Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.912/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_912/2015

Urteil vom 18. April 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Prof. Dr. Hardy Landolt,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Glarus,
Burgstrasse 6, 8750 Glarus,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invaliditätsbemessung; gemischte Methode),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus
vom 5. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle Glarus das
Rentenbegehren von A.________ (Jg. 1967) - unter anderem gestützt auf ein im
Ärztlichen Begutachtungsinstitut GmbH (ABI) in Basel eingeholtes
polydisziplinäres Gutachten vom 24. Februar 2014 - mit Verfügung vom 23. Juni
2014 mangels anspruchsrelevanter Invalidität ab.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus
mit Entscheid vom 5. November 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde am Bundesgericht führen und nebst der Aufhebung des
kantonalen Entscheides vom 5. November 2015 die Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz "im Sinne der Erwägungen" beantragen.
Die IV-Stelle und das kantonale Gericht schliessen unter Verweis auf den
angefochtenen Entscheid auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des
Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Die für die Beurteilung des streitigen Rentenanspruches massgebenden
gesetzlichen Bestimmungen und die hiezu von der Rechtsprechung weiter
konkretisierten Grundsätze hat das kantonale Gericht zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen. Es betrifft dies namentlich die Invaliditätsbemessung
bei teilerwerbstätigen Hausfrauen nach der so genannten gemischten Methode, wie
sie sich aus Art. 28a Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG sowie Art. 28a
Abs. 2 IVG ergibt.

2.2. Die Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode im Sinne des
geltenden schweizerischen Rechts resp. der vorstehend genannten Normen (Art.
28a Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG und Art. 28a Abs. 2 IVG) bildete
auch Gegenstand in einem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) anhängig gemachten Verfahren, weshalb die Beschwerdeführerin eine
Sistierung ihres Verfahrens bis zum Vorliegen des entsprechenden Entscheides
des EGMR beantragt hatte. Mit Arrêt Di Trizio gegen die Schweiz vom 2. Februar
2016 (7186/09) erkannte die zweite Kammer des EGMR, dass die dort beanstandete
Invaliditätsbemessungsmethode in der Invalidenversicherung bei einer
Versicherten, welche ohne gesundheitliche Einschränkungen nach der Geburt ihrer
Kinder (Zwillinge) nur noch teilzeitlich erwerbstätig gewesen wäre und deshalb
in einem Rentenrevisionsverfahren ihren Anspruch auf eine Invalidenrente
verlor, im Ergebnis Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) und Art. 8 EMRK
(Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verletze. Mit dieser
Entscheidung ist das hier von der Beschwerdeführerin gestellte
Sistierungsgesuch hinfällig geworden.

2.2.1. Das Urteil der zweiten Kammer des EGMR vom 2. Februar 2016 ist nicht
endgültig (Art. 42 EMRK), da die Parteien laut Art. 43 Abs. 1 EMRK eine
Verweisung der Rechtssache an die Grosse Kammer beantragen können. Ob und
gegebenenfalls inwiefern das genannte Urteil des EGMR Auswirkungen auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Invaliditätsbemessung nach der gemischten
Methode zur Folge haben wird, ist deshalb zurzeit noch ungewiss. Für die
Belange des vorliegenden Falles braucht dies jedoch nicht weiter zu
interessieren, wie nachstehende Erwägungen zeigen.

3.

3.1. Die IV-Stelle hat in ihrer rentenverweigernden Verfügung vom 23. Juni 2014
die gemischte Methode der Invaliditätsbemessung im Sinne von Art. 28a Abs. 3
IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG und Art. 28a Abs. 2 IVG zur Anwendung
gebracht, indem sie davon ausging, dass die Beschwerdeführerin, wäre sie gesund
geblieben, weiterhin zu 50 % ihrer erwerblichen Tätigkeit als Bankangestellte
nachgehen und die restlichen 50 % ihrer Kapazität für den Haushalt einsetzen
würde. Ausgehend von der im ABI-Gutachten vom 24. Februar 2014 sowohl für die
angestammte berufliche Tätigkeit als auch für andere leidensadaptierte
erwerbliche Beschäftigungen attestierten 60%igen Restarbeitsfähigkeit nahm sie
an, dass die Beschwerdeführerin ihre - auch früher schon nur mit einem
Teilzeitpensum von 50 % ausgeübte - Arbeit trotz aufgetretener gesundheitlicher
Probleme teilzeitlich weiterhin zu bewältigen in der Lage wäre; das früher mit
einer 50%igen Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen von Fr. 39'260.- könnte sie
bei zumutbarer Verwertung ihrer 60%igen Restarbeitsfähigkeit nach wie vor
erreichen. Insoweit ergab sich somit in diesem Bereich keine
gesundheitsbedingte Erwerbseinbusse, mithin keine (Teil-) Invalidität. Weil die
Experten des ABI auch im Aufgabenbereich der Haushaltführung mit
Kinderbetreuung keine Einschränkung des Leistungsvermögens erkennen konnten,
verneinte die Verwaltung das Vorliegen einer Invalidität auch für diesen
Bereich. Insgesamt konnte sie damit auf fehlende rentenrelevante Invalidität
schliessen und entsprechend das gestellte Leistungsbegehren ablehnen.

