Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.881/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_881/2015   {T 0/2}     

Urteil vom 22. April 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
handelnd durch B.________ und dieser vertreten durch Procap für Menschen mit
Handicap,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 13. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die am 2. September 2009 geborene A.________ leidet unter anderem an
angeborener Epilepsie und angeborenen cerebralen Lähmungen (Geburtsgebrechen
Ziff. 387 und 390 GgV Anhang). Für die medizinische Behandlung dieser Leiden
sowie für Physiotherapie, Ergotherapie und verschiedene Hilfsmittel hat die
IV-Stelle des Kantons Aargau Kostengutsprache geleistet. Ebenso bejahte die
IV-Stelle einen Anspruch auf Hilflosenentschädigung für Minderjährige wegen
einer mittleren Hilflosigkeit mit Intensivpflegezuschlag von vier Stunden für
die Dauer vom 1. Dezember 2012 bis 1. Februar 2015 (Verfügung vom 5. August
2014).
Im Dezember 2013 und Januar 2014 erfolgten die Anmeldungen der Geburtsgebrechen
Ziff. 383 und 453 GgV Anhang (heredo-degenerative Erkrankungen des
Nervensystems sowie angeborene Störungen des Fett- und
Lipoprotein-Stoffwechsels). Im April 2014 wurde ein Gesuch um Übernahme der
klinischen Ernährung, Ernährungsberatung und Kinderspitex gestellt. Die
Invalidenversicherung übernahm die Kosten für die Behandlung des
Geburtsgebrechens Ziff. 383 GgV Anhang, verneinte jedoch einen
Leistungsanspruch gestützt auf      Ziff. 453 GgV Anhang (Verfügung vom 27.
Januar 2015), einen Anspruch auf Stammzellentransplantation und klinische
Ernährung (Verfügung vom 26. Januar 2015) sowie Ernährungsberatung (Verfügung
vom 28. Januar 2015).

B. 
Die gegen die drei Verfügungen vom 26., 27. und 28. Januar 2015 erhobene
Beschwerde der A.________ hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit
Entscheid vom 13. Oktober 2015 teilweise gut, hob die Verfügung vom 27. Januar
2015 auf und wies die Sache diesbezüglich zur weiteren Abklärung und
Neuverfügung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück. Im Übrigen wies
es die Beschwerde gegen die beiden Verfügungen vom 26. und 28. Januar 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ unter
Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheides beantragen, die
Invalidenversicherung habe im Rahmen der medizinischen Massnahmen für die
Geburtsgebrechen Ziff. 383 und 453 GgV Anhang Kostengutsprache für die
Stammzellen- bzw. Knochenmarktransplantation und die Folgemassnahmen
(Magensonde und Ernährungsberatung) zu erteilen. Zudem sei die IV-Stelle zu
verpflichten, die Kosten für die fachmedizinische Beurteilung des Kinderspitals
C.________ zu übernehmen.
Während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Abweisung der
Beschwerde schliesst, verzichtet die IV-Stelle auf eine Vernehmlassung.
Die Beschwerdeführerin hält mit Stellungnahme vom 29. Februar 2016 an ihrem
Standpunkt fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Das kantonale Gericht hat unter der Dispositiv-Ziffer 1 mit angefochtenem
Entscheid die Verfügung der IV-Stelle vom 27. Januar 2015 betreffend
Nichtanerkennung eines Geburtsgebrechens im Sinne von Ziff. 453 GgV Anhang
aufgehoben und die Sache diesbezüglich zur weiteren Abklärung und Neuverfügung
im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurückgewiesen. Zur Begründung führte
es in den Erwägungen aus, basierend auf der medizinischen Aktenlage stelle sich
die Frage, "ob sowohl das Geburtsgebrechen Ziff. 383 als auch das
Geburtsgebrechen Ziff. 453 vorliegen, oder doch nur eines davon".
Rückweisungsentscheide schliessen das Verfahren nicht ab und sind somit nach
der Regelung des BGG keine Endentscheide. Es handelt sich vielmehr um
Zwischenentscheide, die nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG
selbstständig anfechtbar sind (BGE 135 III 212 E. 1.2 S. 216 mit Hinweisen).
Dagegen erhebt die Beschwerdeführerin zu Recht keine Einwände.

