Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.925/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_925/2015

Urteil vom 9. Mai 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Burren,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

 B.________ Vorsorgestiftung,

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
29. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1968, war ab 13. Januar 1997 bei der C.________ AG als
Facharbeiter angestellt. Am 8. März 1999 stürzte er von einer Leiter und zog
sich Verletzungen zu. Die IV-Stelle des Kantons Aargau sprach ihm am 23. Januar
2004 infolge eines chronischen Schmerzsyndroms ab 1. Februar 2003 eine halbe
Invalidenrente zu. Auf das Gesuch um Rentenerhöhung vom 22. April 2004 trat die
IV-Stelle nicht ein; dies bestätigte das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau am 24. Mai 2006. Im Nachgang zu einem erneuten Rentenerhöhungsgesuch
liess die IV-Stelle A.________ psychiatrisch begutachten und erhöhte ab 1. Mai
2008 auf eine ganze Rente.
Nachdem mehrere Verdachtsmeldungen eingegangen waren, leitete die IV-Stelle von
Amtes wegen ein Rentenrevisionsverfahren ein und liess A.________ an insgesamt
18 Tagen überwachen. Die IV-Stelle gewährte ihm anschliessend das rechtliche
Gehör und holte die Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD)
sowie ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. med. D.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, ein. Gestützt auf diese Unterlagen hob die
IV-Stelle die Invalidenrente am 16. März 2015 per Ende April 2015 auf.

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene
Beschwerde am 29. Oktober 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben und die
bisherige Rentenzusprechung zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache an die
Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Beschwerde. Die bereits vor Vorinstanz
beigeladene B.________ Vorsorgestiftung und das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist
die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art.
97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach
Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr
ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen
darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung
einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind.
Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den
Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt
werden. Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen (BGE 133 IV
286 E. 6.2 S. 288; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).

1.3. Ob gestützt auf die ärztlichen Feststellungen bei diagnostizierten
anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen oder vergleichbaren psychosomatischen
Leiden und erkannter Aggravation auf einen Ausschlussgrund geschlossen werden
kann, stellt eine frei überprüfbare Rechtsfrage dar (SVR 2015 IV Nr. 38 S. 121
E. 4.1, 9C_899/2014).

2. 
Streitig ist die Aufhebung der Invalidenrente per 1. Mai 2015.

3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Revision einer
Invalidenrente (Art. 17 ATSG), einschliesslich der massgebenden zeitlichen
Vergleichspunkte (BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 mit Hinweis), sowie die Beurteilung
der Arbeitsunfähigkeit bei psychisch bedingten Gesundheitsschäden (BGE 131 V 49
; 127 V 294 E. 5a S. 299), insbesondere bei anzunehmender Aggravation (BGE 141
V 281 E. 2.2 S. 287; SVR 2015 IV Nr. 38 S. 121 E. 4, 9C_899/2014), zutreffend
dargelegt. Dasselbe gilt für die Aufgabe des Arztes bei der
Invaliditätsermittlung (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195; 132 V 93 E. 4 S. 99) und
die Anforderungen an einen ärztlichen Bericht (BGE 134 E. 5.1 S. 232; 125 V 351
E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.

4.

4.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf das Gutachten des Dr. med. D.________ vom
12. Januar 2015 sowie die Observationsberichte vom 19. Mai 2014 und 3. Dezember
2012 in für das Bundesgericht verbindlicher Weise (E. 1.2) festgestellt, beim
Versicherten liege eine Aggravation vor. Ausgehend davon hat sie gefolgert, es
bestehe ein Ausschlussgrund, der die Annahme eines
invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsschadens nicht erlaube,
sodass auf die Durchführung eines Beweisverfahrens im Sinne der Rechtsprechung
von BGE 141 V 281 verzichtet werden könne; infolge der Aggravation sei von
einer Arbeitsunfähigkeit von 0 % auszugehen und die Rentenaufhebung zu
bestätigen.

4.2. Was der Versicherte dagegen vorbringt, vermag zu keinem anderen Ergebnis
zu führen:
So rügt er eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung, weil die Vorinstanz
einerseits den Diagnosen des psychiatrischen Gutachters folge, andererseits
aber den attestierten Krankheitswert der diagnostizierten Störungen als nicht
nachvollziehbar bezeichne. Dazu ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung
der Arzt zwar zuständig für die Beschreibung des Gesundheitszustandes und
Stellung der Diagnosen ist, dass aber deren juristische Bewertung und
insbesondere die Feststellung der rechtlich noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit
nicht Aufgabe des Arztes, sondern des Rechtsanwenders ist (BGE 140 V 193 E. 3.2
S. 195). Dasselbe gilt für die Rüge bezüglich des Krankheitswerts der
histrionisch-dissoziativen Störung; auch in dieser Hinsicht ist das Vorgehen
und die Einschätzung der Vorinstanz nicht zu beanstanden.
Entgegen der Ansicht des Versicherten reicht der Nachweis von Aggravation,
damit der psychischen Störung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht eine
leistungseinschränkende Wirkung abgesprochen werden kann; eine Simulation ist
nicht verlangt (vgl. BGE 141 V 281 E. 2.2.1 S. 287). So bejaht Dr. med.
D.________ denn auch das Vorliegen einer Aggravation, die über die
Verdeutlichung von Symptomen hinausgeht.
Weiter beanstandet der Versicherte, aus dem Umstand, dass er mit dem Auto
herumgefahren sei, dürfe nichts zu seinen Lasten abgeleitet werden; vielmehr
sei ihm von den Ärzten gerade geraten worden, nicht zu Hause herumzusitzen, und
das Fahren der Kinder zur Schule sei infolge eines ihn und die Kinder
belästigenden Nachbarn notwendig geworden. Zudem sei das Auto auch von seinem
Cousin benutzt und oft in der Garage abgestellt worden. Dem Versicherten wird
nicht das Autofahren als solches vorgeworfen. Massgeblich ist vielmehr, dass
das gezeigte Verhalten (Autofahrten; Einkäufe; soziale Kontakte) auf ein
beachtliches Mass an physischen und psychischen Ressourcen sowie an
Konzentrationsvermögen schliessen lässt und somit eine erhebliche Diskrepanz zu
den gegenüber Dr. med. D.________ gemachten Aussagen (vollkommener sozialer
Rückzug; Unmöglichkeit des Autofahrens; Vergesslichkeit; Schmerzen in
Schultern, Beinen und Kreuzgegend) besteht.
Schliesslich bringt der Versicherte vor, die Vorinstanz verkenne, dass für ihn
als gesundheitlich angeschlagene Person der Umgang mit den Behörden äusserst
belastend sei und er nachvollziehbar anders gegenüber diesen auftrete als
gegenüber Bekannten und Verwandten. Diesen Umstand hat die Vorinstanz in ihrer
E. 3.4.6 berücksichtigt und zutreffend konstatiert, dieses Verhalten stelle
einen psychosozialen Faktor und damit keinen versicherungsrechtlich relevanten
Gesundheitsschaden dar (BGE 127 V 294 E. 5a S. 299).

4.3. Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gestützt
auf den Ausschlussgrund der Aggravation im Verfügungszeitpunkt von einer vollen
zumutbaren Arbeitsfähigkeit ausgegangen ist und die laufende Rente aufgehoben
hat.

5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegende Versicherte hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der B.________ Vorsorgestiftung, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Mai 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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