Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.906/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_906/2015   {T 0/2}     

Urteil vom 12. Mai 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Küng,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung
(Invalidenrente, Integritätsentschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 4. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1956 geborene A.________ arbeitete bei der B.________ AG und war damit bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch
unfallversichert. Am 1. Dezember 2008 verletzte sie sich bei einem Treppensturz
am linken Ellbogen und am rechten Knie. Die SUVA kam für die Heilbehandlung und
das Taggeld auf. Am 4. Februar 2009 wurde im Zentrum C.________ eine
Kniegelenksarthroskopie rechts mit medialer und lateraler Teilmeniskektomie
durchgeführt. Am 26. Oktober 2010 erfolgte im Spital D.________ eine
Knie-Totalprothesen-Versorgung rechts. Mit Schreiben vom 14. November 2011
eröffnete die SUVA der Versicherten, mangels unfallbedingter Erwerbseinbusse
habe sie keinen Rentenanspruch; falls sie es wünsche, werde hierüber eine
einsprachefähige Verfügung erlassen. Mit Verfügung vom 15. November 2011 sprach
die SUVA der Versicherten für die unfallbedingte Beeinträchtigung am rechten
Knie eine Integritätsentschädigung bei einer 10%igen Integritätseinbusse zu. Am
9. Januar 2012 verlangte die Versicherte eine anfechtbare Verfügung betreffend
den Rentenanspruch. Mit Verfügung vom 5. Januar 2015 verneinte die SUVA diesen
Anspruch, da keine unfallbedingte Erwerbseinbusse vorliege. Die gegen diese
Verfügung und diejenige vom 15. November 2011 erhobenen Einsprachen wies die
SUVA mit Entscheid vom 20. April 2015 ab.

B. 
Die dagegen geführte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
mit Entscheid vom 4. November 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheides seien ihr mindestens eine Integritätsentschädigung auf der Basis
von 25 % und eine "halbe Invalidenrente" zuzusprechen; eventuell seien weitere
Abklärungen zu veranlassen.
Die SUVA und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung, wobei
Erstere auf Beschwerdeabweisung schliesst.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389).
 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen über den Anspruch auf
Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 UVG; Art. 134 V 109 E. 4 S. 113
ff.) und die Invaliditätsbemessung nach der Methode des Einkommensvergleichs
(Art. 16 ATSG) richtig dargelegt. Gleiches gilt zum Anspruch auf
Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs.1, Art. 25 UVG; Art. 36 UVV) und zum
Beweiswert von Arztberichten (BGE 125 V 351 E. 3b S. 252; vgl. auch BGE 135 V
465 E. 4.4. S. 469 und E. 4.7       S. 471). Darauf wird verwiesen.

3. 
Unbestritten ist, dass einzig die unfallbedingte Knieproblematik rechts der
Versicherten zu beurteilen ist. Strittig sind in diesem Rahmen ihre
Arbeitsfähigkeit (E. 4 hienach) und ihre Integritätseinbusse (E. 5 hienach).

4.

4.1. Die Vorinstanz hat mit einlässlicher Begründung im Wesentlichen erwogen,
gemäss dem Bericht des Kreisarztes Prof. Dr. med. E.________, Facharzt für
Orthopädie und Unfallchirurgie, vom 29. September 2011 sei aus somatischer
Sicht der Endzustand erreicht gewesen; Massnahmen der Invalidenversicherung
stünden nicht zu Diskussion. Laut Prof. Dr. med. E.________ seien die
funktionellen Einschränkungen des rechten Kniegelenks geringgradig. Die
Röntgenbilder zeigten eine reizlos liegende Knietotalendprothese ohne
Lockerungs- und Infektionszeichen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei die
Versicherte für leichte körperliche Tätigkeiten ganztags in Wechselbelastung
leistungsfähig. Ausschliesslich stehende und gehende Tätigkeiten sowie Heben
und Tragen von Gewichten über 12 kg, Vibrations- sowie Schlagbelastungen, die
sich auf das Kniegelenk negativ auswirkten, seien ebenfalls zu vermeiden. Diese
Einschätzung des Prof. Dr. med. E.________ sei schlüssig und nachvollziehbar.
Sie werde bestätigt durch das Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts
(ABI) GmbH, Basel, vom 30. Januar 2014. Der Verfasser des orthopädischen
Teilgutachtens Dr. med. F.________, FMH Orthopädische Chirurgie, habe eine
schön platzierte femorotibiale Totalprothese ohne Patella-komponente und ohne
Hinweise auf eine Lockerung oder eine sonstige Prothesen-assoziierte Pathologie
festgestellt. Für körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Position,
jedoch mehrheitlich im Sitzen mit nur zwischenzeitlichen Arbeitsanteilen im
Stehen und Gehen, wo eine Hebe- und Traglimite von 10 kg nur ausnahmsweise
überschritten werde, bestehe eine zeitlich und leistungsmässig uneingeschränkte
Arbeitsfähigkeit.