3.2. Das kantonale Gericht schloss sich der unbestrittenen Ansicht der Parteien
an, wonach die Beschwerdeführerin ohne Gesundheitsschaden zu 50 % einer
ausserhäuslichen Tätigkeit nachgehen würde und zu 50 % im Haushalt tätig wäre.
Ausdrücklich hielt es fest, dass dementsprechend zur Ermittlung des
Invaliditätsgrades die gemischte Methode anzuwenden sei. Weiter äusserte sich
die Vorinstanz zu der von der Verwaltung konkret vorgenommenen
Invaliditätsbemessung jedoch nicht, wohl weil sie diese als korrekt erachtete.
Sie begnügte sich im angefochtenen Entscheid mit einer Überprüfung der der
Invaliditätsbemessung zugrunde liegenden Würdigung der medizinischen Beweislage
und ging namentlich der Frage nach der Beweistauglichkeit der als Grundlage
herangezogenen Expertise des ABI vom 24. Februar 2014 nach.

4. 
Beschwerdeweise wird die im ABI-Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit von 60 %
in der angestammten wie auch in andern leidensangepassten Betätigungen nicht
bestritten, hingegen deren Verwertbarkeit in Frage gestellt, weshalb ein
leidensbedingter Abzug zu gewähren sei. Weiter wird geltend gemacht, im
hauswirtschaftlichen Bereich sei eine höhere gesundheitsbedingte Verminderung
des Leistungsvermögens anzunehmen als sie in der Expertise des ABI ausgewiesen
wurde. Im Zentrum der Beschwerde steht aber die Kritik, die Anwendung der
gemischten Methode der Invaliditätsbemessung verletze verfassungsmässige wie
auch durch die EMRK geschützte Grundrechte.

4.1. Soweit die Beschwerdeführerin die im ABI-Gutachten vom 24. Februar 2014
attestierte uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit im Haushalt bestreitet, ist in
Erinnerung zu rufen, dass die vorinstanzliche Würdigung medizinischer
Beweismittel grundsätzlich zur Sachverhaltsermittlung zählt (BGE 132 V 393 E.
3.2 S. 397 ff.; in BGE 135 V 254 nicht publizierte E. 4.1 des Urteils 9C_204/
2009 vom 6. Juli 2009, veröffentlicht in SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164; Urteil
9C_481/2015 vom 16. Februar 2016 E. 1). Als solche ist sie einer
bundesgerichtlichen Überprüfung weitestgehend entzogen (E. 1 hievor). Eine
offensichtliche Unrichtigkeit sachverhaltlicher Art oder gar eine
Bundesrechtswidrigkeit kann in der Annahme eines im Haushaltsbereich nicht
beeinträchtigten Leistungsvermögens nicht erblickt werden.
Auch wenn die Aufgaben im Haushalt von leichten bis zu schweren Arbeiten
reichen und für eine leidensangepasste erwerbliche Betätigung eine 40%ige
Arbeitsunfähigkeit ausgewiesen wird, ist es - entgegen der Meinung der
Beschwerdeführerin - weder willkürlich noch als Resultat einer
Ungleichbehandlung zu betrachten, eine Einschränkung im Haushalt zu verneinen.
Die Gutachter des ABI anerkennen lediglich die regelmässig auftretenden
Schwindelanfälle als das Leistungsvermögen schmälernd; zudem sollte eine
Tätigkeit kein intaktes Gehör erfordern und nicht in erhöhtem Störlärm ausgeübt
werden müssen. Wird den Aufgaben im Haushalt nachgegangen, kann diesen Vorgaben
durchaus Nachachtung verschafft werden, ist es doch zumutbar, beim Auftreten
von Schwindelattacken gewisse Verrichtungen nötigenfalls auf später zu
verschieben. Ein intaktes Gehör ist nicht Voraussetzung für die
Haushaltführung. Ebenso wenig ist zu Hause eine ständige Lärmexposition zu
befürchten. Nicht relevant ist die Frage, ob es sich bei den Aufgaben im
Haushalt um schwere oder leichte Arbeiten handelt, hängen die Einschränkungen
der Beschwerdeführerin doch nicht vom Schweregrad einer Verrichtung ab, sondern
resultieren einzig aus der akustischen Problematik. Nichts zu ihren Gunsten
ableiten kann die Beschwerdeführerin schliesslich aus dem Argument, sie müsste
den Haushalt in ihrer Freizeit bewältigen, gilt dies doch auch für Versicherte,
die mit einem 100%igen Arbeitspensum erwerbstätig sind.

