Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.90/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_90/2015

Urteil vom 23. Juli 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

AXA Stiftung Berufliche Vorsorge, Winterthur, c/o AXA Leben AG, Paulstrasse 9,
8400 Winterthur.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 16. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1963 geborene A.________ meldete sich am 23. Oktober 2002 wegen Ischias bei
der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau tätigte
medizinische und berufliche Abklärungen und sprach ihr mit Verfügung vom 31.
März 2003 ab dem 1. August 2002 eine ganze Invalidenrente zu. Die Rente wurde
revisionsweise in den Jahren 2003, 2006 und 2009 bestätigt. Anlässlich einer
erneuten Revision im Jahr 2012 veranlasste die IV-Stelle bei der medizinischen
Akademie B.________ eine Begutachtung. Gestützt auf das Gutachten vom 30.
Dezember 2013 wurde die Rente nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit
Verfügung vom 18. März 2014 auf Ende des nach Zustellung der Verfügung
folgenden Monats aufgehoben.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 16. Dezember 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt A.________, in Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheids sei ihr weiterhin eine ganze Rente zuzusprechen. Gleichzeitig stellt
A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen oder es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 140 V 136 E.
1.1 S. 137 f.). Das Bundesgericht prüft indessen, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die
geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 140 V
136 E. 1.1 S. 138).

1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen
nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu
Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der
Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die
Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das
Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen
wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid
festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1
S. 18 mit Hinweisen).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin auch nach dem 30. April
2014 einen Anspruch auf eine Invalidenrente hat, wobei vorweg zu prüfen ist, ob
die vorinstanzlich geschützte Begründung der Anwendung der Schlussbestimmung
der Änderung vom 18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (SchlB IVG) und die daraus
resultierende Renteneinstellung vor Bundesrecht standhält.

3.

3.1. Die Vorinstanz stellte fest, dass bei der ersten Rentenzusprache kein
ausschliesslich syndromales Beschwerdebild vorlag. Es habe aber aufgrund des
minimalen organischen Substrats nur bezüglich des Tätigkeitsprofils eine
Einschränkung bestanden, weshalb im Ergebnis die Rentenzusprache wegen eines
syndromalen Beschwerdebildes vorgenommen worden sei. Weiter führte das Gericht
aus, gestützt auf das Gutachten der medizinischen Akademie B.________ vom 30.
Dezember 2013 beruhe die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit vollumfänglich auf
nicht objektivierbaren Beschwerden, weshalb die Beschwerdegegnerin berechtigt
gewesen sei, eine Revision gemäss SchlB IVG vorzunehmen.

3.2. Beschwerdeweise wird korrekt vorgebracht, im Gutachten der medizinischen
Akademie B.________ werde das Vorliegen eines syndromalen Beschwerdebildes im
engeren Sinn verneint. Die Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin, wonach
deshalb kein Raum für die Anwendung der SchlB IVG bestehe, ist gestützt auf BGE
140 V 197 hingegen falsch. So hat das Bundesgericht die von der
Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angerufene Rechtsprechung gemäss BGE
139 V 547 E. 10 S. 568 f. mit BGE 140 V 197 E. 6.2.3 S. 200 insofern
präzisiert, als vom Anwendungsbereich von lit. a Abs. 1 SchlB IVG laufende
Renten nur auszunehmen sind,  wenn und soweit sie auf erklärbaren Beschwerden
beruhen. Lassen sich unklare Beschwerden von erklärbaren Beschwerden trennen,
können die Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision auf erstere Anwendung finden.
Sodann bestimmt sich die Anwendung der SchlB IVG danach, ob die ursprüngliche
Rentenzusprache zum Teil aufgrund eines syndromalen Gesundheitsschadens
zugesprochen worden ist. Beim Vorliegen sowohl syndromaler wie nicht
syndromaler Gesundheitsschäden hängt die Anwendbarkeit von lit. a Abs. 1 SchlB
IVG sodann davon ab, dass letztere die anspruchserhebliche Arbeitsunfähigkeit
nicht mitverursacht, das heisst letztlich nicht selbständig zur Begründung des
Rentenanspruchs beigetragen haben. Damit bleibt eine Rentenrevision unter
diesem Rechtstitel möglich, wenn sie die Auswirkungen des unklaren
Beschwerdebildes bloss verstärkten (SVR 2014 IV Nr. 39 S. 137, 9C_121/2014 vom
3. September 2014 E. 2.6). Das kantonale Gericht hat nachvollziehbar dargelegt,
dass gemäss dem Radiologen Dr. med. C.________ eine Neuroirritation aufgrund
der kleinen medianen Diskushernie wenig wahrscheinlich ist. Die Vorinstanz
folgerte daraus gestützt auf die fehlende radikuläre Reizung und neurologischen
Befunde zu Recht, nicht die Diskushernie tangiere die Arbeitsfähigkeit der
Beschwerdeführerin, sondern eben unklare Beschwerden. Inwiefern diese Würdigung
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht, ist weder
aus den Akten ersichtlich, noch wird dies in der Beschwerde dargelegt. Dies
gilt umso mehr, als auch im Gutachten der medizinischen Akademie B.________
darauf hingewiesen wird, die degenerativen Veränderungen seien teilursächlich
für die Beschwerden, es bestehe hingegen eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen
dem niedrigen Grad an Befundauffälligkeit und der geltend gemachten
Leidensintensität. Zusammenfassend ist demnach die Anwendung der SchlB IVG
durch die Vorinstanz nicht bundesrechtswidrig. Die voraussetzungslose
Überprüfung der laufenden Rente ist demnach zulässig.

