Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.919/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_919/2015

Urteil vom 21. Juli 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Estermann,
Beschwerdeführer,

gegen

Arbeitslosenkasse Ob- und Nidwalden, Bahnhofstrasse 2, 6052 Hergiswil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts Nidwalden vom 29. Juni
2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1957 geborene A.________ meldete sich am 4. November 2013 zur
Arbeitsvermittlung an und stellte am 8. November 2013 Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 11. November 2013, wobei er angab,
dass er zur Zeit zu 100 % arbeitsunfähig sei. Die Arbeitslosenkasse Ob- und
Nidwalden leistete Taggelder auf der Grundlage eines versicherten Verdienstes
von Fr. 6'673.-. Mit Vorbescheid vom 2. April 2014 stellte die IV-Stelle
Nidwalden die Verneinung eines Invalidenrentenanspruchs bei einem
Invaliditätsgrad von 32 % in Aussicht. Daraufhin reduzierte die
Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst per 1. Januar 2015 um 32 % auf Fr.
4'538.- (Verfügung vom 30. Januar 2015). Daran hielt sie auf Einsprache hin
fest (Einspracheentscheid vom 5. März 2015).

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab, nachdem die Kasse am 18. März 2015, noch vor der Einreichung
ihrer Beschwerdeantwort vom 25. März 2015, eine Nachzahlung für den Monat
Januar 2015 von Fr. 1'377.- unter Zugrundelegung eines versicherten Verdienstes
von wiederum Fr. 6'673.- veranlasst hatte (Entscheid vom 29. Juni 2015; Versand
am 7. Dezember 2015).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalgerichtlichen Entscheids sei
die Sache zur erneuten Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen;
eventuell sei der versicherte Verdienst per 1. Februar 2015 nicht auf Fr.
4'538.- zu reduzieren, sondern auf der Höhe von Fr. 6'653.- (recte: 6'673.-) zu
belassen.

Die Kasse beantragt ohne weitere Begründung, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts sei zu bestätigen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft
(SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend
gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes
wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Trotzdem obliegt es dem Beschwerdeführer, sich
in seiner Beschwerde sachbezogen mit den Darlegungen im angefochtenen Entscheid
auseinanderzusetzen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht prüft unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht - vorbehältlich
offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten
Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es ist jedenfalls nicht
gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen
Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen
werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; siehe auch BGE 134 III 102 E. 1.1 S.
104). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Die versicherte Person hat gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG in Verbindung
mit Art. 15 Abs. 1 AVIG Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn sie
vermittlungsfähig ist, d. h., wenn sie bereit, in der Lage und berechtigt ist,
eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen.
Der Begriff der Vermittlungsfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung schliesst
graduelle Abstufungen aus. Nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 AVIG gilt der körperlich
oder geistig Behinderte als vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener
Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem
Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte. Die Kompetenz zur
Regelung der Koordination mit der Invalidenversicherung ist in Art. 15 Abs. 2
Satz 2 AVIG dem Bundesrat übertragen worden. Dieser hat in Art. 15 Abs. 3 AVIV
festgelegt, dass ein Behinderter, der unter der Annahme einer ausgeglichenen
Arbeitsmarktlage nicht offensichtlich vermittlungsunfähig ist, und der sich bei
der Invalidenversicherung (oder einer anderen Versicherung nach Art. 15 Abs. 2
AVIV) angemeldet hat, bis zum Entscheid der anderen Versicherung als
vermittlungsfähig gilt. In diesem Sinn sieht Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG vor,
dass die Arbeitslosenversicherung für Leistungen, deren Übernahme durch die
Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung oder
die Invalidenversicherung umstritten ist, vorleistungspflichtig ist.

2.2. Aufgrund dieser Bestimmungen hat die Arbeitslosenversicherung arbeitslose,
bei einer anderen Versicherung angemeldete Personen zu entschädigen, falls ihre
Vermittlungsunfähigkeit nicht offensichtlich ist. Dieser Anspruch auf eine
ungekürzte Arbeitslosenentschädigung besteht namentlich, wenn die ganz
arbeitslose Person aus gesundheitlichen Gründen lediglich noch teilzeitlich
arbeiten könnte, solange sie im Umfang der ihr ärztlicherseits attestierten
Arbeitsfähigkeit eine Beschäftigung sucht und bereit ist, eine neue Anstellung
mit entsprechendem Pensum anzutreten (BGE 136 V 95 E. 7.1 S. 101). Die
Vermutungsregel der grundsätzlich gegebenen Vermittlungsfähigkeit von
Behinderten (Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG und Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung
mit Art. 15 Abs. 3 AVIV) gilt lediglich für die Zeit, in welcher der Anspruch
auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht
feststeht. Damit sollen Lücken im Erwerbsersatz vermieden werden. Die
Vorleistungspflicht ist daher auf die Dauer des Schwebezustandes begrenzt,
weshalb sie endet, sobald das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit feststeht (vgl.
BGE 136 V 195 E. 7.4 S. 205; ARV 2011 S. 55, 8C_651/2009).