4.2. Unbegründet ist der Standpunkt, der Beschwerdeführerin müsse im Hinblick
auf die immer wieder auftretenden Ausfälle zufolge ihrer Schwindelattacken ein
leidensbedingter Abzug von mindestens 15 %, wenn nicht gar 25 % gewährt werden;
wegen ihrer ständigen Schwindelanfälle könne sie ihre Arbeitsfähigkeit faktisch
nur im Umfang eines 30%igen Pensums verwerten.
Ein leidens- oder behinderungsbedingter Abzug fällt von vornherein erst in
Betracht, wenn der trotz Invalidität erzielbare Verdienst (Invalideneinkommen)
nach Massgabe statistisch ausgewiesener Werte ermittelt werden muss, weil die
versicherte Person keiner ihr an sich zumutbaren Arbeit nachgeht. Er steht
hingegen nicht zur Diskussion, wenn - wie hier - trotz Behinderung effektiv
realisierte Einkünfte vorliegen, welche als Invalideneinkommen gelten können.
Die Beschwerdeführerin steht trotz ihrer gesundheitlichen Schwierigkeiten nach
wie vor in einem Arbeitsverhältnis mit der Bank B.________, welche laut
Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht beabsichtigt, dieses demnächst
aufzulösen. Die dortige Entlöhnung hat daher als Invalideneinkommen zu gelten,
ohne dass davon noch ein leidensbedingter Abzug vorgenommen werden könnte.

4.3. Bei einer Invaliditätsbemessung nach Massgabe der bis anhin in der Schweiz
angewandten gemischten Methode resultiert weder im erwerblichen noch im
hauswirtschaftlichen Tätigkeitsbereich eine Invalidität. Die zweite Kammer des
EGMR hat diese Art der Invaliditätsbemessung in ihrem Urteil vom 2. Februar
2016 zwar als gegen die Art. 14 (Diskriminierungsverbot) und 8 EMRK (Recht auf
Achtung des Privat- und Familienlebens) verstossend qualifiziert. Wie der
Invaliditätsgrad ermittelt werden könnte, um ein solches Resultat zu vermeiden,
ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

4.3.1. Ins Gewicht fällt im vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin
ihren Entscheid, bloss teilerwerbstätig zu sein, aus freien Stücken schon vor
Auftreten gesundheitlicher Probleme selbst gefällt hat und diese Lösung auch
weiterhin beizubehalten gewillt ist. Irgendwelche persönliche oder familiäre
Umstände, welche ihre Wahl als praktisch unausweichlich vorgegeben erscheinen
liessen, liegen nicht vor. Von einer Verletzung der Achtung auf Privat- und/
oder Familienleben zufolge Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode
kann unter diesen Umständen auch nach Sichtweise des EGMR nicht gesprochen
werden. Es sind nicht invalidenversicherungsrechtliche Aspekte, welche den
Ausschlag für ein eingeschränktes Arbeitspensum gegeben haben.

4.3.2. Kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin mit einer Restarbeitsfähigkeit
von immerhin 60 % einen rentenrelevanten Invaliditätsgrad von 40 % praktisch
nur unter der Voraussetzung (knapp) erreichen könnte, dass sie als voll
Erwerbstätige gelten und behandelt würde. Dies liesse sich mit den effektiven
tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht vereinbaren - und wäre in einem
Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht als offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung zu berichtigen, wenn nicht gar als gesetzwidrige
Rechtsanwendung aufzuheben.

4.4. Solange kein endgültiges Urteil des EGMR vorliegt, besteht für das
Bundesgericht unter diesen Umständen - wo das Fehlen einer Invalidität immerhin
auf der Hand zu liegen scheint - kein Anlass, die gemischte Methode der
Invaliditätsbemessung nicht (zumindest vorläufig) weiterhin anzuwenden.

5. 
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. April 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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