Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.76/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_76/2015

Urteil vom 2. September 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 10. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1955 geborene A.________ arbeitete bis Juli 2004 als Teilzeitverkäuferin.
Am 13. Juli 2005 meldete sie sich bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 14. November 2005 bzw. Einspracheentscheid
vom 13. Juli 2006 verneinte diese einen Leistungsanspruch (Invaliditätsgrad 0
%). Am 29. April 2010 meldete sich die Versicherte bei der IV-Stelle erneut zum
Leistungsbezug an. Diese holte diverse Arztberichte ein. Vom 13. Juli bis 2.
Oktober 2010 arbeitete die Versicherte teilzeitlich als Verkäuferin in einer
Buchhandlung. Am 18. Oktober 2010 gewährte ihr die IV-Stelle ein Jobcoaching.
Vom 31. Januar bis 4. September 2011 fand ein Aufbautraining in der B.________,
Kaufmännische Praxisfirma, statt. Ab 1. März 2012 wurde die Versicherte zu 35 %
in der Stiftung C.________ angestellt. Am 16. März 2012 schloss die IV-Stelle
die berufliche Eingliederung ab. Mit Verfügung vom 5. Dezember 2012 verneinte
sie den Anspruch auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente.

B. 
Die gegen die letztgenannte Verfügung erhobene Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 10. Dezember 2014
ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids seien ihr ab wann rechtens die gesetzlichen IV-Leistungen nach
Massgabe einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 50 % plus 5 % Verzugszins
auszurichten; eventuell sei die Vorinstanz anzuweisen, eine interdisziplinäre
Begutachtung (psychiatrischer und rheumatologischer Fachrichtung)
durchzuführen, dies bei gleichzeitiger Durchführung aktueller Analyse- und
Testverfahren, inkl. der Beantwortung des ADP-IV-Fragebogens 2007/2008 zur
Validierung von Persönlichkeitsstörungen und einer aktuellen DEXA-Analyse zur
Bestimmung der Knochendichte; subeventuell sei eine Rückweisung an die
IV-Stelle zur erneuten interdisziplinären Begutachtung vorzunehmen, dies unter
Beachtung der Mitwirkungsrechte nach BGE 137 V 210 und bei vorgängiger Einigung
über die Gutachterstelle durch die Parteien, und bei fehlender Einigung durch
Anwendung des Zufallsverfahrens und unter Einhaltung der Qualitätsrichtlinien
für psychiatrische Gutachten in der IV vom Februar 2012; es seien die Akten des
vor Bundesgericht hängigen Verfahrens 8C_20/2015 beizuziehen und es sei ein
Schriftenwechsel anzuordnen, wobei die Vorinstanz zur Stellungnahme
aufzufordern sei, aus welchen Gründen gemäss ihrer Praxis bei der
revisionsweisen Überprüfung einer bestehenden Rente bereits geringste
Anhaltspunkte für eine Veränderung des Gesundheitszustandes in den Aussagen
eines behandelnden Arztes eine neue Begutachtung erforderlich machten, nicht
jedoch, wenn es um die Neuanmeldung zum Leistungsbezug gehe.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Am 24. August 2015
reicht die Versicherte eine Stellungnahme ein.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2
BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen
sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (vgl. E. 2 hienach). Die aufgrund dieser Berichte
festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit und die konkrete
Beweiswürdigung sind Sachverhaltsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht
publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009 IV Nr. 53 S.
164 [9C_204/2009]).

2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über die beruflichen Massnahmen (Art. 8 Abs.
1 und 3, Art. 18 Abs. 1 IVG), die Invalidenrente (Art. 28 IVG), die bei der
Neuanmeldung analog anwendbaren Revisionsregeln (Art. 17 ATSG; Art. 87 Abs. 2
f. IVV; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132, 117 V 198 E. 3a), den Untersuchungsgrundsatz
und die freie Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) sowie den Beweiswert von
Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a S. 352) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Die Versicherte legt neu eine Kündigung der Buchhandlung D.________ vom
24. September 2010 und einen Bericht der Frau Dr. med. E.________, Innere
Medizin und Rheumatologie FMH Manuelle Medizin SAMM, vom 13. Juli 2012 auf. Sie
legt jedoch nicht dar, dass ihr deren vorinstanzliche Beibringung trotz
hinreichender Sorgfalt prozessual unmöglich bzw. objektiv unzumutbar war. Diese
Akten sind somit unbeachtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG; nicht publ. E. 1.3 des
Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ Nr. 3 S. 7 [8C_690/2011]; ARV 2014 S. 226
E. 4 [8C_211/2014]).

