Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.889/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_889/2015

Urteil vom 29. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Mobiliar
Versicherungsgesellschaft AG,
vertreten durch Fürsprecher René W. Schleifer,
Beschwerdeführerin,

gegen

 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
28. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ erlitt am 20. August 1997 anlässlich eines Auffahrunfalles
Kontusionen der Hals- und der Lendenwirbelsäule sowie der linken Hand. Die
Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG (Mobiliar) als
Unfallversicherer sprach ihr mit Verfügung vom 13. September 2002 rückwirkend
ab 1. Mai 2002 eine (als Komplementärrente zur Rente der Invalidenversicherung
ausgestaltete) Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 73 % sowie eine
Entschädigung für eine 40%ige Integritätseinbusse zu. Mit Verfügung vom 6.
November 2013 hob sie - im Wesentlichen gestützt auf ein zuhanden der
Invalidenversicherung erstelltes polydisziplinäres Gutachten der MEDAS
Zentralschweiz, Luzern, vom 14. Juni 2013 - die bis anhin gewährte Rente
revisionsweise auf den 30. November 2013 hin auf. Daran hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 8. Juli 2014 fest.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht hiess die
dagegen erhobene Beschwerde unter ersatzloser Aufhebung des
Einspracheentscheides vom 8. Juli 2014 mit Entscheid vom 28. Oktober 2015 gut
und hielt fest, dass die Invalidenrente der Unfallversicherung über den 30.
November 2013 hinaus weiterhin in gleichem Umfang auszurichten sei.

C. 
Die Mobiliar führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, der kantonale
Entscheid vom 28. Oktober 2015 sei aufzuheben und ihr Einspracheentscheid vom
8. Juli 2014 zu bestätigen. Zudem beantragt sie in formeller Hinsicht, ihrer
Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen.

A.________ und das kantonale Gericht schliessen je auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D. 
Mit Verfügung vom 22. April 2016 hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde
aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im
Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der
Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den
übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Es wendet das
Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist folglich weder an die
Argumentation in der Beschwerdeschrift noch an die Erwägungen der Vorinstanz
gebunden (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen).

1.2. Anders als der nunmehr Beschwerde führende Unfallversicherer hat das
kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid das Vorliegen eines
Revisionsgrundes im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG verneint. Aufgrund der
Vorbringen in der Beschwerde stellt sich die Frage, ob dies einer
bundesgerichtlichen Überprüfung standzuhalten vermag.

1.3. Die für die Beurteilung der am 6. November 2013 verfügten und mit
Einspracheentscheid vom 8. Juli 2014 bestätigten revisionsweisen
Rentenaufhebung massgebenden gesetzlichen Bestimmungen (Art. 7 und 8 Abs. 1
ATSG, Art. 17 Abs. 1 ATSG) wie auch die hiezu ergangene Rechtsprechung (vgl.
BGE 125 V 351 E. 3a S. 352, 122 V 157 E. 1c S. 160 ff., je mit Hinweisen) sind
im angefochtenen kantonalen Entscheid in materiell- wie auch in formell-,
namentlich beweisrechtlicher Hinsicht zutreffend dargelegt worden. Darauf wird
verwiesen.

2.

2.1. In ihrem Einspracheentscheid vom 8. Juli 2014 hat die heutige
Beschwerdeführerin aufgezeigt, dass im MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013 -
welches das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid als schlüssig,
nachvollziehbar, mithin als voll beweiskräftig erachtet hat - zahlreiche
Befunde nicht mehr aufgeführt werden, die seinerzeit gestützt auf die Expertise
des Neurologen Dr. med. B.________ vom 2. April 2002 Grundlage der
Rentenzusprache vom 13. September 2002 gebildet hatten. Dass überdies von den
Experten der MEDAS für die angestammte Tätigkeit im Aussendienst einer
Pflegeunternehmung wie auch für andere körperlich leichtere Beschäftigungen
statt einer nur 40%igen neu eine 100%ige Arbeitsfähigkeit bescheinigt wurde,
hat sie zur Annahme einer in der Zwischenzeit eingetretenen wesentlichen
Verbesserung der tatsächlichen Verhältnisse geführt. Diese Änderung hat ihr
Anlass zur angefochtenen Rentenaufhebung geboten.

2.2. Das kantonale Gericht vermochte sich dieser Betrachtungsweise nicht
anzuschliessen. Es befand, bei der von den Gutachtern der MEDAS am 14. Juni
2013 dargelegten gesundheitlichen Situation der Beschwerdegegnerin sei eine
wesentliche Verbesserung der tatsächlichen Verhältnisse nicht ausgewiesen. Die
Voraussetzung für eine Rentenaufhebung auf dem Wege der Rentenrevision im Sinne
von Art. 17 Abs. 1 ATSG erachtete es damit als nicht gegeben.

3.

3.1. Grundlage der erstmaligen unfallversicherungsrechtlichen Rentenzusprache
am 13. September 2002 bildete unbestrittenermassen die Expertise des Neurologen
Dr. med. B.________ vom 2. April 2002, während sich die revisionsweise
Rentenaufhebung vom 6. November 2013 im Wesentlichen auf das Gutachten der
MEDAS vom 14. Juni 2013 stützte. Letzteres hat die Invalidenversicherung im
Rahmen des ihrerseits eingeleiteten Rentenrevisionsverfahrens veranlasst.
Dieses MEDAS-Gutachten qualifizierte das kantonale Gericht im angefochtenen
Entscheid als schlüssig und nachvollziehbar. Auch die übrigen von der
Rechtsprechung an eine beweistaugliche medizinische Beurteilungsgrundlage
gestellten Anforderungen bejahte es vorbehaltlos. Bereits im kantonalen
Verfahren hatte die damalige Beschwerdeführerin (und heutige
Beschwerdegegnerin) demgegenüber beanstandet, dass das Gutachten des Dr. med.
B.________ vom 2. April 2002 den MEDAS-Gutachtern nicht vorgelegen habe.