1.2. Der angefochtene Entscheid enthält jedoch nicht nur einen
Rückweisungsentscheid in Bezug auf die Aufhebung der Verfügung der IV-Stelle
vom 27. Januar 2015, sondern auch einen materiellen Entscheid über einen Teil
des Streitgegenstandes. Angefochten ist denn auch nur die Dispositiv-Ziffer 2
des vorinstanzlichen Entscheids, womit das kantonale Gericht die gegen die
beiden Verfügungen der IV-Stelle vom 26. und 28. Januar 2015 gerichtete
Beschwerde abgewiesen hat. Ein Entscheid, der nur einen Teil der gestellten
Begehren behandelt, ist jedoch nur dann ein vor Bundesgericht anfechtbarer
Teilentscheid, wenn diese Begehren unabhängig von den anderen beurteilt werden
können (Art. 91 lit. a BGG; BGE 135 III 212 E. 1.2.1 S. 217; SVR 2011 IV Nr. 23
S. 60, 8C_55/2010 E. 2.3.1 i.f.). Zu prüfen ist daher, ob es sich in Bezug auf
die Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids um einen beschwerdefähigen
Teilentscheid im Sinne von Art. 91 lit. a BGG handelt.

1.2.1. Die drei den Streitgegenstand (vgl. dazu BGE 125 V 413 E. 1    S. 414
f.) bildenden Verfügungen der IV-Stelle befassen sich im Wesentlichen zum einen
mit der Frage, ob die Beschwerdeführerin nicht nur am Geburtsgebrechen Ziff.
383, sondern auch - oder statt dessen - am Geburtsgebrechen Ziff. 453 GgV
Anhang leide und folglich die Invalidenversicherung die entsprechende
medizinische Behandlung zu übernehmen habe (vgl. E. 1.1 hievor). Zum anderen
ist die Frage strittig, ob die Invalidenversicherung im Rahmen der Behandlung
eines anerkannten Geburtsgebrechens die am 16. Januar 2014 im Kinderspital
C.________ durchgeführte allogene Stammzellentransplantation (SZT) mit direkt
kausalen Folgebehandlungen (klinische Ernährung und Ernährungsberatung) zu
übernehmen hat. Aus der Sicht der Beschwerdeführerin ist dabei unerheblich, ob
die Invalidenversicherung die SZT im Rahmen der Behandlung des
Geburtsgebrechens Ziff. 383 und/oder 453 GgV Anhang übernimmt. Immerhin steht
fest, dass das Kinderspital C.________ die Übernahme der damaligen stationären
Behandlung mit SZT vom 16. Januar 2014 schon am 10. Januar 2014 und auch die
damit zusammenhängenden Folgebehandlungen gemäss den Leistungsgesuchen vom 2.
und 27. Juni 2014 als medizinische Behandlung des Geburtsgebrechens Ziff. 453
GgV Anhang bei der IV-Stelle geltend gemacht hat. Dass eine allogene
Stammzellentransplantation - unabhängig von der Anerkennung eines
Geburtsgebrechens - grundsätzlich bei entsprechend erfüllten Voraussetzungen
als Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in Frage
kommen kann, ergibt sich aus KLV Anhang 1.

1.2.2. Unabhängigkeit im Sinne von Art. 91 lit. a BGG bedeutet zum einen, dass
die gehäuften Begehren auch Gegenstand eines eigenen Prozesses hätten bilden
können und zum andern, dass der angefochtene Entscheid einen Teil des gesamten
Prozessgegenstandes abschliessend beurteilt, so dass keine Gefahr besteht, dass
das Schlussurteil über den verbliebenen Prozessgegenstand im Widerspruch zum
bereits rechtskräftig ausgefällten Teilurteil steht (BGE 135 III 212 E. 1.2.2
und 1.2.3 S. 217; SVR 2011 IV Nr. 23 S. 63, 8C_55/2010 E. 2.3.2; Urteil 4A_611/
2014 vom 26. Februar 2015       E. 1.3.1 i.f.). Eine selbstständig eröffnete
Abweisung eines Hauptbegehrens ist demnach als anfechtungspflichtiger
Teilentscheid im Sinne von Art. 91 lit. a BGG zu betrachten, wenn es darum
geht, einen Widerspruch zu vermeiden, der zwischen einem Schlussurteil über den
verbleibenden Prozessgegenstand und einem bereits rechtskräftig ausgefällten
Teilurteil entstehen könnte (vgl. BGE 135 III 212 E. 1.2.3 S. 217 mit
Hinweisen; vgl. auch  NICOLAS VON WERDT,  in  SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH/
OBERHOLZER, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2015, Art. 91 Rz. 14). Soweit die
Vorinstanz unter der Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheides die
Beschwerde gegen die beiden Verfügungen der IV-Stelle vom 26. und 28. Januar
2015 abgewiesen hat, handelt es sich um einen beschwerdefähigen Teilentscheid
gemäss Art. 91 lit. a BGG. Ist nicht auszuschliessen, dass die Beurteilung der
Voraussetzungen für die Übernahme der SZT als medizinische Behandlung eines
Geburtsgebrechens nach Durchführung der von der Vorinstanz im Wege der
Rückweisung angeordneten medizinischen Abklärungen anders ausfällt, als die
IV-Stelle am 26. und 28. Januar 2015 bereits verfügt hat, ist diesbezüglich auf
die Beschwerde einzutreten. Denn andernfalls besteht Gefahr, dass das
Schlussurteil über den verbliebenen Prozessgegenstand gemäss Dispositiv-Ziffer
1 des angefochtenen Entscheids im Widerspruch zum bereits rechtskräftig
ausgefällten Teilurteil steht.

