Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.859/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_859/2015

Urteil vom 7. Juni 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft,
Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

A.________,
vertreten durch DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 14. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1963 geborene A.________ ist Mutter zweier Kinder (Jahrgang 1991 und
1996) und arbeitete zuletzt von Dezember 1994 bis Juli 1997 als Kundenberaterin
bei der Firma B.________. Am 29. August 1997 meldete sie sich wegen
Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zu beruflichen Massnahmen an.
Mit Verfügung vom 30. März 1999 lehnte die IV-Stelle des Kantons Aargau
berufliche Massnahmen ab, während sie mit Verfügung vom 15. Juni 1999 ihr bei
einem Invaliditätsgrad von 62 % eine halbe Invalidenrente ab 1. Juni 1997
zusprach. Der Anspruch auf eine halbe Rente wurde revisionsweise in den Jahren
2003, 2004 und 2006 bestätigt. Anlässlich eines Revisionsverfahrens im Jahr
2009 veranlasste die Verwaltung eine bidisziplinäre Begutachtung. Gestützt auf
das Gutachten der Dres. med. C.________, Facharzt FMH für Rheumatologie und
Facharzt FMH für Innere Medizin, und D.________, Facharzt FMH für Psychiatrie
und Psychotherapie, vom 24. September 2010 hob die IV-Stelle ihre Verfügung vom
15. Juni 1999 wiedererwägungsweise auf (Verfügung vom 30. März 2011). Die
dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
mit Entscheid vom 13. Februar 2013 ab. Das Bundesgericht hiess die hiergegen
geführte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 8C_261
/2013 vom 10. September 2013 teilweise gut, indem es den Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 13. Februar 2013 und die Verfügung
der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 30. März 2011 aufhob und die Sache zu
weiteren Abklärungen und zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurückwies.

A.b. Die IV-Stelle verneinte den Anspruch auf eine Invalidenrente mit neuer
Begründung gestützt auf die am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen
Schlussbestimmungen zur 6. IV-Revision (erstes Massnahmenpaket) und hob die
bisher ausgerichtete halbe Invalidenrente auf Ende des der Zustellung folgenden
Monats auf (Verfügung vom 25. August 2014).

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die von A.________ dagegen
eingereichte Beschwerde teilweise gut, hob die Renteneinstellungsverfügung vom
25. August 2014 auf und verpflichtete die IV-Stelle zur Weiterausrichtung der
halben Invalidenrente über Ende September 2014 hinaus (Entscheid vom 14.
Oktober 2015).

C. 
Die Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Allianz) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, in Nachachtung des bundesgerichtlichen Urteils
8C_261/2013 vom 10. September 2013 sei die Sache zur weiteren Abklärung des
Sachverhalts und zur Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
A.________, die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten
auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Weil die Vorsorgeeinrichtung grundsätzlich an die Invaliditätsbemessung
der Invalidenversicherung gebunden ist, ist die vorinstanzlich beigeladene
Pensionskasse zur Beschwerde gegen den kantonalen Entscheid legitimiert, mit
welchem der (auch bei ihr) Versicherten weiterhin eine IV-Rente zugesprochen
wurde (Art. 89 Abs. 1 BGG; Art. 49 Abs. 4 ATSG; BGE 134 V 153 E. 5.2 S. 156;
132 V 1 E. 3.3.1 S. 5).

1.2. Dass die Pensionskasse ein rein kassatorisches Rechtsbegehren stellt,
schadet nicht. Das Bundesgericht hätte ohnehin nicht reformatorisch entschieden
(MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N.
2a und 7 zu Art. 107 BGG; BGE 136 V 131 E. 1.2 S. 135). Der Rückweisungsantrag
ist daher zulässig.

2.

2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu
Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Dagegen ist
die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach
Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil
8C_670/2011 vom 10. Februar 2012 E. 3.2 mit Hinweis).

3.

3.1. Streitig ist der Rentenanspruch über Ende September 2014 hinaus. Die
Vorinstanz verneinte die Rechtmässigkeit einer Rentenaufhebung gestützt auf
lit. a der Schlussbestimmungen zur 6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket. Dies
wird von der Allianz nicht gerügt, weshalb nicht näher darauf einzugehen ist.

3.2. Die Beschwerdeführerin wendet hingegen ein, die Vorinstanz habe in
Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes den Sachverhalt offensichtlich
unzureichend abgeklärt und die Bestimmungen über die Revision einer Rente nach
Art. 17 ATSG verletzt, indem sie in Nachachtung des bundesgerichtlichen Urteils
vom 10. September 2013 die darin namentlich bezüglich der Tätigkeit als
Tagesmutter geforderten weiteren Abklärungen von der IV-Stelle nicht vornehmen
liess, bzw. nicht selber an die Hand nahm.

3.3. Das kantonale Gericht prüfte die Voraussetzungen einer Rentenrevision nach
Art. 17 ATSG im angefochtenen Entscheid nicht mehr, nachdem es in seinem
Entscheid vom 13. Februar 2013 einen Revisionsgrund darin gesehen hatte, dass
die Versicherte im August 2010 eine Tätigkeit als Tagesmutter im Umfang von
vier Tagen pro Woche aufgenommen habe, woraus sich eine um 20-30 % gesteigerte
Arbeitsfähigkeit ergäbe.

3.4.