2.3.

2.3.1. Nebst der Frage der Vermittlungsfähigkeit stellt sich in diesem
Zusammenhang auch diejenige nach der Höhe der von der Arbeitslosenversicherung
zu erbringenden Leistungen und damit nach dem versicherten Verdienst. Bei
Versicherten, die unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit eine
gesundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit erleiden, ist
gemäss Art. 40b AVIV der Verdienst massgebend, welcher der verbleibenden
Erwerbsfähigkeit entspricht.

2.3.2. Der Zweck des Art. 40b AVIV besteht darin, über die Korrektur des
versicherten Verdienstes die Koordination zur Eidgenössischen
Invalidenversicherung zu bewerkstelligen, um eine Überentschädigung durch das
Zusammenfallen einer Invalidenrente mit Arbeitslosentaggeldern zu verhindern (
BGE 140 V 89 E. 3 S. 90 f. mit Hinweis). Art. 40b AVIV betrifft allerdings, wie
in BGE 133 V 524 präzisiert wurde, nicht allein die Leistungskoordination
zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung, sondern - in allgemeinerer
Weise - die Abgrenzung der Zuständigkeit der Arbeitslosenversicherung gegenüber
anderen Versicherungsträgern nach Massgabe der Erwerbsfähigkeit. Nach Sinn und
Zweck der Verordnungsbestimmung soll die Leistungspflicht der
Arbeitslosenversicherung auf einen Umfang beschränkt werden, der sich nach der
verbleibenden Erwerbsfähigkeit der versicherten Person während der Dauer der
Arbeitslosigkeit auszurichten hat. Da die Arbeitslosenversicherung nur für den
Lohnausfall einzustehen hat, der sich aus der Arbeitslosigkeit ergibt, kann für
die Berechnung der Arbeitslosenentschädigung keine Rolle spielen, ob ein
anderer Versicherungsträger Invalidenleistungen erbringt. Durch das Abstellen
auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit soll verhindert werden, dass die
Arbeitslosenentschädigung auf einem Verdienst ermittelt wird, den der
Versicherte nicht mehr erzielen könnte (BGE 140 V 89 E. 5.1 S. 91 f. mit
Hinweisen; SVR 2014 ALV Nr. 13 S. 40, 8C_824/2013 E. 3.2). Hinsichtlich der
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ist der durch die Invalidenversicherung
ermittelte Invaliditätsgrad massgeblich (ARV 2015 S. 165, 8C_746/2014 E. 3.3
mit Hinweis).

3. 
Streitig und zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren, ob trotz weiter
bestehender Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung der dem
Taggeldanspruch zugrunde gelegte versicherte Verdienst bereits gestützt auf den
Vorbescheid der Invalidenversicherung an die Resterwerbsfähigkeit anzupassen
ist.

4.

