Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.68/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]         
8C_68/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 1. Juli 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
Kantonale IV-Stelle Wallis,
Bahnhofstrasse 15, 1950 Sitten,
Beschwerdeführerin,

gegen

 A.________, vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Hilfsmittel),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 17. Dezember
2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ ist zufolge einer Retinitis pigmentosa im Alter von zwölf Jahren
vollständig erblindet. Nach einem Studium in Klinischer Psychologie arbeitete
er seit 2002 als Psychotherapeut am Spital B._________. Unter Hinweis auf sein
wöchentliches Arbeitspensum von 48 bis 52 Stunden ersuchte er bei der
Kantonalen IV-Stelle Wallis um Übernahme der Mietkosten für ein Zimmer im
Personalhaus des Spitals (in der Höhe von 390 Franken) oder aber der Taxikosten
für den Arbeitsweg. Die IV-Stelle lehnte das Leistungsbegehren mit Verfügung
vom 5. Dezember 2013 ab.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Wallis mit Entscheid
vom 17. Dezember 2014 im Sinne der Erwägungen gut und wies die Sache an die
IV-Stelle zurück, damit sie gestützt auf die notwendigen Abklärungen
entscheide, ob dem Beschwerdeführer die Begleitung durch Dritte vom und zum
Ortsbus vergütet werde oder ob sie für die Kosten der Taxitransporte zwischen
der Wohnadresse des Beschwerdeführers und dem Spital B.________ bis zu jenem
Betrag aufkomme, den sie für einen Führhund hätte aufwenden müssen.

C. 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Bestätigung ihrer
Verfügung vom 5. Dezember 2013.

A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) beantragt die Gutheissung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG)
und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente
noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f.,
134 V 250 E. 1.2 S. 252, je mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315, 65 E. 1.3 S. 67 f.,
je mit Hinweisen).

1.2. Es handelt sich beim angefochtenen Rückweisungsentscheid um einen
Zwischenentscheid. Er enthält Anordnungen, die den Beurteilungsspielraum der
IV-Stelle zwar nicht gänzlich, aber doch wesentlich einschränken. Sie wird
damit gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Die
Zulässigkeitsvoraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne
von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist erfüllt und es ist auf die Beschwerde
einzutreten (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 f.).

2. 
Streitig ist letztinstanzlich allein der Anspruch auf Ersatzleistungen in Form
von Dienstleistungen Dritter anstelle eines Hilfsmittels nach Art. 21ter Abs. 2
IVG. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat der Beschwerdegegner zur
Bewältigung seines etwa drei Kilometer langen Arbeitsweges grundsätzlich
Anspruch auf einen Blindenführhund (Ziff. 11.02 der Liste der Hilfsmittel,
Anhang der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die
Invalidenversicherung [HVI]). Die Haltung eines Hundes sei jedoch gestützt auf
ein Schreiben der Schule für Blindenführhunde vom 7. November 2013 wegen des
100-prozentigen Arbeitspensums nicht angezeigt. Hingegen bestehe anstelle des
Hilfsmittels im Rahmen eines Höchstbetrages (nach Kreisschreiben des BSV über
die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung [KHMI]) Anspruch
auf die Übernahme der Kosten für die Begleitung durch einen Dritten vom und zum
Ortsbus, der bei der Hinfahrt auf der dem Spital gegenüberliegenden
Strassenseite halte, bei der Rückfahrt jedoch nicht am Spital vorbeifahre, oder
auf Übernahme der Kosten für Taxitransporte zwischen dem Wohn- und Arbeitsort
bis zu dem Betrag, den die IV-Stelle auch für den Blindenführhund hätte
aufwenden müssen. Diese beliefen sich auf 350 Franken pro Monat zuzüglich 80
Franken für Futter und 30 Franken als Beteiligung an Tierarztkosten, während
eine Taxifahrt nach Angaben des Versicherten auf 16 Franken pro Fahrt zu stehen
komme.

Die Beschwerde führende IV-Stelle macht geltend, dass der Versicherte zur
Haltung eines Blindenführhundes nicht geeignet sei und deshalb auch kein
Anspruch auf eine Dienstleistung Dritter bestehe. Dieser Argumentation
schliesst sich das BSV an.