3.4.1. Das Rückweisungsurteil des Bundesgerichts vom 10. September 2013
qualifizierte den Sachverhalt bezüglich der im Jahr 2009 eingeleiteten
Rentenrevision als ungenügend abgeklärt. In Bezug auf eine revisionsweise
Aufhebung der Rente hielt das Bundesgericht fest, das Gutachten der Dres. med.
C.________ und D.________ vom 24. September 2010 halte zwar keine Verbesserung
des Gesundheitszustands fest. Dies schliesse aber eine revisionsrechtlich
relevante, erhebliche Steigerung des tatsächlichen Leistungsvermögens
(Arbeitsfähigkeit) - sei es aufgrund eines objektiv geminderten Schweregrades
ein- und desselben Leidens, sei es aufgrund einer verbesserten Leidensanpassung
der versicherten Person - nicht aus. Indem die Vorinstanz einen Revisionsgrund
wegen verbesserter Anpassung an ihr Leiden bejaht habe, würden die Tatsachen,
auf welche sie diese Begründung gestützt habe, eine erhebliche rechtliche
Bedeutung erlangen. Da namentlich der zeitliche Umfang der Tätigkeit als
Tagesmutter und die daraus resultierende Einkommenshöhe unklar seien, könne aus
dem ungenügend erstellten Sachverhalt nicht auf ein verbessertes
Leistungsvermögen geschlossen werden. Die Sache wurde zur Abklärung der
tatsächlichen Verhältnisse und anschliessender neuer Verfügung an die IV-Stelle
zurückgewiesen.

3.4.2. Die Verwaltung ist an die Vorgaben in einem Rückweisungsentscheid eines
Gerichts gebunden. Vorbehalten bleibt der Fall, dass ein im Rahmen der
ergänzenden Abklärung sich neu ergebendes Beurteilungselement weitere
Beweiserhebungen als überflüssig erscheinen lässt (Urteil 9C_522/2007 vom 17.
Juni 2008 E. 3.1 und 3.3.1).

3.4.3.

3.4.4. Die IV-Stelle hatte die Vorgaben gemäss Bundesgerichtsurteil vom 10.
September 2013 zu befolgen und durfte auf die Durchführung der darin
angeordneten Beweismassnahmen grundsätzlich nicht verzichten. Das hat sie auch
insoweit nicht getan, als sie die Rechtsvertreterin der Versicherten um Angaben
bezüglich des Umfangs der Tätigkeit als Tagesmutter und der daraus erzielten
Einkommenshöhe bat (Schreiben der IV-Stelle vom 11. Oktober 2013 und
Antwortschreiben vom 18. Oktober 2013). Ferner holte sie einen Auszug aus dem
individuellen Konto vom 21. Oktober 2013, eine Abschrift der Steuerveranlagung
der Jahre 2010 bis 2012 sowie einen Verlaufsbericht bei Dr. med. E.________,
FMH für Allgemeinmedizin, vom 6. Februar 2014 ein. In ihrer Verfügung vom 25.
August 2014 hielt die IV-Stelle fest, aufgrund der Aufhebung der laufenden
Rente gestützt auf die Schlussbestimmungen könne die effektive erwerbliche
Situation ausser Acht gelassen werden. Damit hat die IV-Stelle, und im
Anschluss daran das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid, entgegen dem
im Bundesgerichtsurteil vom 10. September 2013 Angeordneten, die erhobenen
Beweise aber nicht gewürdigt und gestützt darauf neu entschieden, ob ein
Revisionsgrund wegen einer rentenrelevanten Verbesserung der Arbeitsfähigkeit
aufgrund einer Angewöhnung oder Anpassung an die Behinderung vorliegt oder
nicht (BGE 133 V 545 E. 6.1 S. 546; Urteil 8C_624/2011 vom 2. November 2011 E.
2). Die Vorinstanz hat die Vorgehensweise der IV-Stelle geschützt, ohne
triftige Gründe anzugeben, weshalb sie einen Revisionsgrund nach Art. 17 ATSG
nicht mehr als gegeben erachtete. Dies verstösst gegen Bundesrecht. Aufgrund
des Zeitablaufs zwischen der letzten Begutachtung im September 2010 und der
neuen Verfügung am 25. August 2014 und des Umstands, dass die Versicherte
gegenüber Dr. med. E.________ angab, sie habe tagsüber kaum Schmerzen
(Verlaufsbericht vom 6. Februar 2014) liegt nunmehr der Fokus nicht einzig auf
der erwerblichen Seite. Vielmehr lässt sich fragen, ob im massgeblichen
Zeitraum eine erhebliche Besserung des Gesundheitszustandes der Versicherten
aus medizinischer Sicht - in Form einer verbesserten Anpassung an das
Schmerzgeschehen (Urteil 8C_269/2015 vom 18. August 2015 E. 3.2 mit weiteren
Hinweisen) - mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit überwiegend
wahrscheinlich ist, welche eine Revision der Rente rechtfertigen würde. Liegt
eine erhebliche Änderung des Sachverhalts vor, ist der Rentenanspruch in
rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht allseitig, d.h. unter Berücksichtigung
des gesamten für die Leistungsberechtigung ausschlaggebenden
Tatsachenspektrums, zu prüfen (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f.). Die Sache ist
demnach nochmals an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie das Nötige vorkehre
und hernach über den Rentenanspruch unter dem Blickwinkel der Rentenrevision
nach Art. 17 ATSG neu entscheide.

4. 
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin und der Versicherten je zur Hälfte aufzuerlegen. Als mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation hat die obsiegende
Pensionskasse keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; BGE
128 V 124 E. 5b S. 133).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 14. Oktober 2015 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons
Aargau vom 25. August 2014 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin und der
Versicherten je zur Hälfte auferlegt.

3. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, A.________, dem Versicherungsgericht des
Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 7. Juni 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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