Verfügungsteil als Vorbescheid der versicherten Person (Art.
57a Abs. 1 IVG) und der Ausgleichskasse, damit diese die Rentenberechnung
vornehmen kann (Art. 73bis Abs. 1 und 2 lit. c IVV). Eine Rentenverfügung der
Invalidenversicherung gliedert sich somit praktisch in zwei Teile. Der
Verfügungsteil der Ausgleichskasse (1. Teil) enthält die Bezeichnung als
"Verfügung" und nennt den Adressat. Ferner werden das Datum, die
Versichertennummer sowie Name und Vorname der versicherten Person festgehalten.
Es folgen Angaben zur Leistung und deren Berechnung. Der zweite Teil enthält
die gesetzlichen Grundlagen, das Abklärungsergebnis und den Invaliditätsgrad.
Abschliessend folgt der Hinweis auf die Rechtsmittelbelehrung. Der
Verfügungsteil der Ausgleichskasse wird demjenigen der IV-Stelle vorangestellt.
Den Versand der "Gesamtverfügung" nimmt in der Regel die Ausgleichskasse namens
der IV-Stelle vor (vgl. Rz. 3046 ff. des Kreisschreibens des BSV über das
Verfahren in der Invalidenversicherung [KSVI; Stand 1. Januar 2014]).

3.2.

3.2.1. Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz besteht in der Tat kein
Grund, daran zu zweifeln, dass der Beschwerdeführerin der Verfügungscharakter
der Leistungszusprache vom 22. September 2014 bewusst war. Schon aus dem
Betreff ihres Schreibens vom 7. Oktober 2014 ("Ihre Verfügung vom 22.9.2014"),
wie auch aus dem Inhalt (".... die Verfügung .... zu begründen") geht klar
hervor, dass sie von einer Verfügung ausging. Vor diesem Hintergrund hätte sie
aber nicht untätig bleiben und es insbesondere nicht bei ihrem Schreiben vom 7.
Oktober 2014 bewenden lassen dürfen (vgl. auch nachfolgende E. 3.2.2), umso
weniger als der zweite Teil der Verfügung vom 22. September 2014 - entgegen
ihren Vorbringen - eine korrekte Rechtsmittelbelehrung enthielt.

3.2.2. Wenn sich die Beschwerdeführerin, nachdem ihr mit Verfügung des
kantonalen Gerichts vom 13. November 2014 ein mögliches Nichteintreten zufolge
Fristablaufs mitgeteilt worden war, auf den Standpunkt stellte, der Brief der
Ausgleichskasse vom 22. Oktober 2014 sei als "Nachbesserung" der Verfügung zu
verstehen und habe eine neue Beschwerdefrist eröffnet, ist dies nicht
stichhaltig. Der Brief weist nicht nur keinerlei Merkmale einer Verfügung auf
(sondern wird als Stellungnahme bezeichnet). Die Ausgleichskasse hielt darüber
hinaus fest, die Verrechnung bilde integrierender Bestandteil der
Rentenverfügung und führte wörtlich aus: "Sofern Sie mit dem
Verrechnungsverfahren nicht einverstanden sind, können Sie innert 30 Tagen seit
der Zustellung gegen die Verfügung vom 22.09.2014 schriftlich Beschwerde
erheben, wie dies im der Verfügung beigelegten Verfügungsteil 2 erwähnt ist."
Diese Ausführungen konnten vernünftigerweise nicht anders verstanden werden,
als dass die Beschwerdefrist mit der Zustellung der Verfügung vom 22. September
2014 zu laufen begonnen hatte. Davon abgesehen, dass die Rechtsmittelbelehrung
im "Verfügungsteil 2" sich klarerweise nicht auf ein erst einen Monat später
verfasstes Schreiben beziehen konnte, erwog das kantonale Gericht zu Recht,
selbst der Empfänger einer nicht als solchen bezeichneten Verfügung ohne
Rechtsmittelbelehrung könne diese nicht einfach ignorieren. Er ist vielmehr
gehalten, sie innert der gewöhnlichen Rechtsmittelfrist anzufechten (oder sich
innert nützlicher Frist nach den in Frage kommenden Rechtsmitteln zu erkundigen
[BGE 129 II 125 E. 3.3 S. 134; 119 IV 330 E. 1c S. 334], was hier indes mit
Blick auf die im Verfügungsteil 2 enthaltene Rechtsmittelbelehrung obsolet
war). Das Gleiche gilt, wenn die Erkennbarkeit des Verfügungscharakters eines
Schreibens umstritten ist (Urteil 8C_206/2010 vom 25. Mai 2010 E. 2.2 mit
Hinweis auf BGE 129 II 125 E. 3.3 S. 135).

Im Übrigen enthielt die kantonale Beschwerde keinerlei relevante Vorbringen,
die vor Kenntnisnahme des Schreibens vom 22. Oktober 2014 nicht hätten geltend
gemachten werden können. Insbesondere hatte die Ausgleichskasse bereits mit
E-Mail vom 27. August 2014 mitgeteilt, die Überversicherungsberechnung sei
schon mit dem Verrechnungsantrag zugestellt worden, über weitere Unterlagen
verfüge sie nicht. Welche Rügen erst im Nachgang zum Brief vom 22. Oktober 2014
hätten erhoben werden können, wird denn auch letztinstanzlich in keiner Weise
konkretisiert.

3.2.3. Schliesslich hat die Vorinstanz das Schreiben der Versicherten vom 7.
Oktober 2014 zu Recht mangels klarem Anfechtungswillen nicht als Beschwerde
qualifiziert. Nach der im angefochtenen Entscheid korrekt wiedergegebenen
Rechtsprechung muss die Beschwerde führende Person erkenntlich ihren Willen zur
Änderung der sie betreffenden Rechtslage zum Ausdruck bringen (BGE 116 V 353 E.
2b S. 356 mit Hinweisen), was auf den Brief vom 7. Oktober 2014, worin
lediglich um Begründung der Verfügung und um Rechtsmittelbelehrung ersucht
wurde, klar nicht zutrifft.

4. 
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Februar 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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