4.2. Sämtliche Einwände der Versicherten vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu
führen.

4.2.1. Sie macht geltend, sie habe durchgehend und auch dem Kreisarzt gegenüber
unter anderem geschildert, dass sie immer Schmerzen im rechten Kniegelenk habe;
dieses sei heiss und schwelle bei Belastungen zunehmend schmerzhaft an. Dies
ergebe sich aus dem Austrittsbericht der Klinik G.________ vom 9. Juni 2011.
Weiter habe sie dargelegt, dass sie ohne Gehstützen zu Hause maximal eine halbe
Stunde gehen und stehen könne. Mit all diesen Beschwerden hätten sich weder der
Kreisarzt Prof. Dr. med. E.________ noch die Gutachter des ABI
auseinandergesetzt.

4.2.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass die rein subjektive Einschätzung der
Versicherten betreffend ihre Schmerzen und ihre Arbeitsfähigkeit nicht
massgebend ist. Vielmehr ist es primär ärztliche Aufgabe, anhand der objektiven
Befunderhebung die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die
Leistungsfähigkeit zu bestimmen (SVR 2014 IV Nr. 37 S. 130 E. 4.2.2 [8C_7/
2014]). Dies wurde sowohl im Kreisarztbericht vom 29. September 2011 als auch
im orthopädischen ABI-Gutachten vom 9. Dezember 2013 hinreichend getan.
Aus dem Austrittsbericht der Klinik G.________ vom 9. Juni 2011 kann die
Versicherte nichts zu ihren Gunsten ableiten. Denn hierin wurde trotz der
festgestellten und subjektiv geklagten Beschwerden (E. 4.2.1 hievor) dargelegt,
dass ihr hinsichtlich des rechten Knies leichte bis mittelschwere Arbeit
ganztags zumutbar sei. Spezielle Einschränkungen seien: wechselbelastend; keine
Einnahme von Zwangshaltungen wie Knien, Kauern, Hocken; kein wiederholtes
Treppensteigen; kein Leitersteigen. Mit diesem Zumutbarkeitsprofil werden die
Einschätzungen des Prof. Dr. med. E.________ und des orthopädischen
ABI-Gutachters Dr. med. F.________ nicht in Frage gestellt, zumal diese in
Abweichung von der Einschätzung der Klinik G.________ zu Gunsten der
Versicherten lediglich körperlich leichte Arbeiten als zumutbar erachteten
(vgl. E. 4.1 hievor). Es bestehen mithin keine auch nur geringen Zweifel an der
Beurteilung des Prof. Dr. med. E.________ (vgl. BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229 zum
Beweiswert von Berichten versicherungsinterner Arztpersonen).

4.3. Der relevante ausgeglichene Arbeitsmarkt (BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.)
beinhaltet durchaus Stellen, die für die Beschwerdeführerin aufgrund des oben
umschriebenen Zumutbarkeitsprofils (E. 4.1 hievor) in Frage kommen. Er umfasst
insbesondere auch sogenannte Nischenarbeitsplätze, also Stellen- und
Arbeitsangebote, bei welchen Behinderte mit einem sozialen Entgegenkommen von
Seiten des Arbeitgebers rechnen können (Urteil 8C_599/2015 vom 22. Dezember
2015 E. 5.2.4). Der vorinstanzliche Einkommensvergleich, der einen
Invaliditätsgrad von 0 % ergab, wird nicht substanziiert bestritten, weshalb
sich hierzu Weiterungen erübrigen.