3. 
Nach Art. 9 Abs. 1 lit. a HVI hat der Versicherte Anspruch auf Vergütung der
ausgewiesenen invaliditätsbedingten Kosten für besondere Dienstleistungen, die
von Dritten erbracht werden und anstelle eines Hilfsmittels notwendig sind, um
den Arbeitsweg zu überwinden (BGE 118 V 200 E. 2b S. 203). Die Bestimmung
stützt sich auf Art. 21ter Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 lit. c
IVV (vormals Art. 9 HV, AS 1976 2664 ff., 2667; Art. 21bis Abs. 3 IVG, AS 1968
29 ff., 34; Art. 14 Abs. 2 IVV, AS 1971 56 f., 57).

Es ist unbestritten, dass der Versicherte zur Bewältigung seines Arbeitsweges
und damit zur Ausübung der Erwerbstätigkeit wegen seines Augenleidens auf ein
Hilfsmittel angewiesen ist. Er ist daher nach Art. 21 Abs. 1 IVG im Rahmen der
Hilfsmittelliste anspruchsberechtigt. Nach den zutreffenden und insoweit
unbestrittenen Feststellungen des kantonalen Gerichts kommt dafür nur ein
Blindenführhund in Frage. Das Hilfsmittel ist erforderlich und
eingliederungswirksam, und diese beiden allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen
für die Hilfsmittelversorgung nach Art. 8 IVG sind damit erfüllt (BGE 135 I 161
E. 4.1 S. 164). In gleicher Weise wird das Eingliederungsziel erreicht durch
die von der Vorinstanz im Grundsatz zugesprochene Begleitung durch eine
Drittperson von und zum Ortsbus oder durch Taxifahrten, welche das Hilfsmittel
ersetzen (vgl. zur substitutiven Natur der Kostenvergütung für Dienstleistungen
Dritter BGE 118 V 200 E. 2c S. 204; Urteile I 354/03 vom 17. März 2005 E.
3.2.2; I 500/89 vom 30. Januar 1991 E. 2b).

Die Schule für Blindenführhunde erachtet die Abgabe eines Hundes als nicht
vereinbar mit der hohen Arbeitsbelastung des Versicherten im Rahmen seines
Vollzeitpensums. Damit ist das Hilfsmittel des Blindenführhundes für den
Versicherten wegen Gegebenheiten, die in seiner Person liegen, nicht geeignet (
BGE 112 V 11 E. 1a S. 14; 118 V 200 E. 2c S. 203; Urteil I 354/03 vom 17. März
2005 E. 3.2.2). Es sind deshalb für die Überwindung des Arbeitsweges anstelle
des Hilfsmittels besondere Dienstleistungen notwendig, die von Dritten erbracht
werden. Der geltend gemachte Anspruch auf Vergütung der dafür anfallenden
invaliditätsbedingten Kosten ist damit begründet, soweit diese ausgewiesen
sind. Es besteht im Übrigen auch kein Zweifel daran, dass der Versicherte aus
schützenswerten Gründen vom gesetzlichen Leistungsanspruch auf einen
Blindenführhund keinen Gebrauch macht (vgl. zur Austauschbefugnis BGE 131 V 107
E. 3.2.1 S. 111; Ulrich Meyer, Allgemeine Einführung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, S. 56
f. Rz. 75; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Rz. 17 zu Art. 15 ATSG;
Hardy Landolt, Sozialversicherungsrechtliche Austauschbefugnis, in: Soziale
Sicherheit - Soziale Unsicherheit, Festschrift für Erwin Murer, 2010, S. 391
ff., S. 407; Silvia Bucher, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung,
2011, S. 261 f. Rz. 488).

Zur Höhe der monatlichen Vergütung ist Art. 9 Abs. 2 HVI massgeblich (vgl. auch
KHMI Rz. 1032 ff.). In diesem Rahmen wird die IV-Stelle für die
invaliditätsbedingten Kosten aufkommen, die für die Begleitung des Versicherten
auf dem Arbeitsweg beziehungsweise durch Taxifahrten anfallen. Die Vorinstanz
hat weitere Abklärungen dazu als angezeigt erachtet, was beschwerdeweise
insoweit nicht bestritten wird.

4. 
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde wird mit dem heutigen Urteil
gegenstandslos.

5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Des Weiteren
hat sie dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1500.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Wallis und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. Juli 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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