Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.899/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_899/2015

Urteil vom 29. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse
11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Rentenaufhebung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
28. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ bezog aufgrund einer Verfügung der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom
5. September 2000 für die Zeit ab 1. August 1998 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung (zunächst zuzüglich einer Kinderrente). Mit formlosen
Mitteilungen vom 23. Juli 2003 und 17. März 2008 wurde dieser Anspruch
bestätigt. Im Rahmen eines im Mai 2010 eingeleiteten Rentenrevisionsverfahrens
erkannte die IV-Stelle nach Einholung eines polydisziplinären Gutachtens der
MEDAS Zentralschweiz, Luzern, vom 14. Juni 2013, dass die Voraussetzungen für
die Rentenausrichtung nicht mehr gegeben seien. Nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren stellte sie die Rente deshalb mit Verfügung vom 4. Juli
2014 auf den 31. August 2014 hin ein. Gleichzeitig lehnte sie die Gewährung
beruflicher Massnahmen ab.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht hiess die
dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 28. Oktober 2015 dahingehend
teilweise gut, dass es die angefochtene Verfügung bezüglich Verneinung des
Anspruches auf Umschulung, Integrationsmassnahmen,
Wiedereingliederungsmassnahmen für Rentenbezüger und Arbeitsvermittlung aufhob
und die Sache zur Prüfung entsprechender Vorkehren an die IV-Stelle zurückwies.
Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde am Bundesgericht führen mit den Begehren, die
IV-Stelle sei unter Aufhebung des kantonalen Entscheides vom 28. Oktober 2015
zu verpflichten, ihr ab September 2014 weiterhin eine ganze, eventuell eine
halbe Invalidenrente auszurichten. Im Sinne eines weiteren Eventualantrages
ersucht sie darum, die IV-Stelle zur Einholung eines den Vorgaben von BGE 141 V
281 genügenden Gutachtens anzuhalten.

Die IV-Stelle und das kantonale Gericht schliessen unter Hinweis auf den
angefochtenen Entscheid je auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens
entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG), prüft indessen - unter Beachtung der Begründungspflicht in
Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - nur die geltend gemachten
Rügen, sofern allfällige weitere Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es
ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde allen sich stellenden
Fragen nachzugehen, also auch solchen, die letztinstanzlich nicht (mehr)
aufgeworfen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 
Die für die Beurteilung der streitigen Rentenaufhebung massgebenden
gesetzlichen Grundlagen wie auch die hiezu ergangene Rechtsprechung hat das
kantonale Gericht zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Es betrifft dies namentlich die revisionsweise Erhöhung, Herabsetzung oder
Aufhebung einer Rente infolge erheblicher Änderung des Invaliditätsgrades (Art.
17 Abs. 1 ATSG) und die Überprüfung von Renten, die bei
pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage (nachfolgend: unklare Beschwerden resp.
Beschwerdebilder, vgl. BGE 140 V 8 E. 2.2.1.3 S. 13 und 139 V 547 E. 2.1 S.
549) gesprochen wurden (lit. a Abs. 1 der am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen
Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des Bundesgesetzes über die
Invalidenversicherung (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket [AS 2011 5659];
nachfolgend: SchlBest. IVG). Gleiches gilt für die in BGE 141 V 281 grundlegend
überdachte und teilweise geänderte Rechtsprechung zur invalidisierenden Wirkung
anhaltender somatoformer Schmerzstörungen und vergleichbarer unklarer
Beschwerdebilder.

3. 

3.1. Während die IV-Stelle von einem Revisionstatbestand nach Art. 17 Abs. 1
ATSG ausgegangen ist, hat die Vorinstanz die Rentenaufhebung gestützt auf lit.
a Abs. 1 SchlBest. IVG geschützt und die Beschwerde, soweit sie sich gegen die
verfügte Rentenaufhebung richtet, mit dieser substituierten Begründung
(Motivsubstitution) abgewiesen.

