Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.907/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_907/2015

Urteil vom 22. Februar 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Frey,
Beschwerdeführerin,

gegen

Unia Arbeitslosenkasse,
Kompetenzzentrum D-CH West,
Monbijoustrasse 61, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 2. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1953 geborene Schauspielerin A.________ beantragte am 4. September 2014
Arbeitslosenentschädigung für eine Folgerahmenfrist. Die Arbeitslosenkasse Unia
eröffnete daraufhin eine neue Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 3.
Dezember 2014 bis 28. Februar 2017 und setzte den versicherten Verdienst auf
Fr. 1'170.- monatlich fest. Mit Verfügung vom 17. März 2015 bestätigte sie die
Höhe des versicherten Verdienstes mit der Begründung, massgebend für die
Berechnung seien die Anstellungsverhältnisse (in der Administration) bei Dr.
med. B.________, Facharzt für Rheumatologie FMH, und (als Moderatorin/
Schauspielerin) beim Theater C.________ im Zeitraum vom 1. Dezember 2013 bis
30. November 2014, nicht jedoch das Einkommen und die Beitragszeit beim Verein
D.________, c/o A.________, da es sich diesbezüglich um eine selbstständige
Tätigkeit handle. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid
vom 4. Juni 2015).

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die dagegen erhobene Beschwerde ab
(Entscheid vom 2. November 2015).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, die Arbeitslosenkasse sei zu verurteilen, ihr ab 3. Dezember
2014 Arbeitslosentaggelder, basierend auf einem monatlichen versicherten
Verdienst von Fr. 2'615.80, auszurichten.
Die Kasse schliesst unter Verweis auf den kantonalen Gerichtsentscheid auf
Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280 mit Hinweis). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zum
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 AVIG), zum versicherten
Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 37 Abs. 1 und 2 AVIV),
zum Ausschluss arbeitgeberähnlicher Personen und im Betrieb mitarbeitender
Ehegatten vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 3 lit. c
AVIG) sowie die Rechtsprechung zur analogen Anwendung dieser Bestimmung auf
arbeitgeberähnliche Personen und ihre Ehegatten, die Arbeitslosenentschädigung
verlangen (BGE 123 V 234 E. 7 S. 236) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

3.

3.1. Die Vorinstanz stellt fest, die Beschwerdeführerin gehöre dem Vorstand des
am 1. Mai 2012 gegründeten Vereins D.________ an. Gemäss Schilderung der
Versicherten habe sie den Verein unter anderem deshalb gegründet, damit sie bei
verschiedenen Produktionen mitarbeiten könne, bei welchen die Auftraggeber die
Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlen würden, bzw. damit diese Beiträge
über den Verein abgerechnet werden könnten. Der Verein habe den Veranstaltern
E.________ sowie F.________ die im massgebenden Bemessungszeitraum erzielten
Honorare der Beschwerdeführerin in Rechnung gestellt. Die Versicherte habe
ihrerseits dem Verein Rechnung für die von ihr bei den beiden Veranstaltern
erbrachten Leistungen gestellt und die jeweiligen Honorare - unter Abzug der
Arbeitnehmerbeiträge - von ihm erhalten. Der Verein habe diese Löhne sodann als
Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit mit der Ausgleichskasse des
Kantons Bern abgerechnet und die entsprechenden paritätischen Beiträge bezahlt.
Unter diesen Umständen habe der Verein als Arbeitgeber der Beschwerdeführerin
zu gelten. Damit würden die vom Verein ausbezahlten Honorare zwar grundsätzlich
zum versicherten Verdienst gehören. Die Beschwerdeführerin habe aber eine
arbeitgeberähnliche Stellung im Verein. Da die Arbeitslosenversicherung einen
Verdienstausfall nicht entschädige, welcher aus dem Wegfall einer Tätigkeit in
der eigenen Firma resultiere, seien die in den letzten zwölf Monaten vor Beginn
der Rahmenfrist für den Leistungsbezug beim Verein erzielten Einkommen in der
Höhe von insgesamt Fr. 17'350.- nicht zum versicherten Verdienst zu zählen. Der
Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 sei folglich nicht zu beanstanden.

3.2.

3.2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Veranstalter E.________
und F.________ als Arbeitgeber anzusehen seien, da der Verein aufgrund seiner
Zweckbestimmung ("Herstellung von Kontakten des Theaterschaffens") gar nicht
als Arbeitgeber in Frage komme. Ihre Arbeitskraft habe sie nicht dem Verein,
sondern den beiden Veranstaltern zur Verfügung gestellt. In beiden Anstellungen
sei sie (als Schauspielerin vollständig und als Regisseurin eher weniger)
weisungsgebunden und in abhängiger Stellung gewesen, weshalb es sich um
unselbstständige Erwerbstätigkeiten gehandelt habe.

3.2.2. Ausgehend von der Schilderung der Versicherten hatte sie den Verein ins
Leben gerufen, weil sie - erstens - ihre Auskünfte in Theaterbelangen nicht
mehr gratis habe erteilen wollen und weil - zweitens - der Verein es ihr
erlaube, die Zahlungen von Auftraggebern, welche immer mehr nur auf
Honorarbasis arbeiten würden, mit den vollen Sozialleistungen abzurechnen
(Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 17. März 2013, zitiert in E. 3.1 des
angefochtenen Gerichtsentscheids). Demnach diente der Verein - unstreitig - in
erster Linie als Zahlstelle für die von den Veranstaltern geschuldeten
Geldleistungen, welche die Beschwerdeführerin wiederum dem Verein in Rechnung
stellte. Ihre entlöhnte Arbeit verrichtete sie aber - wie sie zu Recht betont -
stets bei den Veranstaltern. Die Vorinstanz erachtet es denn auch als
"offensichtlich", dass es sich bei der Beschäftigung für die beiden
Veranstalter E.________ und F.________ um unselbstständige Erwerbstätigkeit
gehandelt hat. Die Arbeit für das Theater C.________ wurde bereits in der
Kassenverfügung vom 17. März 2015 als unselbstständige Erwerbstätigkeit
anerkannt (vgl. Sachverhalt, lit. A hiervor). In der Tat ist nicht einzusehen,
worin sich die Tätigkeiten für die beiden vorgenannten Veranstalter und für das
Theater C.________ in Würdigung der Merkmale einer selbstständigen und einer
unselbstständigen Erwerbstätigkeit unterscheiden sollten. Entgegen der Ansicht
des kantonalen Gerichts verleiht jedoch allein der Umstand, dass die
finanzielle Abwicklung mit Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge über den
Verein stattfand, diesem nicht die Stellung eines Arbeitgebers in Bezug auf die
Arbeiten der Versicherten, welche sie unbestrittenermassen für die Veranstalter
verrichtet hatte. Ob der nicht im Handelsregister eingetragene Verein
D.________ überhaupt Arbeitgeber sein und die Versicherte in ihrer Funktion im
Verein eine arbeitgeberähnliche Stellung bekleiden könnte, muss folglich hier
nicht beantwortet werden (vgl. Art. 60 f. ZGB). War der Verein nämlich
lediglich Zahlstelle, so kann der Beschwerdeführerin ihre Stellung im Verein
bei der Bemessung des versicherten Verdienstes so oder anders nicht
entgegengehalten werden. Die letztinstanzlich noch strittigen Einkünfte für die
beiden Veranstalter sind mithin für die Berechnung des versicherten Verdienstes
zu berücksichtigen.

4. 
Die Angelegenheit geht zurück an die Kasse, welche den versicherten Verdienst
unter Einbezug der bei den Veranstaltern E.________ und F.________ erzielten
Einkünfte neu zu berechnen und darüber eine neue Verfügung zu erlassen haben
wird.

5. 
Der Prozess ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten
sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend der Beschwerdegegnerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Sie hat der Beschwerdeführerin eine
Parteientschädigung auszurichten (Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 2. November 2015 und der
Einspracheentscheid der Unia Arbeitslosenkasse vom 4. Juni 2015 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die Kasse zurückgewiesen, damit diese über den
versicherten Verdienst der Beschwerdeführerin neu verfüge. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Februar 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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