5.

5.1. Zu prüfen bleibt die Höhe des Integritätsschadens. Die Vorinstanz folgte
der Beurteilung des Kreisarztes Prof. Dr. med. E.________ vom         30.
September 2011. Dieser legte der Bemessung des Integritätsschadens die Tabelle
5 (Integritätsschaden bei Arthrosen) der von der SUVA unter dem Titel
"Integritätsentschädigung gemäss UVG" veröffentlichten Richtwerte zugrunde.
Nach dieser Tabelle wird der Integritätsschaden bei einer mässigen mit 10-30 %
und bei einer schweren Pangonarthrose mit 30-40 % veranschlagt. Bei
Endprothesen ist auf den unkorrigierten Zustand abzustellen, d.h. auf den
Schweregrad der Arthrose vor Prothesenimplantation. Prof. Dr. med. E.________
beschrieb gestützt auf die zwei Tage nach dem Unfall gemachten Röntgenbilder
vom 3. Dezember 2008 eine vorbestehende mässige Pangonarthrose mit lateralen
und medialen osteophytären Ausziehungen; den Integritätsschaden bewertete er
mit 20 %. Aufgrund der vor der Knie-Totalprothesen-Versorgung rechts vom 26.
Oktober 2010 erstellten Röntgenaufnahme vom 25. Oktober 2010 ging er von einer
mässigen bis schweren Pangonarthrose aus, die sich im Vergleich zur Voraufnahme
aus dem Jahr 2008 vor allem im medialen Kompartiment verschlimmert habe. Den
Integritätsschaden schätzte er auf 30 %. Somit ermittelte er einen
unfallbedingten Integritätsschaden von 10 %.

5.2. Die Versicherte rügt im Wesentlichen, da der Kreisarzt in einem
arbeitsrechtlichen Verhältnis mit der SUVA stehe, seien Ermessensentscheide
sorgfältig zu begründen; dies vor allem dann, wenn die schwere Pangonarthrose
mit 30 % am untersten Limit und die vorbestehende mässige Pangonarthrose über
dem Minimum eingeschätzt werde. Der Kreisarztbericht sei nicht hinreichend
begründet. Sie gehe davon aus, dass bei ihr eine schwere Pangonarthrose am
obersten Limit bestehe; die vorbestehende Gonarthrose sei am untersten Limit,
allenfalls wie vom Kreisarzt festgelegt, anzusiedeln.
Diese Einwände sind nicht stichhaltig, auch wenn die Beurteilung des Prof. Dr.
med. E.________ vom 30. September 2011 relativ knapp begründet ist. Er stützte
sich auf Röntgenaufnahmen des rechten Knies (E. 5.1 hievor). Aufgrund der
Aufnahme vom 25. Oktober 2010 beschrieb er eine mässige bis schwere
Pangonarthrose. Wenn er diesbezüglich dann zwar im Ergebnis von einer schweren
Pangonarthrose ausging, dafür aber den in diesem Rahmen minimalen
Integritätsschaden von 30 % veranschlagte, ist darin keine rechtsfehlerhafte
Handhabung des Ermessens ersichtlich. Insgesamt besteht für das Gericht kein
Anlass, in den Bemessungsspielraum der SUVA einzugreifen (vgl. RKUV 1998 Nr. U
296 S. 235 E. 2d; Urteil U 121/06 vom 23. April 2007 E. 5.2). Diesbezüglich
liegen somit ebenfalls keine Gründe vor, die auch nur geringe Zweifel an seiner
Beurteilung wecken (vgl. E. 4.2.2. hievor a.E.).

6. 
Da von weiteren Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse zu erwarten
waren, hat die Vorinstanz darauf zu Recht verzichtet (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236).

7. 
Die unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Mai 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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