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die
in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem
angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation
der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S.
262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140); es prüft grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254; Urteil 8C_269/
2010 vom 12. August 2010 E. 1).

3. 

3.1. Nach Art. 13 Abs. 1 IVG haben Versicherte bis zum vollendeten 20.
Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen
medizinischen Massnahmen. Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche
diese Massnahmen gewährt werden (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG). Als
Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 13 IVG gelten Gebrechen, die bei1-11
vollendeter Geburt bestehen (Art. 3 Abs. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der
Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen [GgV; SR 831.232.21]).
Die Geburtsgebrechen sind in der Liste im Anhang zur GgV aufgeführt (Art. 1
Abs. 2 Satz 1 GgV).

3.2. Die Leistungspflicht der Invalidenversicherung bei medizinischen
Massnahmen im Allgemeinen (Art. 12 IVG) und bei Geburtsgebrechen im Besonderen
(Art. 13 IVG) setzt unter anderem voraus, dass die Massnahmen nach bewährter
Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind (Art. 2 Abs. 1 Satz 2
IVV und Art. 2 Abs. 3 GgV; E. 2.1 und 2.2 hievor). Die für den Bereich der
Krankenpflege entwickelte Definition der Wissenschaftlichkeit findet
prinzipiell auch auf die medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung
Anwendung. Eine Vorkehr, welche mangels Wissenschaftlichkeit nicht durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung zu übernehmen ist, kann grundsätzlich
auch nicht als medizinische Massnahme nach Art. 12 oder 13 IVG zu Lasten der
Invalidenversicherung gehen (BGE 123 V 53 E. 2b/cc S. 60 mit Hinweisen; Urteil
8C_590/2011 vom      13. Juni 2012 E. 2.4 mit Hinweisen).

3.3. Der im Erfordernis der medizinischen Wissenschaftlichkeit gemäss Art. 2
Abs. 3 GgV enthaltene Verhältnismässigkeitsgrundsatz beschlägt die Relation
zwischen den Kosten der medizinischen Massnahme einerseits und dem mit der
Eingliederungsmassnahme verfolgten Zweck anderseits (Urteil 8C_664/2014 vom 21.
Mai 2015 E. 2.2). Dieser Aspekt der finanziellen Angemessenheit ist mit dem
Kriterium der Einfachheit gemeint, wogegen die Zweckmässigkeit namentlich
voraussetzt, dass die Massnahme unter medizinischen und praktischen
Gesichtspunkten geeignet ist, bei der versicherten Person zum angestrebten
Erfolg zu führen (Urteil 9C_13/2009 vom 6. Oktober 2009 E. 4, in: SVR 2010 IV
Nr. 10 S. 31; vgl. auch Silvia Bucher, Eingliederungsrecht der
Invalidenversicherung, 2011, S. 173 f. Rz. 274 mit diversen Hinweisen). Eine
rein betragsmässige Begrenzung der notwendigen Massnahme kommt
rechtsprechungsgemäss nur dann in Frage, wenn zwischen der Massnahme und dem
Eingliederungszweck ein derart krasses Missverhältnis bestünde, dass sich die
Übernahme der Eingliederungsmassnahme schlechthin nicht verantworten liesse (
BGE 122 V 377 E. 2b/cc S. 380 mit Hinweis). Zu beachten ist, dass die
Geburtsgebrechen in der Invalidenversicherung eine Sonderstellung einnehmen.
Denn Versicherte können gemäss Art. 8 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1
IVG bis zum vollendeten 20. Altersjahr unabhängig von der Möglichkeit einer
späteren Eingliederung in das Erwerbsleben die zur Behandlung von
Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen Massnahmen beanspruchen.
Eingliederungszweck ist die Behebung oder Milderung der als Folge eines
Geburtsgebrechens eingetretenen Beeinträchtigung (BGE 115 V 202 E. 4e/cc S.
205; Bucher, a.a.O., S. 128 f. Rz. 200 und S. 174 f. Rz. 276, je mit Hinweisen;
Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl.
2014, Rz. 10 zu Art. 13 IVG; Urteil 8C_664/2014 vom 21. Mai 2015 E. 2.2).

