Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.757/2015
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_757/2015

Urteil vom 14. Dezember 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 31. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene A.________ war als Chauffeur bei der B.________ AG tätig
gewesen und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Seit 2002 erlitt er mehrere
Unfälle, wofür die SUVA ihre Leistungspflicht anerkannte. Mit Verfügung vom 23.
September 2011 verneinte sie den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Mit
Verfügung vom 15. November 2013 reduzierte sie einen verfügungsweise am 30.
September 2008 bei einem Invaliditätsgrad von 26 auf 30 % erhöhten Anspruch auf
Invalidenrente wiederum auf einen Rentenanspruch auf der Grundlage eines
Invaliditätsgrades von 26 % und forderte zu viel entrichtete Rentenleistungen
für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 30. November 2013 zurück. Dies bestätigte
die SUVA mit Einspracheentscheid vom 24. Januar 2014.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat, wobei es auf die von A.________
beantragte öffentliche Verhandlung verzichtete (Entscheid vom 31. August 2015).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt unter anderem erneut die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung
und ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die SUVA beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit überhaupt darauf
einzutreten sei. Das kantonale Gericht nimmt Stellung zur Frage, ob eine
öffentliche Verhandlung durchzuführen sei. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt in formeller Hinsicht eine Verletzung von Art. 6
Ziff. 1 EMRK, weil das kantonale Gericht trotz seinem in der vorinstanzlichen
Beschwerde klar formulierten Antrag, eine öffentliche Parteiverhandlung
durchzuführen, hierauf verzichtet habe.

1.2. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache
in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem
unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das
über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die
Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden
hat. Vorliegend sind zivilrechtliche Ansprüche im Sinne dieser Norm streitig (
BGE 122 V 47 E. 2a S. 50). Das kantonale Gericht, welchem es primär obliegt,
die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281;
122 V 47 E. 3 S. 54), hat bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen
Parteiantrages grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (BGE
136 I 279 E. 1 S. 281; 122 V 47 E. 3, 3a und b S. 54 ff.). Ein während des
ordentlichen Schriftenwechsels gestellter Antrag gilt dabei als rechtzeitig (
BGE 134 I 331).

1.3. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann dann
abgewichen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf
eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der
Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar
rechtsmissbräuchlich ist. Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung
mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde
offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist. Als weiteres Motiv für die
Verweigerung einer beantragten öffentlichen Verhandlung fällt die hohe
Technizität der zur Diskussion stehenden Materie in Betracht, was etwa auf rein
rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme
zutrifft, wogegen andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen
materiell- oder verfahrensrechtlicher Natur wie die Würdigung medizinischer
Gutachten in der Regel nicht darunterfallen. Schliesslich kann das kantonale
Gericht von einer öffentlichen Verhandlung absehen, wenn es auch ohne eine
solche aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen
Rechtsbegehren der bezüglich der Verhandlung antragstellenden Partei zu
entsprechen ist (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281 mit Hinweis auf BGE 122 V 47 E. 3b/
ee und 3b/ff. S. 57 f.).

2.

2.1. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen und öffentlichen
Gerichtsverhandlung wurde unbestrittenermassen rechtzeitig in der
vorinstanzlichen Beschwerdeschrift gestellt (BGE 122 V 47 E. 3b/bb S. 56). Von
der klar und unmissverständlich beantragten öffentlichen Verhandlung hätte das
kantonale Gericht nur bei Vorliegen von in Erwägung 1.3 genannten Gründen
absehen dürfen. Dass aber der Antrag auf eine öffentliche Verhandlung hier
schikanös wäre oder dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens
zuwiderlaufen würde, hat die Vorinstanz zu Recht nicht erwogen. Sodann schloss
sie weder auf eine offensichtliche Unbegründetheit oder Unzulässigkeit der
Beschwerde noch auf eine hohe Technizität der Materie, welche eine Ablehnung
der beantragten Verhandlung ausnahmsweise zu rechtfertigen vermöchte.
Offensichtlich hat sie den materiellen Rechtsbegehren des Beschwerdeführers
auch nicht entsprochen. Vielmehr hat sie einzig mit den Hinweisen, der Antrag
sei ohne weitere Reflexion als Abschrift einer Vorlage gestellt worden, und der
Beschwerdeführer habe zudem am 18. Juni 2015 telefonisch um eine sofortige
Erledigung der Sache gebeten, worin es einen Verzicht auf eine öffentliche
Verhandlung erblickte, von einer öffentlichen Verhandlung abgesehen.

2.2. Weder kann im telefonischen Ersuchen um beförderliche Erledigung der
Streitsache ein nachträglicher Verzicht auf die öffentliche Verhandlung gesehen
werden noch rechtfertigt der Umstand einer allenfalls aus einer anderen
Rechtsschrift übernommenen, jedoch klaren und unmissverständlichen
Antragsformulierung, von einer nicht ernsthaft gewollten öffentlichen
Verhandlung auszugehen. Es bestand damit für das kantonale Gericht keine
Veranlassung und keine Rechtfertigung, von der grundsätzlichen Verpflichtung
zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ausnahmsweise abzuweichen.
Indem die Vorinstanz unter diesen Umständen hiervon abgesehen hat, wurde der in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht Rechnung getragen.
Es ist daher unumgänglich, die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen,
damit es den Verfahrensmangel behebt und die vom Beschwerdeführer verlangte
öffentliche Verhandlung durchführt. Danach wird es über die Beschwerde
materiell neu befinden (BGE 136 I 279 E. 4 S. 284; SVR 2014 UV Nr. 11 S. 37,
8C_273/2013 E. 4).

3. 
Unter den gegebenen Umständen rechtfertigt es sich, ausnahmsweise auf die
Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Damit
wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Der teilweise
obsiegende Beschwerdeführer ist nicht anwaltlich vertreten, weshalb ihm keine
(reduzierte) Parteientschädigung zusteht (Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 439
E. 4 S. 446).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. August 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Dezember 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Polla

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben