Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 103/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_103/2015

Urteil vom 8. April 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Gafner,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Leistungen,
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 26. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1933 geborene A.________ bezieht seit März 1998 Ergänzungsleistungen zur
Rente der Alters- und Hinterlassenenversicherung. Mit Verfügung vom 5.
September 2014 sprach ihm die Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend:
Ausgleichskasse) nach Abklärungen ab 1. September 2014 bis auf Weiteres
monatliche Beträge von Fr. 3'102.- zu. Mit gleichem Datum erliess sie eine
zweite Verfügung. Daraus ging hervor, die eingereichten Unterlagen reichten
nicht aus um nachzuweisen, dass es der Ehefrau des Versicherten unmöglich sei,
einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es werde daher ein hypothetisches
Mindesteinkommen von Fr. 36'000.- jährlich eingesetzt. Der Anspruch auf
Ergänzungsleistungen belaufe sich somit ab 1. März 2015 auf Fr. 1'185.- pro
Monat. Daran hielt die Ausgleichskasse mit Einspracheentscheid vom 1. Oktober
2014 fest.

B. 
Die Beschwerde des A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
Entscheid vom 26. Januar 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es seien ihm auch
über den 28. Februar 2015 hinaus Ergänzungsleistungen von mindestens Fr.
3'102.- monatlich auszurichten. Sodann sei der Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zuzuerkennen und die Ausgleichskasse im Sinne einer vorsorglichen
Massnahme anzuweisen, ihm für die Dauer des Beschwerdeverfahrens die
beantragten Ergänzungsleistungen auszurichten; zudem ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege.
Die Ausgleichskasse beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.

2.1. Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, der Ehefrau des Beschwerdeführers
sei es als uneingeschränkt arbeitsfähige Frau zumutbar, eine (Teilzeit-)
Beschäftigung als Hilfsarbeiterin zu finden. Da es an Arbeitsbemühungen fehle,
sei von einem Verzicht auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit auszugehen; die
Ausgleichskasse habe zu Recht ein hypothetisches Erwerbseinkommen von Fr.
36'000.- pro Jahr angerechnet. Der Beschwerdeführer macht geltend, bereits der
Umstand, dass seine Ehefrau 55 Jahre alt sei, über keine Berufsausbildung
verfüge und zu keiner Zeit erwerbstätig gewesen sei, mache die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit unzumutbar. Hinzu kämen als weitere ungünstige Faktoren seine
Pflegebedürftigkeit sowie die angeschlagene Gesundheit beider Ehegatten. 
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob dem Beschwerdeführer ein hypothetisches
Erwerbseinkommen seiner Ehefrau anzurechnen ist.

2.2. Unter dem Titel des Verzichtseinkommens (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG) ist
auch ein hypothetisches Einkommen der Ehegattin eines Leistungsansprechers
anzurechnen (vgl. Art. 9 Abs. 2 ELG), sofern sie auf eine zumutbare
Erwerbstätigkeit oder deren zumutbare Ausdehnung verzichtet (BGE 117 V 287 E.
3b S. 291; AHI 2001 S. 133, P 18/99 E. 1b). Daran ändert eine (Teil-)
Invalidität des betroffenen Ehepartners nichts (BGE 115 V 88 E. 1 S. 90). Ist
dieser im rechtlichen Sinne nicht invalid, ist Art. 14a wie Art. 14b ELV weder
direkt noch analog anwendbar (SVR 2007 EL Nr. 1 S. 1, P 40/03 E. 3). Bei der
Ermittlung der zumutbaren Erwerbstätigkeit der Ehefrau oder des Ehemannes ist
der konkrete Einzelfall unter Anwendung familienrechtlicher Grundsätze (vgl.
Art. 163 ZGB) zu berücksichtigen. Dementsprechend ist auf das Alter, den
Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die Ausbildung, die bisherige
Tätigkeit, die konkrete Arbeitsmarktlage sowie gegebenenfalls auf die Dauer der
Abwesenheit vom Berufsleben abzustellen (BGE 134 V 53 E. 4.1 S. 61; SVR 2007 EL
Nr. 1 S. 1, P 40/03 E. 2; AHI 2001 S. 132, P 18/99 E. 1b). Bemüht sich die
Ehegattin trotz (teilweiser) Arbeitsfähigkeit nicht oder nur ungenügend um eine
Stelle, verletzt sie die ihr obliegende Schadenminderungspflicht (SZS 2010 S.
48, 9C_184/2009 E. 2.2; Urteil 9C_539/2009 vom 9. Februar 2010 E. 4.1).

2.3. Die Festsetzung des hypothetischen Einkommens stellt, soweit sie auf der
Würdigung konkreter Umstände beruht, eine Tatfrage dar, die lediglich unter
eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar ist (E. 1). Rechtsfrage ist dagegen,
nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der
Restarbeitsfähigkeit erfolgt (BGE 140 V 267 E. 2.4 S. 270 mit Hinweisen).

3.

3.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers
aufgrund der fachärztlichen Beurteilung von Dr. med. B.________ vom 12.
November 2014 für leidensangepasste Tätigkeiten vollumfänglich arbeitsfähig
ist.

3.2.