3.2. Die Versicherte reicht weiter folgende Akten ein: Berichte der Frau Dr.
med. E.________ vom 5. Januar 2015 und 13. Juni 2015, ein Aufgebot zur
medizinischen Beurteilung der L.________ Gesundheitsorganisation, vom 22. April
2015, ein Gutachten des Psychiaters Dr. med. F.________ vom 13. Mai 2015, ein
Schreiben der M.________, vom 7. Juli 2015, eine Kündigung der Stiftung
C.________ vom 8. Juli 2015 und ein Schreiben der N.________, vom 7. August
2015. Die IV-Stelle legt eine Stellungnahme des Dr. med. G.________, Facharzt
Allgemeine Medizin FMH, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD), vom 26. Juni 2015
vor. Diese Akten sind angesichts des angefochtenen Entscheids vom 10. Dezember
2014 allesamt unzulässige echte Noven (BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123).

3.3. Soweit die Versicherte neu die allgemein zugänglichen Leitlinien der
Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie für die Begutachtung
psychischer Störungen (Schweizerische Ärztezeitung 2004, S. 1048 ff.) auflegt,
ist dies zulässig (nicht publ. E. 2.3 des Urteils BGE 136 V 395, in SVR 2011 KV
Nr. 5 S. 20 [9C_334/2010]).

4. 
Im Rahmen des leistungsablehnenden Einspracheentscheids vom 13. Juli 2006
wurden eine internistisch-rheumatologische Expertise des Dr. med. H.________
vom 7. November 2005 und eine psychiatrische Expertise Dr. med. I.________ vom
28. März 2006 eingeholt. Die IV-Stelle ging davon aus, aus psychiatrischer
Sicht sei die Versicherte zu 25 % eingeschränkt; rheumatologisch bestehe
insoweit eine Einschränkung, als sie keine schwere körperliche Tätigkeit mehr
ausüben sollte. Demnach sei ihr die angestammte Erwerbstätigkeit als
Textilverkäuferin noch zu 75 % zumutbar. Sie würde einer 60%igen
ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen, weshalb der Invaliditätsgrad im
ausserhäuslichen Bereich 0 % betrage.

5.

5.1. Die behandelnde Rheumatologin Frau Dr. med. E.________ stellte im Bericht
vom 3. Februar 2012 folgende Diagnose mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:
Chronifizierte überlastungs- und fehlbelastungsbedingte Schmerzen im
Schultergürtel und lumbosakral. Weiter führte sie aus, als Verkäuferin sei die
Versicherte ab Oktober 2010 zu 50 % arbeitsunfähig. Wechselbelastende
Tätigkeiten mit leichter körperlicher Belastung seien vier bis fünf Stunden pro
Tag zumutbar. Inzwischen habe die Versicherte eine geeignetere
wechselbelastende Tatigkeit gefunden; eine 50%ige Arbeitsfähigkeit sollte ohne
weiteres gehalten werden können. Im Zeugnis vom 9. Januar 2013 attestierte Frau
Dr. med. E.________ eine 65%ige Arbeitsunfähigkeit seit 1. Januar bis 31.
Dezember 2012. Im von der Versicherten veranlassten Gutachten vom 12. Dezember
2013 ging sie längerfristig von einer 50-60%igen medizinisch-theoretischen
Einschränkung aus.

5.2. Aufgrund dieser Angaben der Frau Dr. med. E.________ hat sich die
Arbeitsfähigkeit der Versicherten seit dem Einspracheentscheid vom 13. Juli
2006 bis zur streitigen Verfügung vom 5. Dezember 2012 in somatischer Hinsicht
erheblich verschlechtert (E. 4 hievor).