3.2. Die Rentenaufhebung gestützt auf lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG hat zur
Folge, dass die versicherte Person gemäss lit. a Abs. 2 dieser Bestimmung für
maximal zwei aufeinanderfolgende Jahre Anspruch auf Massnahmen zur
Wiedereingliederung nach Art. 8a Abs. 2 IVG hat. Zur Klärung des Anspruches der
Beschwerdeführerin auf solche Massnahmen hat die Vorinstanz die Sache an die
IV-Stelle zurückgewiesen. Dieser Aspekt ist in der Beschwerdeschrift mit Recht
nicht weiter thematisiert worden, könnte sich das Bundesgericht mit
diesbezüglichen Rügen doch ohnehin nicht befassen, weil insoweit gar kein
anfechtbarer Endentscheid vorliegt (vgl. Art. 90 und 93 Abs. 1 und 3 BGG).

4. 

4.1. Ob die Rente der Beschwerdeführerin nach lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG
aufzuheben ist, hängt von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen ab,
deretwegen sie seinerzeit zugesprochen worden ist. Das kantonale Gericht,
dessen Feststellung des medizinisch relevanten Sachverhaltes für das
Bundesgericht angesichts seiner Überprüfungsbefugnis weitestgehend verbindlich
ist (E. 1.1 hievor), hat - anders als noch die IV-Stelle - angenommen, der
Rentengewährung liege vorab ein unklares Beschwerdebild im Sinne von lit. a
Abs. 1 SchlBest. IVG zugrunde. Bei dieser Ausgangslage hat es die am 4. Juli
2014 verfügte Rentenaufhebung auf den 31. August 2014 hin im Ergebnis
bestätigt. Dieses Vorgehen ist weder bundesrechtswidrig noch liegen ihm
offensichtlich unrichtige Feststellungen tatsächlicher Art zugrunde, weshalb es
damit sein Bewenden hat.

4.2. Selbst wenn eingeräumt würde, für die ursprüngliche Rentenzusprache seien
nicht ausschliesslich unklare Beschwerden, sondern darüber hinaus auch
somatisch objektivierbare Gesundheitsschädigungen ursächlich gewesen, würde
sich daraus nichts zu Gunsten der Beschwerdeführerin ableiten lassen. Zwar wäre
- wie in der Beschwerdeschrift an sich richtig aufgezeigt wird - eine
Aufteilung je nach Grundlage der seinerzeitigen Rentenzusprache vorzunehmen
(vgl. BGE 140 V 197 E. 6 S. 198 ff.). Nur soweit diese auf unklare Beschwerden
zurückzuführen ist, fiele deren Aufhebung in den Anwendungsbereich von lit. a
Abs. 1 SchlBest. IVG. In Bezug auf objektiv ausgewiesene, mithin klare
Beschwerdebilder hingegen wäre das Vorliegen eines Revisionsgrundes im Sinne
von Art. 17 Abs. 1 ATSG zu bejahen. Die IV-Stelle hat schon in ihrer Verfügung
vom 4. Juli 2014 gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013
festgehalten, dass aus rheumatologischer wie auch aus neurologischer Sicht
keine objektivierbaren Befunde mehr vorliegen, welche das funktionelle
Leistungsvermögen und damit die Arbeitsfähigkeit einschränken; auch aus
psychiatrischer Sicht habe eine kontinuierliche Verbesserung stattgefunden.
Wenn sie vor diesem Hintergrund von einer wesentlichen Verminderung der
gesundheitlichen Beeinträchtigung und daraus folgend einer Verringerung des
Invaliditätsgrades im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG ausgegangen ist, lässt sich
dies aufgrund der Aktenlage nicht beanstanden. Eine Verbesserung der
gesundheitlichen Situation resp. ihrer erwerblichen Auswirkungen hat an sich
auch die Vorinstanz nicht verkannt, diesen Umständen jedoch nicht
ausschlaggebende Bedeutung für die Rentenaufhebung beigemessen. Sollte der
angefochtene kantonale Entscheid, der von einer ausschliesslich auf unklaren
Beschwerdebildern beruhenden Rentenzusprache auszugehen scheint, insoweit
tatsächlich fehlerhaft sein, bliebe nach dem Gesagten selbst eine entsprechende
Berichtigung im Ergebnis ohne Einfluss auf die streitige Rentenaufhebung.