3.2.1. Die Vorinstanz hat festgestellt, aufgrund der Aktenlage stehe die
Pflegebedürftigkeit des Beschwerdeführers einer Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau
nicht entgegen. Das Vorbereiten der Medikamente könne ausserhalb der
Arbeitszeit erfolgen und die Begleitung zu Arztterminen lasse sich selbst mit
einem hohen Beschäftigungsgrad der Ehegattin vereinbaren. Auch wenn Dr. med.
C.________ den Beschwerdeführer ohne Betreuung als hilflos beschreibe, könne
daraus keine Hilflosigkeit abgeleitet werden, die eine engmaschige Betreuung
notwendig erscheinen lasse, zumal keine Hilflosenentschädigung beantragt worden
sei. Was die geltend gemachte fehlende Ausbildung und Berufspraxis anbelange,
habe die Ehefrau des Beschwerdeführers die Matura erworben, ein Studium
begonnen und ausserdem während vieler Jahre einen Mehrpersonenhaushalt geführt.
Damit sei sie trotz fehlender Berufserfahrung ausreichend befähigt, zumindest
in einer Hilfstätigkeit erwerbstätig zu sein. Obschon sich ihr Alter auf dem
konkreten Arbeitsmarkt allenfalls negativ auswirke, könne sie eine (Teilzeit-)
Beschäftigung als Hilfsarbeiterin finden. Da sie sich offenbar nie um eine
Arbeitsstelle bemüht habe, gelinge es ihr nicht, diese Vermutung zu widerlegen.

3.2.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen beruhen weder auf einer
Rechtsverletzung noch sind sie offensichtlich unrichtig und damit willkürlich;
sie bleiben für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). Die Vorinstanz hat ihre
Auffassung mit Blick auf die fehlende Berufserfahrung und Erwerbstätigkeit der
Ehefrau des Versicherten nachvollziehbar begründet; sie hat zu Recht
einbezogen, dass der Beschwerdeführer zwar gemäss dem Bericht von Dr. med.
C.________ vom 24. Oktober 2014 einer gewissen Pflege bedarf und zu
Arztterminen begleitet werden muss. Dass dies einer teilzeitlichen
Erwerbstätigkeit entgegenstehen soll, ist aber, wie aus dem vorinstanzlichen
Entscheid zutreffend hervorgeht, weder ersichtlich noch der erwähnten
ärztlichen Stellungnahme zu entnehmen. Für eine realistischerweise verwertbare
Erwerbsfähigkeit der Ehefrau sprechen ausserdem ihre Deutschkenntnisse sowie
die Tatsache, dass ihr mehrere Jahre (vgl. BGE 138 V 457 E. 3.5 S. 462 mit
Hinweisen) bis zum Erreichen des Pensionsalters verbleiben (Geburtsdatum: 22.
März 1960); selbst bei Teilinvalidität ist eine Verwertung der Erwerbsfähigkeit
bis mindestens zum Alter von 60 Jahren nicht ausgeschlossen (vgl. Art. 14a
ELV). Sodann ist ihre Arbeitsfähigkeit für angepasste Tätigkeiten
vollumfänglich erhalten (E. 3.1). Dem vom Beschwerdeführer zitierten Urteil
9C_539/2009 vom 9. Februar 2010 lag im Übrigen ein anderer Sachverhalt
zugrunde, der mit dem hier zu beurteilenden nicht zu vergleichen ist. Die dort
Betroffene konnte insbesondere eine Bestätigung des Regionalen
Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) vorweisen, wonach eine Person mit ihren
persönlichen und beruflichen Voraussetzungen im fraglichen Einzugsgebiet keine
Stelle finden könne. Die in Anbetracht der konkreten Umstände von der
Vorinstanz gezogene Schlussfolgerung, wonach der Ehefrau des Beschwerdeführers
zumindest eine teilzeitliche Erwerbstätigkeit zumutbar wäre, ist nicht zu
beanstanden.

3.2.3. Aufgrund der Akten bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich die Ehefrau
des Beschwerdeführers während der bis Ende Februar 2015 dauernden
Anpassungsfrist um eine (teilzeitliche) Arbeitsstelle bemüht hätte. Im
Fragebogen vom 24. Juni 2014 gab sie weder an, dementsprechende Anstrengungen
unternommen zu haben noch bestätigte sie, beim Regionalen
Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) als "stellensuchend" gemeldet zu sein. D urch
das Unterlassen konkreter Stellenbemühungen trotz vorhandener
Restarbeitsfähigkeit verletzte sie die ihr obliegende Schadenminderungspflicht
(E. 2.2). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht berücksichtigt, dass das von der
Ausgleichskasse angerechnete hypothetische Erwerbseinkommen von Fr. 36'000.-
deutlich unter dem durchschnittlichen Verdienst von Frauen in einfachen und
repetitiven Tätigkeiten liegt. Auch wenn es zutrifft, dass die Chancen auf eine
Anstellung mit zunehmendem Alter und bei fehlender Berufserfahrung tendenziell
eher abnehmen, ist eine Unverwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit nicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt.

3.3. Dass bei der Festsetzung des durch die Ehefrau zumutbarerweise erzielbaren
Erwerbseinkommens weitere massgebende Kriterien (E. 2.2) nicht beachtet worden
sind, ist nicht ersichtlich. Die Höhe des angerechneten hypothetischen
Einkommens wird nicht beanstandet. Für eine nähere Prüfung von Amtes wegen
besteht kein Anlass. Die Beschwerde ist unbegründet.

4. 
Mit dem Urteil in der Sache wird das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden
Wirkung bzw. um vorsorgliche Massnahmen gegenstandslos.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer grundsätzlich
die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 BGG; BGE
125 V 201 E. 4a S. 202). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hingewiesen, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten
hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen und Rechtsanwalt
Andreas Gafner als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. April 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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