Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 142/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_142/2015

Urteil vom 5. Juni 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse
13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Simone Schmucki,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Massnahmen beruflicher Art),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
7. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügungen vom 6. Oktober 2014 verneinte die IV-Stelle des Kantons Thurgau
den Anspruch von A.________, geboren 1965, auf eine Invalidenrente sowie auf
berufliche Massnahmen.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 7. Januar 2015 hinsichtlich des Anspruchs auf
Arbeitsvermittlung teilweise gut. Im Übrigen wies es sie ab.

C. 
Die IV-Stelle des Kantons Thurgau führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides
insoweit, als A.________ Arbeitsvermittlung zugesprochen wurde.

Die Vorinstanz beantragt die Abweisung der Beschwerde. A.________ und das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Streitig ist der Anspruch auf Arbeitsvermittlung. Das kantonale Gericht hat die
einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Nach Art. 18 IVG haben
arbeitsunfähige Versicherte, welche eingliederungsfähig sind, Anspruch auf
aktive Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes.

2. 
Die Vorinstanz erwog, es erübrige sich eine Berufsberatung, wenn eine
versicherte Person aus medizinischer Sicht adaptierte Tätigkeiten generell
weiterhin verrichten könne, und aus den ärztlichen Abklärungen und
Beschreibungen hinreichend klar hervor gehe, dass ihr auf dem ausgeglichenen
Arbeitsmarkt genügend zumutbare Tätigkeiten offenstünden. Hingegen brauche es
für den Anspruch auf Arbeitsvermittlung weder eine Invalidität noch einen
Invaliditätsgrad. Es genüge der Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit. Solches sei
hier gegeben, nachdem ihm die Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen
gekündigt worden sei und er nur noch in einer adaptierten Tätigkeit
arbeitsfähig sei.

3. 
Die Beschwerdeführerin hält dagegen, für die Gewährung von Arbeitsvermittlung
seien neben der gesetzlichen Umschreibung weitere leistungsspezifische
Voraussetzungen erforderlich. So sei bei der Prüfung der Arbeitsunfähigkeit
nicht nur der erste, sondern auch der zweite Satz von Art. 6 ATSG zu beachten.
Danach werde bei langer Dauer der Arbeitsunfähigkeit auch die zumutbare
Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt. Zudem
müssten insbesondere die Notwendigkeit und die Geeignetheit gegeben sein. Sei
die fehlende berufliche Eingliederung im Sinne der Verwertung einer bestehenden
Arbeitsfähigkeit nicht auf gesundheitlich bedingte Schwierigkeiten bei der
Stellensuche zurückzuführen, falle die Arbeitsvermittlung nicht in die
Zuständigkeit der Invalidenversicherung. Sei die Arbeitsfähigkeit einzig
insoweit eingeschränkt, als dem Versicherten nur leichte Tätigkeiten voll
zumutbar seien, bedürfe es zur Begründung des Anspruchs einer spezifischen
Einschränkung gesundheitlicher Art. Daran sei nach Inkrafttreten der 4. und 5.
IV-Revision festgehalten worden.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin begründete ihre Verfügung damit, die Beurteilung
durch den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) habe ergeben, dass dem
Beschwerdegegner die bisherige Tätigkeit weiterhin überwiegend zumutbar sei. Er
sei angemessen eingegliedert. Berufliche Massnahmen, die die Erwerbsfähigkeit
verbesserten, seien nicht notwendig.

4.2. Tatsächlich stellte der RAD-Arzt fest, die Einschätzung des Hausarztes Dr.
med. B.________, Praktischer Arzt FMH, über angeblich unmögliche Überkopf- und
Tragetätigkeiten sei in Anbetracht der Befundlage nicht schlüssig
nachvollziehbar. Der Hausarzt bestätige aber [in seinem Bericht vom 6. Juni
2014] eine volle adaptierte Arbeitsfähigkeit (RAD-Bericht vom 16. Juli 2014).

4.3. Nach der nach den 4. und 5. IV-Revisionen weiterhin gültigen
Rechtsprechung (Urteil I 421/01 vom 15. Juli 2002 E. 2c und d) ^ bedarf es zur
Begründung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung zusätzlich einer spezifischen
Einschränkung gesundheitlicher Art, wenn die Arbeitsfähigkeit einzig insoweit
betroffen ist, als dem Versicherten nur leichte Tätigkeiten voll zumutbar sind.
Die leistungsspezifische Invalidität des Anspruchs liegt vor, wenn die
Behinderung Probleme bei der Stellensuche verursacht. Dies trifft z. B. zu,
wenn wegen Stummheit oder mangelnder Mobilität kein Bewerbungsgespräch möglich
ist oder dem potenziellen Arbeitgeber die besonderen Möglichkeiten und Grenzen
des Versicherten erläutert werden müssen (z.B. welche Tätigkeiten trotz
Sehbehinderung erledigt werden können), damit der Behinderte überhaupt eine
Chance hat, den gewünschten Arbeitsplatz zu erhalten. Es genügt nicht, dass dem
Versicherten die Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen gekündigt worden
ist, wie dies die Vorinstanz erwogen hat (vgl. zum Ganzen auch MEYER/REICHMUTH,
Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, Art. 18 N. 6 mit Hinweisen auf die
Rechtsprechung).

5. 
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 7. Januar 2015 wird aufgehoben und die Verfügung der
IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 6. Oktober 2014 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
zurückgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Juni 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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