Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.89/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_89/2015

Urteil vom 22. April 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch
Rechtsanwältin Bettina Surber,
Beschwerdeführer,

gegen

Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Landsgemeindeplatz 7c, Fünfeckpalast, 9043
Trogen,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (unentgeltliche Rechtspflege),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 11.
November 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1968 geborene A.________ meldete sich im August 2006 unter Hinweis auf ein
Burnout und Depressionen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Die IV-Stelle des Kantons Appenzell Ausserrhoden gewährte berufliche
Massnahmen. Im Rahmen ihrer Abklärungen liess sie den Versicherten sodann
observieren und holte nebst weiteren Arztberichten ein psychiatrisches
Gutachten des Dr. med. B.________ vom 24. April 2013 ein. Gestützt auf dessen
Empfehlung ordnete sie am 1. Juli 2013 an, A.________ habe sich einer
dreimonatigen stationären Therapie in einer psychiatrischen Klinik zu
unterziehen. Mit Verfügung vom 26. August 2014 verneinte die IV-Stelle einen
Anspruch auf weitere Leistungen, insbesondere auf eine Invalidenrente, mit der
Begründung, A.________ sei dieser - mehrfach angemahnten - Anordnung nicht
gefolgt und habe damit seine Schadenminderungspflicht verletzt.

B. 
A.________ erhob hiegegen Beschwerde beim Obergericht Appenzell Ausserrhoden,
wobei er nebst der Zusprechung einer Dreiviertelsrente ("rückwirkend ab
Einstellung der IV-Taggelder") auch die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege (hier und nachfolgend jeweils einschliesslich der unentgeltlichen
Verbeiständung) für das kantonale Verfahren beantragte. Mit Zwischenentscheid
vom 11. November 2014 wies das Obergericht das Gesuch betreffend unentgeltliche
Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, in Aufhebung des Entscheides vom 11. November 2014 sei im
Verfahren vor dem Obergericht die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen. Er
beantragt sodann, letztere sei ihm auch im letztinstanzlichen Verfahren zu
gewähren.

Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur
Sache zu äussern.

Erwägungen:

1. 
Der vorinstanzliche Entscheid stellt einen anfechtbaren Zwischenentscheid im
Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG dar (vgl. BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Die
übrigen Voraussetzungen für das Eintreten auf die Beschwerde sind ebenfalls
erfüllt.

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG, insbesondere wegen Verletzung von
Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG), erhoben werden.

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG),
doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten
Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Gerügt wird im vorliegenden Fall eine Verletzung von Art.
29 Abs. 3 BV. Diesbezüglich gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs.
2 BGG; zum Ganzen: BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 mit Hinweisen).

2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).

3. 
Das kantonale Gericht hat die vom Beschwerdeführer angerufene
Verfassungsbestimmung zum Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29
Abs. 3 BV; vgl. auch Art. 61 lit. f ATSG) und die Rechtsprechung zur der hiefür
nebst anderem vorausgesetzten mangelnden Aussichtslosigkeit der Rechtsvorkehr
zutreffend dargelegt. Danach sind Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen,
wenn die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren,
so dass eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, bei
vernünftiger Überlegung von einem Prozess absehen würde (BGE 129 I 129 E. 2.3.1
S. 135; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236 mit Hinweis; vgl. auch BGE 138 III 217 E.
2.2.4 S. 218).

4. 
Die Vorinstanz hat erwogen, gestützt auf das Gutachten des Dr. med. B.________
vom 24. April 2013 sei eine mehrmonatige Behandlung in einer psychiatrischen
Klinik als dringend notwendig zu betrachten. Der Versicherte sei von der
IV-Stelle mehrfach auf seine Schadenminderungspflicht hingewiesen worden und
trotz Aufforderung nicht in eine Klinik eingetreten, obwohl ihm das zumutbar
wäre. Damit sei er seiner Schadenminderungspflicht nicht nachgekommen. Es sei
daher mehr als verständlich, dass die IV-Stelle sein Leistungsbegehren derzeit
abgewiesen habe. Die Voraussetzungen für Rentenleistungen seien nicht erfüllt.
Zu Recht weise die Verwaltung auch darauf hin, dass nach Art. 7 ATSG die
Erwerbsunfähigkeit voraussetze, dass die zumutbare Behandlung und Eingliederung
erfolgt sei, was hier nicht zutreffe. Werde überdies der Bericht über die
durchgeführte Observation genauer betrachtet, stelle sich die dringende und
naheliegende Frage, ob überhaupt von einem invalidisierenden Gesundheitsschaden
gesprochen werden könne. Zusammenfassend sei die Beschwerde aussichtslos,
weshalb das Gesuch betreffend unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen sei.

5. 
Der Beschwerdeführer macht wie im kantonalen Verfahren unter anderem geltend,
gemäss den vorliegenden medizinischen Berichten sei er nach Abschluss der
Eingliederungsbemühungen im November 2010 erheblich in der Arbeitsfähigkeit
eingeschränkt gewesen. Damit bestehe, unabhängig von einer allfälligen
Verletzung der Schadenminderungspflicht im Jahr 2013, ein Rentenanspruch
mindestens bis dahin.

Diese Argumentation ist nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Dr. med.
B.________ geht in der psychiatrischen Expertise vom 24. April 2013 davon aus,
der Versicherte sei in der angestammten Tätigkeit eines
Justizvollzugsangestellten mindestens seit Januar 2006 voll arbeitsunfähig. Die
Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit betrage (jedenfalls seit 2008)
mindestens 50 % und sei - mittels der empfohlenen stationären Therapie - auf
bis zu 100 % steigerbar. Die besagte Therapie wurde nun aber im Juli 2013
angeordnet, womit sich eine daraus allenfalls folgende Verletzung der
Schadenminderungspflicht bis dahin nicht auf die Rentenberechtigung auswirken
könnte. Ob ein Rentenanspruch allenfalls aufgrund der Observationsergebnisse zu
verneinen wäre, hat die Vorinstanz zwar als Möglichkeit erwähnt, aber nicht
abschliessend beurteilt. Im Lichte dieser Erwägungen kann die kantonale
Beschwerde, ohne dass die weiteren Einwände des Versicherten im vor- und
letztinstanzlichen Verfahren zu prüfen wären, nicht als aussichtslos betrachtet
werden. Die übrigen Voraussetzungen der Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege hat das kantonale Gericht bejaht. Der angefochtene Entscheid ist
daher aufzuheben mit der Feststellung, dass der Beschwerdeführer im kantonalen
Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat.

6. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Kanton Appenzell Ausserrhoden kosten-
und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 4, Art. 68 Abs. 2 BGG). Damit
ist das Gesuch betreffend unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen
Verfahren gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts Appenzell
Ausserrhoden vom 11. November 2014 wird aufgehoben und es wird festgestellt,
dass der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege hat.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Kanton Appenzell Ausserrhoden
auferlegt.

3. 
Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat die Rechtsvertreterin des
Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu
entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. April 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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