4.3. Weil laut MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013 weder aus somatischer noch aus
psychiatrischer Sicht ein Gesundheitsschaden verblieben ist, welcher die
Arbeitsfähigkeit noch beeinträchtigen würde, erübrigen sich - in antizipierter
Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3, je mit Hinweisen) -
die eventualiter beantragten vertieften Abklärungen. Die medizinische
Dokumentation, insbesondere das MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013 - welches
seinen Beweiswert auch nach der mit BGE 141 V 281 neu geschaffenen
Prüfungsmethode nicht per se verliert (BGE 141 V 281 E. 8 S. 309 mit Hinweis
auf BGE 137 V 210 E. 6 S. 266) -, erlaubt entgegen der Argumentation in der
Beschwerdeschrift eine zuverlässige Beurteilung auch im Lichte der
Rechtsprechung in BGE 141 V 281. Das kantonale Gericht sah sich denn auch nicht
etwa ausserstande, das Vorliegen einer Invalidität der Beschwerdeführerin nach
Massgabe der neu zu beachtenden Richtlinien - unter Einschluss einer
Indikatorenprüfung - zu untersuchen. Dass es dabei zu einer rechtsfehlerhaften
Umsetzung der nunmehr geltenden Rechtsprechung - primär eine Aufgabe der
rechtsanwendenden und nicht medizinisch begutachtender Institutionen - gekommen
wäre, wird abgesehen von der - wie gesehen zu Unrecht - bemängelten
medizinischen Beurteilungsgrundlage nicht hinreichend spezifiziert geltend
gemacht, um dem Bundesgericht begründeten Anlass zu einem berichtigenden
Eingreifen zu bieten. So genügt es nicht, der vorinstanzlichen
Indikatorenprüfung lediglich eine davon abweichende eigene gegenüberzustellen,
ohne mit triftiger Begründung darlegen zu können, inwiefern sich beanstandete
Erstere im Rahmen einer bundesgerichtlichen Überprüfung - mit limitierter
Kognition (E. 1.1 hievor) - als mangelhaft erweisen sollte. Unbegründet ist
schliesslich der gegenüber der Vorinstanz erhobene Vorwurf, in
beweisrechtlicher Hinsicht nicht korrekt vorgegangen zu sein. Das kantonale
Gericht hat lediglich bereits vorhandene Beweisunterlagen gewürdigt, nicht aber
selbst Beweise abgenommen. Inwiefern dabei Mitwirkungsrechte der
Beschwerdeführerin verletzt worden sein sollten, ist nicht ersichtlich, nachdem
ihr im vorinstanzlichen Verfahren Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu einer
allfälligen substituierten Begründung der Rentenaufhebung gestützt auf die
SchlBest. IVG zu äussern. Allfällige Beweisanträge hätte die Beschwerdeführerin
in ihrer als Reaktion darauf erfolgten Eingabe vom 15. September 2015 stellen
können. Auch war es ihr unbenommen, selbst Beweise beizubringen.

5. 
Aktenwidrig ist die Behauptung der Beschwerdeführerin, weder Vorinstanz noch
Verwaltung hätten sich mit einer Invaliditätsgradbemessung mit
Einkommensvergleich nach Art. 16 ATSG auseinandergesetzt. Während die IV-Stelle
in ihrer Verfügung vom 4. Juli 2014 einen lege artis durchgeführten
Einkommensvergleich vorgenommen hat und dabei zu einem Invaliditätsgrad von 16
% gelangt ist, hat die Vorinstanz zwar tatsächlich mit der Begründung, die
Beschwerdeführerin sei in der angestammten Tätigkeit als
Aussendienstmitarbeiterin einer Versicherung wieder voll arbeitsfähig, von
einer Gegenüberstellung der Vergleichseinkommen abgesehen. Bei beiden Varianten
zeigt sich, dass eine Rentenrelevanz der Auswirkungen noch bestehender
gesundheitlicher Beeinträchtigungen bei Weitem nicht erreicht wird, sodass
letztlich dahingestellt bleiben kann, welcher Betrachtungsweise der Vorzug zu
geben wäre. Bei ansonsten uneingeschränkter Arbeitsfähigkeit würde die
jahrelange Abwesenheit vom Arbeitsmarkt jedenfalls - wenn überhaupt - keinen
derart hohen Abzug vom auf tabellarischer Grundlage ermittelten
Invalideneinkommen - der rechtsprechungsgemäss maximal 25 % betragen kann (BGE
126 V 75 E. 5b/cc S. 80) - rechtfertigen, dass bei einem Einkommensvergleich
ein rentenrelevanter Invaliditätsgrad erwartet werden könnte.

6. 
Da die Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist, sind die Gerichtskosten (Art.
65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) von der Beschwerdeführerin als unterliegender
Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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