4. 
Zu Recht unbestritten ist der von der Vorinstanz errechnete
rentenausschliessende IV-Grad von 22 %, hingegen bringt die Beschwerdeführerin
vor, die Verwertung der Arbeitsfähigkeit auf dem Weg der Selbsteingliederung
sei nicht gegeben. Wie die Vorinstanz zu Recht festhält, geht das Bundesgericht
bei einer medizinisch attestierten Verbesserung der Arbeitsfähigkeit von der
Möglichkeit der Selbsteingliederung aus. Nach ebenfalls ständiger
Rechtsprechung können indes nach langjährigem Rentenbezug ausnahmsweise
Erfordernisse des Arbeitsmarktes der sofortigen Anrechnung einer medizinisch
vorhandenen Leistungsfähigkeit und medizinisch möglichen Leistungsentfaltung
entgegenstehen, wenn aus den Akten einwandfrei hervorgeht, dass die Verwertung
eines bestimmten Leistungspotenzials ohne vorgängige Durchführung befähigender
Massnahmen allein vermittels Eigenanstrengung der versicherten Person nicht
möglich ist (SVR 2011 IV Nr. 30 S. 86, 9C_163/2009 und seitherige Praxis, z.B.
9C_178/2014 vom 29. Juli 2014). Diese Rechtsprechung ist allerdings auf Fälle
beschränkt worden, in denen die (revisions- oder wiedererwägungsweise)
Rentenaufhebung eine versicherte Person betrifft, welche das 55. Altersjahr
zurückgelegt oder die Rente seit mehr als 15 Jahre bezogen hat (SVR 2011 IV Nr.
73 S. 220, 9C_228/2010 E. 3). Damit ist diese Rechtsprechung nicht auf jene
Fälle anwendbar, in denen eine Rentenaufhebung gestützt auf die SchlB IVG
möglich ist (vgl. lit. a Abs. 4 SchlB IVG). Die Beschwerdeführerin war denn
auch im Zeitpunkt der Rentenaufhebung (Verfügung vom 18. März 2014) erst 51
Jahre alt und hatte die Rente etwas weniger als zwölf Jahre bezogen. Dem im
Gutachten der medizinischen Akademie B.________ unter Prognose und Empfehlungen
zu Therapie- und Integrationsmassnahmen ausgedrückten Bedürfnis nach
Eingliederungsunterstützung wird nicht durch allgemeine
Eingliederungsmassnahmen Rechnung getragen, sondern durch rentenbegleitete
Massnahmen zur Wiedereingliederung nach Art. 8a IVG (lit. a Abs. 2 und 3 SchlB
IVG). Solche hatte die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mit Mitteilung
vom 8. Mai 2014 zugesprochen, diese jedoch mit Verfügung vom 11. November 2014
wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten der Versicherten wieder aufgehoben.
Daher ist die hier allein strittige vorinstanzlich bestätigte
Rentenaufhebungsverfügung vom 18. März 2014 auch unter
eingliederungsrechtlichem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden.

5.

5.1. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Aufgrund des
Verfahrensausganges hat die Beschwerdeführerin die Kosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

5.2. Dem Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ist
stattzugeben, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz
zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwältin Barbara Lind wird als unentgeltliche Anwältin bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der AXA Stiftung Berufliche Vorsorge,
Winterthur, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Juli 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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