4.1. Nach Auffassung der Vorinstanz muss die Rechtskraft des Rentenentscheids
im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren nicht abgewartet werden, auch
wenn bis zu diesem Zeitpunkt das exakte Ausmass der Erwerbsunfähigkeit des
Beschwerdeführers nicht feststehen werde. Mit der Regelung in Art. 40b AVIV
habe man unter anderem verhindern wollen, dass die Arbeitslosenentschädigung
auf der Basis eines Verdienstes ermittelt werde, den der Versicherte nicht mehr
erzielen könne. Das Interesse der Arbeitslosenversicherung, eine Rückforderung
zu hoher Taggelder zu vermeiden, sei höher zu gewichten als dasjenige des
Versicherten, zunächst die maximal möglichen Leistungen zu erhalten. Sofern
sich der im Vorbescheid in Aussicht gestellte IV-Grad als zu hoch erweisen
sollte, wäre die Kasse verpflichtet, dem Beschwerdeführer die Differenz
nachträglich zu bezahlen. Es sei schliesslich nicht zu erwarten, dass der
Versicherte im noch hängigen IV-Verfahren einen geringeren Invaliditätsgrad
beantragen werde, als ihm bereits im Vorbescheid in Aussicht gestellt worden
sei. Die seit Januar 2015 gültige Weisung des SECO (AVIG-Praxis ALE, Rz. C29),
wonach bereits aufgrund des IV-Vorbescheids eine Anpassung des versicherten
Verdienstes zu erfolgen habe, entspreche dem Normzweck von Art. 40b AVIV und
stelle eine sinnvolle Konkretisierung der gesetzlichen Grundlagen dar. Deshalb
bestehe auch im vorliegenden Fall kein Grund, davon abzuweichen. Die Kürzung
des versicherten Verdienstes um den von der IV-Stelle ermittelten
Invaliditätsgrad von 32 % sei folglich gerechtfertigt.

4.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, der tatsächliche
Erwerbsunfähigkeitsgrad sei nicht nur für die IV und die ALV, sondern auch für
ihn selber unklar. Deshalb werde es notwendig sein, dass die
Invalidenversicherung oder allenfalls das Gericht in diesem Punkt definitiv
Klarheit schaffen werde. Von einem angeblich klaren Fall, der eine Reduktion
(des versicherten Verdienstes) bereits im Zeitpunkt des IV-Vorbescheids
ermöglichen würde, sei gerade nicht auszugehen. Anders als im Urteil 8C_53/2014
vom 26. August 2014 bestehe hier keine beweistaugliche Grundlage, um
zuverlässige Aussagen zum Invaliditätsgrad machen zu können. Eine generelle
Verpflichtung der ALV, bereits bei Vorliegen des IV-Vorbescheids in jedem Fall
eine Reduktion des "Vermittlungsgrades" vorzunehmen, sei nicht haltbar und
stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung. Zudem habe das Bundesgericht im
zitierten Urteil eine Einzelfallbeurteilung vorgenommen und keineswegs
festgelegt, dass in allen denkbaren Fällen gleich zu verfahren sei. Indem die
Weisung des SECO (AVIG-Praxis ALE, Rz. C 29) über das im Urteil 8C_53/2014 vom
26. August 2014 Gesagte hinausgehe und für alle Fälle generalisieren wolle, sei
diese von Gesetz und Verordnung nicht mehr gedeckt und somit nicht anwendbar.
Die Vorleistungspflicht der Kasse bestehe deshalb weiter, bis die IV-Stelle
eine rechtskräftige IV-Verfügung erlassen haben werde.

5.

5.1. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer im
Invalidenversicherungsverfahren gegen den Vorbescheid vom 2. April 2014 mit
einem in Aussicht gestellten Invaliditätsgrad von 32 % Einwendungen erhoben und
unter anderem weitere medizinische Abklärungen in Form einer neuen
fachärztlichen Begutachtung beantragt hatte. Bis zum Erlass des
Einspracheentscheides der Arbeitslosenkasse am 5. März 2015 standen die
weiteren Schritte der zuständigen IV-Stelle noch nicht fest und damit ebenso
wenig das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit, weshalb die Vorleistungspflicht der
Arbeitslosenversicherung weiter besteht, was im Grundsatz unbestritten ist.

5.2.

