Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 155/2015
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_155/2015

Urteil vom 1. Oktober 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Herrn Gregor Felder,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse Luzern, Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 21. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ ist als Selbstständigerwerbender der Ausgleichskasse Luzern
angeschlossen. Mit zwei Verfügungen vom 16. November 2012 setzte diese die
persönlichen Beiträge für 2008 auf Fr. 23'007.60 und für 2009 auf Fr. 96'334.20
fest. Den Verfügungen lagen die von der Steuerbehörde gemeldeten Einkommen von
Fr. 6'217'594.- (2008) und Fr. 4'872'071.- (2009) zugrunde. Von diesen
Einkommen wurden der Rentnerfreibetrag (je Fr. 16'800.-) abgezogen, die
persönlichen Beiträge aufgerechnet und der Zinsabzug auf dem im Betrieb
investierten Eigenkapital gewährt. A.________ erhob gegen beide
Beitragsverfügungen Einsprache. Gestützt auf die im Einspracheverfahren
korrigierte Steuermeldung vom 10. Juni 2013, wonach die Steuerbehörde das
Nettoeinkommen für 2009 auf Fr. 4'392'471.- reduziert hatte, erliess die
Ausgleichskasse am 19. Juni 2013 eine neue Verfügung, mit welcher sie die
Beiträge für 2009 auf Fr. 44'598.60 reduzierte. Diese Verfügung bildet
Bestandteil des Einspracheentscheids vom 19. Juni 2013, mit dem die Einsprache
in diesem Umfang teilweise gutgeheissen, im Übrigen aber abgewiesen wurde.

B. 
Die von A.________ hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher er die
Aufhebung des Einspracheentscheids und die Festlegung des beitragspflichtigen
Erwerbseinkommens für die Jahre 2008 und 2009 auf Fr. 0.- beantragt hatte, wies
das Kantonsgericht Luzern ab (Entscheid vom 21. Januar 2015).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erneuert A.________
das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren um Festlegung des
beitragspflichtigen Einkommens für die Jahre 2008 und 2009 und der geschuldeten
Beiträge auf Fr. 0.-. Eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz oder die Ausgleichskasse zurückzuweisen. Ferner ersucht er um die
Bewilligung der aufschiebenden Wirkung.
Die Ausgleichskasse beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:

1. 
Das kantonale Gericht hat die Beitragsfestsetzung gemäss der im
Einspracheentscheid vom 19. Juni 2013 bestätigten Verfügung vom 16. November
2012 für das Jahr 2008 und die Beitragsverfügung vom 19. Juni 2013 für das Jahr
2009, die Bestandteil des Einspracheentscheides bildet, bestätigt. Es hat
sodann gestützt auf Art. 9 Abs. 4 AHVG (in Kraft seit 1. Januar 2012) und die
Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) über die Beiträge der
Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO (WSN;
gültig ab 1. Januar 2012) sowie die Rechtsprechung (BGE 139 V 537) ausgeführt,
wie die zuvor abgezogenen persönlichen Beiträge wieder auf 100 % aufzurechnen
sind. Das Gericht bestätigte des Weiteren auch die Vornahme des
Eigenkapitalzinsabzugs gemäss Einspracheentscheid in der Höhe von Fr.
6'615'945.- (2008; Eigenkapital Fr. 189'027'000.-) und Fr. 4'378'025.- (2009;
Eigenkapital: Fr. 175'121'000.-).

2. 
Gemäss Art. 8 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit Beiträge erhoben. Art. 9 Abs. 2 AHVG umschreibt die Abzüge,
die vom rohen Einkommen für die Ermittlung des beitragspflichtigen Einkommens
aus selbstständiger Erwerbstätigkeit vorgenommen werden. Lit. f bestimmt, dass
der Zins des im Betrieb eingesetzten eigenen Kapitals abgezogen wird; der
Zinssatz entspricht der jährlichen Durchschnittsrendite der Anleihen der nicht
öffentlichen inländischen Schuldner in Schweizer Franken. Nach Art. 9 Abs. 4
AHVG in der seit 1. Januar 2012 gültigen, vorliegend anwendbaren Fassung
(Übergangsbestimmung zur Änderung des AHVG vom 17. Juni 2011) sind die
steuerrechtlich zulässigen Abzüge der Beiträge nach Art. 8 AHVG sowie nach Art.
3 Abs. 1 IVG und Art. 27 Abs. 2 EOG von den Ausgleichskassen zum von den
Steuerbehörden gemeldeten Einkommen hinzuzurechnen. Das gemeldete Einkommen ist
dabei nach Massgabe der geltenden Beitragssätze auf 100 % aufzurechnen.
Rz. 1172 der WSN bestimmt, dass vom Einkommen (gemäss Rz. 1166) und nach
Aufrechnung der AHV/IV/ EO-Beiträge (gemäss Rz. 1170 f.) der Zins von dem im
Betrieb investierten Eigenkapital (gemäss Rz. 1174) abzuziehen ist.
Die Umrechnung erfolgt gemäss Rz. 1170 WSN nach der Formel:
Gemeldetes Nettoeinkommen x 100
100 - in Abhängigkeit des gemeldeten Einkommens anwendbare Beitragssätze AHV/IV
/EO.