3.2. Der vorinstanzlichen Beurteilung des Beweiswertes des MEDAS-Gutachtens vom
14. Juni 2013 könnte beigepflichtet werden, wenn es hier um eine erstmalige
Rentenzusprache gehen würde. Bei einer Rentenrevision hat die Feststellung
einer revisionsbegründenden Veränderung indessen durch die Gegenüberstellung
eines vergangenen und des aktuellen Zustandes zu erfolgen. Gegenstand des
Beweises ist somit das Vorhandensein einer entscheiderheblichen Differenz in
den - den medizinischen Gutachten zu entnehmenden - Tatsachen. Die Feststellung
des aktuellen gesundheitlichen Befundes und seiner funktionellen Auswirkungen
ist zwar Ausgangspunkt der Beurteilung. Sie erfolgt aber nicht unabhängig,
sondern wird nur entscheidwesentlich, soweit sie tatsächlich einen Unterschied
zum früheren Zustand wiedergibt. Der Beweiswert eines zwecks Rentenrevision
erstellten Gutachtens hängt folglich davon ab, ob es sich ausreichend auf das
Beweisthema - erhebliche Änderung (en) des Sachverhaltes also - bezieht. Einer
für sich allein betrachtet vollständigen, nachvollziehbaren und schlüssigen
medizinischen Beurteilung, die im Hinblick auf eine erstmalige Beurteilung der
Rentenberechtigung beweisend wäre (vgl. dazu BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V
351 E. 3a S. 352), mangelt es daher in der Regel am rechtlich erforderlichen
Beweiswert, wenn sich die (von einer früheren abweichende) ärztliche
Einschätzung nicht hinreichend darüber ausspricht, inwiefern eine effektive
Veränderung des Gesundheitszustandes stattgefunden hat. Vorbehalten bleiben
Sachlagen, in denen es evident ist, dass sich die gesundheitlichen Verhältnisse
verändert haben (SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81 E. 4.2).

3.3. In der Tat wird die Expertise des Dr. med. B.________ vom 2. April 2002 im
MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013 nicht erwähnt. Wie das kantonale Gericht im
angefochtenen Entscheid darlegt, erklärt sich dies so, dass die Expertise des
Dr. med. B.________ erst nach dem Rentenentscheid der Invalidenversicherung vom
5. September 2000 zuhanden der Beschwerdeführerin erstellt worden ist und damit
für das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren keine Wirkung entfaltete.
Deshalb lag es den - von der Invalidenversicherung beauftragten - Gutachtern
der MEDAS auch nicht vor. Nach Ansicht des kantonalen Gerichts schliesst dies
jedoch nicht aus, dass aufgrund des im Verfahren der Invalidenversicherung
erstellten MEDAS-Gutachtens der Gesundheitszustand und dessen Verlauf auch für
das unfallversicherungsrechtliche Verfahren beurteilt werden kann, da es den
Sachverhalt von Amtes wegen feststelle und alle Beweismittel - unabhängig
davon, von wem sie stammen - objektiv prüfe.

3.4. Dieser Betrachtungsweise kann sich das Bundesgericht nicht anschliessen.
Die medizinische Abklärung in einem Rentenrevisionsverfahren hat sich - wie
erwähnt (E. 3.3 hievor) - auch auf einen Vergleich der bei der
Leistungsgewährung seinerzeit ärztlich festgestellten tatsächlichen
Verhältnisse mit den nunmehrigen Gegebenheiten in einem allfälligen
Revisionszeitpunkt zu erstrecken. Dies setzt voraus, dass im Hinblick auf eine
allfällige Rentenrevision tätig werdende Gutachter frühere ärztliche
Beurteilungen, welche für die Gewährung von Leistungen, die nun auf dem Wege
der Revision eine Änderung erfahren sollen, kennen. Die von den damaligen
Experten erhobenen Befunde, ihre Einschätzungen und allenfalls auch ihre
Prognosen sind aus medizinischer Sicht unerlässlich für die Beantwortung der
Frage, ob die Voraussetzungen für eine Revision in gesundheitlicher Hinsicht
tatsächlich gegeben sind. Mangels entsprechender spezifischer Fachkenntnisse
kann ein Gericht darüber aufgrund ihm vorliegender Unterlagen, welche den damit
im Hinblick auf eine allfällige Revision beauftragten Spezialisten nicht zur
Verfügung standen, nicht selbstständig befinden. Es ist daher nötig, die
Verfasser des MEDAS-Gutachtens vom 14. Juni 2013 mit der Expertise des Dr. med.
B.________ vom 2. April 2002 zu konfrontieren. Diese müssen sich mit den
dortigen medizinischen Erkenntnissen, namentlich dem neurologischen
Gesundheitszustand im Jahr 2002 und den damals festgestellten kognitiven
Leistungsdefiziten auseinandersetzen und zum seitherigen Verlauf Stellung
nehmen. Beim Stand, wie er dem kantonalen Gericht vorlag, können sich aus dem
neuen MEDAS-Gutachten allenfalls ergebende Verbesserungen des
Gesundheitszustandes jedenfalls nicht als genügend belegt gelten. Aufgabe des
kantonalen Gerichtes, an welches die Sache zur Veranlassung der noch
erforderlichen Vorkehren zurückgewiesen wird, ist es anschliessend, über die
Beschwerde neu zu befinden.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1
und Abs. 4 lit. a BGG) von der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 28. Oktober 2015 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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