5.2.1. Gemäss dem vom Beschwerdeführer erwähnten Urteil 8C_53/2014 E. 4.2 (ARV
2014 S. 210) gibt es dann keinen Anlass, eine Verfügung über den Rentenanspruch
abzuwarten, wenn bereits vor oder mit dem Vorbescheid eine vollständige
Erwerbsunfähigkeit mit offensichtlicher Vermittlungsunfähigkeit feststeht.
Wegen der fehlenden Vermittlungsfähigkeit ist in diesem Fall ein Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung zu verneinen, womit die versicherte Person (innerhalb
der Grenzen des Art. 95 Abs. 1bis Satz 2 AVIG) allenfalls
rückerstattungspflichtig wird. Eine Korrektur des versicherten Verdienstes ist
hinfällig. Wird mit dem Vorbescheid (für die massgebliche Zeitspanne) eine
ganze Rente der Invalidenversicherung auf der Basis eines Invaliditätsgrades
von mindestens 70 % angekündigt, endet der Schwebezustand ebenfalls zu diesem
Zeitpunkt. Bei hinreichender Resterwerbsfähigkeit ist diesfalls hingegen eine
Anpassung des versicherten Verdienstes nicht obsolet. Weiter ist auf das Urteil
8C_212/2010 vom 31. Mai 2010 hinzuweisen. In jenem Fall erhob der Versicherte
gegen den Vorbescheid (vom 23. April 2009) keinen Einwand (vgl. lit. A des
Sachverhalts), weshalb der darin festgehaltene Invaliditätsgrad von 20 %
bereits Grundlage bilden konnte, um den versicherten Verdienst an die
veränderten Verhältnisse anzupassen (E. 5.3 des soeben zitierten Urteils).
Werden keine Einwände gegen den Vorbescheid erhoben oder bleibt die Verfügung
unbestritten, endet der Schwebezustand, da damit der Erwerbsunfähigkeitsgrad
feststeht. Daher kann zum selben Zeitpunkt die (rückwirkende) Anpassung des
versicherten Verdienstes an die verbleibende Erwerbsfähigkeit erfolgen (vgl.
THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, S. 2352 Rz.
283; BORIS RUBIN, Commentaire de la loi sur l'assurance-chômage, 2014, N 31 zu
Art. 23).

5.2.2. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, hat das Bundesgericht
im Urteil 8C_678/2013 vom 31. März 2014 (publiziert in: BGE 140 V 89; vgl. u.a.
auch schon BGE 136 V 195 E. 7.4 S. 205) erörtert, dass die Behörden der
Arbeitslosenversicherung befugt und verpflichtet sind, den versicherten
Verdienst zu berichtigen, sobald das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit feststeht (
BGE 140 V 89 E. 5.3 S. 93; E. 2.2 hiervor). Es ist allerdings möglich, dass das
Ende des Schwebezustandes und der Zeitpunkt der Anpassung des versicherten
Verdienstes auseinanderfallen. Vor Beendigung des Schwebezustandes kann eine
Anpassung des versicherten Verdienstes aber nur dann erfolgen, wenn - wie im
Sachverhalt, der dem Urteil ARV 2015 S. 157, 8C_401/2014 E. 2-4, zugrunde liegt
- das exakte Ausmass der Erwerbsunfähigkeit noch nicht geklärt ist und daher
der Schwebezustand bis zum rechtskräftigen Entscheid hierüber im
Invalidenversicherungsverfahren anhält, die Arbeitslosenkasse und die
versicherte Person sich indes bereits über ein Mindestmass des
Invaliditätsgrades einig sind. In diesem Umfang des von der Sozialversicherung
ermittelten Invaliditätsgrades kann der versicherte Verdienst bereits
korrigiert werden, um so einen Ausgleich zur weiter andauernden
Vorleistungspflicht zu schaffen.

5.3. Unter Bezugnahme auf diese in E. 5.2 hiervor zitierte Rechtsprechung hält
das Bundesgericht in einem neuen Urteil 8C_86/2016 vom 6. Juli 2016 fest, dass
entgegen der AVIG-Praxis ALE, Rz. C29, im Zeitpunkt des Vorbescheides eine
Mindesthöhe des Invaliditätsgrades gerade dann noch nicht feststeht, wenn die
versicherte Person - wie hier - gegen den Vorbescheid Einwände erhebt und
weitere medizinische Abklärungen fordert. Der Ausgang des Verfahrens ist
aufgrund der möglicherweise durchzuführenden weiteren Beweismassnahmen ungewiss
und kann durchaus auch zu Ungunsten des Versicherten ausfallen. Die Einwände im
Vorbescheidverfahren sind kein Rechtsmittel, das zurückgezogen werden könnte
mit der Konsequenz, dass der Vorbescheid rechtskräftig würde. Diese stellen
vielmehr eine Möglichkeit zur Äusserung im Rahmen des Gehörsanspruchs dar. Das
Vorbescheidverfahren geht insoweit über den verfassungsrechtlichen
Mindestanspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) hinaus, als die
versicherte Person Gelegenheit erhält, sich nicht nur zur Sache, sondern auch
zum vorgesehenen Endentscheid zu äussern (Art. 57a Abs. 1 IVG und Art. 73ter
Abs. 1 IVV; BGE 134 V 97 E. 2.8.2 S. 107 mit Hinweisen; Urteil 9C_617/2009 vom
15. Januar 2010 E. 2.1). Die Verwaltung ist aber nicht verpflichtet, gemäss dem
Vorbescheid zu verfügen, weshalb in der Verfügung auch ein tieferer
Invaliditätsgrad als der im Vorbescheid angezeigte, festgestellt werden darf
(Urteil 8C_86/2016 vom 6. Juli 2016 E. 5.3).