4. 

4.1. In Bezug auf die Beurteilung und Qualifikation des Geburtsgebrechens
stützte sich die Beschwerdegegnerin gemäss angefochtenem Entscheid im
Wesentlichen auf die Einschätzungen des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD).
Namens des RAD führten Dres. med. Marlene Brand, Allgemeinmedizinerin, und
Christine Glas, Arbeitsmedizinerin, in ihrer Stellungnahme vom 10. Juli 2014
aus, zusätzlich zum anerkannten Geburtsgebrechen im Sinne von Ziff. 383 GgV
Anhang sei die Anerkennung des Geburtsgebrechens Ziff. 453 GgV Anhang nicht
nötig. Es handle sich dabei um die gleiche Erkrankung. Der Rechtsdienst solle
entscheiden, ob die SZT von der Invalidenversicherung zu übernehmen sei. Dies
sei keine medizinische Frage. Medizinische Fragen seien angesichts der
Komplexität direkt an das Kinderspital C.________ zu richten.

4.2. Demgegenüber befürworteten der Leitende Arzt SZT, PD Dr. med. D.________,
und die Abteilungsleiterin Neurologie, Prof. Dr. med. E.________, beide vom
Kinderspital C.________, nicht nur die Anerkennung der angeborenen Störung des
Fett- und Lipoprotein-Stoffwechsels (autosomal rezessive Leukodystrophie) als
Geburtsgebrechen im Sinne von Ziff. 453 GgV Anhang, sondern auch die Übernahme
der medizinischen Behandlung dieses Leidens mittels allogener
Blutstammzellentransplantation durch die Invalidenversicherung. Diese
Behandlung sei insbesondere bei der X-chromosomal gebundenen
Adrenoleukodystrophie (X-ALD) eine etablierte Therapie, welche die sonst
üblicherweise progressiv und tödlich verlaufende Krankheit zum Stillstand
bringe, wobei die behandelnden Ärzte des Kinderspitals C.________ auf eine
wissenschaftliche Studie der American Society of Hematology verwiesen.

4.3. Gemäss Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheides wies das
kantonale Gericht die Sache zur Klärung der Frage, ob nur das bisher anerkannte
Geburtsgebrechen Ziff. 383 GgV Anhang oder zusätzlich auch das Geburtsgebrechen
Ziff. 453 GgV Anhang oder doch nur eines von diesen beiden gegeben sei, an die
IV-Stelle zurück (vgl. E. 1.1 hievor). Es stellte fest, dass die medizinischen
Einschätzungen gemäss RAD-ärztlicher Beurteilung diesbezüglich nicht
nachvollziehbar seien, und veranlasste die Beschwerdegegnerin im Rahmen der
Rückweisung, durch externe fachärztliche Beurteilung die medizinische Frage
nach dem oder den zutreffenden Geburtsgebrechen zuverlässig zu klären.