Diesbezüglich führte die Vorinstanz im Wesentlichen aus (1 S. 24 E. 9.3), der
rheumatologische Gesundheitszustand habe sich bezüglich der
Osteochondrose-Werte leicht verschlechtert, wie sich aus der Aktenstellungnahme
des RAD-Arztes Dr. med. G.________ vom 12. Oktober 2012 ergebe. Dieser verweise
betreffend die Problematik der Vergleichbarkeit von Messwerten verschiedener
Messmethoden auf die Ausführungen des Dr. med. H.________ aus dem Jahre 2005
und halte fest, die geringgradige Osteoporose der LWS vermöge keinesfalls das
geklagte Beschwerdebild zu erklären und begründe daher auch keinen Einfluss auf
die Arbeitseinschränkung. Betreffend die Osteochondrose/Osteopenie sei seit dem
Gutachten des Dr. med. H.________ vom 7. November 2005 keine wesentliche
Veränderung eingetreten. Hierzu ist festzuhalten, dass auch Frau Dr. med.
E.________ dieser Pathologie im Bericht vom 3. Februar 2012 keine Auswirkung
auf die Arbeitsfähigkeit beimass. Als einschränkend erachtete sie
chronifizierte überlastungs- und fehlbelastungsbedingte Schmerzen im
Schultergürtel und lumbosakral, wobei sie von Fehlhaltung und leichtgradiger
Fehlform der Wirbelsäule ausging (rechtskonvexe Skoliose der BWS,
Hyperkyphosierung). Entgegen der Vorinstanz kann eine diesbezügliche
Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit nicht mit dem Hinweis auf fehlende
Veränderungen der radiologischen und klinischen Untersuchungsergebnisse bzw.
auf die blossen Aktenstellungnahmen des Dr. med. G.________ vom 25. Mai und 12.
Oktober 2012 verneint werden. Denn seine Einschätzung überzeugt insofern nicht,
als er bei gleichbleibendem Gesundheitszustand der Versicherten seit 2005 von
einer 100%igen Arbeitsfähigkeit für jede Tätigkeit ausging, obwohl Dr. med.
H.________ im Gutachten vom 7. November 2005 bloss leicht- bis mässiggradig
körperlich belastende Arbeiten an einem klimatisierten Arbeitsplatz, mit der
Möglichkeit zum Wechseln zwischen sitzender, stehender und gehender
Körperhaltung, als zumutbar erachtete.

6.

6.1. Der behandelnde Psychiater Dr. med. J.________ stellte im Bericht vom 27.
Februar 2012 folgende Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit:
Invalidisierende Neurasthenie (ICD-10 F48.0); rezidivierende Ängste und
wiederholte depressive Episoden (im Vergleich zu eigentlichen depressiven
Episoden weniger markant); anamnestisch Ess-/Brechsucht während zweier Jahre
(ca. 1976), damals ohne Gewichtsabnahme; anamnestisch ausgeprägtes
Erschöpfungssyndrom (mit Gewichtsabnahme bis auf 36 kg während
Klinikaufenthalt); abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (ICD F60.7)
mit deutlicher Selbstunsicherheit. Die medizinisch-theoretische
Arbeitsunfähigkeit betrage 50 bis 70 % mit Erfordernis der Halbtagsarbeit (d.h.
Verteilung des Arbeitsanfalls auf 5 Tage). Am 28. November 2014 legte Dr. med.
J.________ dar, entgegen dem Allgemeinmediziner Dr. med. G.________ sei gerade
die abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung der Invaliditätsgrund. Sein
Bericht vom 27. Februar 2012 sei unverändert gültig.

6.2. Die Vorinstanz erwog, bereits Dr. med. I.________ habe am 28. März 2006
eine Neurasthenie (ICD-10 F48.0) diagnostiziert. Grundsätzlich würde sich nun
die Frage der Überwindbarkeit nach der Praxis zu den somatoformen
Schmerzstörungen stellen. Da Dr. med. J.________ aber in Bezug auf die
Neurasthenie dieselben Symptome wie Dr. med. I.________ aufgeführt habe und
dabei von einem unveränderten bis gar gebesserten Zustand gesprochen habe, sei
jedenfalls nicht von einer Verschlechterung auszugehen. Die weitere Diagnose
des Dr. med. J.________ - rezidivierende Ängste und wiederholte depressive
Episoden sowie eine Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F60.7 - könne nicht ohne
Weiteres nachvollzogen werden. Denn bereits der Psychiater Dr. med. I.________
habe im Gutachten vom 28. März 2006 eine Persönlichkeitsstörung der
Versicherten verneint. Dr. med. J.________ habe am 27. Februar 2012
festgehalten, ihr Gesundheitszustand habe sich im Rahmen der intensiven
beruflichen Massnahmen etwas gebessert und stabilisiert; zudem habe er die von
Dr. med. I.________ festgestellte "belle indifférence" nicht beobachten können.
Gestützt hierauf sei von einem gleichbleibenden bzw. sogar leicht verbesserten,
jedenfalls aber nicht erheblich verschlechterten psychischen Gesundheitszustand
auszugehen. Die Stellungnahme des Dr. med. J.________ vom 28. November 2014,
worin er die abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung als invalidisierend
eingestuft habe, vermöge hieran nichts zu ändern; denn er habe sich mit dieser
Diagnose nicht substanziiert bezogen auf den konkreten Fall auseinandergesetzt
und auch keine Einschätzung betreffend deren Verlauf abgegeben.