6.

6.1. Die in Rz. C29 der ALE-Praxis festgehaltene Verwaltungsweisung ist gemäss
Urteil 8C_86/2016 vom 6. Juli 2016 E. 5.4 insoweit verordnungs- und
bundesrechtswidrig, als darin der IV-Vorbescheid in jedem Fall, ohne Würdigung
der Einzelfallkonstellationen, als hinreichende Grundlage für die Anwendung von
Art. 40b IVV angesehen wird. Sie lässt eine dem Einzelfall angepasste und
gerecht werdende Auslegung der anwendbaren Bestimmungen nicht zu. Damit hätte
sie in der vorliegenden Konstellation vom vorinstanzlichen Gericht nicht
berücksichtigt werden dürfen (BGE 138 V 346 E. 6.2 S. 362; 137 V 1 E. 5.2.3 S.
8; 133 V 257 E. 3.2 S. 258 mit Hinweisen; vgl. 133 II 305 E. 8.1 S. 315).

6.2. Grundsätzlich bildet erst die (noch nicht rechtskräftige) Verfügung der
Invalidenversicherung oder einer anderen Sozialversicherung hinreichende
Grundlage für die Anpassung des versicherten Verdienstes an den damit erkannten
Grad der Erwerbsunfähigkeit oder zumindest an den nicht umstrittenen
Prozentsatz des errechneten Invaliditätsgrades. Vorbehalten bleiben die zuvor
skizzierten Konstellationen, in denen bereits vor Verfügungserlass der
Invalidenversicherung mit deren Vorbescheid der Grad der Erwerbsunfähigkeit
absehbar feststeht. Dies betrifft Fälle, wo keine Einwände gegen den
Vorbescheid zu erwarten sind bzw. erfolgen; oder wenn eine ganze Invalidenrente
bei verbleibender Restarbeitsfähigkeit in Aussicht gestellt wird. Diese
Sichtweise steht in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung und läuft einer
rechtsgleichen und praktikablen Verwaltungspraxis nicht zuwider, zumal damit
allenfalls weniger Nachkorrekturen vorzunehmen sind, als wenn stets auf den im
Vorbescheid angegebenen Erwerbsunfähigkeitsgrad abgestellt würde (Urteil 8C_86/
2016 vom 6. Juli 2016 E. 5.5).

7. 
Da bis zum Erlass des Einspracheentscheides vom 5. März 2015 nicht feststand,
wie sich der Sachverhalt bezüglich der Resterwerbsfähigkeit bis zum
Verfügungszeitpunkt der IV-Stelle entwickeln wird, durfte die Kasse den
versicherten Verdienst nicht reduzieren. Daher sind der Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2015 sowie der Einspracheentscheid der
Arbeitslosenkasse vom 5. März 2015 aufzuheben. Eine Rückweisung der Sache an
die Vorinstanz zwecks Neuberechnung - wie bescherdeweise beantragt - erübrigt
sich. Bei diesem Ergebnis muss auf die Rüge des Beschwerdeführers, wonach das
kantonale Gericht die vorinstanzlich eingereichte Beschwerde mit Blick auf die
korrigierende Nachzahlung der Kasse vom 18. März 2015 für den Monat Januar 2015
zumindest teilweise hätte gutheissen und ihm eine angemessene
Parteientschädigung hätte zusprechen müssen, nicht weiter eingegangen werden.
Offen bleiben kann demgemäss auch, ob diese teilweise Wiedererwägung des
Einspracheentscheides durch die Kasse im Beschwerdeverfahren überhaupt zulässig
war. Denn mit der Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids wird ein
allfälliger diesbezüglicher Formmangel auf jeden Fall behoben.

8. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 133 V 637 E. 4.6 S.
639).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts
Nidwalden, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 29. Juni 2015 und der
Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse Ob- und Nidwalden vom 5. März 2015
werden aufgehoben.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Verwaltungsgericht Nidwalden, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht Nidwalden,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Juli 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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