4.4. Ist bei gegebener Aktenlage laut vorinstanzlichem Rückweisungsentscheid
(Dispositiv-Ziffer 1) in tatsächlicher Hinsicht nicht zuverlässig feststellbar,
an welchem konkreten Geburtsgebrechen die Beschwerdeführerin leidet, erscheint
es verfrüht, gleichzeitig in einem Teil-Endentscheid (Dispositiv-Ziffer 2)
abschliessend über die Wissenschaftlichkeit, Einfachheit und Zweckmässigkeit
(Art. 2 Abs. 1 IVV, Art. 2 Abs. 3 GgV) der im Streit liegenden
Behandlungsmethode zu entscheiden. Dass es sich bei der ausserordentlich
seltenen Ausprägung des Leidens ("Ultra Orphan Disease"; vgl. Urteil 9C_572/
2013 vom 27. November 2013 E. 4.2) der Beschwerdeführerin um eine seltene
Krankheit mit tödlichem Verlauf oder schweren chronischen gesundheitlichen
Problemen handelt und keine andere wirksame Behandlungsmethode vorliegt, steht
fest und ist unbestritten. Ob deshalb in Bezug auf die strittige Übernahme der
SZT durch die Invalidenversicherung die "Orphan Drug"-Rechtsprechung (BGE 139 V
375) analog anwendbar ist, kann hier offen bleiben. Soweit das kantonale
Gericht einen hohen therapeutischen Nutzen der SZT bei gegebener Aktenlage
verneint hat, steht diese Auffassung zumindest im Widerspruch zur Stellungnahme
der Beschwerdeführerin vom 29. Februar 2016 betreffend Vernehmlassung des BSV
vom 4. Februar 2016. Demnach ist ein Behandlungserfolg der SZT nach
fachärztlicher Überzeugung entgegen dem BSV grundsätzlich erst mit einer Latenz
von sechs bis zwölf Monaten beurteilbar. Zudem habe diese Behandlung die zuvor
progressive Grunderkrankung bei der Beschwerdeführerin nach knapp zwei Jahren
tatsächlich zum Stillstand gebracht. Auch die Verneinung der
Wissenschaftlichkeit der SZT bei angeborenen Stoffwechselstörungen scheint auf
einer bei Erlass des angefochtenen Entscheides unvollständigen Abklärung des
medizin-wissenschaftlichen Kenntnisstandes zu beruhen. Zumindest legten die
behandelnden Spezialärzte im vorinstanzlichen Verfahren nachvollziehbar dar,
dass die ausserordentlich seltene Stoffwechselerkrankung der Beschwerdeführerin
zu demselben Formenkreis der peroxisomalen Erkrankungen gehöre wie die weniger
seltene X-ALD, bei welcher die SZT auf Grund der Häufigkeit dieser Erkrankung
eine weltweit etablierte Therapieform darstelle. Das bei der Beschwerdeführerin
angewendete Therapiekonzept basiere auf einer internationalen Expertenmeinung.
Die Ablehnung der Übernahme der SZT hätte für die Beschwerdeführerin einen
Behandlungsnachteil zur Folge, welcher allein auf der ausserordentlichen
Seltenheit ihrer Krankheit beruhe.

4.5. Angesichts des Ersuchens der RAD-Ärztinnen in ihrer Stellungnahme vom 10.
Juli 2014, auf Grund der Komplexität der Sachlage seien allfällige medizinische
Fragen direkt den zuständigen spezialisierten Fachärzten des Kinderspitals
C.________ zu unterbreiten, und weil die IV-Stelle in der Folge vor Erlass der
strittigen Verfügungen vom 26., 27. und 28. Januar 2015 soweit ersichtlich -
entgegen von Art. 43 Abs. 1 ATSG - keine entsprechende Abklärungen tätigte,
rechtfertigt es sich, die Beschwerdegegnerin in Anwendung von Art. 45 Abs. 1
ATSG antragsgemäss zur Kostentragung der fachärztlichen Stellungnahme des
Kinderspitals C.________ vom 13. Februar 2015 zu verpflichten. Zu Recht weist
die Beschwerdeführerin diesbezüglich auf die Widersprüchlichkeit des
angefochtenen Entscheides hin. Denn einerseits sollen die nicht von der
IV-Stelle veranlassten Berichte der spezialisierten Fachärzte des Kinderspitals
C.________ für die Vorinstanz angeblich nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Andererseits erachtete das kantonale Gericht selber die medizinische Aktenlage
für unvollständig, weshalb es die Beschwerdegegnerin zur Einholung einer
externen fachärztlichen Beurteilung zwecks Klärung des medizinischen
Sachverhalts verpflichtete.

4.6. Nach dem Gesagten ist folglich die abschliessende vorinstanzliche
Bestätigung der Verneinung einer Leistungspflicht für die SZT mit
Folgebehandlungen gemäss den Verfügungen vom 26. und 28. Januar 2015
aufzuheben. Die IV-Stelle wird nach Ergänzung der medizinischen Aktenlage auch
über die Kostenübernahme dieser medizinischen Behandlungsmassnahmen -
insbesondere der im Januar 2014 durchgeführten SZT - des konkret festgestellten
Geburtsgebrechens neu zu befinden haben.

5.

5.1. Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung oder an die Vorinstanz zu
erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als
vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende
Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1
S. 235; Urteil 8C_671/2007 vom 13. Juni 2008 E. 4.1).

5.2. Demgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 2 BGG). Ein Anspruch des durch das BSV handelnden Bundes auf
Parteientschädigung besteht nicht (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 2 bis 4 des
Entscheides des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 13. Oktober 2015
und die Verfügungen der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 26. und 28. Januar
2015 werden aufgehoben. Die Sache wird diesbezüglich zu neuer Verfügung an die
IV-Stelle des Kantons Aargau zurückgewiesen. Die Beschwerdegegnerin hat die
Kosten der fachärztlichen Stellungnahme des Kinderspitals C.________ vom 13.
Februar 2015 zu tragen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. April 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Hochuli

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