6.3. Entgegen der Vorinstanz ging Dr. med. J.________ am 27. Februar 2012 mit
der zusätzlichen Diagnose der Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F60.7 und der
Angabe einer 50-70%igen Arbeitsunfähigkeit von einer Verschlechterung seit dem
Gutachten des Dr. med. I.________ vom 28. März 2006 aus. Diese von Dr. med.
J.________ gestellte Diagnose kann nicht ohne zusätzliche fachärztliche Klärung
verneint werden (nicht publ. E. 4.2.2 des Urteils BGE 138 V 339, in SVR 2012 IV
Nr. 56 S. 200 [9C_302/2012]). Soweit die Vorinstanz ausführte, gemäss der
Stellungnahme des Dr. med. G.________ vom 12. Oktober 2012 habe sich die
psychische Situation der Versicherten zwischen 2006 und 2012 nicht verändert,
fehlt ihm in psychiatrischer Hinsicht die Fachkompetenz.

Die weiter diagnostizierte Neurasthenie ist den somatoformen Störungen
zuzurechnen (BGE 140 V 8 E. 2.2.1.3 S. 14; SVR 2011 IV Nr. 26 S. 73 E. 2.3
[9C_662/2009]). Das Bundesgericht hat mit Urteil BGE 9C_492/2014 vom 3. Juni
2015 - auf das sich nunmehr auch die Versicherte beruft - seine Rechtsprechung
zu den Voraussetzungen, unter denen anhaltende somatoforme Schmerzstörungen und
vergleichbare psychosomatische Leiden eine rentenbegründende Invalidität zu
bewirken vermögen, grundlegend überdacht und teilweise geändert. Deshalb ist zu
prüfen, welche Auswirkungen sich dadurch auf den hier zu beurteilenden Fall
ergeben (zur Anwendbarkeit einer Rechtsprechungsänderung auf laufende Verfahren
vgl. BGE 137 V 210 E. 6 S. 266; Urteil 9C_899/2014 vom 29. Juni 2015 E. 2.2,
zusammengefasst in SZS 2015 S. 385). Anstelle des bisherigen Regel/
Ausnahme-Modells tritt ein strukturierter, normativer Prüfraster. In dessen
Rahmen wird im Regelfall anhand von auf den funktionellen Schweregrad bezogenen
Standardindikatoren das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen der
versicherten Person ergebnisoffen und symmetrisch beurteilt, indem
gleichermassen den äusseren Belastungsfaktoren wie den vorhandenen Ressourcen
Rechnung getragen wird (BGE 9C_492/2014 E. 4 und 6; Urteil 9C_899/2014 E. 3.1).
Vorliegend erlauben die vorhandenen psychiatrischen Akten keine schlüssige
Beurteilung im Lichte der nunmehr massgeblichen Beurteilungsindikatoren (vgl.
BGE 9C_492/2014 E. 8).

7. 
Nach dem Gesagten bestehen zumindest geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und
Schlüssigkeit der Aktenstellungnahmen des versicherungsinternen Arztes Dr. med.
G.________ vom 25. Mai und 12. Oktober 2012. Hierauf kann somit nicht
abgestellt werden (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229). Den vorinstanzlichen
Erwägungen in psychischer Hinsicht kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Die
Angaben der behandelnden Ärzte Dres. med. K.________, E.________ und J.________
können nicht als alleinige Beurteilungsgrundlage dienen (BGE 135 V 465 E. 4.5
S. 470 f.). Demnach ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie -
nach den Vorgaben zur Einholung von Gutachten bei den Medizinischen
Abklärungsstellen (MEDAS; BGE 8C_690/2014 vom 4. Mai 2015 E. 3.2 mit Hinweisen)
- ein interdisziplinäres Gerichtsgutachten einhole und gestützt hierauf neu
entscheide.

Soweit die Versicherte die Durchführung von Analyse- und Testverfahren sowie
die Einhaltung von Qualitätsleitlinien verlangt (vgl. Sachverhalt lit. C
hievor), ist festzuhalten, dass es grundsätzlich den Gutachterpersonen
überlassen ist, über Art und Umfang der aufgrund der konkreten Fragestellung
erforderlichen Untersuchungen zu befinden. Das Gericht wird alsdann zu prüfen
haben, ob das Gutachten die praxisgemässen Anforderungen an eine medizinische
Beurteilungsgrundlage erfüllt (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; Urteil 8C_516/2014
vom 6. Januar 2015 E. 6.2).

8. 
Bei diesem Verfahrensausgang braucht nicht geprüft zu werden, ob IV-Stelle und
Vorinstanz weitere Rechtsverletzungen begangen haben (vgl. auch Urteil 8C_817/
2014 vom 27. April 2015 E. 5).

9. 
Die unterliegende IV-Stelle trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68
Abs. 2 BGG; BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 10. Dezember 2014 wird
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. September 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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