3. 
Der Beschwerdeführer rügt die vorinstanzlich angewendete Berechnungsmethode. Er
macht geltend, dass die Umrechnung gemäss der in Rz. 1170 WSN aufgeführten
Formel auf Basis des Einkommens nach Rentnerfreibetrag, aber vor
Berücksichtigung des Eigenkapitalzinsabzuges erfolge. Dadurch werde die
Beitragsaufrechnung fiktiv erhöht. Die tatsächlich geschuldeten Beiträge
könnten sich nie ausgleichen, da mathematisch immer höhere persönliche Beiträge
aufgerechnet als fakturiert würden. Der Zinsabzug müsse vielmehr vor der
Aufrechnung der persönlichen Beiträge erfolgen. Im vorliegenden Fall sei das
investierte Eigenkapital ausserordentlich hoch. Die falsche Berechnungsformel
habe einen nicht unbeachtlichen Fehler zur Folge.

4. 
In dem zur Publikation in bestimmten Urteil 9C_13/2015 vom 11. August 2015 hat
das Bundesgericht mit Bezug auf die hier interessierende Frage erkannt, dass
die Zinsen auf dem im Betrieb investierten Eigenkapital bei der Ermittlung des
beitragspflichtigen Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit abzuziehen
sind, bevor die steuerlich abzugsberechtigten AHV/IV/EO-Beiträge von der
Augsleichskasse aufgerechnet werden. Das Gericht hat Rz. 1172 WSN (in der seit
1. Januar 2012 geltenden Fassung) als gesetzwidrig erklärt. Dabei hat es
dargelegt, bei der Umrechnung des Nettoeinkommens gemäss Steuermeldung ins
Bruttoeinkommen werde der Eigenkapitalzins erst nach der Umrechnung und vom
Bruttoeinkommen in Abzug gebracht. Damit werde der Zinsabzug zu einem Teil des
beitragspflichtigen Einkommens. Es stehe jedoch fest, dass auf den Zinsen für
das investierte Eigenkapital von Gesetzes wegen keine AHV-Beiträge erhoben
werden (Art. 9 Abs. 2 lit. f AHVG; vgl. BGE 139 V 53). Die Berechnung gemäss
Rz. 1172 WSN sei daher nicht bundesrechtskonform.

5. 
Wird die Berechnung der AHV/IV/EO-Beiträge für die Jahre 2008 und 2009 gemäss
Urteil 9C_13/2015 vorgenommen, ergibt sich Folgendes:

5.1. 
2008
Nettoeinkommen: Fr. 6'217'594.-
- Rentnerfreibetrag: Fr. 16'800.-
- (unbestrittener) Eigenkapitalzinsabzug: Fr. 6'615'945.-
= Fr. 0.-
Die ausgehend vom Ergebnis dieser Rechenoperation vorzunehmende
Beitragsaufrechnung entfällt, da 9,5 % von Fr. 0.- ebenfalls Fr. 0.- ergeben.

5.2. 
2009
Nettoeinkommen gemäss Einspracheentscheid: Fr. 4'392'471.-
- Rentnerfreibetrag: Fr. 16'800.-
- (unbestrittener) Eigenkapitalzinsabzug: Fr. 4'378'025.-
= Fr. 0.-.

Die ausgehend vom Ergebnis dieser Rechenoperation vorzunehmende
Beitragsaufrechnung entfällt ebenso wie für das Jahr 2008.

5.3. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass
die Berechnung gemäss Urteil 9C_13/2015 vom 11. August 2015 nur in Fällen, in
welchen ein sehr hohes im Betrieb investiertes Eigenkapital, das einen
entsprechenden Zinsabzug zur Folge hat, zu deutlich tieferen AHV/IV/
EO-Beiträgen führt. In Verhältnissen mit einem durchschnittlichen Eigenkapital
wirkt sich diese Berechnung nur unwesentlich auf die Höhe der geschuldeten
persönlichen Beiträge aus.

6. 
Mit dem Entscheid in der Hauptsache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung,
welches im Übrigen jeglicher Begründung entbehrt, gegenstandslos.

7. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Ausgleichskasse aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat dem
Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom
21. Januar 2015 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse Luzern vom 19.
Juni 2013 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer
für die Jahre 2008 und 2009 keine persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge zu entrichten
hat.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'200.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Kantonsgericht Luzern zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. Oktober 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben